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Die Anatomie einer toxischen Partnerschaft.
Mit »Das Mädchen« und »April« - beide auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis - schrieb Angelika Klüssendorf die Geschichte einer starken jungen Frau, die ihren Weg geht unter widrigen Umständen. »Jahre später« erzählt nun von der intensivsten, aber auch zerstörerischsten Beziehung des erwachsenen Mädchens April - ihrer Ehe.
Auf einer Lesung lernt sie einen Mann kennen, der April zunächst durch seine dreist raumnehmende Art auffällt. Es ist nicht Sympathie, die sie zusammenführt. Es ist eine andere Form der Anziehung: Intensität. Angelika
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Produktbeschreibung
Die Anatomie einer toxischen Partnerschaft.

Mit »Das Mädchen« und »April« - beide auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis - schrieb Angelika Klüssendorf die Geschichte einer starken jungen Frau, die ihren Weg geht unter widrigen Umständen. »Jahre später« erzählt nun von der intensivsten, aber auch zerstörerischsten Beziehung des erwachsenen Mädchens April - ihrer Ehe.

Auf einer Lesung lernt sie einen Mann kennen, der April zunächst durch seine dreist raumnehmende Art auffällt. Es ist nicht Sympathie, die sie zusammenführt. Es ist eine andere Form der Anziehung: Intensität. Angelika Klüssendorf erzählt, wie eine Liebe zwischen zwei radikalen Einzelgängern entsteht, die beide mit ihren eigenen Mitteln versuchen, ins Soziale zu finden und zu sich selbst. Es ist eine Geschichte von der Bereitschaft, sich zu öffnen, von glühender Gemeinsamkeit, aber auch den unaufhaltsamen Fliehkräften, die das Paar auseinandertreiben. Ohne jemals Partei zu ergreifen oder seine Figuren zu denunzieren, entwickelt »Jahre später« die Anatomie einer toxischen Partnerschaft. Als Leser wünscht man bis zuletzt, dass es gelingen möge, und zugleich, dass es endlich ein Ende hat mit den beiden. Ein Buch, das keinen Moment lang unberührt lässt.

»Lebensprall und traurig, unsentimental und präzise, mit großer Lakonie: ein Meisterwerk« Die Jury des Deutschen Buchpreises 2014 über Angelika Klüssendorfs »April«
Autorenporträt
Angelika Klüssendorf, geboren 1958 in Ahrensburg, lebte von 1961 bis zu ihrer Übersiedlung 1985 in Leipzig; heute lebt sie in der Nähe von Berlin. Sie veröffentlichte unter anderem die Erzählungen »Sehnsüchte« und »Anfall von Glück«, den Roman »Alle leben so«, die Erzählungsbände »Aus allen Himmeln« und »Amateure«.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Eine unglückliche Kindheit hat Angelika Klüssendorf im Roman "Das Mädchen" beschrieben, eine schwierige Jugend in "April". Da darf man im dritten Teil des Zyklus nicht eitel Sonnenschein erwarten. Aber ein wenig Hoffnung und Vertrauen, vielleicht gar Liebe wird zunächst gesät. Aus dem Mädchen mit Namen April ist eine Schriftstellerin geworden. Bei einer Lesung lernt sie Ludwig kennen, einen Arzt, der ihr einigermaßen seltsam vorkommt. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb fühlt sich April sofort mit ihm verbunden und vertraut. Tatsächlich entsteht daraus eine Ehe, eine Familie mit einem gemeinsamen Kind. Und zugleich eine riesige Überforderung. Ludwig zieht sich abends vor den Computer mit lärmenden Kriegsspielen zurück, April versucht sich in der Rolle einer fürsorglichen Gattin und Mutter. Das kann nicht gutgehen. Ludwig erweist sich zunehmend als menschenverachtender Dämon: "Ich werde dich zertreten wie einen Parasiten", droht er April. Wie Angelika Klüssendorf die zarten und hoffnungsvollen Triebe dieser ungleichen Beziehung schildert und schließlich die nicht mehr zu kittenden Zerwürfnisse und das Ende einer Ehe, ist in seiner Radikalität von großer Eindringlichkeit: eine schnörkellose, glasklare, schonungslose Prosa, wie sie nicht oft zu lesen ist.

