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Unter Einbeziehung der selbst für Spezialisten nur noch schwer überschaubaren Forschungsliteratur und der Auswertung einer Vielzahl unveröffentlichter Dokumente und Nachlässe gibt der Verfasser eine umfassende Darstellung des organisierten Antisemitismus in Deutschland. Der Schwerpunkt liegt auf der Bismarck- und Kaiserzeit. Gleichzeitig werden aber auch die sich überlagernden und wandelnden Erscheinungsformen des religiös grundierten wie des säkularen Antisemitismus dieser "Gründerjahre" sowohl durch Rückgriff auf die ältere Tradition als auch in der Darstellung ihrer Kontinuität über die…mehr

Produktbeschreibung
Unter Einbeziehung der selbst für Spezialisten nur noch schwer überschaubaren Forschungsliteratur und der Auswertung einer Vielzahl unveröffentlichter Dokumente und Nachlässe gibt der Verfasser eine umfassende Darstellung des organisierten Antisemitismus in Deutschland. Der Schwerpunkt liegt auf der Bismarck- und Kaiserzeit. Gleichzeitig werden aber auch die sich überlagernden und wandelnden Erscheinungsformen des religiös grundierten wie des säkularen Antisemitismus dieser "Gründerjahre" sowohl durch Rückgriff auf die ältere Tradition als auch in der Darstellung ihrer Kontinuität über die Weimarer Republik bis hin zum "Dritten Reich" vertiefend erklärt. In der vergleichenden Präsentation der Quellen und ihrer Deutung wie auch der Einbeziehung der Biographien führender Agitatoren des Antisemitismus und ihrer Widersacher entsteht ein alle gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Aspekte umfassendes Gesamtbild. Die differenzierende Darstellung der Fakten und Hintergründe erhellt überdies, wie sehr die aktuellen, mit Namen wie Nolte und Goldhagen verknüpften Diskussionen der Gefahr ausgesetzt sind, die komplizierten historischen und sozialen Vorgänge in monokausalen Erklärungen verschwinden zu lassen.
Autorenporträt
Der Autor ist Professor für "Storia della cultura tedesca" an der Universität Viterbo. Zahlreiche Veröffentlichungen in italienischer und deutscher Sprache zur neueren deutschen Sozial- und Ideengeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.10.2003

