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Die These, die diese Arbeit zu erweisen sucht, ist, dass der Surrealismus wie auch die anderen europäischen Avantgarden ihren Ursprung im Geist der modernen Lyrik finden. Die Emphase, die sie auf den Bildbegriff legten, widerspricht dem nicht, wird damit doch in erster Linie das Wortbild oder die verbale Anschauung akzentuiert: es geht um ein Bild, das zunächst nicht gesehen, sondern gehört und gelesen sein will. In diesem Buch wird mit der herrschenden Praxis, sich den Avantgarden von außen zu nähern und die Erkenntnismittel anderen bereits geprägten Zusammenhängen zu entlehnen, gebrochen.…mehr

Produktbeschreibung
Die These, die diese Arbeit zu erweisen sucht, ist, dass der Surrealismus wie auch die anderen europäischen Avantgarden ihren Ursprung im Geist der modernen Lyrik finden. Die Emphase, die sie auf den Bildbegriff legten, widerspricht dem nicht, wird damit doch in erster Linie das Wortbild oder die verbale Anschauung akzentuiert: es geht um ein Bild, das zunächst nicht gesehen, sondern gehört und gelesen sein will. In diesem Buch wird mit der herrschenden Praxis, sich den Avantgarden von außen zu nähern und die Erkenntnismittel anderen bereits geprägten Zusammenhängen zu entlehnen, gebrochen. Vielmehr werden die von den Werken selbst angebotenen Kategorien analysiert und auf ihre Tauglichkeit für eine Erkenntnis des in Frage stehenden Phänomens geprüft. Einige der hier vereinigten Studien sind eher theoretischer Natur: sie skizzieren das intellektuelle Kräftefeld, innerhalb dessen die Avantgarden in Erscheinung getreten sind. Andere analysieren dagegen sehr genau konkrete ästhetische Einzelphänomene wie acte gratuit, écriture automatique, hasard objectif, humour noir, jeux de mots, machine celibataire, méthode paranoiaque-critique, objet trouvé etc., die sowohl in ihrer Genese, Struktur und Bedeutung erfasst als auch so miteinander konfiguriert werden, dass sie darin zugleich das kategoriale Fundament für ein Verstehen der europäischen Avantgarden bilden.
Autorenporträt
Rita Bischof, geboren 1948 in Fulda, studierte Philosophie, Soziologie und Literaturwissenschaft in Frankfurt am Main, Marburg und Berlin. Forschungs- und Lehraufenthalte in Paris und Florenz. Langjährige Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten. Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze. Seit 2006 ist sie freie Schriftstellerin. Rita Bischof lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2002

Die Liebe zum Regenschirm
Links! Rechts! Verleugne dich! Rita Bischof folgt den Surrealisten und ihren unaufhörlichen Revolten
Weil das Schöne das Wunderbare ist und zugleich eine Junggesellenmaschine, brauchen wir die Surrealisten dringender denn ja: So lautet die Botschaft einer wissenschaftlichen Bekenntnisschrift, die im steingrauen Gewand daherkommt. Der fast farblose Umschlag mit dem rätselhaften Titel kennzeichnet dieses Buch als ein Erzeugnis aus dem Hause Klostermann und einen Beitrag in der Reihe „Das Abendland”. Der Umschlag steht außerdem mit der Autorin im Bunde. Grau ist das Packpapier, damit kein Augenschmaus ablenkt von den sinnlichen Ekstasen, die im Innern beschworen werden. Das spröde Design trägt die Beweislast: Es ragt in die Dingwelt und bleibt ihr enthoben. Es ist ein versinnlichtes surrealistisches Symbol.
Hoch ging es her 1924 beim Pariser Bankett. Gerade hatte das erste „Surrealistische Manifest” zur Befreiung von allen Konventionen aufgerufen, die Zeitschrift „Die Surrealistische Revolution” war frisch gegründet worden, das „Büro für surrealistische Forschungen”, das bald Antonin Artaud leiten sollte, hatte seine Pforten geöffnet und die ersten Traumprotokolle und Zufallserfahrungen entgegen genommen, als das Bankett zur Probe aufs Exempel wurde. Weil eine Mäzenatin ihren Haß auf den deutschen „Erzfeind” ausdrückte, ergriff André Breton das Wort und die Serviette. Er verteidigte den anwesenden Maler Max Ernst, ehe er der Dame das Stofftuch ins Gesicht schleuderte. Die übrigen Surrealisten skandierten „Nieder mit Frankreich”, turnten von Kronleuchter zu Kronleuchter und stießen mit den Füßen die Speisen vom Tisch. Hätte die Polizei nicht eingegriffen, wären die Avantgardisten von einer aufgebrachten Menge gelyncht worden.
