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Was vom Helfen übrig bleibt
Asta ist nach 22 Jahren im Dienst internationaler Hilfsorganisationen am Münchner Flughafen gestrandet. Von den Kollegen weggemobbt aus der Krankenstation in Nicaragua, wo sie zuletzt tätig war, steht sie neben einer Drehtür und raucht.
Sie wollte eigentlich gar nicht zurück. Aber weil sich ihre Fehlleistungen häuften, bekam sie ein One-Way-Ticket geschenkt. Und nun weiß sie nicht, wie es weitergehen soll. Einigermaßen wohl fühlt sie sich nur, wenn sie gebraucht wird. Und wer könnte sie, die ausgemusterte Krankenschwester, jetzt noch brauchen? Während Asta…mehr

Produktbeschreibung
Was vom Helfen übrig bleibt

Asta ist nach 22 Jahren im Dienst internationaler Hilfsorganisationen am Münchner Flughafen gestrandet. Von den Kollegen weggemobbt aus der Krankenstation in Nicaragua, wo sie zuletzt tätig war, steht sie neben einer Drehtür und raucht.

Sie wollte eigentlich gar nicht zurück. Aber weil sich ihre Fehlleistungen häuften, bekam sie ein One-Way-Ticket geschenkt. Und nun weiß sie nicht, wie es weitergehen soll. Einigermaßen wohl fühlt sie sich nur, wenn sie gebraucht wird. Und wer könnte sie, die ausgemusterte Krankenschwester, jetzt noch brauchen? Während Asta über sich nachdenkt, beobachtet sie ihre Umgebung - und meint, Menschen wiederzuerkennen, denen sie im Laufe ihres Lebens begegnet ist: den Koch der nordkoreanischen Botschaft, der eines Abends mit geschwollener Wange in einem Berliner Hauseingang hockte, ihre Kollegin Tamara, die ein glühender Fan von Tamara »Tania« Bunke war, ihren Exfreund Kurt, mit dem sie turbulente Wochen in einer tunesischen Ferienanlage verbrachte, und viele andere mehr. Mit jeder Zigarette taucht Asta tiefer in ihre Vergangenheit ein - und mit jeder Episode variiert die Erzählerin ein höchst aktuelles und existenzielles Thema: das Helfen und seine Risiken.

Katja Lange-Müller liefert mit diesem Roman einen weiteren Beweis ihrer großartigen Erzählkunst.
Autorenporträt
Lange-Müller, KatjaKatja Lange-Müller, geboren 1951 in Ostberlin, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. 1986 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis, 1995 den Alfred-Döblin-Preis für ihre zweiteilige Erzählung »Verfrühte Tierliebe«, 2002 den Preis des ZDF, des Senders 3sat und der Stadt Mainz, 2005 den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor, 2008 den Preis der LiteraTour Nord, den Gerti-Spies-Preis und den Wilhelm-Raabe-Preis. Im Jahr 2012/2013 war sie Stipendiatin der Villa Massimo, erhielt den Kleist-Preis und war 2013/2014 Stipendiatin der Kulturakademie Tarabaya Istanbul. 2017 erhielt sie den Günter-Grass-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Roman Bucheli hat selten kundiger vom Sterben erzählt bekommen als in Katja Lange-Müllers neuem Roman. Unspektakulär scheinen ihm zwar die Lebensbilder, die die sterbende Protagonistin, eine Krankenschwester, im Text rekapituliert, doch wie die Autorin erst episodisch, dann zunehmend das Anekdotische verdichtend mit trockenem Humor von diesem Dasein erzählt, findet Bucheli schließlich geschickt gemacht und im Effekt stimmig. Das Leben ist ein nie vollendetes Stückwerk, lernt er, Erfüllung kann es dennoch bieten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.08.2016

