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Als Goethe am 19. Oktober 1806 zum Entsetzen der Weimarer Gesellschaft die Mutter seines fast erwachsenen Sohnes heiratete, lag eine krisenhaft zugespitzte Folge traumatischer Ereignisse hinter ihm: Schillers Tod am 9. Mai 1805, Nierenkoliken, die ihm das Leben zur Hölle machten, schließlich am 14. Oktober 1806 der Sieg von Napoleons Truppen bei Jena und Auerstedt: Weimar war freigegeben zur Plünderung, der Tod allgegenwärtig. Nie stand das mögliche Ende Goethe so nah vor Augen, und er wollte, so wird gesagt, Frau und Sohn im Falle seines Todes versorgt wissen. Doch ist das als Erklärung für…mehr

Produktbeschreibung
Als Goethe am 19. Oktober 1806 zum Entsetzen der Weimarer Gesellschaft die Mutter seines fast erwachsenen Sohnes heiratete, lag eine krisenhaft zugespitzte Folge traumatischer Ereignisse hinter ihm: Schillers Tod am 9. Mai 1805, Nierenkoliken, die ihm das Leben zur Hölle machten, schließlich am 14. Oktober 1806 der Sieg von Napoleons Truppen bei Jena und Auerstedt: Weimar war freigegeben zur Plünderung, der Tod allgegenwärtig. Nie stand das mögliche Ende Goethe so nah vor Augen, und er wollte, so wird gesagt, Frau und Sohn im Falle seines Todes versorgt wissen. Doch ist das als Erklärung für seine späte Heirat hinreichend? Wolfgang Frühwald zeigt, daß es wirklich Liebe war, die Goethe zu diesem Schritt bewog - eine Liebe, die sich nicht mehr um die feinsinnige Trennung von Sexualität und Freundschaft, bürgerlicher Ehe und Triebbefriedigung scherte. Der Nachweis gelingt Frühwald in einer packenden Synopse des Schicksalsjahres 1806 sowie in der Betrachtung von poetischen Texten, indenen Goethe "Barrieren gegen den Tod" errichtete.
Autorenporträt
Frühwald, WolfgangWolfgang Frühwald, geboren 1935, war Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 1982 bis 1987 war er Mitglied des Wissenschaftsrates und von 1992 bis 1997 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Von 1994 bis 1998 war Frühwald Mitglied des Rates für Forschung, Technologie und Innovation und von 1999 bis 2007 Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Zahlreiche Arbeiten über Mystik und Frömmigkeitsgeschichte vom Mittelalter bis zur Moderne. Wolfgang Frühwald ist am 18. Januar 2019 verstorben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2007

Eheschließung im Kanonendonner
Lebenswinterlich: Sigrid Damm und Wolfgang Frühwald erzählen exemplarisch vom alten Goethe
Am Nachmittag des 14. Oktober 1806 endete die Schlacht von Jena und Auerstedt, in der die napoleonische Armee das Königreich Preußen vernichtend schlug, vor den Toren Weimars. Die letzten Kugeln sah man von Goethes Garten aus über die Stadt fliegen. Wenige Stunden später begannen mehr als 30 000 Soldaten die 7000 Einwohner der Stadt auszuplündern, Häuser anzuzünden, vereinzelt sogar Frauen zu vergewaltigen. Zwei Nächte und einen Tag stand Weimar am Abgrund. Dass die Stadt nicht komplett niederbrannte, war dem Umstand zu verdanken, dass vollkommene Windstille herrschte und dass kein zufälliger Funke in die Massen preußischen Schießpulvers fiel, das auf den Straßen herumlag.
Auch Johann Wolfgang Goethe geriet in Lebensgefahr. Französische „Löffelgardisten” – so genannt, weil sie ihre Holzlöffel zum Zeichen unstillbaren Hungers am Hut trugen – drangen nachts auf der Suche nach Wein und Essbarem bis in sein Schlafzimmer vor. Was sich dort genau abspielte, wissen wir nicht, weil Goethe sich darüber immer ausschwieg. Doch scheint Christiane Vulpius, die Lebensgefährtin und Mutter seines fünfzehnjährigen Sohnes, sich mit persönlichem Mut bewährt zu haben.
