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»Wie ich vor vielen Jahren war: jünger, schöner und meistens bei dir«
West-Berlin im Jahr 1987: Soja, gelernte Setzerin, Republikflüchtling, Aushilfsblumenhändlerin mit weitem Herz, trifft Harry, groß, frei, still-entschlossen, mit abgründiger Vergangenheit und düsterer Zukunft - und fortan teilen sie ein gemeinsames Schicksal. Geblieben ist ein Schulheft mit undatierten Einträgen, genau neunundachtzig Sätze, in denen Harry festhielt, was ihn beschäftigte, während er mit Soja zusammen war. Vieles kommt vor, eine fehlt: Soja. Jahre später macht sie sich daran, die gemeinsame Geschichte zu…mehr

Produktbeschreibung
»Wie ich vor vielen Jahren war: jünger, schöner und meistens bei dir«

West-Berlin im Jahr 1987: Soja, gelernte Setzerin, Republikflüchtling, Aushilfsblumenhändlerin mit weitem Herz, trifft Harry, groß, frei, still-entschlossen, mit abgründiger Vergangenheit und düsterer Zukunft - und fortan teilen sie ein gemeinsames Schicksal. Geblieben ist ein Schulheft mit undatierten Einträgen, genau neunundachtzig Sätze, in denen Harry festhielt, was ihn beschäftigte, während er mit Soja zusammen war. Vieles kommt vor, eine fehlt: Soja. Jahre später macht sie sich daran, die gemeinsame Geschichte zu erzählen und die Leerstelle zu füllen, die Harry hinterließ. Sie erinnert sich an den Mann, der sie durch seine Entschiedenheit beeindruckt, gleich anfangs mit einem Geschenk verstört und ihr Herz mit einem Kinderkuss erobert hat - und um den sie sich fortan nach Leibeskräften und wider alle Vernunft bemüht. Trotz seiner Schweigsamkeit gibt Harry einiges preis: nach einem Raubüberfall zehn Jahre im Knast, auf Bewährung draußen, Bewährungsauflagen verletzt, weil Drogentherapie abgebrochen, angewiesen auf neue Maßnahme, sonst umgehende Inhaftierung. Und das bringt Soja nicht gegen ihn auf, sondern auf Trab: Sie organisiert eine neue Therapie, verpflichtet ihre wenigen Freunde zu einer lückenlosen Begleitung und ignoriert doch alle Indizien dafür, dass Harry ihr manches verschwiegen hat. Und tatsächlich dauert es nicht lang, bis die nächste Bombe platzt.
Katja Lange-Müller, vielfach ausgezeichnete Meisterin der Erzählung, greift mit diesem lang erwarteten Roman dem Leser ans Herz: Mit feinem Einfühlungsvermögen, ruppigem Humor und einem melancholischen Grundton erzählt sie davon, wie eine unglückliche Liebesgeschichte das größte Glück im Leben sein kann.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Lange-Müller, KatjaKatja Lange-Müller, geboren 1951 in Ostberlin, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. 1986 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis, 1995 den Alfred-Döblin-Preis für ihre zweiteilige Erzählung »Verfrühte Tierliebe«, 2002 den Preis des ZDF, des Senders 3sat und der Stadt Mainz, 2005 den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor, 2008 den Preis der LiteraTour Nord, den Gerti-Spies-Preis und den Wilhelm-Raabe-Preis. Im Jahr 2012/2013 war sie Stipendiatin der Villa Massimo, erhielt den Kleist-Preis und war 2013/2014 Stipendiatin der Kulturakademie Tarabaya Istanbul. 2017 erhielt sie den Günter-Grass-Preis.
Rezensionen
»Eine der sprachmächtigsten Autorinnen der deutschen Gegenwartsliteratur.« Süddeutsche Zeitung 20130518

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2007

Risse, Küsse, Bisse
Bringt das Leid der Dichter das Glück der Buchmesse?

