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Nach seinem hochgelobten Roman "14" legt Jean Echenoz, der eleganteste und subversivste Autor der Gegenwartsliteratur in Frankreich, nun funkelnde, hochkonzentrierte Kurzprosa vor. Der alte Lord Nelson pflanzt eigenhändig Eichen, er, der stets unter Seekrankheit litt, möchte sicherstellen: Seine letzte Ruhestätte soll nicht das Meer sein. In einem Schnapsfass wird dereinst sein Leichnam an Land geschafft werden. Dieses Heldenleben auf sagenhaften sechs Seiten ist der Auftakt der sieben Texte, die an sieben Erzählorten spielen - von Suffolk über das antike Babylon bis zu Le Bourget, einem…mehr

Produktbeschreibung
Nach seinem hochgelobten Roman "14" legt Jean Echenoz, der eleganteste und subversivste Autor der Gegenwartsliteratur in Frankreich, nun funkelnde, hochkonzentrierte Kurzprosa vor. Der alte Lord Nelson pflanzt eigenhändig Eichen, er, der stets unter Seekrankheit litt, möchte sicherstellen: Seine letzte Ruhestätte soll nicht das Meer sein. In einem Schnapsfass wird dereinst sein Leichnam an Land geschafft werden. Dieses Heldenleben auf sagenhaften sechs Seiten ist der Auftakt der sieben Texte, die an sieben Erzählorten spielen - von Suffolk über das antike Babylon bis zu Le Bourget, einem Vorort von Paris. Sie eint der unverwechselbare Echenoz'sche Ton und die Aura von Nonchalance und Ironie, die alle Texte seine umgibt.
Autorenporträt
Jean Echenoz wurde 1947 in Orange (Provence) geboren, er lebt in Paris. Für seinen Roman Ich gehe jetzt wurde er 1999 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Auf Deutsch erschien zuletzt der Roman 14 (2014) sowie der Band Die Caprice der Königin (2016).

Hinrich Schmidt-Henkel, 1959 geboren, arbeitet seit 1988 als Übersetzer für norwegische, französische und italienische Literatur. 2000 erhielt er den Jane-Scatcherd-Preis der Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Stiftung und 2004 den Paul-Celan-Preis des Deutschen Literaturfonds.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016

Die falsche Bravour der Brückenbauer

In diesen Erzählungen steckt das Konzentrat für einen ganzen Reigen von Romanen: Jean Echenoz erweist sich als Großmeister der kleinen Form.

Von Niklas Bender

Mit "14" hat Jean Echenoz 2012 einen wunderbaren Roman zum Ersten Weltkrieg vorgelegt: die "Grande Guerre" als Auflösung eines Liebesdreiecks, als Episode zwischen zwei außerehelichen Idyllen. Diesen augenzwinkernden Stoizismus im Umgang mit der Jahrhundertkatastrophe muss man ihm erst einmal nachmachen. Dem Parforceritt ließ er "Envoyée spéciale" (Sonderbeauftragte) folgen, einen für diesen Schriftsteller ungewöhnlich voluminösen Band, der im Januar in Frankreich erschienen ist und an Echenoz' Liebe für Spionageroman-Persiflagen anknüpft. Zwischen den zwei Großwerken aber gönnte der Meister sich und uns eine Atempause: eine Sammlung von Gelegenheitsarbeiten mit dem Titel "Die Caprice der Königin", die jetzt auf Deutsch erschienen ist. Aber auch hier stimmt jeder Satz, jedes Wort, und manche Geschichte wirkt wie das Konzentrat eines ganzen Romans.

Die Erzählungen sind den verschiedensten Themen gewidmet: Admiral Nelson, einem Schreibambiente in der Bretagne, Herodots Beschreibung des antiken Babylons, dem Werbefoto einer Verstorbenen, der unglücklichen Liebe eines Ingenieurs, der Unterwasserphantasie eines Schriftstellers, drei tristen Ausflügen in den Pariser Vorort Le Bourget. "Nelson" bietet dem Leser von "14" einen vertrauten Einstieg: Der Sieger von Kopenhagen wird als eigenbrötlerischer Restheld präsentiert, dem Schlacht um Schlacht die Körperglieder abhandengekommen sind; abermals greift Echenoz einen historischen Stoff auf, um Idealisierungen leerlaufen zu lassen. Im Vorübergehen entlarvt er die Idee des englischen Gartens als absurd - "der ausgetüftelt ungeordnet wirkende Park" -, wie allgemein Architektur und Raumgestaltung jeder Art eine zentrale Rolle spielen. Sie sind Bilder für die meist vergeblichen Versuche des Menschen, Umwelt und Existenz zu meistern.

Die Erzählungen decken das Universum des Goncourt-Preisträgers (für "Ich gehe jetzt", 1999) in seiner Vielfalt ab: Die Erzählung "Flächennutzungsplan" hat wie bereits "Ein Jahr" (1997) eine Verwahrlosung zum Thema. Nach dem Tod seiner Frau verzehrt Fabre sich nach ihrem Bild, das als Parfümwerbung auf einen Pariser Platz blickt: "Jetzt sieh dir schon deine Mutter an, Fabre war genervt, ihn brachte dieser Anblick zum Weinen oder je nachdem auch in brünstige Wallung. Aber es kam auch vor, dass er eine eheliche Szene suchte, das Abbild geradezu feindselig anging, das seine Vorwürfe als Echo erwiderte." Er entfremdet sich von seinem Sohn und endet in ärmlichsten Verhältnissen, bewohnt allerdings die Wohnung, die vor dem Wandbild gebaut wurde, und kann es mit der "Sorgfalt eines Ägyptologen" freilegen. An Stelle von "Flächennutzungsplan" stand im französischen Original eine weniger interessante Geschichte: Der Leser der schönen Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel ist im Vorteil.