Die permanente Revolte sollte „das kollektive Erlebnis des Individuums ermöglichen”. An die Stelle einer vielfach reglementierten Gesellschaft wollte der Kreis um Breton die anarchische Gemeinschaft setzen. Die „absolute Realität” nannten sie diesen Zustand der aufgehobenen Gegensätze. Ich und Welt, Poesie und Leben, Teil und Ganzes hätten dann ihre Gegensätzlichkeit eingebüßt, der Mensch wäre rundum befreit. Hinwegzuräumen gelte es deshalb sämtliche Institutionen, den Staat mit Justiz und Militär, die Kirche, die Konzerne. Einzig, so Bischof, dem „Dogma von der totalen Unbotmäßigkeit und der obligatorischen Sabotage” wollten sie folgen.
Ein Automat mit Namen Ich
Den grimmigen Plänen zum Trotz gebärdeten die Surrealisten sich oft wie Kinder. Das Pariser Bankett ist ebenso sehr ein Kapitel ihres Scheiterns wie die Aburteilung vermeintlicher Renegaten durch ein Tribunal von Bretons Gnaden. Zwar betont Bischof zurecht, dass die Surrealisten „lange vor Foucault das Problem totaler Institutionen erkannten und das Programm der Anti- Psychiatrie vorwegnahmen”. Kaum nachvollziehbar ist indes die behauptete Aktualität des avantgardistischen Politikbegriffs. Bischof mag an die Globalisierungsgegner und die „ATTAC”-Bewegung denken, wenn sie den Einsatz der Surrealisten für soziale Randgruppen und den „allernächsten Bewusstseinsbereich” als zukunftsweisend lobt. Ein Gemisch aus unreifen Ideen und diktatorischer Praxis weist jedoch höchstens in ein steinzeitgraues Morgen.
Vom Schicksal der Surrealisten wäre weit eher zu lernen, wie schnell eine große Leidenschaft in Gesinnungsterror umschlägt, wenn sie das eigene zum einzig möglichen Empfinden erklärt. Angelegt war diese Entwicklung in jenem Bereich, dem Bischofs hauptsächliches Interesse gilt: dem surrealistischen Wortbild. Dieses hat, anders als die gewöhnliche Metapher, keinerlei Bezug zur außersprachlichen Realität; es ist eine Tatsache eigenen Rechts, die aus unvereinbaren Elementen zusammengesetzt ist und so den Leser überfällt, ihn aus der intellektuellen Reserve lockt, sich ihm tyrannisch anbietet. Das surrealistische Wortbild will auf eine poetische Weise ebenso wie später die kommunistische Rhetorik Bretons, Aragons und Eluards die bestehende Ordnung umstürzen und das grundlegend Neue etablieren. Die Differenz aber von Kunst und Politik markiert, obgleich gerade die Abschaffung dieser Trennlinie zur Debatte stand, den tiefen Graben zwischen den Irrtümern und den Einsichten der Surrealisten.
Im Sommer 1919 schlossen André Breton und Philippe Soupault sich ein. Mittels „automatischer Schreibweise” entstand in getrennten Hotelzimmern ein gemeinsames Werk, „Die magnetischen Felder”. Ohne Unterlass und ohne Konzept schrieben die beiden nieder, was ihnen in den Sinn kam, Sätze vom Gras, das Kiesel schlürft, vom himmlischen Warenhaus, von „meinen kleinen Lügen von dazumal, hübsche Ebereschen des Waldes”. Der Intellekt war überlistet, die „magisch erfüllte Vokabel”, nach der Hugo Ball – laut Bischof der wichtigste deutsche Avantgardist – gesucht hatte, schien hundertfach gefunden.
