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Dietrich von Freiberg, 1240/50 bis gegen 1320, war einer der originellsten Philosophen, Theologen und Naturforscher der älteren Zeit. Nach Albert dem Großen und Meister Eckhart erreichte er als einziger Deutscher das hohe Amt eines Magisters in Paris. In eingehender Beweisführung gelang ihm als erstem die heute als richtig geltende Theorie des Regenbogens. Seine persönliche Verbindung zu Meister Eckhart ist belegt, ebenso sein Einfluss auf Eckharts Denken. Seine Schriften bilden den historisch verlässlichen Zugang zu Eckharts Werk. Kurt Flasch, der von 1977 bis 1985 die vierbändige Ausgabe der…mehr

Produktbeschreibung
Dietrich von Freiberg, 1240/50 bis gegen 1320, war einer der originellsten Philosophen, Theologen und Naturforscher der älteren Zeit. Nach Albert dem Großen und Meister Eckhart erreichte er als einziger Deutscher das hohe Amt eines Magisters in Paris. In eingehender Beweisführung gelang ihm als erstem die heute als richtig geltende Theorie des Regenbogens. Seine persönliche Verbindung zu Meister Eckhart ist belegt, ebenso sein Einfluss auf Eckharts Denken. Seine Schriften bilden den historisch verlässlichen Zugang zu Eckharts Werk. Kurt Flasch, der von 1977 bis 1985 die vierbändige Ausgabe der Schriften Dietrichs veranlasst und geleitet hat, führt zunächst ein in Dietrichs intellektuelle Welt und gibt dann Traktat für Traktat eine philosophisch-historische Analyse sämtlicher Schriften Dietrichs. Es ist die erste Gesamtdarstellung dieses Denkers seit hundert Jahren, erstmals auf verlässlicher und vollständiger Textgrundlage. Sie berücksichtigt Dietrichs Philosophie, Theologie und Naturforschung und arbeitet detailliert die außerordentliche denkerische Originalität des antithomistischen Dominikanerprofessors heraus. Diese Buch fasst vierzig Jahre der Dietrichforschung autoritativ zusammen; es verändert überraschend das Bild der intellektuellen Situation der Zeit um 1300 und generell der Geschichte der Philosophie. Es erschließt in klarer Sprache Dietrichs subtile Theorien und wird auf lange Zeit die Grundlage künftiger Forschung bilden.
Autorenporträt
Kurt Flasch, geboren 1930 in Mainz, studierte Philosophie, Geschichte, Gräzistik und Germanistik in Bonn und Frankfurt, wo er 1956 promovierte und 1969 habilitierte. Von 1970 bis 1995 war er Ordinarius für Philosophie im Philosophischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Darüber hinaus hielt er zahlreiche Gastvorlesungen, u.a. an der Sorbonne in Paris. Kurt Flasch verfasste zahlreiche Publikationen und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, u.a. dem "Sigmund-Freud-Preis" für wissenschaftliche Prosa (2000) der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dem "Hannah- Arendt-Preis" (2009) und dem "Joseph-Breitbach-Preis" (2012).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.02.2008