In Blitzgewittern
Katja Lange-Müller ist eine große Erfinderin trauriger Kippfiguren. In ihrem neuen Roman
„Drehtür“ lässt sie eine hilflose Helferin am Münchner Flughafen ins Labyrinth der Erinnerung geraten
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Der Ton ist vertraut, wenn nicht gar unverwechselbar. Handfest, bodenständig, mit einer Neigung zu Sarkasmus und Selbstironie, hinter der bestürzend viel Traurigkeit lauert. Unerschrocken salopp, unbesorgt um Brillanz oder Originalität, dabei immer wieder bildstark und bewegend: typisch Katja Lange-Müller eben, und es muss mit diesen Eigenarten zu tun haben, dass die 1951 in Ostberlin geborene Autorin sich seit den Achtzigerjahren mit vergleichsweise wenigen, eher schmalen Werken ins Herz des deutschsprachigen Literaturbetriebs geschrieben hat. Jetzt stellt man verwundert fest, dass schon neun Jahre vergangen sind, seit ihr letzter Roman „Böse Schafe“ erschien und, nicht zu Unrecht, als „Wiederbelebung des sozialen Realismus“ gefeiert wurde.
  Die Geschichte der vergeblichen Liebe einer großherzigen, starrköpfigen Ostberlinerin zu einem HIV-infizierten Junkie im West-Berlin der Vorwendezeit war eine kraftvolle Milieustudie, aber sie war zugleich ein literarischer Versuch über das sogenannte Helfersyndrom. Über den Drang, gebraucht zu werden, sich lindernd, stützend, stärkend, rettend in fremde Leben einzumischen. Eine Sucht, die stets das Gute will und oftmals Leiden schafft, weil sie zu großen Teilen der Trostbedürftigkeit des Helfers entspringt und zu einem kleineren Teil sogar seinem Verlangen nach Macht und Einfluss. Vor vierzig Jahren wurde das Syndrom von dem Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer als Ausdruck einer seelischen Problemlage identifiziert. Spätestens damit hatte die Hilfsbereitschaft, eigentlich eine der edelsten menschlichen Regungen, ihre Unschuld verloren und war zu einer Medaille mit zwei Seiten geworden.
  Das Thema hatte die Autorin also lange vor den aktuellen Flüchtlingshilfe-Debatten gepackt, und es lässt sie nicht los: Ihr neuer Roman „Drehtür“ kreist um das Helfen, seine Motive und Risiken und seine Fragwürdigkeit. Diesmal entstammt die Zentralfigur gleich einer Berufsgruppe, bei der jener Symptomkomplex besonders häufig auftritt: Sie ist Krankenschwester – oder sie war es. Denn die Frau im pensionsreifen Alter, Asta Arnold mit Namen, die da kettenrauchend und leicht desorientiert neben einer Transit-Drehtür am Münchner Flughafen steht und ihr Leben Revue passieren lässt, wurde wegen zunehmender Fehlleistungen aus ihrer Tätigkeit weggemobbt. Man hat sie ausgemustert und mit einem One-Way-Ticket aus Nicaragua in die Heimat zurückgeschickt, nachdem sie mehr als zwanzig Jahre für internationale Hilfsorganisationen im Einsatz war. Plötzlich braucht man sie nicht mehr, und längst hat sie verlernt, sich zu fragen, was sie selber brauchen könnte.
  Weil sie nicht weiß, wohin sie sich nun wenden soll, verharrt sie am Durchgang und beobachtet Menschen. Manche von ihnen ähneln anderen Menschen, mit denen sie irgendwann zu tun hatte. Eine ominöse Stimme in ihrem Kopf lenkt ihren Blick und ihre Assoziationen. Und so läuft ein Erinnerungsfilm in Episoden ab, der Katja Lange-Müller die Gelegenheit verschafft, nach bewährter Manier jede Menge eigenen Lebensstoff zu verarbeiten. Man könnte von Recycling sprechen, wäre der Begriff nicht ähnlich ausgelaugt wie der des Helfersyndroms. Die Hauptfigur ist tatsächlich recycelt: Im 2003 erschienenen Erzählband „Die Enten, die Frauen und die Wahrheit“ kümmert sich eine Deutsche namens Asta am Strand von Nicaragua um einen sterbenden Hund – eine heillose Geschichte. Und jetzt wagt man es kaum komisch zu finden, wenn die gealterte Asta berichtet, ihre Mutter habe sie nach einer Schäferhündin genannt, die der dänischen Schauspielerin Asta Nielsen ähnlich sah. Denn es liegt über diesem Text von Anfang an eine Beklemmung, gegen den Lange-Müllers humoristische Ader und ihre Schnoddrigkeit verblassen.
  Das liegt an der fühlbar trostlosen Atmosphäre jener Flughafen-Raucherecke, an Astas trübsinnigen Gedanken, an den wenig lustigen Begegnungen und Vorfällen, auf die sie zurückblickt, aber auch daran, dass die Drehtür in der Transitzone von vornherein Übergangs-Assoziationen der existenziellen Art weckt. Die Perspektivlosigkeit der Heimkehrerin hat, ebenso wie ihr hemmungsloser Zigarettenkonsum, etwas Finales, Selbstzerstörerisches: Wenn Asta auch vieles mit ihrer Erfinderin teilt – die Ost-Vergangenheit, die Nikotinsucht, die Tierliebe, die hartnäckige Empathie mit der geschundenen Kreatur –, so fehlt ihr doch die vitale Energie, die Katja Lange-Müller als Person notorisch ausstrahlt.
