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Der drei Jahre jüngere Goethe bewunderte ihn, Wieland förderte ihn väterlich: Heute ist der vielseitige Denker und Schriftsteller Wilhelm Heinse (1746-1803) hauptsächlich durch seinen Künstlerroman Ardinghello und die glückseligen Inseln bekannt. Zu Heinses 200. Todestag am 22. Juni 2003 erscheint diese Auswahl aus seinen Aufzeichnungen einer Reise nach Italien im Jahre 1783, einem der interessantesten Reisetexte des 18. Jahrhunderts, der oft mit Goethes Italienischer Reise verglichen wurde. Ein Essay von Almut Hüfler gibt zudem erstmals einen überblick über Leben und Gesamtwerk dieses in…mehr

Produktbeschreibung
Der drei Jahre jüngere Goethe bewunderte ihn, Wieland förderte ihn väterlich: Heute ist der vielseitige Denker und Schriftsteller Wilhelm Heinse (1746-1803) hauptsächlich durch seinen Künstlerroman Ardinghello und die glückseligen Inseln bekannt.
Zu Heinses 200. Todestag am 22. Juni 2003 erscheint diese Auswahl aus seinen Aufzeichnungen einer Reise nach Italien im Jahre 1783, einem der interessantesten Reisetexte des 18. Jahrhunderts, der oft mit Goethes Italienischer Reise verglichen wurde. Ein Essay von Almut Hüfler gibt zudem erstmals einen überblick über Leben und Gesamtwerk dieses in Thüringen geborenen Dichters und Kunsttheoretikers. Eine Auswahlbibliographie und Zeittafel sowie zahlreiche Abbildungen ergänzen den Band.
Autorenporträt
Schwandt, ChristophChristoph Schwandt, geboren 1956, bis 1994 Dramaturg der Salzburger Festspiele, arbeitet u. a. als Autor für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und publizierte Biografien der Komponisten Georges Bizet, Giuseppe Verdi und Leos Janácek.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2002

Eigentliche Begattung
Welch ein fatales Land: Wilhelm Heinse durchstreift Italien
Vierunddreißigjährig verließ der Mitherausgeber des Damenjournals „Iris” Düsseldorf, fuhr durch die Schweiz nach Marseille und gelangte, ohne unter Seekrankheit zu leiden, Ende Oktober 1780 nach Genua. Seinen ersten italienischen Winter verbrachte Wilhelm Heinse in Venedig, übersetzte erbärmliche Not leidend Tassos „Gerusalemme liberata”, von der Kälte oft gezwungen, tagelang im Bett zu bleiben. Von August 1781 bis Juli 1783 lebte er in Rom, reiste auch nach Neapel. Im Juli 1783 trat er die Rückreise an, besuchte noch einmal Florenz und Venedig und wanderte über Vicenza, Verona, Mailand nach Mantua.
Dort notierte er am 18. August ein Fazit seiner italienischen Erfahrungen, auf den ersten Blick die Nörgelei eines Individualtouristen: „Welch ein fatales Land doch im Grunde! Zu Venedig schlecht Wasser, zu Padua schlecht Wasser, zu Vicenza schlecht Wasser. Zu Mantua, zu Ferrara schlechte Luft und schlecht Wasser, zu Cremona schlechte Luft und schlecht Wasser, und so bis zu Turin schlecht Wasser. ... Und wenn man den häufigen Scirocco dazu rechnet, und die überall eingerissne Venerische Seuche und die Politische Siechheit: so wird gewiß viel Fürtreffliches aufgewogen.”
Und doch überstrahlte das Vortreffliche – Pantheon, antike Skulpturen, Raffaels Gemälde – alles. So glückselig und lebenstrunken wie in den italienischen Tagen ist Heinse nie wieder gewesen. Hier wurde er endgültig der Kraftmeier, als der er durch die Literaturgeschichten geistert, hier sammelte er den Stoff für seine großen Romane, „Ardinghello” und „Hildegard von Hohenthal”. Den „ästhetischen Immoralismus”, den man ihm treffend attestiert hat, konnte er hier ausleben – zumindest auf dem Papier.