© BÜCHERmagazin, Jeanette Stickler

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2018

Lebenslädiert geht es hinein in die Liebesfalle
Wie wirklichkeitsnah ist das? Angelika Klüssendorf setzt mit "Jahre später" ihren autobiographisch grundierten Romanzyklus fort

Protagonisten eines Eheromans können einem nur leid tun. Ihr Schicksal ist stets besiegelt, bevor ihre Liebe auch nur erblühen kann. Von glücklichen Ehen lässt sich nicht erzählen. Eheromane leben vom Scheitern. Da kennt die Gattungsvorgabe keine Gnade, wie sollte sich sonst auch die für Eheromane charakteristische Mitleidsästhetik entfalten?

Wenn es also von April und Ludwig, den Hauptfiguren von Angelika Klüssendorfs Eheroman "Jahre später", nach nur vierzehn Seiten Erzählzeit heißt: "Heirat. Das ist Ludwigs nächster Plan", würde man dem Paar gerne ein warnendes "Langsam, Langsam" zuflüstern. Und wenn die Chronik der Gefühle nur zwei Seiten später Vollzug vermeldet und die beiden ironischerweise ausgerechnet im Wedding heiraten lässt, ist es um das Paar geschehen. Von jetzt an bleibt nur die Frage, warum ihre Ehe in die Brüche gehen wird und welchen Akzent dieser Eheroman im Vergleich zu seinen zahlreichen Vorgängern setzen wird.

"Jahre später" setzt Klüssendorfs Erfolgsromane "Das Mädchen" (2011) und "April" (2014) fort. Die Titelfolge bietet ein Erzählextrakt: es geht in dieser Trilogie um das Mädchen April. Wobei der dritte Band jetzt nach einem gehörigen Zeitsprung einsetzt, und zwar im Jahr 1989, kurz vor dem Mauerfall, "Jahre später", nachdem April die zerstörerischen Kräfte ihrer Kindheit in Familie und Heim, die Repressalien der DDR und die Schwierigkeiten nach ihrer Ausreise in den Westen Berlins einigermaßen lebenslädiert überstanden hat. Aus dem Mädchen April ist die junge Frau April geworden, getrennt lebend, Mutter eines elfjährigen Sohnes. Sie steht kurz davor, ihr Romandebüt zu veröffentlichen. Den Chirurgen Ludwig lernt sie bei einer ihrer Lesungen in Hamburg kennen.

April ist eine der faszinierendsten, weil sprödesten, wütendsten und unnahbarsten weiblichen Figuren, die eine Autorin der deutschsprachigen Literatur in jüngster Zeit geschenkt hat. April also gehört das Mitleid der Leser. Ihr gelten Empathie und Sorge, wenn ihr die Liebe zu Ludwig einen steilen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht, wenn sie noch einmal Mutter wird, sich gleichzeitig als Literatin etabliert und doch auf den unausweichlichen Ehebruch zusteuert.

Welchen Grund bietet der Roman für das Scheitern der Ehe? Seine offensichtliche Antwort lautet: Ludwig und April sind zu extrem. Bei April liegt es an den vielen Wunden, die sie von ihrer Kindheit und Jugend mit sich trägt. Ludwig hingegen wird als hochgradig narzisstisches Kraftgenie gezeichnet, glanz- und anerkennungssüchtig, eingesponnen in einen Kokon aus Lügen, die nicht einmal mehr darauf abzielen, das Gegenüber zu überzeugen. Vielmehr kalkulieren sie dreist mit ein, dass der andere aus Rücksicht, Loyalität und Angst darauf verzichten wird, das Lügengebäude einzureißen. Da treffen sich zwei, bei denen es nur krachen kann. Und die Pointe des Romans besteht darin, dass das Scheitern der Ehe direkt in die weibliche Autorschaft mündet. Denn aus den Ehetrümmern erhebt sich zuletzt der Anfangssatz von Klüssendorfs Roman "Das Mädchen". Figur und Autorin fallen für einen Moment in eins, das Ende der Liebe wird zum Anfang des literarischen Erzählens.

