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Produktdetails
  • Verlag: Kindler
  • Originaltitel: The Farewell Symphony
  • Seitenzahl: 733
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 848g
  • ISBN-13: 9783463403199
  • ISBN-10: 3463403196
  • Artikelnr.: 23972199
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2001

Die Sologeige trägt gern Leder
Edmund White versucht sich an einer "Comédie humaine"

Mit dem dritten und letzten Band seiner autobiographischen Romantrilogie "Abschiedssymphonie" hat der New Yorker Autor Edmund White sich ein hohes Ziel gesetzt. Im Vorwort vergleicht er seine Methode der Überblendung und Aufspaltung realer Personen zu literarischen Figuren mit Marcel Prousts "Recherche". Doch erst der Gegenstand der "Abschiedssymphonie" gibt dem Rekurs auf den französischen Romancier eine gewisse Plausibilität, denn White berichtet von seiner homosexuellen Existenz in Rom, Paris und vor allem dem New York der siebziger und achtziger Jahre. Das Buch spannt einen Bogen von den klandestinen Anfängen homosexueller Öffentlichkeit über das euphorische Coming-out nach dem Stonewall-Aufstand von 1969 bis zum lähmenden Entsetzen der Aids-Epoche. Wir lesen von wechselnden Liebhabern, von intellektuellen Freunden, einer problematischen Mutterbeziehung, einem abwesenden Vater, dem scheiternden Versuch, mit einer Frau zu leben, der Adoption und Erziehung seines Neffen und den Schwierigkeiten, zu einer literarischen Ausdrucksform zu finden. In der Vergangenheit habe er "für eine imaginäre europäische, heterosexuelle Frau geschrieben, die Englisch konnte, aber nicht in Amerika lebte", erst die Aids-Krise habe ihn dazu gebracht, sich "an andere Schwule, junge wie alte, als meine Leser zu wenden".

Whites Vorbild ist nun die von William Burroughs und Robert Lowell erneuerte konfessionelle Literatur. Er bekennt sich zu einer Ästhetik der Provokation und deutet doch an, daß er wie Lowell im Autobiographischen die über das Faktische hinausgehende Allegorie entdecken will. Allegorisches ist aber in der Flucht der Tage und One-night-Stands kaum auszumachen, bis auf eine Stelle gegen Ende des Romans, als White von einem Besuch in einem Sexklub des New Yorker Fleischdistrikts berichtet. Dieser "Mineshaft" oder Minenschacht ist abgründig wie Dantes Purgatorium und wird wiederholt als ein solches angesprochen.

Der Erzähler distanziert sich von dieser trüben Lust, obwohl seine erotischen Abenteuer, von denen das Buch ausführlich berichtet, kaum weniger exzessiv sind. Der sich als Dandy, Flaneur und "Archäologe des Klatsches" stilisierende Protagonist verwandelt sich in einen Moralisten: "Die Ironie des Schicksals wollte es, daß ich in Europa zum Puritaner oder zumindest zum Bourgeois wurde." Doch die ethische Position, die hinter diesem Wandel steckt, bleibt reichlich unscharf. "Ich hatte lange meine Zweifel an unseren Zielen und Werten gehabt", lesen wir unvermittelt auf Seite 648. White wendet sich gegen eine "Elitehierarchie", die "die meisten anderen Schwulen ausschloß - diejenigen, die nicht weiß waren, aber auch die Alten, Armen, die Häßlichen". Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, daß hier das Ressentiment des alternden Autors spricht. Der persönlichen Frustration stülpt er - nicht unähnlich dem französischen Romancier Michel Houellebecq - eine Klassenlehre über und predigt einen neuen "Sozialismus", die Hoffnung, daß die Homosexuellen "eines Tages über die Sexualität ,hinaus' gelangen würden, um neuere, reichere Formen des Zusammenlebens zu finden".

