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Wer kennt nicht das Gedicht: "Wie er wolle geküsset sein?" Eine Kußanleitung, die gleichwohl alle Regeln ablehnt: "Ich nur und die Liebste wissen / wie wir uns recht sollen küssen." - So ist das oft bei Paul Fleming: Aus der Konvention heraus findet er plötzlich zu Wärme und Frische, vor allem in den Liebesgedichten, die im Mittelpunkt dieser Auswahl stehen. Kaum ein Dichter, der wie er am Verlauf seines Lebens entlanggeschrieben hat. Das beginnt mit dem vom Dreißigjährigen Krieg heimgesuchten Leipzig. Das setzt sich fort mit Flemings glücklichster Zeit, dem Jahr seiner Revaler Liebe. Das geht…mehr

Produktbeschreibung
Wer kennt nicht das Gedicht: "Wie er wolle geküsset sein?" Eine Kußanleitung, die gleichwohl alle Regeln ablehnt: "Ich nur und die Liebste wissen / wie wir uns recht sollen küssen." - So ist das oft bei Paul Fleming: Aus der Konvention heraus findet er plötzlich zu Wärme und Frische, vor allem in den Liebesgedichten, die im Mittelpunkt dieser Auswahl stehen. Kaum ein Dichter, der wie er am Verlauf seines Lebens entlanggeschrieben hat. Das beginnt mit dem vom Dreißigjährigen Krieg heimgesuchten Leipzig. Das setzt sich fort mit Flemings glücklichster Zeit, dem Jahr seiner Revaler Liebe. Das geht weiter mit jener Persienreise, durch die er seine Braut an einen anderen verlor. Und doch hält Fleming an der erstaunlichen Nachricht fest, daß nichts uns fehlen muß, wenn wir uns selber haben: "Sei dennoch unverzagt."
Autorenporträt
Thomas Rosenlöcher, geboren 1947 in Dresden, studierte von 1976 bis 1979 am Literaturinstitut in Leipzig und lebte als freier Schriftsteller in der Nähe von Dresden. Rosenlöcher war Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und der Akademie der Künste in Berlin. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Rosenlöcher verstarb am 13. April 2022 in Dresden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2009

Die Kunst des Küssens
Popikone des Barock: Gedichte von Paul Fleming

Von Alexander Kosenina

Auf das Küssen verstand er sich meisterlich - poetisch jedenfalls, denn in seinem kurzen Leben hatte er kaum Gelegenheit zur Anwendung: Paul Fleming, am 5. Oktober 1609 im Vogtland geboren, wurde in Liebesdingen schwer enttäuscht, begab sich auf eine jahrelange Reise durch Russland und Persien, bis er kurz nach seiner medizinischen Dissertation über die Syphilis als Dreißigjähriger an der Grippe starb. Tragische Geschichte. Seine Zeitgenossen verehrten ihn über seine Dichtkunst hinaus wohl auch für dieses Schicksal wie kaum einen anderen Poeten des Barock. Bis heute ist er keineswegs vergessen. Einen besonderen Liebhaber besitzt er in Günter Grass, der Fleming "in allen Spielarten der Lyrik mobil" nennt und gerade sein wundervolles Gedicht "Wie er wolle geküsset sein" unnachahmlich verschmitzt vorzutragen versteht.

Die Kunst des Küssens, der man "mehr alleine denn bei Leuten" frönen darf, besteht im rechten Maß. Flemings Rat: nicht zu frei, nicht zu gezwungen, nicht zu wenig, nicht zu viel, nicht zu laut, nicht zu leise, nicht zu nahe, nicht zu weit, nicht zu trucken, nicht zu feuchte, nicht zu harte, nicht zu weich, nicht zu langsam, nicht zu schnelle. Der Witz dieser aus lauter Antithesen bestehenden Gebrauchsanweisung besteht letztlich in der Verweigerung aller Regeln und der geheimen Durchsetzung eigener Individualität: "Küsse nun ein jedermann, / wie er weiß, will, soll und kann! / Ich nur und die Liebste wissen, / wie wir uns recht sollen küssen". Das mag zunächst etwas schlicht wirken, ist aber von einiger Artistik. Denn Fleming variiert damit eine reiche Genretradition von Kussgedichten: Seit Catull oder der Anthologia Graeca, seit Johannes Secundus oder Petrarca haben sich schon viele Dichter an dieser Spielart des Erotischen versucht. Mit seiner ungezwungen lässigen Pointe überbietet Fleming seine Vorgänger, im Zeitalter abgezirkelter Gärten und Liebesphilosophien "more geometrico" gewährt er plötzlich eine verblüffende Lizenz zur Selbstverwirklichung.