Fünf Tage später heiratete Goethe Christiane. Im Trauring war das Datum der Schlacht von Jena eingraviert. Die Weimarer Damen – Charlotte von Schiller, Charlotte von Stein – wisperten Bösartiges und verweigerten Glückwünsche. Die Allgemeine Zeitung – als publizistische Meinungsführerin im literarischen Leben immer für persönliche Attacken und Racheaktionen zu haben – kommentierte, mit der „unter Kanonendonner” vollzogenen Eheschließung habe Demoiselle Vulpius allein einen Treffer gezogen, „während viele tausend Nieten fielen”. Der Informant der ungenauen Meldung kam aus Weimar, verfasst hatte sie jener Karl August Böttiger, den Goethe im kleinen Kreis nur als „Arschgesicht” bezeichnete.
Der Germanist Wolfgang Frühwald erzählt diese Geschichte in einem nachdenklichen Vortrag über „Goethes Hochzeit”, der jetzt als schönes Insel-Bändchen erschienen ist. Frühwald beschreibt einen Vorgang gelingender Lebensbewältigung. Goethes Lebensumstände waren seit Schillers Tod verdüstert, eine schmerzhafte Nierenkrankheit plagte ihn, Sterbefälle im Umkreis bedrückten den neurotisch Todesscheuen. Die Kriegskatastrophe stellte seine Existenz in Frage. Mit seiner Ehe und ein daran geknüpftes modernes Verständnis von Liebe, Sexualität und Treue – nämlich ihrem Einklang – habe Goethe die Krise überwunden und zu neuem Lebensmut gefunden. Darum schlägt Frühwald den Bogen zu Goethes Erzählgedicht „Tagebuch” von 1810, das lange als obszön verschrieen war, weil es körperliche Details der Sexualität ungeniert benennt; dabei handelt es von bewahrter ehelicher Treue: Der „Meister Iste”, den eine süße Reisebekanntschaft schon zu vollen Prachten erregte, verweigert dann doch seinen Dienst – der Gedanke an die geliebte Ehefrau kommt dazwischen.
Damit habe Goethe die Konzeption einer Ehe veranschaulicht, in der die Luhmannsche „Liebe als Passion” auf Dauer gestellt wird; in der also die obszöne Trennung von Begehren, Sexualobjekt und Liebe aufgehoben ist. Goethes bürgerliches Verständnis von ehelicher Liebe ist das Gegenstück zum Don Giovanni, der in der Generation davor seinen brillanten Höllensturz vollzog. So sind in Frühwalds Augen auch Goethes knappe Verse zum Tod seiner Frau 1816, zehn Jahre nach der Schlacht, ganz glaubwürdig: „Der ganze Gewinn meines Lebens/ Ist ihren Verlust zu beweinen.”
Ein gelingendes Leben
Eine wundervolle Geschichte, die man zu Recht hinter einen tapetenhaft gestreiften Umschlag steckt. Frühwalds klug reflektierte Erzählung zeigt, dass nach Jahren der Textphilologie – spektakulär in Albrecht Schönes „Faust”-Edition – ein altes Interesse an Goethes Biographie wieder erwacht: die Neugier auf ein zwar gefährdetes, aber am Ende gelingendes Leben. Goethe war groß auch als Genie der Normalität, vermutet diese Neugier. Vor hundert Jahren kleidete sie sich in Bestseller, die Titel wie „Goethes Lebenskunst” trugen. Dann kam das Interesse am „pathologischen” Goethe auf, die Psychoanalyse seiner Neurosen und gesellschaftlichen Anpassungsleistungen, die Beschreibung seiner Ängste vor ehelicher Bindung und Tod. Der Preis der Klassizität schien lange Jahre in einem ruinierten Leben zu liegen.
Inzwischen aber sieht man wieder das Positive. Sigrid Damm, die vor zehn Jahren ein präzise dokumentiertes Buch über Goethes Frau Christiane vorlegte, hat sich nun seinem Verhältnis zum Altern und zum Sterben zugewendet. Ihr Buch „Goethes letzte Reise” findet seinen erzählerischen Ausgangspunkt in einem sentimentalen Ausflug, den Goethe zu seinem letzten Geburtstag 1831 mit seinen Enkeln nach Ilmenau unternahm; dort hatte er als Weimarer Geheimrat eines seiner ehrgeizigsten Vorhaben angestoßen und die schlimmste materielle Niederlage seines Lebens erlitten, in dem scheiternden Versuch, ein profitables Bergbau-Unternehmen zu gründen.
