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Wie normal ist Antisemitismus hierzulande? Beobachtungen, Analysen und Perspektiven: Ein brisanter Bericht aus dem Inneren unseres Landes. Spannend und provokant.

Produktbeschreibung
Wie normal ist Antisemitismus hierzulande? Beobachtungen, Analysen und Perspektiven: Ein brisanter Bericht aus dem Inneren unseres Landes. Spannend und provokant.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.05.2005

Hass und Verschwörungstheorien
Der noch immer und sogar wieder verstärkt auftretende Antisemitismus in Europa und in den islamischen Ländern
Der Wiener Journalist Hans Rauscher gewann im vergangenen Jahr einen Rechtsstreit mit der Neuen Kronen Zeitung: Er hatte auf antisemitische Tendenzen in dem Blatt verwiesen. In seinem Buch befasst sich Rauscher mit der von der EU in Auftrag gegebenen Untersuchung, die ergab, dass es einen „beunruhigenden Anstieg antisemitischer Vorfälle in einigen wichtigen europäischen Ländern” gibt. Rauscher zeigt die „Bandbreite des (antijüdischen) Hasses” in Europa und in muslimischen Gesellschaften. Der Autor bezieht die berüchtigte Rede des ehemaligen malaysischen Premiers Mahatir vom Oktober 2003 ebenso ein wie antijüdische Artikel aus arabischen Zeitungen. Er fragt sich - ohne klares Ergebnis -, ob es sich im letzteren Fall um einen „verordneten Judenhass der Regime” oder um „Volksantisemitismus” handelt. Wegen des Nahostkonflikts wird nicht selten eine „Dämonisierung von Juden” auf den Staat Israel übertragen. Die Einfühlung in beide Seiten des israelisch-palästinensischen Konfliktes könnte helfen, dem Antisemitismus das Wasser abzugraben.
Das Buch des taz-Redakteurs Philipp Gessler enthält alarmierende Nachrichten über Formen der Feindschaft gegen Juden in Deutschland. An manchen Berliner Schulen ist der Begriff „Jude” zum gängigen Schimpfwort geworden. Gessler stellt drei Formen des neuen Antisemitismus vor (den „rechten”, den „muslimischen”, und den „linken”) und verweist auf Parallelen - etwa auf Verschwörungstheorien und den Wunsch nach einem „Schlussstrich”. Die Darstellung des „muslimischen” Antisemitismus bleibt jedoch unbefriedigend. Der Autor erwähnt antijüdische Textpassagen aus dem Koran und solche aus dem christlichen Evangelium und folgert, dass das Denken des Lesers wohl ähnlich negativ beeinflusst werde. Nun lässt sich aber, etwa von Wolfgang Benz, lernen, dass der „christliche” Antijudaismus immer wieder fast rituell bekräftigt wurde durch absurde Anwürfe, die sich über viele Jahrhunderte, zum Teil bis zur Gegenwart, hielten. Für dieses spezifische Erbe des christlichen Europa kann der Islam nicht verantwortlich gemacht werden.
Der israelische Friedensaktivist Michael Warschawski, der gemeinsam mit der Botschafterin Palästinas in Frankreich, Leila Shahid, und dem Journalisten Dominique Vidal in französischen Städten über antijüdischen Rassismus aufklärt, meint, dass sich viele Jugendliche arabischer Herkunft - oft selbst diskriminiert - mit den jungen Palästinensern identifizieren und zugleich jüdische Franzosen mit der israelischen Armee gleichsetzen. Dieser Rassismus sei nicht harmlos, aber etwas anderes als der „neonazistische Antisemitismus”.
Einen guten Einblick in die Diskussion zum Thema „Antisemitismus und Nahostkonflikt” bietet die Zeitschrift israel & palästina. Moshe Zuckermann, Leiter des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv, stellt fest, so wie es den Antisemitismus zu bekämpfen gelte, „so bedarf es auch fortwährender Kritik der ideologischen Vereinnahmung des Abscheus vor dem Antisemitismus und des Shoah-Andenkens”, besonders dann, wenn diese Indienstnahme einer „Politik menschlicher Unterdrückung” diene, und somit die Opfer dazu benutzt würden, eine Realität zu rechtfertigen, die „immer neue Opfer” erzeuge. Der kritische Zwischenruf richtet sich direkt (aber nicht nur) an die Regierung Scharon.
