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Minna? Selbst ausgewiesene Wagner-Kenner können mit diesem Namen wenig anfangen. Minna Planer war Richard Wagners erste Ehefrau. Mit ihr war er dreißig Jahre verheiratet, an ihrer Seite hat er alle Werke - von Rienzi bis zum Parsifal - komponiert oder zumindest konzipiert. Und Minna lebt - in Wagners Musik. Sie ist die Senta des Holländers, die Elsa des Lohengrin und die Fricka im Ring. In der Wagner-Literatur ist Minna dennoch über die Rolle einer Haushälterin nicht hinausgekommen. Dabei war sie eine für die damalige Zeit erstaunlich selbständige Frau, eine anerkannte Schauspielerin mit…mehr

Produktbeschreibung
Minna? Selbst ausgewiesene Wagner-Kenner können mit diesem Namen wenig anfangen. Minna Planer war Richard Wagners erste Ehefrau. Mit ihr war er dreißig Jahre verheiratet, an ihrer Seite hat er alle Werke - von Rienzi bis zum Parsifal - komponiert oder zumindest konzipiert. Und Minna lebt - in Wagners Musik. Sie ist die Senta des Holländers, die Elsa des Lohengrin und die Fricka im Ring. In der Wagner-Literatur ist Minna dennoch über die Rolle einer Haushälterin nicht hinausgekommen. Dabei war sie eine für die damalige Zeit erstaunlich selbständige Frau, eine anerkannte Schauspielerin mit Erfolgen von Berlin bis Riga.
Sibylle Zehle ist den Spuren Minna Wagners gefolgt. Es ist der Weg einer jungen, ehrgeizigen Aufsteigerin, die versucht, der Enge ihres Elternhauses zu entfliehen und statt der ersehnten bürgerlichen Sicherheit an der Seite Richard Wagners nichts als die Unsicherheit einer unruhigen - und für sie zerstörerischen - Künstlerexistenz erfährt.
Die Autorin hat zahlreiche Dokumente entdeckt und eine Fülle neuer Fakten ermittelt, die sie zu einem atmosphärisch dichten Porträt zusammenwebt. Die künstliche Welt Wahnfrieds war erst das Werk von Cosima. Sie hat Wagners Leben stilisiert und zensiert - und ihre Vorgängerin unterschlagen. Zum "Meister" passte keine Minna - nicht mal als Erinnerung.
Autorenporträt
Zehle, Sibylle
Sibylle Zehle, geboren 1947, war Redakteurin der "Stuttgarter Zeitung" und der "Zeit". Neben verschiedenen Büchern veröffentlichte sie zahlreiche Artikel zu Wagner-Themen. Sie folgte den Spuren Minna Wagners auf Reisen von Zürich bis Königsberg, von Paris bis Riga und durch Recherchen in öffentlichen und privaten Archiven. Die Autorin lebt am Ammersee bei München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2004

Die Tugend der Tragödin
Sibylle Zehle schreibt eine Biographie über Minna Wagner

Sie war der Star. Alle schwärmten von ihren Augen. Richard Wagners erste Frau Minna Planer feierte als Schauspielerin Erfolge, die den zweiundzwanzigjährigen Magdeburger Kapellmeister köcheln ließen. Er schrieb ihr glühende Liebesbriefe. Getrennt von Wagner seit 1858, erlebte Minna Richards Elend und nicht Richards Glück. Zunehmend kurzatmig und depressiv, rettete sie sich in die Räusche des Opiums, trank Laudanum, das Valium des neunzehnten Jahrhunderts. Aus ihren Augen wich der Glanz. Die Liebesbriefe glossierte sie im Alter bitter und starb mit dreiundfünfzig Jahren. Die Obduktion konstatierte eine "enorme Vergrößerung und Entartung des Herzens".