Das Grinsen des Bösen
Massimo Ferrari Zumbinis Geschichte des Antisemitismus
Es war einmal ein Mann, der konnte nicht nur alle „Semitischen Sprachen ohne Vokale, sondern auch die Antisemitischen ohne alle Buchstaben lesen”, so berichtet wenigstens 1822 Karl Heinrich Ritter von Lang in seiner „Hammelburger Reise”. Mit diesem gehobenen Unsinn war das Wort antisemitisch erstmals geprägt, 57 Jahre später, im Herbst 1879, wird es dann ernst:
Wilhelm Marr (1819-1904) gründet in Berlin die „Antisemiten-Liga” und markiert damit den Beginn des rassischen Antisemitismus. Dieser ist nach Massimo Ferrari Zumbini das Böse. Was ist aber das Böse: das Schlechte, Schlimme, Schreckliche, Unvollkommene, Inferiore, Ruchlose, Fatale, Irrige, Lasterhafte, Negative? Hierüber gibt das Buch keine Auskunft.
In neun Kapiteln behandelt der Autor die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland und breitet die Quellen und die Forschungsliteratur in Fülle vor dem Leser aus (die Bibliographie umfasst 66 Seiten). Das Buch beginnt mit einer Studie über „Die Juden im Kaiserreich” und endet mit dem Wort „Auschwitz”. Alles, was dazwischen abgehandelt wird, muss als Hinführung und allmähliche Zuspitzung auf Auschwitz verstanden werden. Die gesamte deutsche Geschichte wird von „Auschwitz” her gelesen, selbst die Einführung der Pickelhaube in Preußen im Oktober 1842 und die Einweihung des ersten Bismarckturms in Eisenach 1902 werden zum Zeugnis des Bösen.
Der Autor möchte zwar nicht eine „direkte Verbindungslinie” zwischen der Gesellschaft des Kaiserreiches und der „von den Nationalsozialisten durchgeführten Vernichtung” der Juden ziehen, meint aber doch, dass viele Faktoren des Antisemitismus sich im Kaiserreich herausgebildet hätten. „Man kann also die Kaiserzeit als die ,Gründerzeit‘ des modernen organisierten Antisemitismus bezeichnen.” Von diesem handeln die ersten vier Kapitel des Buches, in deren Mittelpunkt „Die Entstehung der antisemitischen Bewegung” steht.
Gespenster aus dem Osten
Die ersten 300 Seiten sind jedoch mehr als nur eine genaue Beschreibung der jungen antisemitischen Bewegung, denn der Autor schreibt eigentlich eine Geschichte der Juden in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse (zweites Kapitel) und der parlamentarischen Entwicklungen (viertes Kapitel). Zumbini arbeitet, handbuchartig, mit vielen Zahlen, Daten und Tabellen, dennoch kommen immer wieder einzelne Personen in den Blick: Otto Glagaus „wirtschaftlicher Antisemitismus”, Constantin Frantz’ „jüdische Börse”, Otto Böckels „ländlicher Antisemitismus in Hessen”, August Rohlings „katholische Presse”. Vieles von dem, was der Autor schreibt, ist bekannt, doch in dieser Zusammenstellung und mit dieser ungeheueren Kenntnis auch entlegener Quellen ist die Geschichte des Antisemitismus bisher noch nicht geschrieben worden.
Neuland betritt der Autor mit dem zweiten Teil des Buches; hier steht nun erst einmal Theodor Fritsch im Vordergrund. Die 100 Seiten über Theodor Fritsch – alias Thomas Frey, F. Roderich-Stoltheim und Fritz Thor, des „Großen Alten” des deutschen Antisemitismus – sind das Glanzstück des Buches, denn Zumbini holt ihn aus dem „Halbdunkel” hervor, in dem die Forschung ihn bis jetzt gelassen hatte. Fritsch (1852-1933) war der Autor des „Antisemiten-Katechismus” (ab 1907 unter dem Titel „Handbuch der Judenfrage”), ein Werk, das es zwischen 1887 und 1944 zu 49 Auflagen in einer Höhe von 330 000 Exemplaren gebracht hatte (1944 mit einem Umfang von 604 Seiten). Außerdem gründete er 1902 die langlebigste antisemitische deutsche Zeitschrift Der Hammer (bis 1940). In Ludwigshafen wurde die Rathenaustraße nach Fritsch umbenannt.
Im Zusammenhang dieser Studie über Fritsch formuliert Zumbini auch die Zentralthese seines Buches: durch die „Begegnung zwischen dem Antisemitismus und der eugenischen Bewegung” sei die „Voraussetzung für die Theorie und Praxis des nationalsozialistischen Rassismus” geschaffen worden. Der Sozialdarwinismus in seinen verschiedenen Spielarten habe die biologische Deutung des Menschen geliefert, zu der dann die Eugenik die technokratischen Mittel hinzugefügt habe. Da sowohl der Darwinismus wie die Eugenik auch religionskritische „Weltanschauungen” waren, konnte es so zur Überwindung der letzten Schranken kommen, die den Rassismus noch hätten eindämmen können.
Der Sozialdarwinismus Ernst Haeckels („Die Welträtsel”, 1899) ebenso wie die Lebensreformbewegungen um 1900 (Vegetarismus, Naturheilkunde, Nacktkörperkultur) und Christian von Ehrenfels’ Lob der Polygamie werden bei Zumbini zu Grundsteinen des rassischen Antisemitismus. Dieser These Zumbinis wird sicher widersprochen werden. Nicht widersprechen aber kann man Zumbinis Behauptung, dass August Julius Langbehn spätestens seit der 29. Auflage (1891) seines auch heute noch gern von Pädagogen zitierten Buches „Rembrandt als Erzieher” (1890) als Rassenantisemit bezeichnet werden muss.
Das sechste Kapitel behandelt Nietzsches Stellungnahmen zu Antisemiten (neben seinem Schwager Bernhard Förster, seinem Verleger Ernst Schmeitzner und Eugen Dühring taucht wieder Fritsch auf), die Gespenster aus dem Osten schließen sich an („Ostjuden” und „Slawische Gefahr”). Das Buch endet mit der Radikalisierung des Antisemitismus unter den Nationalsozialisten. Wenn man, wie der Autor, den Nationalsozialismus von „Auschwitz” her versteht, also den Antisemitismus in den Vordergrund rückt, dann muss Zumbini genau an der Stelle, wo er den Topos von der Gleichsetzung von Juden und Bolschewiken referiert, Ernst Nolte rehabilitieren: Nolte habe den „entscheidenden Aspekt der historisch-ideologischen Beurteilung der NS-Bewegung erfaßt” als „antibolschewistische Bürgerkriegspartei”.
Zumbini, seit 1984 Professor in Viterbo für Geschichte der deutschen Kultur, hat mit seinem Buch die Geschichte der deutschen Unkultur geschrieben. Auch wenn die Fixierung auf die geradezu mythische Repräsentation „Auschwitz” methodisch vielleicht ebenso fragwürdig ist wie die Schlüsselrolle, die der Autor dem Sozialdarwinismus in seiner Verbindung mit der Eugenik zuweist, so wird dieses Werk dennoch in der weiteren Antisemitismus-Forschung eine zentrale Rolle einnehmen.
FRIEDRICH NIEWÖHNER
MASSIMO FERRARI ZUMBINI: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus: Von der Bismarckzeit zu Hitler. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2003. 773 Seiten, 49 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2003