Die Verklammerung von Autorin und Figur zeigt, dass Klüssendorf wie bei den beiden Vorgängerromanen schon mit der Auto(r)fiktion spielt, also mit der Tatsache, dass das Dargestellte sich so nah an das Leben der Autorin anschmiegt, wie es nur geht, ohne mit der Wirklichkeit identisch zu werden. Ein gravierender Unterschied besteht allerdings zwischen der autobiographischen Anlage dieses dritten Bandes und den beiden vorherigen Büchern: "Jahre später" erzählt von einer Zeit, in der Klüssendorf als Autorin bereits eine öffentliche Person war, zumal sie in dieser Zeit mit Frank Schirrmacher verheiratet war, der dann Herausgeber dieser Zeitung wurde. Ist "Jahre später" also ein Schlüsselroman, der die Geheimnisse eines in der Öffentlichkeit stehenden Paares lüftet?

Nein, und zwar sprechen vor allem drei Gründe dagegen. Erstens bleibt der Roman zu gezielt im Allgemeinen und zählt statt individueller Eigenschaften längst bekannte Topoi auf. Zweitens liegt das Augenmerk des Erzählens dafür zu deutlich und zu einseitig auf der Psychologie und Sichtweise der weiblichen Hauptfigur. Und drittens spricht die Verwendung des epischen Präsens gegen diese Lesart. Denn das Präsens sorgt im Gegensatz zum epischen Präteritum dafür, dass man sich als Leser nicht vorbehaltlos in die erzählte Geschichte vertieft, sondern regelmäßig auf deren Konstruktion und Gemachtheit hingewiesen wird.

Dennoch führt Klüssendorfs autobiographische Schreibweise zu einer Grundsatzfrage, die sich allen mit möglichst geringem Fiktionalitätsanteil arbeitenden Romanen stellt. Verschleißt sich dieses Wirklichkeitsmaterial nicht, wenn man wie in diesem Fall - juristisch sicher gut beraten - aus der Ehe zwischen prominentem Feuilletonisten und literarischer Debütantin ein Nachfolgepaar von Charles und Emma Bovary macht? Es ist von anderer Sprengkraft, wenn sie Beckett verehrt und er eben nicht nur als Chirurg ein weiterer Fan ist, sondern als Literaturchef behauptet, mit dem Autor in Freundschaft verbunden zu sein. Und die Konfliktlinie verläuft ebenfalls anders, wenn eine aufstrebende Literatin ausgerechnet dem Feuilletonisten und nicht irgendeinem Arzt den Schreibtisch aufräumt.

Jenseits des Autobiographischen zeigt sich Klüssendorf jedoch abermals auf der Höhe ihrer Erzählkunst. Sie ist eine Meisterin des episodischen Erzählens, die gekonnt einzelne Ereignisse aus dem Lebensfluss isoliert, um ihnen so eine enorme symbolische Strahlkraft zu geben. Durch ihre stark raffende Erzählweise, die nur einmal erzählt, was vielfach geschehen ist, gewinnt sie dem Alltäglichen klare Konturen ab. Und in dichten Passagen durchlaufen die knappen, präzisen Sätze auf engstem Raum die Spannbreite von äußerlichen Phänomenen bis zu Erscheinungen des verborgenen Inneren: "Sam rasiert sich die Kopfhaut kahl. Die Tage haben keine Farben. Ihre Atemzüge fühlen sich bleiern an." So entschlackt und nüchtern kann das nur Klüssendorf.