Ankündigung einer Sensation
Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Exzerpte sind überliefert. Sie kreisen um die Spannung der vollkommenen Dinge in Kunst und Natur zur sie umgebenden Mittelmäßigkeit, entfalten den Widerspruch zwischen einstiger Größe und gegenwärtiger Ermattung, zwischen der Lebenslust in der Fremde und der eigenen, immer prekären deutschen Existenz, zwischen der Dürftigkeit des Reisealltags und intensiven Erlebnissen vor Kunstwerken und in Landschaften. Heinse hat nichts zu harmonisieren versucht, blieb süchtig nach dem Überwältigenden. Weil seine Aufzeichnungen so spannungsreich sind, zwischen Traum und Erkenntnis, Gier und Versagung zerrissen werden, weil in ihnen Italien als zauberische Gegend, Ort der Kunst, des Heroentums und der erotischen Erlösung erscheint, behaupten sie sich leicht neben Goethe und Burckhardt und erst recht neben Moritz, Seume und den anderen.
Allerdings war es bisher recht mühsam, sie zu lesen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Heinses „Sämmtliche Werke” in zehn Bänden ediert, die italienischen Aufzeichnungen hat man dabei über mehrere Bände verstreut, gekürzt und nicht im authentischen Zusammenhang gebracht. Nun ist im Insel- Verlag zu einem Spottpreis ein üppig illustrierter, sorgfältig eingeleiteter Band erschienen, der Auszüge aus drei verschiedenen Heften bringt, verlässlich und nach den in Frankfurt am Main aufbewahrten Autographen. Er kündigt die vollständige Ausgabe des Heinseschen Nachlasses an, von der man vermuten darf, dass sie eine der literarischen Sensationen des kommenden Jahres werden wird.
Seit Winckelmann hat kein zweiter mehr so wortgewaltig, hingegeben, durch und durch erotisch über Kunst geschrieben wie Heinse. Christoph Martin Wieland, kein Prüder also, meinte abfällig, in Heinse habe „die Wut der ausgelassendsten Geilheit alles sittliche Gefühl erstickt”. Die Kunstbetrachtung hat davon nur profitiert. Mit kennerschaftlichem Blick, idealischen Schattenbildern und Konventionen misstrauend, suchte Heinse „Großes und Freyes und erhabne den Sinn auf einmal entzückend überraschende Schönheit”. „Wie reizend schwellen die Brüste unter dem roten sittsamen Gewand hervor”, heißt es über eine Raffaelische Madonna, vor der wenig später gute Seelen und Kunstjünger die Gegenwart vergessen wollten. Nicht so bei Heinse, für ihn stand alles Schreiben im Dienst des erfüllten Moments. Gerade weil er der „Sprache, der Metze” misstraute, sind seine Beschreibungen so einzigartig geworden. Er wusste, dass er den Zeichencharakter der Kunstwerke schreibend potenzierte. Aber er versuchte dennoch, in der Sprache den herausgehobenen Augenblick zu inszenieren: die Überschreitung der ästhetischen Grenze, wenn die Gestalten aus der Leinwand treten, lebendigste Formen wahrhaft lebendig werden.
Es fehlen in dieser Auswahl die Aufzeichnungen aus Rom und Florenz, man kann daher nicht lesen, wie sich Heinse Statuen, Hermaphroditen etwa, mit Worten zurecht legt. Aber die Erzählung von einem Bad im Bache, eine Schlüsselszene, findet sich: „Wahre eigentliche Begattung mit der schönsten zauberischen Gegend. ... Wie ich herum plätschere, den Kopf hinein stecke, mich auf den Rücken werfe, mit dem Leib herum wälze – ach daß ich keine süße Nymphe bei mir habe! wie würde im Wonnetaumel Himmel und Erde um mich herum vergehen und wieder neu geboren werden!” Die gestauten Ströme dieser Sprache, plätschernd, sprudelnd, stürzend, tröpfelnd, vergegenwärtigen einen Sehnsuchtsort, ohne ins Verträumte, Mitternächtliche zu fallen. Dass Größe, Kraft und Herrlichkeit gegenwärtig seien, der Traum jeden Augenblick lebendig werden könne, ist der bewusst gehegte Irrglaube und das Versprechen dieser Reisenotizen.