Muster aus dem Kaiserreich
Ferrari Zumbini über die Gründerjahre des Antisemitismus

Zwischen dem, was wir heute über den Massenmord an den europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs und über die weit ins neunzehnte Jahrhundert reichende Vorgeschichte dieses Geschehens wissen, besteht ein Mißverhältnis, das in den letzten Jahren immer größer geworden ist. Der Vertiefung ins grauenvolle Detail hier steht eine Kenntnislage dort gegenüber, die mit dem Wort lückenhaft eher euphemistisch umschrieben ist. Es fehlt zwar nicht an brauchbaren Überblicken, wohl aber an Basisarbeit: an Biographien über die Protagonisten des Antisemitismus, an einer bibliographischen Erschließung ihres Schrifttums, an einer Auswertung der antisemitischen Publizistik, an Wissen über die Netzwerke, die antisemitischen Praktiken und Strategien und so weiter. Figuren wie Eugen Dühring, Wilhelm Marr, Hermann Ahlwardt, Theodor Fritsch oder der "hessische Bauernkönig" Otto Böckel sind, trotz achtenswerter Bemühungen, nach wie vor weitgehend unbekannt, die antisemitische Presse eine einzige Terra incognita, und dies, obwohl die Quellen überreichlich sprudeln. Deutscher Antisemitismus vor 1933 scheint ein Thema zu sein, das für die deutsche Geschichtswissenschaft nur nachrangige Priorität besitzt.

