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Ist er ein gutes Stück mit ihm gelaufen, dann hat der Fuß den Schuh zerbeult. Doch auch der Schuh kann dem Fuß zusetzen und ihm Blasen aufdrücken. Wolfgang Schivelbuschs Buch handelt vom wechselseitigen Verhältnis des Menschen zu den Dingen, das man als endlose Wiederholung von Schöpfung, Gebrauch, Konsum und Zerstörung verstehen kann. Schivelbusch verfolgt die Symbiose von Mensch und Ding in der Geschichte der Ideen und der Wissenschaft. Dabei gelangt er zu so überraschenden wie elementaren Einsichten über die Grundlagen unserer Zivilisation und der daraus entstandenen Volkswirtschaften - und…mehr

Produktbeschreibung
Ist er ein gutes Stück mit ihm gelaufen, dann hat der Fuß den Schuh zerbeult. Doch auch der Schuh kann dem Fuß zusetzen und ihm Blasen aufdrücken. Wolfgang Schivelbuschs Buch handelt vom wechselseitigen Verhältnis des Menschen zu den Dingen, das man als endlose Wiederholung von Schöpfung, Gebrauch, Konsum und Zerstörung verstehen kann. Schivelbusch verfolgt die Symbiose von Mensch und Ding in der Geschichte der Ideen und der Wissenschaft. Dabei gelangt er zu so überraschenden wie elementaren Einsichten über die Grundlagen unserer Zivilisation und der daraus entstandenen Volkswirtschaften - und erweist sich als einer der originellsten Historiker unserer Zeit.
Autorenporträt
Schivelbusch, WolfgangWolfgang Schivelbusch, geboren 1941 in Berlin, Historiker, Literaturwissenschaftler und Publizist, lebt nach vielen Jahren in New York wieder in Berlin. 2013 erhielt er den Lessing-Preis der Stadt Hamburg. Bei Hanser erschienen zuletzt: Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945-1948 (1995), Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalismus und New Deal. 1933-1939 (2005) und Das verzehrende Leben der Dinge. Versuch über die Konsumtion (2015).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Offenbar haben wir es hier mit einer Kulturkirtik ungeheuren Ausmaßes zu tun. Ganz ergriffen resümiert Hannes Hintermeier dieses erste Buch des Privatgelehrten und Kulturhistorikers Wolfgang Schivelbusch seit zehn Jahren, das einem inzwischen 73-Jährigen gemäß die Geschichte der Konsumtion als eine der apokalyptischen Zuspitzung zu erzählen scheint. Im Zeitalter des Aristoteles, so erfahren wir, befanden sich Produkt und Schöpfer noch auf Augenhöhe, spätestens seit der industriellen Revolution aber entwickeln sich Maschinen zu jenen Ungeheuern, die die Arbeiter verschlingen. Und den Konsumenten ergeht es kaum besser. Dabei scheint Schivelbusch gewohnt gelehrt und assoziativ und also äußerst anregend zu schreiben, betont Hintermeier, der allenfalls eine breitere Reflexion über die heutige Sphäre des Internets und des Digitalen vermisst.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2015

