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Vor einem Jahr sah es noch so aus, als ob der Zeitgeist grün wäre. Eine missglückte Jamaika-Koalition, eine unangenehme Abstimmung über Stuttgart 21 und einige unglücklich verlaufende Landtagswahlen später ist das Bild widersprüchlicher. Wohin geht es mit einer Partei, deren Stammwähler, meist staatlich besoldete Besserverdiener, langsam ins Rentenalter kommen, und die gegen die Piraten auch sonst ziemlich alt aussieht?

Produktbeschreibung
Vor einem Jahr sah es noch so aus, als ob der Zeitgeist grün wäre. Eine missglückte Jamaika-Koalition, eine unangenehme Abstimmung über Stuttgart 21 und einige unglücklich verlaufende Landtagswahlen später ist das Bild widersprüchlicher. Wohin geht es mit einer Partei, deren Stammwähler, meist staatlich besoldete Besserverdiener, langsam ins Rentenalter kommen, und die gegen die Piraten auch sonst ziemlich alt aussieht?
Autorenporträt
Prof. Manfred Güllner ist Gründer und Geschäftsführer von forsa und Honorarprofessor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.10.2012

Selbstrufmord
Manfred Güllner verhebt sich an den Grünen
Der Verleger Manuel Herder ist offenbar einer, der seinen Beruf wörtlich nimmt. Jedenfalls geben seine Autoren oft an, dass er persönlich sie angeregt habe – auch Manfred Güllner, der nun über die Grünen geschrieben hat: „Herder drängte mich, meine Beobachtungen in einem Buch zusammenzufassen“, schreibt er in seinem Dank am Schluss. Hätte Güllner mal lieber widerstanden. Als Chef des Demoskopie-Instituts Forsa hat der Mann einen Ruf zu verlieren. Hier tut er alles dafür.
  Um die Frage im Buchtitel – „Höhenflug oder Absturz?“ – geht es auf keiner einzigen Seite. Statt dessen will der Autor ernsthaft die These verbreiten, die Grünen seien dabei, die Demokratie abzuschaffen. Er regt sich auf über Tempo-30-Zonen, Bio-Äpfel und „rigide“ Mülltrennung – was er alles zum Beleg dafür nimmt, dass die anderen Parteien meinten, grüne Politik machen zu müssen, um keine Stimmen an die Grünen zu verlieren. Die Folge: „Die große Masse der nicht grünen, ,normal’ arbeitenden Schichten der Gesellschaft fühlt sich vernachlässigt“ – und gehe nicht mehr zur Wahl. Güllner ignoriert, wie viele SPD-Wähler im Zuge der Agenda 2010 zu Nichtwählern wurden. Er beschreibt weder das Hadern vieler Konservativer mit der Merkel-CDU noch die Ohnmachtsgefühle, welche die Finanzkrise ausgelöst hat. Er stellt fest, seit den 1980er Jahren sei die Wahlbeteiligung zurückgegangen, und seit den 1980er Jahren gebe es die Grünen. Voilà.
  Eigentlich kaum vorstellbar, dass sich einer, der von Beruf Statistiker ist, mit solcher „Analyse“ auf den Markt wagt. Es wird aber noch toller. Der einstige Protest der Grünen gegen die Volkszählung war nach Güllners Darstellung schon deshalb unglaubwürdig, weil sie später den elektronischen Einkommensnachweis „Elena“ ohne größeren Protest hingenommen hätten. Wer 1987 gegen die eine Datenerhebung war, hatte 2010 gefälligst auch gegen die andere zu sein? Ach du meine Güte.
  Weiter geht’s. Der Autor hantiert mit Ausdrücken wie „radikalisierter Teil der Mittelschicht“ und „geistige Führer“, gibt selbstverständlich der Versuchung nach, die „grüne“ neben die „braune“ Bewegung zu stellen und endet in dem Schluss, sofern die „grüne Diktatur“ nicht bekämpft werde, „kann auch der zweite Versuch, die Demokratie in Deutschland zu etablieren, gefährdet sein“. Nach dieser Logik kommen Extremisten wegen Mülltrennung an die Macht. Das ist so schlicht, dass es nicht mal wirr ist. Ein klarer Fall von Selbstrufmord. Kommt zum Glück nur alle paar Jahre einmal vor.
DETLEF ESSLINGER
Manfred Güllner: Die Grünen. Höhenflug oder Absturz? Herder-Verlag, Freiburg 2012. 180 Seiten, 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz so schlimm, wie der Meinungsforscher Manfred Güllner es ausmalt, sieht Wolfgang Jäger die Lage dann doch nicht. Eine die Volksparteien aufweichende, demokratiegefährdende "grüne Diktatur" kann er beim besten Willen nicht erkennen. Laut Jäger integrieren sich die Grünen inzwischen recht gut in die repräsentative Demokratie. Das Buch liest er dementsprechend als nicht gerade umsichtig mit Literatur zur Demokratieforschung umgehende Polemik, mit der Güllner an den Grenzen des Seriösen entlangschrammt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2013

Grün, grüner, am grünsten . . .
Manfred Güllner sieht die Demokratie in Deutschland in Gefahr

Der grüne Sieger der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart erklärte seinen Erfolg damit, dass das grüne Denken im Bürgertum der baden-württembergischen Hauptstadt hegemonial geworden sei. Ebendiese These von der Dominanz des grünen Zeitgeistes steht im Mittelpunkt der Streitschrift des Geschäftsführers des Meinungsforschungsinstitutes Forsa, Manfred Güllner. Nach seiner Beobachtung konnte die grüne Partei einen - im Vergleich zu ihrer tatsächlichen Wählerzahl geradezu übermächtigen - Einfluss "auf die politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse wie sonst kaum in einem anderen Land gewinnen".