Dieser Lage entspricht, daß entscheidende Impulse immer wieder von außen kommen. Die einzige größere Studie über Marr, bezeichnenderweise unübersetzt, stammt von einem israelischen Historiker, Mosche Zimmermann; die wichtigsten Arbeiten über Fritsch von einem Engländer und einem Franzosen, Reginald Phelps und Serge Tabary; die bedeutendste Gesamtdarstellung der Antisemitenparteien des Kaiserreichs von einem Amerikaner, Richard S. Levy. Und nun ist es ein Italiener, der die Deutschen lehrt, was in ihren Archiven alles zu holen ist: Massimo Ferrari Zumbini, Professor für die Geschichte der deutschen Kultur an der Universität Viterbo, hierzulande seit langem bekannt durch eindrucksvolle Studien über Nietzsche und Spengler, hat einen profunden Überblick über die "Gründerjahre" des Antisemitismus vorgelegt, die auf lange Sicht Maßstäbe in diesem Feld setzt.

Ein doppelter Schaltkreis

Mit "Gründerjahren" meint der Autor dabei nicht nur jene unmittelbar an die Reichsgründung anschließenden Jahre, wie es der übliche Sinn dieser Bezeichnung ist, sondern das Zweite Kaiserreich im ganzen. Im letzten Kapitel werden die Linien zwar noch weiter ausgezogen bis in die Weimarer Republik, doch geschieht dies nicht mit dem gleichen Anspruch und auch nicht mehr mit derselben Intensität der Recherchen. Das Buch will eine Geschichte des Antisemitismus in Deutschland zwischen 1871 und 1918 sein, und an diesem Anspruch will es gemessen werden.

Wie löst es ihn ein? Ferrari Zumbini beginnt mit einem sozialgeschichtlichen Überblick über die Juden im Kaiserreich, der besonderes Gewicht auf die Asymmetrie zwischen der jüdischen Modernisierung und der Modernisierung der Gesellschaft legt. In paradoxer Weise begünstigt durch die alten Diskriminierungen, die ihnen eine Betätigung in Landwirtschaft und Handwerk versperrten, entwickeln sich die Juden zu Vorreitern der Verbürgerlichung, einer modernen, aus den Vorgaben der Religion herausgelösten, überwiegend auf (Markt-)Wirtschaft zentrierten Gesellschaft und ziehen damit, man möchte fast sagen: unvermeidlich, die Ressentiments all derjenigen auf sich, die entweder einem langsameren Rhythmus des Wandels folgen oder ihn überhaupt ablehnen. Daraus ergibt sich der Stoff des zweiten Kapitels: die Entstehung eines "doppelten Schaltkreises", in dem sich die aus dem Protest gegen die Säkularisierung einerseits, den Manchesterkapitalismus andererseits entspringenden Energien bündeln und eine antisemitische Wendung nehmen. In den Blick kommen hier der spezifisch katholische Antisemitismus eines August Rohling, der protestantische Antisemitismus der "Kreuzzeitung" und der wirtschaftliche Antisemitismus, wie er von Otto Glagau in der vielgelesenen "Gartenlaube" propagiert wird.

Die beiden folgenden Kapitel widmen sich der Entstehung und Entwicklung des politischen Antisemitismus, der mit Namen wie Marr, Dühring, Treitschke und Böckel verbunden ist. Trotz zeitweilig beachtlicher Erfolge, vor allem in den neunziger Jahren, gelingt es den antisemitischen Parteien nicht, ihre Ziele auf parlamentarischem Weg durchzusetzen. Auf kommunaler Ebene ohnehin immer nur schwach vertreten, verzeichnen diese Parteien bei den Reichstagswahlen etwa seit der Jahrhundertwende einen kontinuierlichen Rückgang der Stimmenzahlen, der denjenigen Aufwind gibt, die, wie Theodor Fritsch, seit längerem für eine außerparlamentarische Strategie plädieren. Die Ursache dieser Schwäche - die endemische Zerstrittenheit der Antisemiten in Fragen der Religion, der Steuerpolitik, der Zusammenarbeit mit anderen Parteien - ist bekannt, wird aber von Ferrari Zumbini auf plastische Weise herausgearbeitet.