Von der Erde und vom Traum des Willens
Wolfgang Schivelbuschs Studie „Das verzehrende Leben der Dinge“ ist Bildungsroman der Arbeit und Kaleidoskop der Kulturgeschichte zugleich
Philosophieren mit Biss, keiner hat das so konsequent betrieben und so konkret wie der alte Hegel. „Es ist die Sache so vorgestellt“, schreibt er in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. „Es sind da draußen Dinge an sich, aber ohne Zeit und Raum; nun kommt das Bewusstsein und hat vorher Zeit und Raum in ihm als die Möglichkeit der Erfahrung, so wie, um zu essen, es Mund und Zähne usw. hat als Bedingungen des Essens. Die Dinge, die gegessen werden, haben den Mund und die Zähne nicht, und wie es den Dingen das Essen antut, so tut es ihnen Raum und Zeit an; wie es die Dinge zwischen Mund und Zähne legt, so in Raum und Zeit.“
  Auch Wolfgang Schivelbusch ist ein Kulturhistoriker mit Biss. Ihn interessieren nicht die geläufigen Kategorien und Epochen, die lehrbuchgerechte Geschichte der Ideen und Visionen, er schneidet quer durch sie hindurch. Ein „Versuch über die Konsumtion“ ist sein neues Buch „Das verzehrende Leben der Dinge“, und mit diesem Begriff sprengt er lustvoll – quasi von innen – die Kulturgeschichte auf und setzt sie aus den Splittern kaleidoskophaft neu zusammen. Mit den Vorstellungen von Verzehr und Verbrauch kommt eine neue Dialektik ins Denken der Welt, eine neue Beziehung von Subjekt und Objekt, eine neue Vorstellung von natürlichen – Atem, Elektrizität, Spirit – und gesellschaftlichen Prozessen und vom Handeln an sich und seiner Intention – gleich zu Beginn werden wir erinnert: „Miltons Satans und Goethes Mephisto sind Vernichtungskräfte, die das Gute hervorbringen, indem sie das Böse anstreben.“
  Konsumtion, das ist der klassischen Definition nach der Verbrauch, die Einverleibung, die Vernichtung natürlicher und fabrizierter Objekte, aber es werden nicht nur diese Objekte im Prozess der Konsumtion affiziert, sondern auch das Subjekt, das sie konsumiert – das Konsumieren ist ein Vorgang der Interaktion, und deren vielfältigen Momenten spürt Wolfgang Schivelbusch in kleinste Details nach. Sie beginnt bereits in der Alltäglichkeit, mit der wir Gegenstände gebrauchen, von der Hamsun schreibt (und die Schivelbusch ähnlich reflektiert findet in einer Briefstelle bei Flaubert oder im berühmten Bild „Schuhe“ von van Gogh, das Heidegger existenzialistisch deutete): „Etwas von meinem eigenen Wesen war in diese Schuhe übergegangen, sie wirkten auf mich wie ein Hauch gegen mein eigenes Ich, ein atmender Teil von mir selbst.“
  „Die Produktion ist unmittelbar Konsumtion, die Konsumtion ist unmittelbar Produktion“, hat Karl Marx geschrieben, dem die Lust am pointierten Paradox immer wieder in kühne Erkenntnisklarheit führte – und der Satz klingt echohaft durch die Windungen und Wendungen von Schivelbuschs Buch. Mit dem Ineinander von Produktion und Konsumtion erklärt Marx alle menschlichen Aktivitäten – die physischen wie die psychischen – und die gesellschaftlichen und geschichtlichen Bewegungen, die sich aus ihnen ergeben. Arbeit und Leben, Produktion und Geschichte als Stoffwechsel. In allem Produktiven, Aufbauenden steckt immer auch etwas Destruktives. Schöpferische Zerstörung.
  Der klassische Produktionsbegriff, auf den die Ökonomie bis heute so gern rekurriert, der von Adam Smith, kann diese komplexen Prozesse nicht fassen. Er ist anthropozentrisch, der Mensch ist hier das Subjekt der Produktion, der Arbeit. Mit Marx muss man dagegen auf den physiokratischen Produktionsbegriff zurück, und der ist physiozentrisch konzipiert. Die Natur ist der einzig reale Produzent. En passant kippt Wolfgang Schivelbusch die Vorzeichen, mit denen große Konzeptionen und Philosophien behaftet sind, und plötzlich sind die Physiokraten entschieden moderner und dynamischer als das enge, lebensferne Konstrukt der Ökonomen um Adam Smith. Die Physiokraten denken Landwirtschaft als „manufacture d’institution divine“, und „Mirabeau der Ältere, von dem diese Definition stammt, hätte ebenso den Acker als eine Maschine zur Herstellung von Getreide bezeichnen können.“ Nietzsche führt das weiter: „Wir sind Ackerland für die Dinge.“ Auch Adam Müller mit seiner „Romantischen Ökonomie“ wird reaktiviert: „Sein reaktionäres Weltbild machte ihn nicht blind, sondern schärfte im Gegenteil seinen Blick für jene Elemente und Kräfte, der Moderne, die außerhalb des liberalen Spektrums lagen.“ Wenn er über die handwerklichen Arbeitsprozesse schreibt, tritt die Liebe in Aktion, als Element einer produktiven Dialektik. Die wiederum eine Abwandlung des Pygmalion-Effekts ist, der den tätigen Menschen im von ihm geschaffenen Objekt eine Erweiterung seines Ichs empfindet.
  Das Ich freilich hat als dominante Kategorie von Philosophie und Ökonomie – seit Aristoteles, Descartes, Kant – ausgespielt in den Vorstellungen von Produktion und Konsumtion. Automaten, Maschinenmenschen, Frankensteins Monster ramponieren die Individualität des Menschen. In der durchmechanisierten Arbeit sieht Marx einen „gewaltigen Organismus“. Beim Marx-Zeitgenossen Lorenz von Stein stößt Schivelbusch auf Begriffe wie Verbrauchskraft oder Güterleben – der Gebrauch eines Objekts wird hier vorgestellt wie eine Art Duell, bei dem der Gebrauchende den Widerstand des Objekts abarbeiten muss.
  Es ist wahrlich ein „Bildungsroman der Arbeit“, den Wolfgang Schivelbusch hier skizziert, der von Heraklits Feuerkonzept und alchimistischen Modellen – „Fäulnis als Tod und Übergang der Materie in einen höheren Zustand“ –, von der christlichen Vorstellung von Passion und Abendmahl hinführt zu der Arbeit des Lichts in den Prozessen der fotografischen Abbildung. Es ist ein kraftvoll dialektisches Buch, das den Menschen von seiner Verpflichtung zur Produktivität, der selbstverschriebenen Zwangsrolle zur Beherrschung der Welt entlastet. In Gaston Bachelards Buch „La terre et les rêveries de la volonté“ findet Schivelbusch eine glückliche Formel: „Deutlicher als mit der Erwähnung des Aktes der pénétration matérielle . . . lässt sich die erotische Seite der Konsumtion nicht aussprechen.“
FRITZ GÖTTLER
  