Wem auf Erden nicht zu helfen ist, der wird auch auf der Buchmesse nicht glücklich. Wenn wir uns Heinrich von Kleist nur für eine Sekunde in einer der Messehallen vorstellen, fällt uns sofort jener berühmte Satz ein, den Kleist an seinen Schwager schrieb: "Ich bitte Gott um den Tod und dich um Geld." Kürzer und drastischer ist das Künstlerdrama der zwischen Erlösungssehnsucht und Verarmungsangst, zwischen Transzendenz und schnödem Diesseits hin und her geworfenen Dichterseele nicht auf den Punkt zu bringen. Gleich drei Biographien versuchen in diesem Bücherherbst das Phänomen Kleist zu erhellen. Knapp und solide tut dies Herbert Kraft ("Kleist". Leben und Werk, Aschendorff Verlag), während Jens Bisky mit Leidenschaft und feuilletonistischem Schwung Kleist zum "größten politischen Dichter der Deutschen" ausruft und nachzeichnet, welch heikle Konstellationen die Ideale der Aufklärung und der Französischen Revolution in Kleists Leben und Werk eingingen ("Kleist". Rowohlt Berlin). Mehr dem Leben als dem Werk gilt das Interesse von Gerhard Schulz ("Kleist". Eine Biographie, C. H. Beck), der manches Rätsel auf dem Lebensweg des Dichters, etwa die nebulöse Würzburg-Reise, wie einen Luftballon behandelt: Leichthändig lässt er die Luft heraus. Bei aller kalten Logik im Lebensdetail wahrt Schulz aber den Respekt vor dem Rätselhaften der Gesamtexistenz.

Wenn Kleist es überhaupt auf einer Buchmesse aushalten könnte, dann also auf dieser. Allerdings müsste er ertragen, dass es noch weitere Dichterbiographien gibt: Helmuth Kiesel ("Ernst Jünger. Die Biographie", Siedler-Verlag) hat sich ebenso wie Heimo Schwilk ("Ernst Jünger", Piper) einer Jahrhundertfigur gewidmet, Holger Hof schildert Gottfried Benns "Leben in Bildern und Texten" (Klett-Cotta), und Thomas Karlaufs vielbeachtete Biographie eines charismatischen Charakters ("Stefan George", Blessing) setzt in der George-Forschung neue Maßstäbe. Die wichtigste Neuausgabe eines Klassikers gilt Stendhal: Elisabeth Edl hat "Die Kartause von Parma" (Hanser) glanzvoll neu übersetzt.

Dass man kein Dichter sein muss, um am Leben zu scheitern, beschreibt eindrucksvoll Katja Lange-Müller. Sie hat mit "Böse Schafe" (Kiepenheuer & Witsch) eine bitterzarte Liebesgeschichte geschrieben, von der schnoddrigsten Sentimentalität, mit geradezu selbstmörderischer Furchtlosigkeit vor Klischees und von großer Glaubwürdigkeit und Würde. Der Roman spielt im Berliner Sozialhilfe- und Fixermilieu der Vorwendezeit, und selten erschien das alte West-Berlin so klein, kaputt und reizlos wie hier. Umso erstaunlicher, welche Kraft Katja Lange-Müller in diese Liebesgeschichte zu legen vermag, von der bis zum Schluss nicht deutlich wird, ob es sich nicht doch nur um die mit Zähnen und Klauen verteidigte kleine Illusion eines großen Herzens handelt.

Derart realistische Schilderungen sozialer Milieus sind selten geworden in der deutschen Gegenwartsliteratur. Vor allem die Arbeitswelt jenseits schicker Werbeagenturen und polierter Redaktionsräume in den Hochglanzmagazinen kommt kaum noch vor. Das Romanpersonal der Gegenwart führt hauptberuflich ein Privatleben, der Job ist allenfalls Nebenbeschäftigung, gerade noch geeignet, die Figur in einem bestimmten Milieu zu verorten. Annette Pehnt stößt jetzt mit einer beklemmenden Charakterstudie von großer Virtuosität in diese Lücke. Ihr Roman "Mobbing" schildert mit der Intensität des Kammerspiels einen Fall, wie er sich im deutschen Büroalltag unzählige Male ereignet: Ein Angestellter kommt nicht mehr klar, nicht mit seiner Vorgesetzten, nicht mit seinen Kollegen. Er fühlt sich ausgebremst, geschnitten, kujoniert, erniedrigt, gedemütigt. Annette Pehnts entscheidender Kunstgriff liegt in der Wahl der Perspektive. Sie beschränkt sich allein auf die Ich-Erzählerin, die alles, was sie erfährt, von dem Opfer weiß. Und sie kann nichts relativieren oder in Frage stellen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, sie würde dem Ehemann das verweigern, was er gerade jetzt am nötigsten braucht: die unbedingte Loyalität seiner Frau.