Das fünfte Kapitel - in meinen Augen das wichtigste - füllt endlich die größte Lücke, die in der Geschichte des neueren deutschen Antisemitismus bislang klaffte. Es gibt auf gut hundert Seiten einen Aufriß des Lebens und Wirkens von Theodor Fritsch (1852 bis 1933), der in vieler Hinsicht eine Schlüsselfigur, wenn nicht die Schlüsselfigur der antisemitischen Bewegung darstellt: als Herausgeber und Hauptautor zentraler Organe wie der "Antisemitischen Correspondenz", der "Deutschsozialen Blätter" und des "Hammer", als Verfasser des "Handbuchs der Judenfrage", aus dem ganze Generationen von Antisemiten ihr Pseudowissen bezogen, als Verbandspolitiker in bedeutenden Organisationen des Mittelstands und endlich als Mitbegründer des "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes". Was Ferrari Zumbini hier alles an Informationen erschließt und zu einer Gesamtschau verbindet, ist bewundernswert und lohnt allein bereits die Anschaffung des Buches.

Es folgen: ein kürzeres Kapitel über Nietzsche und die Antisemiten sowie ein etwas breit geratenes über "Die Gespenster aus dem Osten: ,Ostjuden' und ,slawische Gefahr'". Hier geht es um die Entstehung eines zweiten "Schaltkreises", der den Antisemitismus energetisch auflädt; die vermeintliche Bedrohung durch ein Judentum, das durch Slawentum und "asiatische Entartung" geprägt und dadurch doppelt gefährlich ist.

Schon im Kaiserreich, darin sieht Ferrari Zumbini sein wichtigstes Ergebnis, bilden sich damit die negativen Stereotype, die den Juden nach 1918 und mehr noch nach 1933 zum Verhängnis werden. Und nicht nur das: Sie werden von den Ostjuden auf die Juden insgesamt übertragen und finden zunehmend auch bei solchen Gruppen Resonanz, die bis dahin für antisemitische Propaganda nicht anfällig waren. Dies bedeute nicht, daß die deutsche Gesellschaft des Kaiserreichs "im Netz eines feinverästelten, alles durchdringenden und omnipräsenten Antisemitismus" gefangen gewesen sei. Eine derart pauschalierende Sicht sei empirisch nicht zu belegen. Wohl aber, daß hier grundlegende Muster geprägt wurden, die dann durch mehr oder weniger kontingente Ereignisse wie den Krieg und die Folgen der Niederlage, Inflation, Weltwirtschaftskrise und so weiter verstärkt wurden.

Ein so bedeutendes Buch wie dieses ehrt man am besten, indem man es kritisiert. Kritik könnte ansetzen beim Titel, den ich unangemessen theologisch finde, und sie hätte zu schließen mit der Frage, ob die im Fazit vollzogene, allzu enge Festlegung des deutschen Antisemitismus auf Antimodernismus tatsächlich das abdeckt, was im Buch entwickelt wird. Dazwischen wären die Versäumnisse zu notieren, die auch bei dieser gewaltigen Leistung noch zu verzeichnen sind. Der Einfluß Richard Wagners und Bayreuths kommt viel zu kurz, der Antisemitismus in der Literatur und den kulturellen Zeitschriften, etwa M. G. Conrads "Gesellschaft" oder dem kurzzeitig von Heinrich Mann (!) herausgegebenen "Zwanzigsten Jahrhundert", bleibt weithin unbeachtet, desgleichen die wichtige Verbindung zur Bodenreformbewegung (Ottomar Beta) oder zur völkischen Rechts- und Justizkritik (Lehmann-Hohenberg). Auch die Infiltration in die nichtantisemitische Tagespresse wäre einer gründlichen Untersuchung wert. Führende Köpfe des Antisemitismus, Erwin Bauer etwa oder Max Bewer, arbeiteten als Journalisten in gediegen-bürgerlichen Blättern, manche vermochten ihnen sogar zeitweise ihren Stempel aufzudrücken wie Friedrich Lange in der "Täglichen Rundschau".