Die Mehrheitsmeinung der Sozialwissenschaftler, dass die Grünen aus den "neuen sozialen Bewegungen" herauswuchsen, bestreitet Güllner. Stattdessen sieht er als Antrieb der neuen Partei die "Bewegung an sich", die wie in der Weimarer Republik bei Teilen eines radikalisierten Bürgertums eine Revolte gegen die Moderne sein will, mit dem Ziel, das gesamte System zu verändern. Die gesellschaftstheoretisch zugespitzte These übersieht aber doch die große Bedeutung des sozialen Wurzelgrunds der grünen Bewegung. Sie ist ohne die massenhafte und bunte Bürgerinitiativen-Bewegung sowie die vor allem von Wyhl und Brokdorf symbolisierte Anti-Kernkraft-Bewegung und die vom Nato-Doppelbeschluss ausgelöste Friedensbewegung nicht zu denken. Hier entstanden Netzwerke und die für eine erfolgreiche Parteigründung so wichtigen neuen Milieus.

Der Wert des Buches liegt in der Anatomie der grünen Wählerschaft. Ausführlich seziert der Verfasser die Grünen von ihrer Gründung bis heute als Klientelpartei der oberen Bildungsschichten und zunehmend auch der oberen Einkommensschichten. Die Grünen verfügen über ein recht großes Potential an Stammwählern. Waren sie zum Zeitpunkt ihrer Gründung mehrheitlich eine Partei der unter 35-Jährigen, so unterscheiden sie sich im Hinblick auf die jungen Anhänger heute nicht mehr von den etablierten Parteien. Sie laufen sogar Gefahr, zu einer "Ein-Generationen-Partei" zu werden. Von Anfang an dominierten unter den grünen Wählern die Frauen. In Baden-Württemberg finden sich die höchsten Sympathien für die Grünen mit 40 Prozent bei den 30- bis 59-jährigen Frauen. Von Beginn an ordneten sich die Grünen im politischen Spektrum links ein - weiter links als die SPD.

In Deutschland sei eine "die weitere Entwicklung einer lebenswerten und humanen Gesellschaft behindernde Mentalität entstanden", "jedweder Fortschrittsgedanke" sei geächtet "durch die Verteufelung aller der Mobilität der Menschen dienenen Maßnahmen, durch ein generelles Misstrauen gegen Technik und durch ein Lob des Verzichts (sofern er andere betrifft)". Dass die grüne Partei weit über ihr Gewicht im Parteienspektrum hinaus den Zeitgeist dominiere, eine ganze Gesellschaft "ergrüne" und grüne Vorstellungen auch dann noch weiter verbreitet würden, wenn sie sich als "falsch und irrsinnig" erwiesen hätten, führt der Autor auf ihre "Helfershelfer" zurück: effiziente Netzwerke der Bildungsschicht, die Medien, Lehrer und Sozialwissenschaftler. Dabei würde jedoch zu Unrecht der Eindruck erweckt, als ob alle Schichten der Bevölkerung grün dächten. Dieser Eindruck aber habe bei den etablierten politischen Parteien dazu geführt, dass sie von Anfang an grünem Denken kaum Widerstand entgegengesetzt, sondern wesentliche grüne Ziele übernommen hätten.

Und genau darin will Güllner Gründe für eine Gefährdung der zweiten deutschen Demokratie erkennen. Die Übernahme grüner Vorstellungen durch die anderen Parteien bewirke nämlich, dass weite Teile der Bevölkerung ihre Interessen und Probleme nicht mehr in der Politik vertreten sähen. Diese Teile der Bevölkerung reagierten mit Entfremdung von der Politik und Wahlenthaltung in immer größerem Umfang.

Güllners These findet allerdings in der von ihm nur am Rande erwähnten Forschung über die Nichtwähler keinen Rückhalt, wie überhaupt der Autor die Literatur zur Parteien- und Demokratieforschung nur sehr sparsam nutzt. Das Buch lebt von der polemischen Zuspitzung. Es will provozieren. Adressaten sind in erster Linie gar nicht die attackierten Grünen, sondern die Volksparteien, die endlich einsehen sollten, dass sie mit der Übernahme grüner Ziele und durch die Zusammenarbeit mit den Grünen sich selbst und die Republik gefährdeten. Es gelte, die "grüne Diktatur" zurückzudrängen. Letztlich stehen die Eigenprofile und die Integrationsfähigkeit der Volksparteien zur Debatte.

Die Übertreibung geht auf Kosten der Seriosität des Buches. Man kann die Grünen nicht nur an ihrer Ausgangsideologie messen, sondern muss auch ihre Fähigkeit zur Anpassung an die Spielregeln der repräsentativen Demokratie berücksichtigen. Sie sind homogener und pragmatischer geworden, viele genießen in ihren Ämtern die Privilegien des kritisierten Systems. Und das deutsche Volk scheint doch gegen die von Güllner beschworenen Gefahren nicht schlecht gefeit zu sein. Wie könnte man sonst erklären, dass der grüne Wähleranteil trotz des von Güllner ausgemachten dominanten grünen Zeitgeistes deutlich minoritär geblieben ist?

WOLFGANG JÄGER

Manfred Güllner: Die Grünen. Höhenflug oder Absturz? Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2012. 180 S. 16,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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