Diese in jeder Hinsicht steinige Geschichte erzählt Damm in langen Rückblicken, und daran knüpft sie die Entwicklung von Goethes mineralogischen und erdgeschichtlichen Interessen – ein Spezialgebiet, das der populären Goethe-Liebe eher fernliegt, das Damm aber geschickt und kenntnisreich aufbereitet. Doch natürlich geht es bei dieser „letzten Reise” um viel mehr. Sie führt den greisen Dichter ein letztes Mal auf den Gickelhahn, wo er in einer Jagdhütte sein todesahnendes Gedicht „Ein Gleiches” mit dem Vers „Warte nur! Balde/ Ruhest du auch” in die Bretterwand geritzt hatte. Das Bild des achtzigjährigen Goethe, der, begleitet von spielenden Kindern, seine Jugendverse mit tränenden Augen ein letztes Mal liest, hat schon viele Generationen berührt.
Diese letzte Reise bietet noch mehrere solcher bewegenden Anknüpfungen. Mitgenommen nämlich hat Goethe ein Glas, in das die Namen von Ulrike von Levetzow und ihrer Schwestern eingraviert sind – es war ihm bei seinem letzten böhmischen Kuraufenthalt 1823 von den Levetzows zum Geburtstag geschenkt worden. Damals war Goethe in Leidenschaft zu dem Mädchen Ulrike entflammt, eine Krise, die ihn in schwere Krankheit stürzte, aber auch die Stanzen der „Marienbader Elegie” entband.
Sigrid Damm beschreibt diese Episode als Goethes Eintritt in das Greisenalter; nun war es ihm nicht mehr möglich, das bevorstehende Ende zu verleugnen. Vorher aber kam noch der Tod seines Sohnes August, der vor einer misslingenden Ehe und einem bedrückenden Verhältnis zum Vater nach Italien geflohen war – wieder in den Spuren des Vaters –, wo er in Rom starb. Die Grabschrift, die Goethe selbst formulierte, nannte ihn nicht bei eigenem Namen, sondern nur: Goethe filius.
Der Vater bleibt am Leben, weil er noch den zweiten Teil des „Faust” beenden muss. Musivisch zitierend, im Berichtston meist kahl feststellend, entwickelt Damm halb dokumentarisch, nur gelegentlich die Lücken mit Suggestivfragen füllend, diese enorme Geschichte von Krankheiten, Toden und fortgesetzter Arbeit. „Schwerer Dienste tägliche Bewahrung”, „Mit den Jahren steigern sich die Prüfungen”, „Lange leben heißt viele überleben”, „wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen” – all diese Goethe-Sätze gewinnen neue Wucht in diesem lebenswinterlichen Buch, das den Goethe für die alternde Gesellschaft mit philologischer Umsicht entwirft.
Zuweilen irritieren allerdings stilistische Abstürze, so wenn gesagt wird, junge Mädchen hätten Goethe seit jeher „in Hochform” gebracht; oder wenn, jenseits der Quellen, gemutmaßt wird, Goethe sei von „Erinnerungen bestürmt” worden; gelegentlich füllen Vermutungen auch Lücken, die man durchaus offen lassen könnte: So sei Goethe in sein thüringisches Arkadien gekommen, „um das Gespräch mit der Erde zu führen; ein letztes Mal vielleicht”.
Was Sigrid Damm literarisch vorhatte, das hat eine noch bedeutendere Schriftstellerin, nämlich Natalia Ginzburg, vor zwanzig Jahren in ihrem Meisterwerk über die „Familie Manzoni” geleistet: aus reichen Quellen mit knappen verbindenden Zwischenworten die Geschichte großer Leiden und großer Worte neu zu inszenieren. Hätte man Damm nur etwa fünf Prozent Text weglektoriert, dann wäre sie dem großen Buch Ginzburgs nahegekommen.