  Insofern ist es interessant, dass die Autorin im Interview angedeutet hat, Asta Arnold sei das, was aus ihr hätte werden können, wenn sie keine Schriftstellerin geworden wäre. Mit anderen Worten: Sie ist gerade noch einmal davongekommen. Denn bevor sie, die gelernte Schriftsetzerin, sich für die Literatur entschied, war sie einige Jahre als Hilfsschwester auf geschlossenen psychiatrischen Stationen tätig. Und so weiß sie, wie bei ihren übrigen Prosawerken, auch hier genau, wovon sie spricht.
  Das heißt freilich nicht, dass Asta Arnold aus ihrer beruflichen Praxis plaudern würde. Ihre Erinnerungen, die sie so unvermittelt heimsuchen wie das Blitzgewitter, das ihren Flug von Managua nach München kurz vor der Landung überfiel, umkreisen diesen Erfahrungskern meist in weitem Sicherheitsabstand. Wir lesen stattdessen von der Hilfeleistung an einem zahnwehgeplagten koreanischen Koch im Ostberlin der Sechziger, von einer traumatischen Wespen-Vernichtungsaktion in Leipziger Studienzeiten oder von der psychiatrischen Fachkrankenschwester Tamara Schröder, die vom Lebenslauf der deutschstämmigen Guerillakämpferin und Che-Guevara-Geliebten Tamara Bunke so fasziniert war, dass sie sich als Schriftstellerin versuchte. Frau Schröder geriet über Buchmessen-Kontakte in ein makabres feministisches Indien-Hilfsabenteuer und kehrte danach reumütig in ihren „wundervollen“ Ursprungsberuf zurück.
  Diese Episode zählt nicht zuletzt deshalb zu den eindrücklichsten, weil sie vollkommen authentisch wirkende Impressionen aus Kalkutta enthält – und doch war Katja Lange-Müller nie in Indien. Man sollte sich also hüten, ihre frappierend lebensechten Milieuschilderungen vorschnell in ihrer Biografie zu verorten. Andererseits steht zu vermuten, dass die Männer-Anekdoten, die Asta Arnold erzählt, halbwegs mit realen Vorbildern unterfüttert sind. Da ist der ewig erfolglose DDR-Maler Georg, dessen Gesamtwerk, endlich anerkannt und frisch verkauft, aus einer West-Berliner Galerie geklaut wird – in so einer Lage läuft jede Hilfe ins Leere. Aber das herrliche Wort „Plüschtiermissbrauch“, mit dem Asta ihre sexuellen Reminiszenzen an den Künstler umschreibt, kann über so manchen erotischen Frust hinweghelfen.
  Dann gab es den gemütskalten Steirer Kurt, dessen Anwesenheit einen Schnäppchen-Urlaub in Tunesien noch gruseliger machte, als er ohnehin schon war: „Auch die in Aluminiumschalen aneinandergereihten Salate, Gemüse, Fleisch- und Fischhappen, Soßen, Salzkartoffeln und Nudeln waren kalt, jedenfalls kälter als die stickige Luft unter den Neonröhren, die ihr gnadenlos grelles Licht von der braun gestrichenen Kassettendecke hinabwarfen auf die am Buffet anstehende, meterlange Gästeschlange und auf die Resopal-Tische, um die herum halb nackte Familien saßen und lautstark mit- und durcheinander sprachen, Niederländisch, Englisch und vor allem Deutsch.“
  Treffender kann man jenes Ambiente kaum charakterisieren, schon gar nicht in einem Satz. Aber es geht in dieser Episode um die Rettung einer schwangeren Katze und ihrer Nachkommen, folglich überwiegt das Drama, und die Kurt-Beziehung erhält dadurch den Todesstoß. Mit dem Labortierzüchter Andy durfte Asta in New York einen schaurigen Dokumentarfilm über einen KZ-Arzt anschauen und diskutieren, mehr war nicht drin, und Manfred, „der alte Schwerenöter und Entwicklungshelfer“, hat sich in Nicaragua ebenfalls als Pfeife entpuppt. Was Männer betrifft, ist Asta entschieden frei von Nostalgie.
  Das alles liest sich mal mehr, mal weniger unterhaltsam, ergreifend oder pointiert, und es ist nicht immer so brühwürfelhaft verdichtet, wie Katja Lange-Müller es unlängst in ihrer Frankfurter Poetikdozentur als ästhetisches Prinzip für sich reklamierte. Die eingeschobenen, eher handfesten als tiefgründigen Betrachtungen über das Helfen verstärken den Eindruck, dass es sich hier weniger um einen Roman handelt als um eine locker verbundene Sammlung heterogener Prosastücke. Doch was macht das schon? „Die Kunst“, hat die Erzählerin einmal gelesen, sei „für talentierte Menschen die Chance, ihrer Traumen Herr zu werden, jedes noch so schlimme Erlebnis auf Distanz zu bringen, es zu verwandeln, mitunter in etwas echt Großartiges.“ Mitunter auch nur in einen kleinen, lebenssatten Geschichtenband mit einer sehr melancholischen Rahmenkonstruktion. Aber das ist schon eine ganze Menge.
Man hat Asta Arnold ausgemustert
und mit einem One-Way-Ticket
in die Heimat zurückgeschickt
Manfred, „der alte Schwerenöter
und Entwicklungshelfer“,
entpuppt sich ebenfalls als Pfeife
Modernes Himmelszeichen: Ein Flugzeug im Landeanflug hinterlässt während der Langzeitbelichtung durch seine Positionslichter ein Blitzmuster.
Foto: dpa
    