In Sibylle Zehles Buch über Christiane Wilhelmine Planer, wie Minna mit vollem Namen heißt, lernt der Leser vor allem tausend Details über Richard Wagner. Daß ihn als Kind alle "Amtsmann Rührei" hänselten, daß er beim "Fidelio" heulte und daß er chronisch an Verstopfung litt. Der Leser erfährt einiges, was er vielleicht gar nicht wissen möchte, zum Beispiel über Richards Pickel, dank derer 1834 erste Zärtlichkeiten zwischen ihm und Minna entstanden, als sie ihm in Bad Lauchstädt bei der Pflege einer "Rose" half, die sein aufgedunsenes Gesicht entstellte. Darauf küßte Minna - der Leser ist erneut nur bedingt dankbar für die Details - nach der Abheilung die zurückgebliebenen Bläschen an Richards Lippen. Außerdem maß er nur 1,66 Meter. So groß war der Schatten nicht, in dem Minna stand.

Vor seinem ersten Erfolg mit "Rienzi" gerierte Richard sich als unerträglicher Prahlhans, stets verschuldet durch Spiel und Suff, unterwegs auf der Grenzlinie zwischen Genie und Scharlatan. Die Briefe an seinen Freund Theodor Apel sprechen von dieser Kluft zwischen Selbstbild und Wirklichkeit. Aber wer sich nichts vormacht, hat auch nicht mehr viel vor sich. Wie die Karriere ausging, das ist bekannt.

Wenige kennen die Lebensgeschichte Minnas. Ihre Jugend prägten Völkerschlacht und Armut. Sie half der Familie, erlebte eine entbehrungsreiche Kindheit als ernste, große Schwester mit viel Verantwortung. Mit vierzehn wird sie schwanger, von einem Hauptmann der sächsisch-königlichen Garde. Es war "halb Gewalt, halb Verführung" diktiert Richard später ihrer Nachfolgerin Cosima in die Tagebücher. Sibylle Zehle fügt hinzu: "Es war ein Sommertag." Das Kind jubelte Minna mit Mutters Hilfe dem eigenen Vater unter, verheimlichte dies ihr Leben lang und blieb unfruchtbar. Vielleicht bildeten diese Erfahrungen das Fundament ihrer Karriere als Tragödin.

Richard neidete seiner Frau die Karriere. Minna war vier Jahre älter als er. Er, der Egomane, brauchte sie als bewunderndes Publikum, ihre zahlreichen Gastspiele verstimmten ihn. Er eifersüchtelte und nörgelte, bis Minna die Schauspielerei aufgab und Richard 1836 heiratete. August Röckel machte Richard Ende der vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts mit der Revolution bekannt. Damit begann die langsame Trennung von Minna, die ihm nicht verzieh, daß er für die "gute Sache" seine Stelle als Kapellmeister in Dresden riskierte, mit der er finanziell zum ersten Mal so weit Oberwasser gewonnen hatte, daß er sich von den Schulden befreien konnte. Schulden werden sein Leben bestimmen. Richard praßte zwanghaft. Davon konnte ihn auch die tugendhafte Minna nicht abbringen. Ihre Unfruchtbarkeit und seine Demütigungen, die halb offenen Liebeleien mit anderen Frauen, kamen hinzu.

Sibylle Zehle, Journalistin, schrieb mit der Unterstützung von Jutta Themme eine Biographie, die nicht nur auf die Ehrenrettung Minna Planers zielt. Es sind Nachrichten aus einer Zeit, als die Bühnenbildner "Wald", "Lichtung" und "Straße" noch aus dem Katalog bestellten, als Sänger sich auf eigene Kosten Rüstungen anfertigen ließen, die das Honorar der Komponisten weit übertrafen, und als das Musiktheater noch nicht Schlachtfeld vergreisender Repertoireverwalter, sondern eine Bühne für junge Revolutionäre war. Das Buch überzeugt als Zeit- und Sittenporträt, es stellt sich nicht in die Reihe der Literatur zu Leben und Werk Richard Wagners, die Cosima kanonisierte. Zehle zeigt Minna und Richard ohne Schminke. Nur die rhetorischen Fragen und das blumige Ausmalen von Befindlichkeiten stauen den Lesefluß. Man sollte sich dazu nebenbei die jüngst digital erschienenen Briefe Richards ansehen. Minna war Richards große Liebe. Umsonst versuchte Cosima die Erinnerungen an Minna zu tilgen, indem sie Briefe verbrannte. Die Auslöschung Minnas gelang ihr nicht.