Doch so ausgefeilt ihre psychologische Schreibweise einerseits funktioniert, so erschreckend wirkt andererseits, wie limitiert die psychologische Kompetenz der beiden Ehepartner ausfällt. Schon als Verliebte finden sich April und Ludwig eigentlich nur dann, wenn sie sich infantilisieren: Ihre Liebe beweisen sie sich, indem sie sich zu Ladendiebstählen überreden, Tiere im Zoogeschäft befreien oder bunte Telefonstreiche mit - ach, wie aufregend - verstellten Stimmen machen. Das soll intime Kommunikation eines erwachsenen Paares sein?

Fatale Phantasietristesse bestimmt die Figuren auch bei der Einrichtung des eigenen Lebens. Treffen sich zwei exzentrische Figuren, die voneinander wissen, wie eigen sie sind. Und prompt richten sie ihr Leben im Biedermeier-Stil ein: Heirat, Kind, Wohnung, Haus. Sein beruflicher Aufstieg lässt sie zwischen Herd, Kinderzimmer und Schreibtisch zurück. Der Mann verkörpert brav hegelianisch "nach Außen das Mächtige und Bethätigende", und die Frau findet angeblich in der Familie "ihre substantielle Bestimmung". Das kann doch ein so eigenwilliges Paar selbst nicht glauben. Und schon gar nicht so tun, als gebe es zu diesem Lebensentwurf keine Alternative.

Wer sich selbst ins Wertegefängnis sperrt und beflissentlich ignoriert, dass da längst keine Mauern mehr stehen, kann auf das Mitleid anderer nur begrenzt hoffen. Wenn es im Eheroman aber am Mitleid bröckelt, dann gefährdet dies die gesamte Konstruktion. Oder führt es die Konstruiertheit des ganzen Wertesystems vor Augen? Sicher kann man sich in diesem Punkt bei Angelika Klüssendorfs Erzählen nicht sein. Und das ist ein klares Manko dieses starken, aber nicht auf allen Ebenen hochkarätigen Romans.

CHRISTIAN METZ

Angelika Klüssendorf: "Jahre später". Roman.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 160 S., geb., 17,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2018