Annette Pehnts Buch gehört zu den seltenen Fällen, in denen eine Familiengeschichte ganz in der Gegenwart angesiedelt ist. Oft geht der Blick in diesem Bücherherbst zurück in die Vergangenheit. Michael Lentz leiht den deutschen Emigranten an der amerikanischen Westküste seine Stimme ("Pazifik Exil", S. Fischer), Erich Hackl spürt dem Schicksal Gisela Tenenbaums nach, die 1977 in der argentinischen Militärdiktatur spurlos verschwand ("Als ob ein Engel", Diogenes), und auch Julia Franck nimmt eine reale Begebenheit zum Anlass ihres neuen Buches: Der Vater der Autorin wurde 1945 als Kind von der eigenen Mutter verlassen. Im Zentrum ihres Romans "Die Mittagsfrau" (S. Fischer) steht aber nicht das unglückliche Kind, sondern die Mutter. Über etwa vier Jahrzehnte hinweg schildert die siebenunddreißigjährige Autorin das Schicksal ihrer Hauptfigur, um spürbar werden zu lassen, wie es zu einer solchen unerhörten Handlung kommen konnte. Helenes Gefühle sind ausgelöscht, und Julia Franck erkundet behutsam, mit viel Geduld und großer erzählerischer Sorgfalt, wie es zu dieser Auslöschung kam.

Das große Geschichtspanorama hat Julia Franck, anders als der schon mit dem Titel ("Abendland", Hanser) weit ausgreifende Michael Köhlmeier, nicht im Sinn. Köhlmeier erweist sich als glänzender Erzähler, dem es jedoch leider erheblich an Ökonomie gebricht. Dass große Bücher Schwächen und Mängel aufweisen dürfen und dennoch große Bücher bleiben können, weiß jeder Leser. Und wer es nicht weiß, dem ist auf Erden und auf dieser Buchmesse leicht zu helfen. Er lese nur "Day" (Wagenbach), einen Roman über einen englischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, geschrieben von der schottischen Autorin A. L. Kennedy, die 1965 das Licht der Welt erblickt hat, zweiundzwanzig Jahre nachdem Männer wie Alfred Day Städte wie Hamburg bombardiert und ein Loch in den Himmel gebrannt haben, das sich nie wieder schließen sollte.