JENS BISKY
WILHELM HEINSE: Tagebuch einer Reise nach Italien. Mit einem biographischen Essay von Almut Hüfler. Hrsg. von Christoph Schwandt. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2002. 260 S., 10 Euro.
Warum die Zeit am Reck nicht nutzen und auch das Gesicht ein bisschen trainieren? Dieser Junge wird auch morgen noch kraftvoll zubeißen, denn der übrige Muskelaufbau dauert etwas länger. Wohin er führt, zeigen die Sportstudien der amerikanischen Fotografen Jonathan Anderson und Edwin Low („Athletes”, Twin Palm Publishers, Santa Fe 2002, 116 Seiten, 64,15 Euro). In die Einsamkeit vor allem, in die Melancholie des Kampfes als Selbstzweck. Eines Kampfes gegen sich selbst, der niemals einen Sieger zeitigt, der nur Erschöpfung zurücklässt in den ausgebrannten Gesichtern der Athleten. Anderson und Low streicheln sie in zartem Duotone, schwarz-weiß wäre zu hart gewesen für die zerbrechlichen Kraftpakete, die lädierten Boxer und atemlosen Schwimmerinnen, die verbissene Gewichtheberin und das etwas ratlos dreinschauende gemischte Degenfechterteam. Sich einer Sportart zu verschreiben, täglich zu trainieren, heißt das Siegen zu trainieren, und bedeutet doch meistens: das Verlieren lernen. Sich aufspalten in die Siegesgewissheit und das Erleben des Scheiterns. Eine streng religiöse Grundhaltung also, die es erlaubt, immer weiter zu machen, sich zu quälen, den körperlichen wie auch den seelischen Schmerz als Glück und als Gnade zu erfahren. Anderson und Low suchten ihre Bildmotive auf allen Kontinenten, verstanden ihren Auftrag, eine begleitende Ausstellung zu den Commenwealth Games in Kuala Lumpur zu konzipieren, vor allem als einen Appell zur Völkerverständigung. Nicht in der gewohnten plakativen Art, den gut gemeinten Agitprop-Werbetafeln sozialer Organisationen, sondern als eine sensible Suche nach menschlichen Universalien, nach Gemeinsamkeiten, die sich nicht auf der Oberfläche spiegeln. Die Fotoforscher interessierten sich deshalb mehr für das Geistesleben und für die Gefühlsstruktur der Athleten, entdeckten jenseits des grellen Wettkampf- Glamours die stille Poesie des dumpfen Augenblicks, die Leere des verschwitzten Körpers, die Verzweiflung über sinnlos verschütteten Schweiß. Und doch Zufriedenheit angesichts des beinahe Vollbrachten, moralische Standfestigkeit, tiefer Glaube an den Versuch, wo sonst nichts ist als Irrtum.
Helmut Mauró
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit starker Bewunderung für die ästhetische Kraftmeierei in Heinses Sprache begrüßt Jens Bisky diese neue Ausgabe der italienischen Reiseaufzeichnungen des Autors. Von 1781 bis 83 reiste Heinse nach Italien und begutachtete die Kunstschätze von Venedig bis Neapel. Bisher, so Bisky, lagen die Tagebücher aber nur in schwer zugänglicher Form vor. Der vorliegende Band bietet nun "zu einem Spottpreis" in ausführlichen Auszügen einen Vorgeschmack auf eine für demnächst angekündigte vollständige Ausgabe, "von der man vermuten darf, dass sie eine der literarischen Sensationen des kommenden Jahres werden wird". Bisky zögert nicht, diese Tagebücher neben die Italienreisen Goethes und Burckhardts und über die Seumes und Moritz' zu stellen. Und dies eben wegen Heinses rückhaltlos begeisterter Kunstbetrachtungen: "Seit Winckelmann", so Bisky, "hat kein zweiter mehr so wortgewaltig hingegeben, durch und durch erotisch über Kunst geschrieben wie Heinse."

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