    
    
      
    
Katja Lange-Müller:
Drehtür. Roman. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2016. 224 Seiten,
19 Euro. E–Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016

Ordensschwestern kennen keine Gnade
Kaleidoskop kleiner Geschichten um einen Flughafeneingang: Katja Lange-Müllers Roman "Drehtür"

Tamara Bunke wollte die Revolution und das Abenteuer. Sie machte eine Schießausbildung in der DDR und stellte einen Antrag auf Entlassung aus der deutschen Staatsbürgerschaft. Weil ihre Familie in den dreißiger Jahren vor den Nationalsozialisten nach Argentinien geflohen und Tamara Bunke 1937 in Buenos Aires geboren worden war, hielt sie sich für hinreichend kampfgeeignet. In einem spektakulären Fluchtmanöver verließ sie im Corps des kubanischen Staatsballetts von Prag aus Europa und schloss sich als einzige weibliche Uniformträgerin Che Guevaras Guerrillatruppe in Bolivien an. 1967 kam sie bei einer Durchquerung des Río Grande ums Leben. In der DDR wurden daraufhin rund 200 Schulen und Kindergärten nach Tamara Bunke, Kampfname "Tania", benannt. Katja Lange-Müller, geschätzt für ihre Berliner Milieustudien der achtziger Jahre, hat einen Roman geschrieben, der alle Ingredienzien des bewegten Lebens der Autorin zwischen DDR-Dissidenz, zahlreichen beruflichen Neuanfängen und privaten Abenteuern enthält. Tamara Bunke ist eine Figur von vielen, die in diesem verkappten Erzählungsband einen kurzen und prägnanten Auftritt hat.

Dreh- und Angelpunkt ist eine Flughafendrehtür, durch die einige Erzählanlässe hindurchmarschieren. Auf Observation befindet sich die ehemalige Krankenschwester Asta Arnold. Wie der Leser erfährt, ist sie nach langjähriger Tätigkeit im Dienst einer internationalen Hilfsorganisation nach Hause geschickt worden. Sie habe ihre Arbeit nurmehr schluderig, ja fahrlässig erledigt, sei daraufhin gemobbt worden. Nun steht sie in München am Drehkreuz und beobachtet die Passanten, meint einige von ihnen wiederzuerkennen. Um den Transitbereich zwischen Wahrheit und Halluzination zu markieren, muss eine erzähltechnische Nebelmaschine angeworfen werden. Asta Arnold raucht Kette, dass einem blümerant wird. Zumal die Erzählerin offensichtlich länger nichts getrunken hat und ihrer Dehydrierung entgegengeht.