  
  
Wolfgang Schivelbusch: Das verzehrende Leben
der Dinge. Versuch über die Konsumtion. Carl
Hanser Verlag, München 2015. 190 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2015

Die Gegenwart des Gegenstands

Tragen wir Schuhe? Oder tragen die Schuhe uns? Eine spektakuläre Studie des Historikers Wolfgang Schivelbusch erforscht die symbiotische Beziehung der Menschen zu den Dingen, die sie benutzen

Welche ungeheuren Kräfte wirken zwischen Ich und Ding, das wird jedes Mal beim Kauf neuer Schuhe deutlich: Der Stiefel oder Sneaker im Geschäft fühlt sich klobig an, lässt sich nur mit Hilfe eines Schuhlöffels anziehen, und die Vorstellung, dass sich dieses sterile Industrieprodukt, bestimmt für jeden erdenklichen Fuß, einmal in etwas Eigenes verwandeln könnte, ist kaum möglich.

Doch der Gegenbeweis steht direkt neben dem Karton: der ausgetretene, rissige Schuh (vielleicht sogar das gleiche Modell), in dem man das Geschäft betreten hat. In der spezifischen Art der Abnutzung - den schiefgelaufenen Absätzen, den Falten an der immergleichen Stelle - erkennt man mit leichtem Erschrecken fast eine Art Spiegelbild. "Etwas von meinem eigenen Wesen war in diese Schuhe übergegangen", sagt der Ich-Erzähler in Knut Hamsuns Roman "Hunger" einmal beim Blick auf seine Stiefel.