GÖTZ LEINEWEBER

Sibylle Zehle: "Minna Wagner. Eine Spurensuche". Hoffmann & Campe, Hamburg 2004. 573 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

"Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe". Digitale Bibliothek 107. Herausgegeben von Sven Friedrich. Directmedia, Berlin 2004. 51714 Bildschirmseiten, Volltextsammlung, CD-ROM, 45 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2004

Wer war eigentlich die Minna Wagner?
Wenn sie nicht gerade stritten, war’s bei ihnen gemütlich: Sybille Zehles faszinierende Darstellung einer vielfach verkannten Künstlerehe
Nur über Jesus Christus und Napoleon wurden noch mehr Bücher veröffentlicht als über Richard Wagner. Diese ohnehin kaum nachprüfbare Behauptung schreibt ein Wagner-Kommentator schaudernd vom andern ab. Sie lässt sich zumindest auf die Aussage reduzieren, dass die Wagner-Literatur vollkommen unübersehbar sei.
Solche entmutigende Überfülle provoziert Trotz. So fabelhaft lesbar und wichtig alle die Wagner-Bücher von Adorno, Bauer, Borchmeyer, Gregor-Dellin, Gutmann, Wapnewski und, und, und auch sein mögen: ein aufgeschlossener Opern-Freund - vorausgesetzt, dass er Wagners Opern mit Fleiß gehört und des Meisters Kunstschriften nicht links liegen gelassen hat - kommt ganz gut mit Wenigem aus. Nämlich mit der phrasenlosen, hochintelligent zusammenfassenden, 164 Seiten kurzen Analyse von Carl Dahlhaus („Richard Wagners Tondramen”). Außerdem wichtig: das hilfreiche, gewichtige „Wagner Werk-Verzeichnis”. Dazu sollten Interessierte natürlich immer wieder in den unerschöpflichen beiden Bänden der „Cosima”-Tagebücher schmökern. Soeben erschien noch ein hochinformatives, die wohlbekannten biographischen Fakten ergänzendes, trotz mancher Schwächen im letzten Viertel enorm empfehlenswertes Buch: Sybille Zehles Spurensuche: „Minna Wagner”.
Frau Zehle ist nicht Musikologin, wohl aber Menschenkennerin von Rang und treffliche Schriftstellerin. Sie hat die schlimm endenden Szenen einer immerhin 25-jährigen Ehe zwischen Wagner und Minna plausibel, unwiderstehlich, rhythmisch und voller Sympathie für Sonderfälle vorgeführt. So entstand ein respektvolles, Respekt gebietendes Wagner-Buch, ein Frauendenkmal von unaufdringlichem emanzipatorischem Elan, zugleich eine amüsante Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts, wie man dergleichen selten anregender, aufregender, unmittelbarer gelesen hat.
Nicht ohne seine Frau
Dieses Buch wäre relativ arm, wenn es nur sein Ziel erreichte: nämlich die Rehabilitation jener Minna Wagner, geborene Planer, deren Licht der späte Wagner um seines neuen Lebensglückes willen absichtsvoll unter den Scheffel stellte; als er von Ludwig II. gerettet, von Cosima behütet und vom Weltruhm in ein überirdisches Bayreuther Walhall entrückt war.