HUBERT SPIEGEL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2007

Sie liebt ihn, aber ob er sie liebt, weiß keiner
Traurig, wahr, von großer Wucht: Katja Lange-Müller erkundet in ihrem Roman „Böse Schafe”, wie weit Hingabe tatsächlich gehen kann
Dieses Buch hat eine Wucht, ohne pathetisch zu sein. Es ist schmerzhaft und traurig, aber frei von Tremolo. Sehnsüchtig, aber nie sentimental. Es erzählt von der Liebe, doch es schaudert einen dabei. Die Art, wie es einen rührt, ist so unheimlich, dass man nicht sicher weiß, ob man für die ausgelösten Gefühle wirklich dankbar sein soll. Dieses Buch führt den Leser in eine Welt, in der es keine Sublimierungen gibt, kein schummrig herabgedimmtes Licht, in dessen Schein die Dinge milder, sanfter und edler schimmerten. Es ist eine nackte Wahrheit, aber diese Nacktheit ist eine poetische Kraft.
„Böse Schafe” heißt der neue Roman von Katja Lange-Müller. Eine Frau, Soja, schaut zurück auf einen Abschnitt ihres Lebens. Damals gab es einen Mann, Harry. An diesen Harry richtet sie nun rückblickend einen drängenden Monolog. Einen Liebesabschiedsmonolog. Voller Fragen, wie sie existentieller nicht sein könnten. Sie hat Harry geliebt. Jetzt ist Harry tot. Sie möchte wissen, was an dieser Liebe dran war. Dazu muss sie wissen, wer Harry in Wahrheit war. Und ihr wird das Maß ihrer eigenen Blindheit klar. Aber ist Blindheit ein Einwand gegen die Liebe?
Überhaupt gibt es so viele Einwände. Eine große Liebe, so meinen wir, kann doch nur auf Gegenseitigkeit, auf Wahrheit und auf Vertrauen basieren. Alles drei war, wie Soja nun sieht, nicht gegeben. Harry war immer ein anderer, als Soja wahrzunehmen sich eingerichtet hatte. Er war heroinabhängig, aber Soja hat es nicht gemerkt. Oder zu spät. Harry war eine black box. Eine allerdings, an die sich Soja anschmiegen konnte und von der dann Ruhe ausging.
Mit Worten sparsam, eigene Gefühle nie verbalisierend, hat Harry gleichwohl eine Art Tagebuch hinterlassen. Soja zitiert in ihrem Rechenschaftsmonolog immer wieder aus diesem Tagebuch. Es ist das schrecklichste Tagebuch, das einem Liebenden nach dem Tod des Geliebten in die Hände fallen kann. Denn die gemeinsam verbrachte Zeit wird zwar darin beschrieben. Aber mit einer Ausblendung. Sie, Soja, findet darin keine Erwähnung. Mit keinem Wort. Vielleicht ist sogar das Wort Ausblendung noch zu aktivisch für dieses Nicht-Vorkommen. Nach diesem Tagebuch hat es Soja in Harrys Leben nie gegeben.
„Böse Schafe” ist auch ein Berlin-Roman. Eine brillante Milieuschilderung des im eigenen Saft schmorenden West-Berlins zwischen Nato-Doppelbeschluss und Mauerfall. Soja ist in Ost-Berlin aufgewachsen und hat nun, Mitte der Achtziger, die DDR verlassen und ist in West-Berlin angekommen. Hier stößt sie durch Zufall auf Harry. Harry ist gerade aus dem Knast entlassen worden. Er saß ein wegen eines Beschaffungsdeliktes. Er selbst sieht sich weniger als Ganoven, mehr als „Linken”. „Böse Schafe” rechnet auf beiläufig scharfzüngige Art auch mit der ganzen Polit-Folklore, dem selbstbetäubenden Subversivitäts-Laber-Dunst des Post-68er-Milieus zwischen Kreuzberg und Schöneberg ab.
„Entschuldige, aber uns war so öde”, erklärt Harry am Anfang, als er mit einem Kumpel vor Sojas Wohnung in Moabit steht. Diese findet ihn anziehend, ja, seine irgendwie verwischt-intensive Art scheint etwas auszustrahlen, was sie berührt. (Dass diese Ausstrahlung etwas mit Harrys Drogenabhängigkeit zu tun haben könnte, wird ihr erst viel später bewusst.) Natürlich ist Harry ein schräger Vogel, aber sie selber ist ja auch nicht gerade die bürgerlichste Persönlichkeit – und außerdem ist es ihr seit ihrer Ausreise, wie sie sagt, „nicht mehr gelungen, einen dieser Westmänner aus halbwegs sortierten Verhältnissen für mich zu gewinnen. Sicher, ich war nichts Besonderes, aber ich konnte lange Beine vorzeigen, einen vollen Busen und Mund.”
„Böse Schafe” ist eine Verwahrlosungsgeschichte. Sie spielt nicht zufällig auch in den Problem-Kiezen Neukölln und Moabit. In einem Zwielicht, in dem die sich progressiv dünkende Großstadt-Guerilla, das soziale Aussteigertum und das Kleinkriminellen-Milieu ineinander übergehen. Und siehe da: Als Leser stellen wir erleichtert fest, dass nach einem halben Jahrzehnt Neuer Bürgerlichkeit landauf, landab in allen Registern verwöhnten Ennuis dieser Milieuwechsel regelrecht erfrischend wirkt. Zwischen den Menschen und ihren existentiellen Verwerfungen stehen nicht mehr so viele überflüssige Möbel, Klamotten und Speisen herum.