Der elegische Schlußakkord will nicht zum Auftakt passen: "Wenn Dichtung endlose Variationen über sehr wenige Themen verlangt, dann hätte kein Dasein poetischer sein können als unseres", heißt es anfangs. Whites Bekenntnisse werfen indessen die Frage auf, ob die evozierten homosexuellen Begegnungen überhaupt einen variablen mythologischen Kern besitzen. Der schnelle Wechsel von Anziehung und Abstoßung läßt eher an eine naturwissenschaftliche Formel denken, man könnte auf die chemische Reaktion verweisen, die Goethe in den "Wahlverwandtschaften" auf menschliche Leidenschaften bezogen hat, nur daß sie sich in der "Abschiedssymphonie" gespenstisch beschleunigt.

In genauer Umkehrung des kosmopolitischen Materialismus, der den Großstädter nur dann zu zivilen Umgangsformen bewegt, wenn er sich vom Gegenüber etwas verspricht, beutet in Whites Erzählung der New Yorker Schwule den anderen erst aus und öffnet sich dann zum herzlichen Austausch. Erstaunt stellt der Erzähler fest, daß unter römischen Homosexuellen völlig andere, sanftere Riten gelten. Nicht sexuelle Gier, sondern ein politisches Bedürfnis zeichnet sich auf dem Grund des fieberhaften Partnerwechsels ab: Er wiederholt die täglich erfahrene Anonymität in der Masse als kompensatorisches Entfremdungsschauspiel mit idyllischem Happy-End, aus dem gesichtslosen Nachbarn und eiskalten Leder-Lover wird unversehens ein bukolischer Vertrauter. Immer wieder betont der Roman das Element der demokratischen Verbrüderung, die Anziehungskraft, die von Dicken und Dünnen, Klugen und Dummen, Reichen und Armen gleichermaßen ausgeht.

So ist die "Abschiedssymphonie" ihrem Anspruch nach auch eine "Comédie humaine", doch genau hier liegt ihre Schwäche. Die Konturen der meisten Figuren bleiben vage, große Gefühle gehen im schnellen Wechsel der Liebschaften unter. Gestaltet sind vor allem die wenigen Charaktere, an die den Erzähler kein sexuelles Interesse bindet. White distanziert sich von einer barocken Tendenz in seiner früheren Prosa und erklärt, daß er darunter das Verwischen der Grenze "zwischen Ornament und Substanz" versteht. Doch das manieristische Parlando, die Einsprengsel von Pathos, Eitelkeit und Kitsch, die Entschlossenheit, mit der alles Biographische beschrieben und mit dem Ausdruckswillen des Autors markiert wird, kann sich vom Ornamentalen nicht lösen.

"Abschiedssymphonie" spielt auf ein Werk Haydns an: "Im letzten Satz stehen immer mehr Musiker auf, verlassen die Bühne und blasen, wenn sie hinausgehen, ihre Kerzen aus. Am Schluss spielt nur noch ein einziger Geiger." In Whites Roman ist von Anfang an nur ein Musiker auf der Bühne, und was er spielt, ist eine Jam-Session mit sich selbst.

INGEBORG HARMS

Edmund White: "Abschiedssymphonie". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Benjamin Schwarz. Kindler Verlag, Reinbek 2000. 734 S., geb., 49,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ingeborg Harms zeigt sich nicht wirklich überzeugt von diesem Roman, in dem ihrer Ansicht nach weniger eine Symphonie gespielt wird, sondern eine "Jam-Session" von nur einer einzigen Person - dem Autor selbst. Die meisten Figuren bleiben der Rezensentin zu unscharf, überhaupt herrsche das "Ornamentale" vor, gemischt mit einer Moral, die ihr bisweilen fragwürdig erscheint. Denn Whites Plädoyer für eine hierarchiefreie homosexuelle Welt, in der auch Alte und Hässliche nicht ausgegrenzt werden, scheinen ihr wie ein "Ressentiment des alterndes Autors", der - ähnlich wie Michel Houellebecq - persönliche Enttäuschung zu einer "Klassenlehre" erhebe. Auch in stilistischer Hinsicht kann Harms diesem Roman nur wenig abgewinnen: Das "manieristische Parlando, die Einsprengsel von Pathos, Eitelkeit und Kitsch" stehen für ihren Geschmack zu sehr im Vordergrund.

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