Intellekt und Regenbogen
Kurt Flaschs kämpferische Studie zu Dietrich von Freiberg
Wer kennt Dietrich von Freiberg? Er ist noch nicht ins allgemeine Bewusstsein gedrungen wie Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Bonaventura oder Duns Scotus. Das könnte sich mit dem vorliegenden Buch Kurt Flaschs ändern. Diese Studie ist, wie alle Bücher des emeritierten Bochumer Professors für mittelalterliche Philosophie, in dem magistralen Ton geschrieben, der dem Leser deutlich macht, von wem er hier etwas zu lernen habe. Und es gibt eine Menge zu lernen. Im ersten Teil wird man über das Wenige, was man von dem Dominikanermönch Dietrich biographisch weiß, informiert: Er war 1271 Lektor in Freiberg (Sachsen), studierte von 1272 - 1274 in Paris, hier wurde er 1296/1297 Magister. Zwischen etwa 1286 und 1311, seinem vermutlichen Todesjahr, verfasste er seine Schriften, keine umfangreichen Summen, sondern verhältnismäßig knappe kritische Traktate zu Problemen der mittelalterlichen Metaphysik, Theologie und Naturphilosophie. Zur politischen Philosophie hat er sich nicht geäußert.
Flasch informiert im ersten Teil knapp, aber präzise und instruktiv über Schwerpunkte der scholastischen Diskussion im Paris der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts; über Averroes, die „averroistische” Seelenlehre Alberts des Großen, über Bonaventura, den „Eiferer gegen die arabischen Philosophen”, über – wie er ihn immer etwas maliziös nennt – Thomas von Aquino, über die Seelenlehre der Theologen und Philosophen Heinrich von Gent, Siger von Brabant, Gottfried von Fontaines; schließlich über die Verurteilungen der aristotelischen Philosophie 1270 und 1277 in Paris. Merkwürdigerweise fehlt der wichtigste Vertreter der franziskanischen Scholastik im 13. Jahrhundert, Duns Scotus, völlig.
Vor diesem intellektuellen Panorama gewinnen die Theologie und Philosophie Dietrichs von Freiberg Kontur. Im zweiten Teil stellt Flasch eindringlich und detailliert Dietrichs metaphysische Grundlegung der Philosophie vor. Die Grundthese lautet: Nur im Denken wird das Seiende wirklich. Erst in dem Moment, wo ein Ding erkannt wird, wird es für den jeweilig Erkennenden real. Indem das Seiende als aktuales, hier und jetzt anwesendes Seiendes gedacht wird, bestimmt das Denken die Kriterien dessen, was Sein ist, denn das Denken ist die Form des Seins, insofern das Seiende aktuell nur sein kann, indem es eben gedacht wird. Dieses Argument heißt, Flasch zufolge, nicht, dass Dietrich behaupte, der Intellekt erschaffe sich seine Welt. Die Schöpfung und die innere Bestimmung aller Dinge sind für Dietrich selbstverständlich das Werk Gottes, der Prinzip von allem ist. Aber der Intellekt muss sich diese Schöpfung im Erkenntnisprozess zu seinem Objekt machen. Er konstituiert formal das seiende Wesen, mit dem er sich beschäftigt.
Intellektuelle Erkenntnis ist eine Leistung der menschlichen Seele. Die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele und ihrer Seligkeit vertieft also auch die Frage nach der Rolle des Intellekts. Das Thema, das anhand von Dietrichs Text „De visione beatifica” („Die beglückende Schau”) behandelt wird, ist wegen der Frage interessant, worin denn das vollkommene Glück bestehe. Flasch positioniert in seiner Darstellung Dietrich deutlich gegen Thomas von Aquin. Nach Thomas hängt alle Erkenntnis von der Empirie ab, deshalb kann die beglückende Erkenntnis des Göttlichen nicht als menschliche Leistung, sondern nur als göttliche Gnade verstanden werden. Diese Theorie sei, so Flasch, „orthodox, aber theoretisch flach”. Der Thomismus sei eine Lehre, die sich der kirchlichen Macht dienstbar gemacht habe. „Eine Chance wurde vertan”. Gegen die orthodoxen Theologen konzipiere Dietrich den menschlichen Intellekt selbst als gottförmig. Bei Dietrich sei die menschliche Selbsterkenntnis ein Ausdruck der Selbsterkenntnis des dreieinigen Gottes. Indem wir den tätigen Intellekt als unseren konzipieren und wissen, dass er das Bild Gottes ist, „freuen wir uns unserer Wesensform in seliger Schau”. Selbsterkenntnis des Intellekts ist Seligkeit.
Dietrich hat sich in „De accidentibus” auch das Kernstück der katholischen Dogmatik, die Transsubstantiationslehre, vorgenommen. Thomas lehrte, dass sich in jedem Messopfer Brot und Wein in Leib und Blut Christi wandelten, dass aber die Akzidenzien, die äußeren Eigenschaften von Brot und Wein, identisch blieben. Dietrich warf Thomas vor, er mache damit die Akzidenzien zu Substanzen und argumentiere widersprüchlich.
Flasch rekonstruiert die Argumente genüsslich: Wenn die Akzidenzien als eigenständige Wesen beschrieben werden würden – und das müssten sie, wenn sie ohne Substanz, der sie zugehören, existieren könnten – dann seien sie nicht länger Akzidenzien, sondern selbst Substanzen. Wenn Akzidenzien aber zugleich Substanzen seien, dann sei die Unterscheidung von Substanz und Akzidenz sinnlos und damit die philosophische Erklärung des Dogmas hinfällig. Thomas unterwerfe sich dem Diktat der „Theologen” und verirre sich auf einen Weg zum Willkür- und Wundergott; und dieser Weg ist für Flasch der Irrweg der Theologie insgesamt.
Dietrich habe allerdings das „Kampfspiel gegen das intellektuelle Prestige und den Einfluss des Thomas von Aquino im Paris und im Orden der Dominikaner” verloren; er sei so zum Außenseiter in seiner eigenen Kongregation geworden.