Wolfgang Benz, Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, befasst sich mit antijüdischen Tendenzen in der Mitte der Gesellschaft. Seine Analyse von Zuschriften an den Zentralrat der Juden in Deutschland zeigt den Antisemitismus als stilles Einverständnis der Mehrheit über die Minderheit. Benz belegt, wie langlebig antijüdische Muster sind. So entstand die fixe Idee von der „Weltverschwörung” bereits in der frühen Neuzeit, als der antijüdische Hass noch auf der christlichen Religion basierte. Um danach, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, zu einem zentralen Bestandteil des „modernen”, rassistischen Antisemitismus zu werden - etwa in den gefälschten „Protokollen der Weisen von Zion”, die heute wieder Konjunktur haben - im Internet, in esoterischen Zirkeln, in rechtsradikalen Kreisen und in der islamistischen Propaganda.
Interessant ist Zuckermanns Empfehlung, darauf zu achten, wie sich aus nebelhaften Grauzonen antijüdischer Rassismus entwickelt. Um allen Formen des Rassismus effektiv entgegenzutreten, sind auch positive Gegenentwürfe nötig, wie sie in dem Theodor W. Adorno zugeschriebenen Motto „Ohne Angst verschieden sein können” aufscheinen. Auch hier hilft ein kritischer Zwischenruf, den Blickwinkel zu erweitern: Gessler zitiert die Rabbinerin Elisa Klapheck mit den Worten: „Ich finde das Reden über Antisemitismus problematisch, weil man als Jüdin oft nur über Antisemitismus wahrgenommen wird und das auch nach innen, ins Judentum hinein, wirkt. Ich will aber über das Judentum im Positiven reden.”
MARTIN FORBERG
HANS RAUSCHER: Israel, Europa und der neue Antisemitismus. Molden Verlag, Wien 2004. 247 Seiten, 22,80 Euro.
PHILIPP GESSLER: Der neue Antisemitismus. Hinter den Kulissen der Normalität. Herder Verlag, Freiburg, Basel, Wien 2004. 158 Seiten, 9,90 Euro.
Antisemitismus und Nahostkonflikt. Extra-Ausgabe der Zeitschrift „israel & palästina”(herausgegeben vom Deutsch-Israelischen Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten), Wochenschau Verlag, Schwalbach 2004. 79 Seiten, 7,20 Euro.
MOSHE ZUCKERMANN: Antisemitismus und „Antisemitismus”-Ideologie, in: inamo, Berlin 2004. 5,50 Euro.
WOLFGANG BENZ: Was ist Antisemitismus? Verlag C.H. Beck, München 2004. 272 Seiten, 14,90 Euro.
Eine Wandschrift - bemerkenswerterweise in Deutsch - im polnischen Gdansk.
Foto: Martin Fejér
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Martin Forberg bespricht mehrere Bücher zum Thema Antisemitismus in Europa und in islamischen Ländern. Knapp wendet er sich dem Buch von taz-Redakteur Philipp Gessler zu, mit dem er nicht recht zufrieden ist. Gessler stellt drei Ausformungen von Antisemitismus vor, einen "rechten", einen "muslimischen" und einen "linken", und arbeitet Übereinstimmungen zwischen ihnen heraus, fasst der Rezensent zusammen. So kann er in den verschiedenen Formen des Antisemitismus beispielsweise gleichermaßen "Schlussstrich"-Mentalität und "Verschwörungstheorien" nachweisen. "Unbefriedigend" jedoch erscheint Forberg die Darstellung des muslimischen Antisemitismus, und die Hinweise des Autors auf antijüdische Tendenzen im Koran und im Neuen Testament, von denen er "negative Beeinflussung" ausgehen sieht, greifen nach Ansicht des Rezensenten zu kurz.

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