Im Leben funkelt niemand auf Dauer
Eine Ehe scheitert, eine Schriftstellerin findet ihren ersten Satz: Angelika Klüssendorfs dritter Roman über die starke Frau April
Die erste gemeinsame Reise führt sie nach Mecklenburg. Die Mauer ist gerade gefallen, kurz davor haben sie sich kennengelernt, die junge Autorin April und Ludwig, der Chirurg. Sie radeln durch Aprils Kindheitslandschaft, Staub und Grün, Gerüche und Klänge sind ihr vertraut. Ihre Eltern waren hier Saisonkellner. Er entfaltet referierend ein Geschichtspanorama, Preußen, Drittes Reich, Stasi. Was er sieht, wird Material für Inszenierungen der Größe, voller Geheimnisse und Bedeutsamkeitsglitter. Sein Bruder, sagt er, sei bei der Nato, „hohes Tier“.
Ausgerechnet mit diesem Ludwig will April ihr Verlangen nach Normalität stillen, nach festgefügter Ordnung, so etwas wie Familienleben. Vielleicht will sie auch gar nicht oder nur halb und hat sich überrumpeln lassen von seinem Werben, der Zuneigung, den maßlosen Gesten. Sie heiraten, verbittern, streiten, trennen sich mit bösem Kleinkrieg. Die Geschichte dieser Ehe erzählt Angelika Klüssendorf in ihrem neuen Roman, dem dritten über die junge Frau, die sich nach einem Lied von Deep Purple April nennt.
Welche Erfahrungen sie mitbringt, steht in „Das Mädchen“ und „April“, erschienen 2011 und 2014. Auch wer diese Romane nicht kennt, versteht die Heldin in „Jahre später“ sofort. Das Vergangene ist immer gegenwärtig, tritt geisterhaft in die Gegenwart, als Erinnerung, Tagtraum, Déjà-vu. Der Vater soff und schlug die Mutter, die Mutter prügelte die Kinder. Die Erziehungsmaschinerie der DDR schob April dahin und dorthin, nährte in ihr einen Kobold, der sich Anweisungen reflexartig widersetzte. Ausflucht, kleine Ausreisen boten Lektüre, Alkohol, Männer, das eigene Schreiben, Untergrundliteratur, bis April in den Westen übersiedelte.
Es fällt ihr schwer, eine „Verbindung mit sich und dem Leben“ zu spüren. Aber sie macht kein großes Gewese darum, sie registriert und beobachtet aus unaufhebbarer Distanz sich und das Menschengewusel, Leute etwa, die sich Vorträge über „Kunst als Medizin“ anhören. Einer von diesen ist Ludwig. Sie hält ihn für den Hausverwalter. Auch er ist von Geistern getrieben, erträgt die Prosa seiner Chirurgenexistenz nicht. Er braucht bengalische Beleuchtung, immer wieder Größe und Schande, er nimmt mal diese, mal jene Rolle ein. Er intrigiert, er erhöht, er demütigt, lügt. „Ludwig hat keinen Bruder.“
Angelika Klüssendorf war eine Zeit lang mit dem 2014 verstorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher verheiratet. Wer ihren Roman deswegen wie eine Homestory liest, wird in ihm nur die Schatten eigener Vorurteile sehen und sich damit um ein großes intellektuelles Vergnügen bringen. „Jahre später“ ist ein kunstvoll konzentrierter, suggestiver, hochironischer Gesellschaftsroman, wenn man Gesellschaft im elementaren Sinn versteht, als ein Geflecht unwahrscheinlicher, instabiler Beziehungen.
Die Geschichte dreht sich nicht allein um das Paar. April hat einen Sohn und bekommt einen zweiten. Kurze Begegnungen mit Nachbarn, seinen Eltern, ihrem Bruder, den Kollegen des Chirurgen, ihren Freunden spiegeln die Unmöglichkeit dieser Ehe und treiben deren Zerfall voran. Nach der ersten Trennung arbeitet April fürs TV, castet Schicksale – Frauen, die Verbrecher lieben, Frauen, die ihre Männer schlagen. Angelika Klüssendorf erzählt in genau treffenden Sätzen, in einem Präsens, dessen Direktheit den Leser packt und nicht wieder loslässt. Sie skizziert kleine, sofort gegenwärtige Szenen: „Sie bringt Ludwig bei, Ringe zu rauchen, auf zwei Fingern zu pfeifen, er klaut aus dem Konsum eine Flasche Stonsdorfer, sie zeigt den Autofahrern ihren nackten Hintern ... Er sagt, sie bringe ihn zum Lachen, selbst wenn sie schlafe, ihre Daumen fest in den Fäusten verschlossen.“ So ist das, wenn man verliebt ist.