Sybille Zehle steht zwar eindeutig auf Minnas Seite, unterlässt es dabei aber keineswegs, alle ihr nur erreichbaren, oft staunenswert Entlegenes mitteilenden, phantastischen Fakten offen, unbefangen und mit wachem Sinn für Charakteristisches (Thomas Mann: „Das Charakteristische ist immer erheiternd”) darzubieten. Man kann darum den Text mühelos auch gegen seine Intention lesen. Es finden sich nämlich, schlagend kommentiert, auch zahlreiche Belege für Minnas Schwächen, Ängste, provinzielle Begrenztheiten, „Fehler”. Richard wiederum erscheint keineswegs vorsätzlich verteufelt - etwa was seine spontane und hinreißende Verliebtheit angeht, sein unwiderstehliches Liebes-Bedürfnis schlechthin, seine Frauen-Passion. Der war gewiss egoman - mochte gleichwohl nur mit anderen zusammen glücklich sein, sich freuen, genießen. (S)eine Frau musste immer dabei sein, sonst machten ihm Leben, Bewundern, Glück und Neugier keinen Spaß. Darum lud der chronisch Verschuldete andauernd Freunde nach Hause ein: Zum Wohnen, Zusammensein, Plaudern, Essen und Trinken. Woher das Geld für Nahrungsmittel und Getränke? Das Komponier-Genie war auch ein Pump-Genie. Und die überaus praktische Minna wird’s schon richten. Wenn sie nicht gerade stritten, war’s bei den Wagners gemütlich. Er - stets erinnerungsloser, verrückt momentaner Tannhäuser, aufdringlicher Siegmund und wild verliebter Tristan zugleich - er wusste wohl, was für Leiden seine pathologische Verschwendungssucht und Luxus-Manie bereiteten. Vergaß das freilich gern, wenn neue Erregungen lockten, bereute fabelhaft zerknirscht, argumentierte, rasch erholt, sogleich wieder mit betörender, oft sophistischer Brillanz.
Minna Planer, vier Jahre älter als Richard Wagner, ließ sich blutjung von einem Aristokraten verführen, der sie dann natürlich doch nicht heiratete: 15-jährig bekam sie ihre Tochter. Gab sie lebenslang als ihre jüngere Schwester aus, behandelte Natalie meist verkrampft, schnöde, ungut. Ihre bittere Erfahrung ließ die bald sehr erfolgreiche, hübsche Schauspielerin, Minna Planer, die von großen deutschen Bühnen als „erste Liebhaberin” begehrte Künstlerin, offenbar jene branchenübliche bohemehafte Leichtfertigkeit verlieren, die Richard Wagner maßlos zur Verfügung stand. Sie begehrte vielmehr Sicherheit, Anstand, Geborgenheit, empfand auch nachtragend und verbittert.
Sybille Zehle betont, wie wenig Richard Wagner die keineswegs unbeträchtliche künstlerische Karriere seiner Frau zur Kenntnis oder ernst nahm. Da mag Eifersucht mitgespielt haben. Zudem beseelte den jungen Wagner, wie er 1851 in seiner „Mitteilung an meine Freunde” ausführt, ein Widerwillen gegen das Schauspieltheater. Er empfand eine „gewisse Verachtung, ja einen Abscheu vor dem geschminkten Komödiantenwesen”.
Er heiratete Minna 1836 in Königsberg und vermieste, ja verbot ihr das Theaterspielen, wofür glühende Liebesbezeugungen die junge Frau halbwegs entschädigt haben mögen. Aber dann kam es schlimm. Nicht nur hatte sie ihren Beruf aufgegeben, ihre Rente, ihre gesellschaftliche Stellung, sondern ihr Ehemann erwies sich überall, bei Verwandten wie gemeinsamen Freunden, als rücksichtsloser Schuldenmacher.
Gewiss, seit dem Riesenerfolg des „Rienzi” in Dresden glaubte wohl auch Minna an ihres Ehemanns Genius: Doch was half ihr dieser Glaube, als der plötzlich besessen politisierende „Revolutionär” Richard ins Asyl nach Zürich musste, dort störrisch keine Erfolgsopern mehr schrieb, sondern sich unabsehbar in eine maßlose Tetralogie, den „Ring”, verstrickte, der erst zehn Jahre nach Minnas Tod uraufgeführt werden wird.