Das kann und soll hier nicht vertieft werden. Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf ein konzeptionelles Problem. Ferrari Zumbini organisiert sein Material so, daß es die Herausbildung eines radikalen, letztlich exterministischen Antisemitismus faßbar machen soll, der im Nationalsozialismus kulminiert. Dieser radikale Antisemitismus ist bei ihm identisch mit einer bestimmten Denkweise, die er als rassisch-biologischen Determinismus charakterisiert. Folgerichtig schildert er die Geschichte des kaiserzeitlichen Antisemitismus als Konflikt zwischen diesem und einem anderen Muster, das durch sozialkulturelle (vor allem: religiöse und politische) Begründungen und weniger mörderische Konsequenzen geprägt sei.

Unübersichtliche Motivlage

Eine solche Koppelung von Motiven und Strategien stößt aber auf erhebliche Schwierigkeiten. Ein religiöser Antisemit wie Stoecker räumte rassenanthropologischen Behauptungen ein weit größeres Gewicht ein, als es diese Einteilung zuläßt, und für einen Rassenideologen wie Fritsch zeigt Ferrari Zumbini selbst, wie stark er durch den Einfluß eines nationalreligiösen Fundamentalisten wie Lagarde geprägt ist. Ein Exponent des Nationalsozialismus wie Alfred Rosenberg begründete seine Rassenlehre keineswegs mit biologischen Argumenten, während umgekehrt der Biologie (oder besser Pseudobiologie) näherstehende Autoren wie Alfred Ploetz oder Fritz Lenz einen gemäßigten Antisemitismus vertraten. Radikalantisemitische Rassentheoretiker wie Hans F. K. Günther wiederum sahen in den Juden keine Rasse, sondern ein Volk.

Schwierigkeiten dieser Art lassen es geraten erscheinen, die Unterscheidung von gemäßigtem und radikalem Antisemitismus von den Motiven und Gründen der Antisemiten abzukoppeln. Reinhard Rürup und Thomas Nipperdey haben dieser Problemlage Rechnung getragen, als sie seinerzeit den Radikalantisemitismus durch die Forderung nach Rücknahme der Emanzipation definierten und den gemäßigten Antisemitismus durch eine Politik der sozialen und administrativen Diskriminierung, die an der Tatsache der Emanzipation nicht rüttelt. Die Frage nach den Motiven und Gründen wird damit nicht beiseite geschoben. Sie wird nur auf eine andere Ebene verlagert, wo sie dann mit Hilfe neuer, spezifischer Typen bearbeitet werden kann. Aber auch hierfür gilt: Es ist noch viel zu tun.

STEFAN BREUER

Massimo Ferrari Zumbini: "Die Wurzeln des Bösen". Gründerjahre des Antisemitismus: Von der Bismarckzeit zu Hitler. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2003. 774 S., 4 Abb., geb., 49,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Beeindruckt, aber nicht gänzlich überzeugt ist Friedrich Niewöhner von Massimo Ferrari Zumbinis Buch "Wurzeln des Bösen", mit dem Zumbini, Professor für deutsche Kultur in Viterbo, eine Geschichte der "deutschen Unku ltur" vorgelegt hat, so Niewöhner, eine Geschichte des Antisemitismus in Deutschland", wie es sie auf diesem Niveau, in dieser Zusammenstellung und auf einer solchen Quellenbasis noch nicht gegeben hat. Eine zentrale Rolle in der weiteren Antisemitismus-Forschung sagt Niewöhner dieser Studie voraus, die mit einer Untersuchung über "Die Juden im Kaiserreich" beginnt und mit Auschwitz endet. Doch zweifelt Niewöhner daran, dass sich die gesamte deutsche Geschichte "von 'Auschwitz' her' lesen lasse, wie er das Zumbini zuschreibt: Selbst die Einführung der Pickelhaube, stöhnt Niewöhner, werde zum "Zeugnis des Bösen".

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