Kosmologie ist nie nur ein philosophisches Thema, sie hat, zugestanden oder verschwiegen, immer eine theologische Dimension. Und so ist die Darstellung von Dietrichs kosmologischem Traktat „De cognitione entium separatorum”(„Über die Erkenntnis der Einzelwesen”) im dritten Teil ein ideologisches Schlüsselkapitel sowohl für Dietrich von Freiberg als auch für Kurt Flasch. Flasch beschreibt die christliche Offenbarungstheologie und deren heilsgeschichtliche Implikationen mit unverhohlenem Widerwillen. Die mittelalterliche „theologia”, die Flasch etwas maliziös mit dem lateinischen Terminus charakterisiert, dürfe weder mit dem Etikett „Scholastik” noch mit „christlicher Philosophie” gleichgesetzt werden. In diesem Sinne stellt Flasch Dietrich als Theologen dar, der ohne positive Offenbarung, Christologie und Eschatologie auskommt.
Dietrichs Theologie orientiere sich nicht an der christlichen Offenbarung, sondern am Stufen-Aufbau des neuplatonischen Universums. Erstens: Gott, der erste Grund, ist seinem Wesen nach Intellekt. Zweitens: Die Intelligenzen sind die unmittelbaren Wirkungen des göttlichen Grundes. Flasch betont:„Die Erschaffung als Kraftakt göttlicher Willensenergie kommt bei Dietrich nicht vor”. Die Intelligenzen haben eine Wirkungsmacht als Formen der unteren Sphären. So ist das Universum von den Strukturen der Intelligenz so durchformt wie die Intelligenzen von Gott. Drittens: Aus den Intelligenzen gehen die Himmelsseelen hervor, die die Sphären bewegen. Viertens: Engel und Dämonen bilden eine eigene Gruppe geistiger Existenzen ohne festen Ort im Universum. Flasch interessiert sich hier vor allem für die Frage, wie sie, wenn sie denn böse sind, im physischen Höllenfeuer bestraft werden können; Dietrich nehme ein solches Feuer an, wie er denn überhaupt viele – Flasch befremdende – Traditionselemente übernehme und „glaube”. Fünftens: Die unterste Klasse geistiger Existenzen sind die menschlichen „armen” Seelen. Für Dietrich ist entscheidend, dass der göttliche tätige Intellekt im Menschen wirkt und so der Seele erst ihr Sein verleiht.
Der Traktat über den Regenbogen hat Dietrich berühmt gemacht. Dietrichs Naturphilosophie ist überraschend unabhängig von seiner Kosmologie. Flasch zeichnet den Dominikanermönch als metaphysikfreien, beinahe schon positivistischen Wissenschaftler. Dietrichs Lichttheorie beruht auf einer Definition der Lichthaftigkeit („Luminositas”) und auf der Einsicht in die optische Strahlennatur des Lichts. Farblose Lichthaftigkeit denkt er sich – wie später Newton – als „zusammengepresste” Regenbogenfarben, deren Anzahl er mit vier angibt: rot , gelb, grün und blau. In seiner Theorie des Regenbogens werden die Licht- und Farbtheorie sowie die Optik des Lichtstrahls miteinander kombiniert. Dietrichs entscheidender Gedanke: Der Lichtstrahl wird beim Eintreten in jeden einzelnen Regentropfen gebrochen, an dessen Wand reflektiert und beim Austreten erneut gebrochen. Dabei wird das Licht in die natürlichen Teile, die vier Regenbogenfarben, zerlegt. Mit dieser Theorie ist Dietrich ein Durchbruch in der Optik gelungen; er hat das Prinzip der Lichtbrechung und der Farbdiffusion in der experimentell-rekonstruktiven Weise beschrieben, die dann in der Frühen Neuzeit, bei Descartes und bei Newton, „wissenschaftlich” neu entdeckt wurde.
Das 700-seitige Buch ist nicht einfach zu lesen. Das liegt an der Schwierigkeit des Stoffs, der hier dargestellt wird – und Flasch ist gewiss ein Autor, der wie kaum ein zweiter in der Lage ist, komplexe philosophische Sachverhalte verständlich zu machen. Es ist die erste zusammenfassende Darstellung des Werks Dietrichs von Freiberg. Allein das ist schon eine Pionierleistung, die die Herausgabe der Werke dieses Autors ergänzt. Das Buch fasst die Diskussionen des 13. Jahrhunderts souverän zusammen und bietet so einen intensiven Einblick, wie man ihn in dieser Weise sonst kaum finden kann. Es stellt den Rang des philosophischen Helden und Außenseiters eindrucksvoll dar, allerdings wird hier der Leseeindruck etwas zwiespältig. Man wird als Leser den Verdacht nicht ganz los, hier werde gelegentlich mehr polemisiert und Propaganda getrieben als einem wissenschaftlichen Stil – sofern er sich als diskret versteht – angemessen ist.
Eine Lücke fällt auf: Die franziskanische Philosophie und Theologie im Paris des späten 13. Jahrhunderts wird nicht ausreichend berücksichtigt. Das ist schade, haben doch sowohl Bonaventura als auch Duns Scotus weit über ihre Ordensgrenzen hinaus gewirkt. Leider vermisst man auch eine wirkliche Bibliographie: Neben den Quellenausgaben werden als „zitierte Forschungsliteratur” Flaschs eigene Arbeiten sowie Aufsätze seiner Schüler, vor allem die Loris Sturleses, dem die Studie gewidmet ist, aufgeführt. Wem soll das nützen? Das Buch hätte durch eine vollständige Bibliographie der Forschungsliteratur noch einmal viel gewonnen. Trotzdem: Wer ein didaktisch klar konzipiertes, engagiertes, kämpferisches, antitheologisches Exempel mittelalterlicher Philosophiegeschichtsschreibung kennenlernen möchte, sollte sich mit diesem Buch auseinandersetzen.
WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN
KURT FLASCH: Dietrich von Freiberg. Philosophie, Theologie, Naturforschung um 1300. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2007. 717 S., 119 Euro.
Selbsterkenntnis des Intellekts ist Seligkeit
Der Dominikanermönch beschrieb das Prinzip der Lichtbrechung
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.05.2008