Schon 1869 hatte Lautréamont in seinen „Gesängen des Maldoror” das erste Beispiel eines surrealistischen Wortbildes geliefert. Schön nannte er die „Begegnung eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf dem Seziertisch”. Als die Surrealisten gut fünfzig Jahre später Lautréamont entdeckten, hatten sie ihr Paradigma gefunden: Schönheit ist das wunderbare Ergebnis der Kollision unvereinbarer Realitäten. Solche frontalen Zusammenstöße, in Bischofs Diktion: Teleskopagen, erlauben einer fragmentierten Gegenwart, die jeder Sinnstiftung, jeder Objektivität, jeder Authentizität skeptisch gegenüber steht, am Begriff der Schönheit festzuhalten. Die radikalen Neuerer retteten einen uralten Denkgegenstand, indem sie ihn in seine Bestandteile zerlegten.
Die schöpferische Neugier verlangte nach weiteren zeitgemäßen Formen des Schönen. Breton ersann Wunschmaschinen, „traumartige Gegenstände, deren einzige Bedeutung darin besteht, dass sie nur symbolisch funktioneren”. Mit diesen fiktiven Objekten sollte wiederum die herrschende Realität transzendiert, d.h., der Irrealität überführt werden. Gleiches gilt von den dadaistischen Junggesellenmaschinen. Ihre rein imaginativ zu leistende Arbeit ist die Umwandlung des Jünglings zum Mann und des Menschen zur Maschine. Lautréamont könnte mit seiner Definition von Schönheit zugleich die Beschreibung einer Junggesellenmaschine gegeben haben: Männlicher Regenschirm und weibliche Nähmaschine vereinigen sich auf dem Seziertisch, der ihr Bett ist.
Alles nur geträumt
Rita Bischof, Privatdozentin an der Universität von Hannover, will den Theorien der Surrealisten Gerechtigkeit widerfahren lassen. Zahlreich sind ihre Invektiven gegen eine ihrer Meinung nach geschwätzige, besserwisserische, oberflächliche Sekundärliteratur. Der Nachweis, dass die Avantgarde der zwanziger Jahre in ihren Reflexionen ebenso bedeutsam war wie in ihrer Poesie, gelingt nicht immer. Dennoch bietet das Buch eine Fülle kluger Gedanken und überraschender Bezüge. In der Tat ist „im Zeitalter der Virtualität ein vor- surrealistisches Verhältnis zu den Dingen nicht mehr denkbar”. Breton, Soupault & Co. inszenierten lustvoll den Schock der Bildüberflutung, der über uns Glasfaserkabelkunden längst hereingebrochen ist. Und Hugo Ball hatte ganz gewiss recht, als er in sein Notizbuch schrieb: „Das Wort hat jede Würde verloren. Das Wort ist zur Ware geworden.”
ALEXANDER KISSLER
RITA BISCHOF: Teleskopagen, wahlweise. Der literarische Surrealismus und das Bild. Klostermann Verlag, Frankfurt a. M. 2001. 442 Seiten, 49 Euro.
Keineswegs schon 1922, als Robert Desnos Bild „Der Tod des André Breton” entstand, ereilte den Chefdenker der Surrealisten sein irdisches Los. Der Eiffelturm zu New York aber trug schon einmal prophylaktisch die Haube einer weißen Trauer.
Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2002.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rita Bischof sucht in ihrer Studie über den literarische Surrealismus die Theorien der Surrealisten zu rehabilitieren. Ein Versuch, den der Rezensent Alexander Kissler prinzipiell mit Wohlwollen, im Detail aber durchaus kritisch betrachtet. Trotz zahlreicher Attacken gegen eine ihrer Meinung nach "geschwätzige, besserwisserische, oberflächliche Sekundärliteratur" gelingt Bischof nach Ansicht des Rezensenten nicht immer der Nachweis, dass die theoretischen Reflexionen der Surrealisten etwa im Hinblick auf ihren Politikbegriff ebenso bedeutend waren ihre Poesie. Zwar gibt der Rezensent der Autorin recht, wenn sie beispielsweise hervorhebt, dass die Surrealisten "lange vor Foucault das Problem totaler Institutionen erkannten und das Programm der Anti- Psychiatrie vorwegnahmen". Die von der Autorin behauptete Aktualität des surrealistischen Politikbegriffs hält der Rezensent indes für "kaum nachvollziehbar", erblickt er darin doch eher ein "Gemisch aus unreifen Ideen und diktatorischer Praxis". Nichtsdestoweniger findet der Rezensent auch lobende Worte für Bischofs Buch: insgesamt biete es nämlich eine "Fülle kluger Gedanken und überraschender Bezüge".

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