Wagner durchschaut das Ungemach seiner Ehefrau. Er weiß wohl, dass sie ihm ihre Jugend geopfert, überängstlich an seinen Erfolgen nur matten Anteil genommen habe, sieht dann später allerdings, während des Exils, geschmerzt in Minna „keine Stütze”. Sie sei ganz und gar modernes Publikum, schimpft Wagner 1852, „es hat oft furchtbares gezänk und ärger gesetzt”. Da gewöhnte sich die verzagte, gehetzte Minna dann an Laudanum und wurde gewiss nicht attraktiver dadurch. Oft genug machte sie ihrem Richard gereizte Vorwürfe, was den einmal heiter zurückgeben ließ, er arbeite passenderweise gerade an der Fricka-Szene (wo dem Göttervater seitens der Gattin eine Standpauke gehalten wird).
Feiner Seelenbund
Wenn Richard sich dann zu einem ganz feinen Seelenbund mit der edlen, steinreichen Mathilde Wesendonck entschließt - auch um in Stimmung für seinen „Tristan” zu kommen - verliert Minna, die währenddessen ihres Ehemanns Hemden bügelt, die ihn zu baden, zu ölen, zu pflegen, zu bekochen hat - die Nerven. Wütend gibt sie nach der Haushaltsauflösung eine, den ganzen Skandal öffentlich machende, Anzeige auf. Kehrt immer wieder zu Richard zurück, der sie nach wie vor (und trotz aller amouröser Eskapaden) wahnwitzig liebt. Dabei hat sie dem Erfolglosen, angeblich spaßeshalber, sogar mal das „Du” verboten! Haben sich die beiden 1858 vermeintlich getrennt, schickt der rasende Richard Minna während einer Woche drei Briefe und fünf Telegramme. Nie hat sie aufgehört, ihn zu lieben, obwohl sie ihren Richard von bösen Anderen für schlecht gemacht, beeinflusst, verdorben hält.
Richard Wagner wiederum äußerte sich immer wieder, und 1851 sogar in einer Publikation, auch kritisch über seine Ehe. Bezeichnete sich andererseits oft genug, und keineswegs nur heuchlerisch-gönnerhaft, an den Leiden seiner Ehefrau schmerzlich als schuldig.
Sein zwanghaftes Geld-Ausgeben wird bei Sybille Zehle erkennbar als Trieb („gewisse Vorgänge in meinem Innern, die ich fürchten muss”). Es ist offenbar zugleich auch eine Vorwegnahme jener Wohlstands-Weltruhmsatmosphäre, auf die er innerlich trotz allem (und ja nicht ganz zu Unrecht) Anspruch erhob. Sein unbewusstes Verlangen nach Lebensdramatisierung durch Exzesse hörte übrigens auch später, in glänzendstem Wohlstand, nicht auf. Mit seinen Bayreuther Festspielen übernahm er sich finanziell so ungeheuer, dass er ein Jahr nach der „Ring”-Uraufführung, 1877, verzweifelt wünschte, „nichts mehr vom Nibelungenring zu hören, und dass das Theater abbrennen möchte”.
Anscheinend benötigte dieser Künstler Verzweiflungen. In den Tagen mit der viel geplagten Minna bedrängte die durch Schuldenmacherei bewirkte Not das Ehepaar Wagner freilich furchtbar unmittelbar, existenziell: „Du hängst an Ruhe und Dauerhaftigkeit der Verhältnisse - ich muss sie brechen, um meinem inneren Wesen zu genügen”, tönte er. Aus Werk-Egoismus ungemein tapfer, nahm er trotz drückender Not keine feste Dirigenten-Position in Zürich an, verweigerte er Dirigate bei schlechten Orchestern, sagte sogar den Wesendoncks, auf deren Unterstützung er weiß Gott angewiesen war, ab, Taufpate ihres Sohnes zu werden. Wagner ließ sich nicht erpressen, nötigen - nicht einmal von Not.
Wer die Werke, die Schriften dieses unfasslich fleißigen Künstlers kennt und bewundert, macht sich nach Sybille Zehles Buch erst ganz klar, welch einer verrückt turbulenten, wüsten Alptraum-Existenz mit ständig sich als notwendig erweisenden Wohnungswechseln, Packereien, Plackereien sie abgewonnen wurden.