Hinterm Horizont geht's weiter
Kurt Flasch lässt den Panoramablick schweifen, den Dietrich von Freiberg auf den Schultern des Geistesriesen Thomas von Aquin gewann

Der fast achtzigjährige Grandseigneur der Geistesgeschichte des Mittelalters, Kurt Flasch, meldet sich erneut zu Wort: mit einem mehr als siebenhundert Seiten umfassenden Werk über einen bislang nur Spezialisten aus Profession bekannten mittelalterlichen Gelehrten. Und was er bietet, ist eine so geist- wie facettenreiche Studie, die auch geschichtlich Interessierte aus Passion anspricht; denn sie ist voller Informationen, überraschender Einblicke, neuer Einsichten, dazu hervorragend recherchiert und glänzend geschrieben.

Es geht um Dietrich von Freiberg. Er lebte um 1300, war Dominikanerpater, Philosoph, Naturwissenschaftler und Theologe. 1296/97 avancierte er - nach Albert dem Großen und vor Meister Eckhart - zum Professor für Theologie in Paris. Doch war er nie nur ein Stubengelehrter. Als Angehöriger eines Bettelordens zog er stets zu Fuß durch die Lande, den Kontakt mit den Menschen suchend und die Natur experimentell erkundend. Kein Wunder, dass der aufgeweckte Dietrich auch immer wieder Leitungsaufgaben innerhalb seines inzwischen über ganz Europa verbreiteten Ordens übernehmen musste.

Seine wissenschaftliche Arbeit vergleicht der aus der Silberstadt Freiberg in Sachsen stammende und um 1240 geborene Denker mit der eines Hilfsarbeiters bei der Ernte - einer Ernte, die ja längst durch die großen Schnitter (Thomas von Aquin und Bonaventura) eingefahren war. Beide Geistesriesen hatten zuvor beeindruckende Denkkathedralen errichtet, an denen ihre Schüler nicht immer klug und weise weiterarbeiteten. Flasch zeigt es im Detail: Dietrichs Nachlese war anderer Art. Er behielt das weite Feld im Auge und konzentrierte sich auf das, was die Großen übersehen hatten; denn er spürte, was auch andere um 1300 wahrnahmen: Hier stimmt was nicht, irgendetwas ist übersehen worden. Aber was?