Goethe, so schrieb Friedrich Gundolf, gebe es zweimal, als jungen und als alten Goethe. Unsere neubürgerliche Gegenwart schätzt den alten wieder, und das Leben ist ihr wichtiger als die Werke. Wer liest schon die „Wanderjahre”? Dabei wäre beispielsweise in der Novelle „Der Mann von funfzig Jahren” zu erkennen, wie Goethe, dieser angebliche „Zwischenfall ohne Folgen” (Nietzsche), den halben Thomas Mann vorweggenommen hat. GUSTAV SEIBT
WOLFGANG FRÜHWALD: Goethes Hochzeit. Insel-Bücherei Nr. 1294, Frankfurt am Main 2007. 79 Seiten, 11,80 Euro.
SIGRID DAMM: Goethes letzte Reise. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 364 Seiten, 19,80 Euro.
Die Heirat mit Christiane Vulpius (nach einer Zeichnung von Bury) war für Goethe auch eine Antwort auf die weltgeschichtlichen Erschütterungen. AKG/PA
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2007

Goetheana

"Wenn alle Bande sich auflösen, wird man zu den häuslichen zurückgewiesen" - mit diesen Worten vermeldet Goethe seinem im Feld stehenden Herzog Carl August die überstürzte Eheschließung mit Christiane Vulpius im Jahr 1806, mit der er zuvor nahezu zwanzig Jahre in "wilder" Ehe gelebt hat. Vorausgegangen waren dem die dramatischen Ereignisse bei der Plünderung Weimars, nachdem die preußische Armee bei Jena und Auerstedt von Napoleon vernichtend geschlagen worden war. Auch wenn die Quellenlage diffus bleibt: Christiane Vulpius war es wohl, die Goethe in dieser Nacht das Leben gerettet hat, als marodierende Franzosen in Goethes Haus drangen. Gewiss, dieses Ereignis wurde in der Goetheliteratur oft und breit geschildert - man denke nur an das Christiane-Buch von Sigrid Damm -, und doch ist es beeindruckend, was Wolfgang Frühwald daraus macht. Wie er um dieses Ereignis des "panischen Lebensschreckens" herum ein luzides Porträt des alten Goethe entwirft, wie er zentrale Aspekte von dessen Leben und Schaffen, die bekannte Todesphobie etwa oder die Vorstellungen von Ehe und Liebe, in Beziehung zu ihm setzt, nötigt gerade in seiner Leichtigkeit höchsten Respekt ab. Vor diesem Hintergrund wird auch Goethes vermeintlich obszönes Gedicht "Das Tagebuch" aus dem Jahr 1810, das von einem gescheiterten Ehebruch erzählt, von einem Produkt der frivolen Laune zu einem Dokument ehelicher Treue umgedeutet - sinnig erwähnt Frühwald, dass es Goethe Sulpice Boisserée 1815 auf der Heimreise von Heidelberg, unmittelbar nach der Trennung von Marianne von Willemer, vorgelesen hat. Schön, dass es noch Germanisten gibt, die so schreiben können! (Wolfgang Frühwald: "Goethes Hochzeit". Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 2007. 79 S., geb., 11,80 [Euro].) meis

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Angetan berichtet Rezensent Gustav Seibt von Wolfgang Frühwalds "nachdenklichem" Vortrag über Goethes Hochzeit. Der Interpretation dieser späten, von vielen Seiten argwöhnisch betrachteten Eheschließung mit Christiane Vulpius als einem Vorgang "gelingender Lebensbewältigung" kann er sich nur anschließen. Besonders deutlich wird für ihn Goethes für damalige Verhältnisse recht moderne Auffassung der Ehe als einer Beziehung, in der Liebe, Sexualität und Treue im Einklang stehen. Die so verstandene Ehe habe Goethe geholfen, seine Lebenskrise zu überwinden. Für Seibt eine "wundervolle Geschichte", die Frühwald in seinen Augen "klug reflektiert" erzählt.

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»Wie Wolfgang Frühwald ein luzides Porträt des alten Goethe entwirft, nötigt gerade in seiner Leichtigkeit höchsten Respekt ab.« Frankfurter Allgemeine Zeitung