In dieser Stasis aus Rauch und Erinnerung befindet sich also die Hauptfigur eines Romans, der über die erratische Erinnerungsmaschine (Namen sind Schall und: Rauch!) der Erzählerin in Gang kommt. Katja Lange-Müller gelangt von einer Begebenheit aus dem Leben der geschassten Krankenschwester zur nächsten. Über sie selbst, ihr Schicksal, ihr Leben, ihren Niedergang erfahren wir nichts, und mit jeder weiteren Episode bekommt man den Eindruck, die Autorin habe die Figur des Romans "Drehtür" selbst als Drehtür angelegt: Alles Mögliche, darunter die irre Lebensgeschichte der Tamara Bunke, geht durch sie hindurch, ohne dass die Drehtür selbst davon aus den Angeln gehoben würde.

Der Reiz dieses schmalen Buchs sind somit eher die einzelnen Geschichten. Beispielsweise die abenteuerliche Lesereise der Gelegenheitsschriftstellerin Tamara Schröder (Stichwortgeberin für Tamara Bunke), die von einer indischen Frauenrechtlerin nach Kalkutta gelockt wird und dort mit der rührseligen Geschichte einer Flickschneiderin auf eine Gruppe schwer misshandelter Frauen trifft. Hier gelingt der Autorin eine bitterböse und wunderbar ambivalente Erzählung über die Abgründe der Entwicklungshilfe. Auch die schielende Ordensschwester Stella rührt einen aus verschiedenen Gründen zu Tränen: Als Fleißarbeit in einem Altenstift sammelt sie die Gebisse der schlummernden Senioren ein, um sie zu reinigen, dabei besitzerunspezifisch alles mit allem mischend. Auch gütige Ordensschwestern kennen bei solchen Torheiten keine Gnade und strafen die arme Stella mit eisigem Schweigemobbing.

Der Verlag schreibt, der Roman "Drehtür" verhandle das Thema Helfen und seine Risiken. Mit ein bisschen gutem Willen kann man das so sehen. Allerdings ist das Ganze eher schwach motiviert, denn einen inneren Zusammenhang oder eine dialektische Spannung will sich auch mit Helfersyndrom zwischen den Erzählungen nicht entfalten. So bleiben ein paar verplauderte Geschichtchen mit Sinn für menschliche Abgründe und gute Pointen. Eine temperamentvolle Nachbarin könnte sie einem auf dem Treppenabsatz zugeworfen haben. Tamara Bunke würde sie vielleicht dem Comandante am Lagerfeuer erzählt haben.

KATHARINA TEUTSCH

Katja Lange-Müller: "Drehtür". Roman.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 224 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Facettenreich schildert Lange-Müller in ihren Erzählungen die vielen Formen und Beweggründe des Helfens. Mal melancholisch-depressiv, dann wieder mit viel Humor, immer sehr einfühlsam und direkt.« Christiane Bracht Süddeutsche Zeitung 20171008
Das Motiv des Helfens verbinde die "lose aneinander gehäkelten Prosastücke", schreibt Sabine Vogel. Die Rezensentin erinnert daran, dass Lange-Müller selbst ein prägendes Erlebnis als Hilfskrankenschwester hatte, als eine Patientin starb und die Autorin sich daraufhin betrank und mit dem Schreiben begann. Mindestens melancholisch scheinen auch die Episoden in "Drehtür" zu sein, schließlich misslingt das Helfen hier nach Vogels Ansicht in den meisten Fällen. Lange-Müller erzähle mit viel Sarkasmus von ihren Antihelden, doch komisch sei das höchstens auf den ersten Blick. In Wahrheit seien ihre Figuren "bis zum Gefrierbrand desillusioniert". Zugleich, so Vogel, blieben die Gedanken übers Helfen unscheinbar und wenig konturiert, vielmehr gehe es Lange-Müller in ihrem Buch "um das Erzählen als Überlebensstrategie".

© Perlentaucher Medien GmbH