"Nitrox" parodiert - wie "See" (1989) - eine Spionagegeschichte, besser gesagt deren vielversprechenden Anfang: Céleste Oppenheim, attraktiv, leicht bekleidet, steigt in einen Taucheranzug und bricht zu einer Mission auf. Sie verlässt ein U-Boot, schwimmt durch ozeanische Tiefen, kommt zu einer Unterwasserstation - um vom allwissenden Erzähler empfangen zu werden: "Ich bewege mich auf Céleste zu, die mich nicht sofort bemerkt, aber lächelt, sobald sie sieht, dass ich es bin, ich geleite sie in mein Büro, wo ich sie, endlich allein, beglückt in die geöffneten Arme nehme, sie an mich drücke, meine Lippen über das Neopren spazieren lasse, mit umso mehr Genuss, als ich Salzgeschmack sehr mag, das wirft man mir übrigens oft vor, ich salze mein Essen immer maßlos nach." Die Genreerzählung entpuppt sich als Spiel mit literarisch-erotischen Allmachtsphantasien: "Ich bin hier der Chef", sagt der Erzähler und zündet sich eine Zigarette an. Ähnlich die titelgebende Geschichte: Sie entfaltet um den Schreibenden herum ein Panorama, das in einem Ameisenvolk mit dessen launenhafter Königin zu sich findet. In solchen Erzählungen hat man den Eindruck, dass die doppelbödige Distanz ins direkte Versteckspiel mit dem Leser übergeht.

Am meisten berührt freilich "Hoch- und Tiefbau", die längste Erzählung, die auf einem realen Unfall aufbaut. Gluck, ein Ingenieur im Ruhestand, durchreist die Welt auf der Suche nach Beispielen für seinen "Abriss der allgemeinen Geschichte des Brückenwesens". Es ist eine Kapitulation vor der Brücke: "Er mochte darauf verzichtet haben, weiterhin welche zu bauen, musste aber zugeben, dass er nichts kannte als sie, weil er ihnen sämtliche Zeit, sämtliche Aufmerksamkeit gewidmet, weil er alle Fähigkeiten und Gedanken auf sie verwandt hatte." Gluck fotografiert also Brücken, untersucht ihre Umgebung, zieht von einem Hotel zum nächsten. Er wird zum einsamen "Brückensammler", der einem ewigen Mysterium nachforscht: "wie die Brücke das nur macht, wie sie hält, wie sie es anstellt, stehen zu bleiben, wenn Sie hinübergehen". Wie in "Blitze" (2010), einem Roman, der vom elektrischen Leben und Werk Nikola Teslas berichtet, zeigt Echenoz eine technische Welt, die individuelle Tragik verbirgt. Zuvörderst die Isolation: "Je mehr Brücken er sah, desto weniger Leute sah er, und seine Aufgabe verschärfte seine Einsamkeit."

Als Gluck sein Heil in einer Beziehung sucht, nimmt das Unglück seinen Lauf. Nach vorsichtiger Kontaktaufnahme will er die Verehrte am 9. Mai 1980 erstmals treffen, und zwar am Nordende des Sunshine Skyway, einer Brücke, welche die Tampa Bay (Florida) überspannt. Es gewittert jedoch, und auf Grund schlechter Sicht rammt ein Frachter einen Zentralpfeiler; Hunderte Meter Brücke stürzen ab, Dutzende Menschen sterben. Gluck muss mit ansehen, wie seine Verabredung samt Auto versinkt: "Gluck startete den Motor, schlug das Lenkrad ein, rollte von dem Parkplatz und fuhr Richtung Orlando, und sieben Jahre darauf wurde die Brücke erneuert, solider diesmal, mit einem System von fächerförmig angebrachten Halteseilen. Um sie bei jedem Wetter besser sichtbar zu machen, trug man Sorge, sie in einer helleren Farbe anzustreichen: Für ihre siebenhunderttausend Meter Stahlseil verbrauchte man elftausend Liter gelber Farbe." Die Ironie ist so tragisch wie stoisch: Im entscheidenden Moment versagt die Brücke und wird doch nur durch eine weitere, grellere ersetzt. Das ist Echenoz auf dem Höhepunkt seiner Kunst: Leise kratzend lässt er seine Feder über die berstenden Sollbruchstellen unserer Existenz hinwegstreichen.

Jean Echenoz: "Die Caprice der Königin".

Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Hanser Berlin, Berlin 2016. 144 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ingeborg Waldinger hat mit diesen sieben, bereits zuvor publizierten Prosatexten von Jean Echenoz ein Glanzstück französischer Erzählkunst zu annoncieren. Großes Kino ist für sie, wie der Autor mal einen sozialpolitischen Reisebericht aus der Pariser Banlieue, mal eine Impro zur Bilderverehrung und mal ein Lebensbild Nelsons liefert, kurz und treffend. Dass der Autor alle Freiheit hat, erfährt sie bei Echenoz anhand des Umgangs mit Zeit und Raum und Perspektivik. Die sprachliche Eleganz und die Ironie des Autors sorgen dafür, dass Waldinger Echenoz' hin- und herzoomende Sehschule gerne besucht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Jean Echenoz macht immer wieder kleine, kostbare Bücher. ... Wunderbar gestrickte kleine Geschichten, jede davon wäre schon ein Roman. Ich liebe diesen Autor wegen seiner Ironie, seiner Sorgfalt und seiner literarischen Qualität." Elke Heidenreich, SRF Literaturclub, 05.04.16