Harry muss zurück in den Knast, es sei denn, er unterwirft sich einem sehr rigiden Bewährungsregiment. Sein unerbittlicher, alles andere als sozialromantischer Bewährungshelfer heißt Joe. Der erwartet, dass Harry ein soziales Netz vorweisen kann, das ihn stützt und selbst jene Disziplin eisern bewahrt, die ihn allein aus dem Sumpf ziehen kann. Soja arrangiert das alles für ihn. Sie überzeugt ihre Bekannten, sich an diesem Rettungsprojekt zu beteiligen. Harry zieht zu ihr. Und sie schlafen miteinander auf eine befriedigende, aber insgesamt wohl eher kalmierende Art.
Dann gibt es wieder ein Treffen mit Joe und der gesamten Solidargemeinschaft. Joe fragt, was ihnen Harry denn von sich erzählt habe? Ob er denn dem in ihn gesetzten Vertrauen gerecht geworden sei? Und ob er seinen aufopferungsvollen Freunden zum Beispiel mitgeteilt habe, dass er HIV-positiv ist? Die Bombe ist geplatzt.
Wenn Beistand mit Lüge, Liebe mit Gleichgültigkeit, Vertrauen mit Verrat, Stärke mit Schwäche beantwortet wird, kann dann noch sinnvoll von Liebe die Rede sein? Soja ist auch im Rückblick, trotz aller Zweifel, trotz aller Verunsicherung, trotz aller Verletzung nicht bereit, ihre (ihre!) Liebe für nichtig, für eine böse Illusion zu erklären. Dieser Mann hat sich in ihr Leben eingeschaltet. Er hat sie ihn retten lassen. Er schlief mit ihr und nahm dabei in Kauf, sie mit dem Aids-Virus anzustecken. Auch dieser größte Verrat wird von Soja hingenommen. Ein „Jetzt erst recht” durchwallt ihre Gefühle. Schließlich verfällt Harry wieder dem Heroin. Er hat ihr nie gesagt, dass er sie liebe. Als er stirbt, bleibt nur ein Tagebuch zurück, in dem sie nicht vorkommt. Und doch fühlt sich Soja in ihrer Erinnerung an Harry aufgehoben wie in einer menschlich überreichen Lebensblase.
Platon fragt im „Phaidros”, wer glücklicher zu schätzen sei: der Liebende oder der Geliebte. Platons Antwort wird bei Katja Lange-Müller aufs geradezu Triumphalste bestätigt: Natürlich der Liebende. Und „Böse Schafe” geht vielleicht noch einen Schritt weiter: Nicht zu wissen, ob man überhaupt zurückgeliebt wird, ist weniger schlimm, als nicht zu wissen, ob man selber liebt.
Dieses große Buch hat keine Scheu vor den demütigendsten Aspekten der Hingabe. In der bürgerlichen Welt ist die Liebe unter Ungleichen verpönt. Man sieht darin nur den tierischen, also entwürdigenden Trieb. Einmal begegnet Soja in Joes Anlaufstelle der Mutter eines anderen Junkies. Diese wird wütend bei Sojas Anblick. „,Wir‘, motzte sie, ,sind die Mütter von denen, die hier landen. Und sein Kind kann man sich nicht aussuchen. Aber was ist mit Tussis wie dir? Bist du pervers, oder findest du keinen besseren Stecher?‘”
Caritas und Eros gehen hier eine eigentümliche Verbindung ein. „Böse Schafe” ist so etwas wie die Wiederbelebung des sozialen Realismus. Aber wie anders klingt das bei Katja Lange-Müller, der großen Manieristin! Ihre Sprache ist von der größten Extravaganz. Aber die Originalität ihrer Formulierungen dient stets der Genauigkeit. Im gesuchten Ausdruck kommt eine Seite unserer Empfindungswirklichkeit zur Geltung, die unserem Auge bisher entgangen war. Nachdem Soja erfährt, dass sie einen Mann liebt, der HIV-positiv ist, heißt es über ihre Zerrissenheit, ihre Hilflosigkeit, ihre Halbherzigkeit und ihre Angst: „Ich war von Kopf bis Fuß wie ein einziger, großer Backenzahn, der nicht wirklich weh tut, auf den zu beißen man aber möglichst vermeidet.”IJOMA MANGOLD
KATJA LANGE-MÜLLER: Böse Schafe. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 205 Seiten, 16,90 Euro.
Kreuzberger Nächte sind lang: Berlin in den frühen Achtzigern Foto: Ullstein
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Geradezu hymnisch lobt Rezensent Ijoma Mangold Katja Lange-Müllers neuen Roman. Ein "Liebesabschiedsmonolog", wie er schreibt, dem er Eindrücklichkeit ohne Pathos bescheinigt und der ihn immer wieder schaudern ließ. Denn das Buch sei "schmerzhaft und traurig, aber frei von Tremolo". Auch sei es voller Fragen, wie sie existenzieller nicht sein könnten. Es spreche eine Frau, die geliebt habe. Nun aber sei der Mann tot, und die Frau versuche, sich ihm noch einmal zu nähern, um zu klären, wer er wirklich war. Für den schwer beeindruckten Rezensenten hat das Buch dabei auch "keine Scheu vor den demütigendsten Aspekten der Hingabe". Auch verneigt er sich tief vor der "großen Manieristin" Lange-Müller, vor der Extravaganz ihrer Sprache. Zur Begeisterung des Rezensenten ist "Böse Schafe" dann aber auch noch ein Berlin-Roman, der "auf beiläufig scharfzüngige Art" mit dem "selbstbetäubenden Subversivitäts-Laber-Dunst" der Nachachtundsechziger in der Hauptstadt abrechnet und dabei mit brillanten Milieuschilderungen glänzt.

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