Mit seiner Minna gab sich Richard oft munter-albern sächsisch. Das konnte er sich ein Zeitalter später mit der Tochter des großen Franz Liszt und der vornehmen Gräfin d’Agoult nicht mehr herausnehmen: da war er ja auch der „Meister”. Und Cosima trug das ihre dazu bei, Minnas Lebensrolle zu minimieren, wie wenn die erste Frau Wagners nicht eben doch die leidenschaftlichste Liebesbeziehung seines Lebens gewesen wäre.
Allerdings geht Sybille Zehle, die Cosima so scheußlich zu finden scheint wie diese ihre Vorgängerin Minna fand, doch sehr weit, wenn sie grimmig behauptet, nur zu Minnas Zeiten konnte Wagner noch über sich selbst lachen, „eine Eigenschaft, deren er in zunehmendem Alter neben der völlig humorlosen Cosima nach und nach verlustig ging”.
Na ja - die „völlig humorlose” Cosima schrieb 1901 Richard Strauss, der Nietzsches „Zarathustra” vertont hatte, belustigt: „Gott: Nietzsche! Wenn Sie ihn gekannt hätten. Er hat nie gelacht und war immer durch unseren Humor wie überrascht. Dazu Kurzsichtigkeit bis zur Augenblödigkeit; armer Nachtvogel, der an allen Ecken und Enden anstieß, den als Prediger des Lachens anzutreffen, berührt seltsam.” So schreiben völlig humorlose Wesen eigentlich nicht.
Wie dem auch sei - man sieht ein, dass Sibylle Zehle sich mit ihrer Heldin identifiziert. Vermeidbar wären einige Schnitzer gewesen, die in - sicherlich bevorstehenden - Neuauflagen der Korrektur bedürfen. Also: Wotans Tragik bestand nicht einfach darin, dass er ohne weiteres Gesetze brach („der Verträge bin ich nun Knecht”). Das rhythmische Hämmern des Zürcher Schmiedes regte Wagner nicht zu „Siegfrieds Wutausbruch gegen Mime” an, sondern zur Komposition von Mimes charakteristischem Hämmern. Ob der Komponist und Dramatiker Richard Wagner ausgerechnet als „Augenmensch” bezeichnet werden kann, sei leise bezweifelt. Und wenn von „Arien aus ,Lohengrin‘” die Rede ist, zuckt nicht nur ein boshafter Beckmesser zusammen, sondern jeder liebende Wagnerianer. Rasch ändern. Der riesige Rest ist geglückt.
JOACHIM KAISER
SYBILLE ZEHLE: Minna Wagner. Eine Spurensuche. Hoffmann & Campe, Hamburg 2004. 573 S., Abb., 24.90 Euro.
Minna, die Kapellmeistergattin.
Foto: Wilfried Göpel / Aus d. bespr. Band
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Götz Leineweber lobt diese Biografie von Minna Wagner, der ersten Frau von Richard Wagner, als ungeschminkte Darstellung. Auch als "Zeit- und Sittenporträt" überzeugt ihn das Buch der Journalistin Sibylle Zehle, die darin über die Zeit des Musiktheaters berichtet, in der noch nicht "vergreisende Repertoireverwalter" sondern "junge Revolutionäre" das Sagen hatten, wie sie mit einem kleinen Seitenhieb auf heutige Verhältnisse schreibt. Manches, wie Einzelheiten zu Richard Wagners Pickeln, hätte der Rezensent wohl lieber nicht erfahren und auch auf die vielen "rhetorischen Fragen und die blumigen Ausmalungen" der Seelenzustände der Porträtieren hätte er verzichten mögen. Trotzdem lobt er diese Lebensbeschreibung als erhellend, nicht zuletzt, weil sie nicht zu der von Cosima Wagners "kanonisierten" Reihe von Literatur über Richard Wagner gehört.

© Perlentaucher Medien GmbH