Genialisch im Sinne Goethes ist das sicher nicht. Wer aber versucht, mit Erwartungen der Goethezeit zum Barock zurückzugehen, wird einfach enttäuscht. So geht es dem Dichter Thomas Rosenlöcher, der sich - anders als Günter Grass - zuerst gar nicht auf Fleming einlassen will. In seinem Nachwort zu einer hübschen Geburtstagsauswahl der Insel-Bücherei gibt er sich lange verschnupft, spricht von Zeitmauern, vergleicht die Lektüre von Barockgedichten mit "Kiesschaufeln", leidet unter den aufgezwungenen fremden Zeitverhältnissen, mokiert sich über die alte Praxis des Gelegenheitsdichtens, das er bei eigenem Familienbedarf seiner Ehefrau "überträgt", um sie hernach für "entsetzlich holpernde Knittelverse" zu beschimpfen.

Wohl kaum muss man der hier verspotteten Kaste von "Literaturprofessoren in ihrer heutigen Schrumpfform" angehören, um Spaß an Fleming zu finden. Im Gegenteil zündet er gerade bei den Jungen, die völlig unvoreingenommen auf seine gewitzte Variations- statt romantische Schöpfungsästhetik reagieren. Zudem weist sie über die Goethezeit oft weit hinaus. Da ist etwa das traurige Sonett "Zur Zeit seiner Verstoßung", in dem Fleming den noch häufiger beklagten Schock verarbeitet, während seiner langen Reise von der in Reval zurückgelassenen Geliebten Elsabe verlassen worden zu sein. So etwas kann jedem passieren, doch bei Fleming geht aus dem tiefsten Schmerz - "mein Alles wird nun Nichts" - eine ungeheuer moderne Selbstreflexion von ungeahnt existentieller Wucht hervor: "Mein teuerster Verlust, der bin selbselbsten ich. / Nun bin ich ohne sie, nun bin ich ohne mich."

Selbstbewusstsein, also die Unterscheidung eines denkenden Ich von sich als einem gedachten, mag man für eine Errungenschaft des Idealismus halten. Bereits bei Fleming deutet sich aber jener Weg des selbstdenkenden Subjekts an, den Kant aus der Unmündigkeit weist: Den schrecklichen Anfechtungen des Dreißigjährigen Krieges, in den Flemings Lebenszeit fällt, begegnet der gelassene Stoiker mit der Formel: "Alles ist in dir". Im Sonett "An sich" fährt er fort: "Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann, / dem ist die weite Welt und alles untertan." Statt einem formelhaft Rhetoriker begegnet uns in diesem Dichter ein blitzfunkelnder Relativist, der bis hin zur "Grabschrift" über die moderne Fähigkeit verfügt, sich selbst in Frage zu stellen: "Freund, was du liesest hier von mir, / hab ich von andern oft gelesen; / so wird man lesen auch von dir: / Was du bist, bin auch ich gewesen."

Paul Fleming: "Ich habe satt gelebt". Gedichte. Hrsg. und mit einem Nachwort von Thomas Rosenlöcher. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2009. 116 S., geb, 12,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ja, das ist Barockliteratur, meint der Rezensent Alexander Kosenina. Und ja, das heißt: Hier spricht beziehungsweise schreibt ein rhetorisch gewitzter Autor und kein romantisches Originalgenie. So fremd wie der Nachwortautor Thomas Rosenlöcher muss man sich damit jedoch keineswegs fühlen, versichert Kosenina im nächsten Zug. Durchaus frisch nämlich lese sich vieles, das Fleming in seinem allzu kurzen Leben - er starb mit dreißig an der Grippe - verfasste: nicht zuletzt sein vielleicht berühmtestes Gedicht, in dem es doch immerhin um die Kunst des Küssens geht. Und in mancher Reflexion des lyrischen Ich erweise sich der Autor als einer, der beinah modern das Bewusstsein eines Selbst von sich selbst registriert. Also: Eine Wiederentdeckung ist zu machen, aus diesen Gedichten spricht, so Kosenina, ein mitunter "blitzfunkelnder Relativist".

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