Die Unmittelbarkeit des Berichtens, Vor-Augen-Stellens steht in Spannung zum deutenden Gerede, zur schonungslosen Selbstbeobachtung. Sie wird unterlaufen von beiläufigen Vorausdeutungen, Spiegelungen – jede Wohnung eine andere Normalitätsfantasie –, grotesken Szenen. Rotwein der sehr gehobenen Preisklasse trinkt April mit Freunden lungernd auf einer Wiese, weil kein Korkenzieher da ist, drücken sie den Korken in die Flasche. Auf die Frage, ob sie seinen Wein getrunken habe, sagt sie ihm nicht die Wahrheit. Beide erfinden sich Rollen, denen sie kaum noch entkommen.
Während er ins Übergroße, in Glanzräusche streift, sucht sie das Abgenutzte, Schäbige – und beide kommen damit nicht näher heran an das, was ihnen Leben sein soll. Das gelingt nicht, kann nicht gelingen, weil sie dabei auf Distanz zu ihrem Ich gehen müssen, weil immer neue Spaltungen und Entzweiungen das starke, intensive Erleben verhindern. In der Schlussbegegnung reden sie aneinander vorbei, um endlich eine Verständigung herbeizuführen. „Argwohn, Erleichterung, Scham“ auf ihrer Seite, Tränen in seinen Augen und die Versicherung, sie bleibe sein „Goldstück“. Es ging um die Summe, die für die Scheidung, für das Ende der juristischen Händel zu zahlen war.
Der Hund von Aprils jüngstem Sohn bekommt das Maul nicht mehr auf, ein Knochen steckt quer darin. Der Tierarzt entfernt ihn, „keine große Sache“, der Hund hat noch ein ganzes Leben vor sich. Wenige Sätze später erstarrt das Geschehen für April, es schrumpft und wird kalt. Sie erinnert ein Bild und findet einen ersten Satz: „Scheiße fliegt durch die Luft.“ Mit diesem Satz beginnt der Roman „Das Mädchen“.
Da schließt sich ein Kreis, und man sieht, wie Angelika Klüssendorf in ihrer Trilogie das Wechselspiel von Leben und Literatur inszeniert. In Aprils Biografie standen stets die Imaginationen dem Leben im Weg. Sie hatte undeutliche Vorstellungen, wie Familie geht: „helle Räume, in denen Geschirr klappert, die Sonne fällt auf den gedeckten Frühstückstisch, Personen reden miteinander, lachen, tauschen sich über die Welt aus“. Die zur Naivität unfähige April spürte das Hohle daran. In ihren Vorstellungen vom Familienglück agierten die Menschen wie Marionetten. Anders ist es in der Literatur. Sie greift ein Bild Stendhals auf: ein Zweig in einer Salzmine, an dem sich Kristalle bilden, „eine Unendlichkeit an Diamanten“.
Im Leben, resigniert April, funkele niemand auf Dauer. Aber schreibend umgibt sie das Gerüst ihrer Existenz mit funkelnden Kristallen. Das taugt wohl kaum zur Therapie, und ob es hilft, eine Verbindung zu sich und zum Leben zu spüren, wissen wir nicht. Aber wunderbare Prosa ist in Angelika Klüssendorfs Salzmine entstanden: mit kaltem, menschenfreundlichem Blick auf das, was man sich und anderen antut im Streben nach Glück.
JENS BISKY
Ludwig braucht bengalische
Beleuchtung, immer
wieder Größe und Schande
„Die Sonne fällt auf
den gedeckten Frühstückstisch,
Personen reden miteinander.“
Angelika Klüssendorf, Jahrgang 1958,
übersiedelte 1985 in die Bundesrepublik.
Foto: Arne Dedert, dpa
Angelika Klüssendorf: Jahre später. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 160 Seiten, 17 Euro. E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Wenn er Grau als Farbe für Angelika Klüssendorfs neuen Roman "Jahre später" bestimmt, meint Rezensent Paul Jandl das nicht im geringsten negativ: Es ist in seinen Augen nur nach wie vor die Farbe der unsicheren Protagonistin April, die man schon aus den beiden letzten Romanen Klüssendorfs kennt. So sei auch die Bilanz grau getönt, die April in "Jahre später" über ihre gescheiterte Ehe ziehe. Gut gefallen hat Jandl die feinsinnige Typologie: Ein genialischer Ehemann, der "die niedrigsten Impulse nicht im Griff hat", und eine in sich gekehrte Ehefrau, deren Einigelungsstrategie auf Dauer nicht mit dem Narzissmus des Ehemanns zu vereinen ist. Wie ein Felsen liegt dieser Roman für Jandl in der Gegenwartsliteratur.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Klüssendorfs minimalistische Prosa ist wie die Axt, die das Wichtige vom Unwichtigen trennt, sie ist schmucklos und große Kunst. [...] Angelika Klüssendorf [gehört] zu den wichtigsten Autorinnen ihrer Generation.« Thomas Andre Hamburger Abendblatt 20180208