Arnald von Villanova, Zeitgenosse Dietrichs, von dem Flasch aber nichts weiß, warnte in Paris vor dem baldigen Kommen des Antichrist und sah das Ende der Welt hereinbrechen. Die akademische Welt reagierte auf dieses apokalyptische Denken und beobachtete sorgfältig den Himmel, Beobachtungen, die zu Berechnungen und allerlei Überlegungen führten, die wiederum, wie Johannes Fried vor einigen Jahren nachwies, entscheidend zur Entstehung der modernen Naturwissenschaften beitrugen. Leider erwähnt Flasch diesen Streit um das Ende der Welt mit keinem Wort, zeigt aber umso deutlicher den Ertrag der Ernte Dietrichs. Was der Sachse fand, verdient alle Beachtung, zumal sich seine Nachlese zunehmend zur gründlichen Relecture entwickelte, ja zur "Revision von Grundlagen", zur Fundamentalkritik einer wissenschaftlichen, religiösen und gesellschaftlichen Kultur.

Dabei beobachtete auch Dietrich den Himmel, allerdings nicht - wie die Apokalyptiker - um zu prüfen, ob womöglich der Himmel zusammenfällt, sondern um allerlei Berechnungen und Reflexionen anzustellen. Nicht die plötzliche Veränderung, sondern die bei aller Veränderung zu beobachtende Regelmäßigkeit, ja Beständigkeit, interessierte ihn. Nicht von ungefähr wählte Dietrich den Regenbogen zu seinem speziellen Forschungsobjekt. War diese Himmelserscheinung doch seit den Zeiten Noahs das große Symbol der Beständigkeit, Zeichen des ewigen Bundes zwischen Gott und allen lebenden Wesen..

Überdies hatte, was Flasch ebenfalls übersieht, inzwischen aber durch die Erforschung der mittelalterlichen Predigtliteratur erwiesen ist, der Regenbogen gerade bei den damaligen Dominikanern in Deutschland noch eine spezifische Bedeutung: Das altbundliche Heilszeichen wies hin auf das Zeichen des Neuen Bundes: auf Maria. Sie, die Gottesmutter und Jungfrau, ist den Dominikanern der "Regenbogen" der neuen Heilszeit. Ihr gilt alle Aufmerksamkeit. Jedenfalls widmet Dietrich sich dem Regenbogen unter bestimmter Perspektive: Er will an ihm die Regelmäßigkeit und "unfehlbare" Vorhersagbarkeit der Farbenfolge beim Regenbogen demonstrieren. Das Wort "unfehlbar" stammt, wie Flasch betont, in diesem Zusammenhang von Dietrich. Es ist ihm wichtig, weil es zu seiner Ernte gehört: Bei allem Rätselhaften und scheinbar Zufälligem gibt es in der Welt Zufallsenthobenes, Zeitüberlegenes. Es gibt, wie Flasch im Blick auf Dietrich formuliert, "Per-se-Verhältnisse". Was der Dominikaner dabei im Blick auf den Regenbogen erstmals feststellte, ist in von Flasch genau bestimmter Hinsicht noch heute gültig.

Überhaupt werden hier meisterhaft vierzig Jahre der Dietrich-Forschung zusammengefasst und neu zur Diskussion gestellt; und zwar von einem, der die Quelle wie kaum ein Zweiter kennt, ja, der die vierbändige Edition dieser Quellen allererst initiiert und acht Jahre lang, von 1977 bis 1985, geleitet hat. Flasch ist dafür und für die vorliegende exzellente Nachlese zu danken.

MANFRED GERWING

Flasch, Kurt: "Dietrich von Freiberg". Philosophie, Theologie, Naturforschung um 1300. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2007. 718 S., geb., 119,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieses Buch ist nicht leicht zu lesen, räumt Rezensent Wilhelm Schmidt-Biggemann ein, aber höchst gewinnbringend. Kurt Flasch, unumstrittene Koryphäe auf dem Gebiet der mittelalterlichen Philosophie, nimmt sich darin des Mittelalter-Denkers Dietrich von Freiberg an und vollbringt damit für den Rezensenten nicht nur eine Pioniertat, sondern auch eine intellektuelle Glanzleistung. Den Informationen des Rezensenten zufolge positioniert Flasch den Philosophen gegen Thomas von Aquin und dessen "orthodoxe, aber theoretisch flache" Theorie, wonach die Erkenntnis des Göttlichen nicht einer menschlichen Leistung, sondern göttlicher Gnade entspringt. Bei Dietrich von Freiberg dagegen ist die intellektuelle Erkenntnis eine "Leistung der Seele" und nur im Denken werde das Seiende wirklich, wie Schmidt-Briggemann es fasst. Gegen den orthodoxen Thomismus war Dietrichs Lehre chancenlos, aber so würdigt der Rezensent umso mehr Flaschs Verdienst, diesen Theoretiker wieder ins Blickfeld der Philosophiehistorie gerückt zu haben.

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