Diese so unsichtbare wie massive Transformation steht am Beginn des neuen Buchs von Wolfgang Schivelbusch, "Das verzehrende Leben der Dinge" - ein "Versuch über die Konsumtion", wie es im Untertitel heißt. Aber was genau bedeutet Verbrauch? Bei Nahrungsmitteln vollzieht sich dieser Prozess, zumindest für den äußeren Betrachter, rasch und eindeutig, die Materie löst sich im Akt des Verzehrs auf. Aber was ist mit Gegenständen, die ihren Träger zwar lange begleiten, aber sich langsam verwandeln und anpassen? "Findet ein mikroskopischer Transfer vom benutzten Objekt auf den Benutzer statt?", fragt Schivelbusch.

Schon Lukrez versuchte sich darüber klarzuwerden, warum harte Stoffe wie das römische Straßenpflaster durch ständige Berührung weich und glatt werden. In der Apparate- und Maschinenwelt der Moderne mit ihren Bedienungsarmaturen zeigt sich dieses Phänomen an etlichen Stellen. Die Tasten des Kopiergeräts im Büro oder die Druckknöpfe im Aufzug: In ihrer Mitte hat sich mit den Jahren eine kleine Mulde gebildet, als Spur des kollektiven Gebrauchs. Die einzelne Berührung mag flüchtig und folgenlos erscheinen; als Teil einer endlosen Serie gräbt sie sich langsam in das so unveränderbar wirkende Material ein.

Bei einem "Versuch über die Konsumtion" mag der Leser zunächst an eine Analyse oder ein Traktat über die zeitgenössische Warenwelt denken. Schivelbusch korrigiert diese Annahme schon in den ersten Sätzen. Ihn interessieren nicht allein die Objekte des Konsums, sondern - ausgehend von der etymologischen Herleitung des Wortes ("consumere" heißt "verzehren") - das "physische Zusammentreffen" von Ich und Ding. "Konsumtion" wird in einem elementaren philosophischen Sinn verstanden, als Theorie der Beziehung von Subjekt und Objekt.

Akte der Einverleibung sind dabei nicht nur in der einen, erwartbaren Richtung denkbar: Der Mensch drückt den Gegenständen zwar den Stempel des Gebrauchs auf, aber es ist genauso gut die entgegengesetzte Bewegung möglich. Was passiert etwa in jenen Monaten und Jahren, in denen sich ein standardisiertes Industrieprodukt in ein eigenes verwandelt? Wer hat hier wen "eingetragen" und gefügig gemacht? Wir den Schuh - oder der Schuh uns?

Was Schivelbusch interessiert, ist vor allem diese Verschmelzung von Subjekt und Objekt, ihre wechselseitige "Penetration", wie er mit einer Formulierung des französischen Wissenschaftshistorikers Gaston Bachelard sagt. Er schlägt vor, den bekannten ökonomischen Kategorien des "Gebrauchswerts" und "Tauschwerts" eine dritte hinzuzufügen: den "Assimilationswert". Dieser müsste "anzeigen, wie viel Energie die Assimilation des Objekts den Konsumenten kostet".

Die These des Buchs, die in den unterschiedlichsten Epochen und wissensgeschichtlichen Kontexten immer wieder freigelegt wird, ist dabei die Beobachtung, dass dem Prozess des Verbrauchs selbst eine schöpferische Dimension zukommt, dass also "Produktion nichts anderes ist als die Konsumtion der zuvor in sie eingespeisten Stoffe und Kräfte".

Diese Dialektik des Verbrauchs entdeckt Wolfgang Schivelbusch in Galens physiologischem Diktum, dass "aus dem Kampf des Körpers mit der Nahrung der Körpersaft Blut hervorgeht", wie in der alchimistischen Vorstellung von Fäulnis als Medium der Veredelung, im Konstruktionsprinzip der Dampfmaschine, die Brennstoff in Arbeitskraft verwandelt, wie in der ökonomischen Theorie der Physiokraten Mitte des 18. Jahrhunderts, in der allein die "verdauende" Natur, ein wohlgedüngter Acker, als Produzentin von Waren gilt und die Schivelbusch als moderne Volkswirtschaftslehre rehabilitiert, in der die automatisierte Produktionsweise des Industriezeitalters, der "gewaltige Organismus" der Fabrik, wie Marx sagte, schon vorgeprägt sei. Die Einverleibung, der Konsum der Dinge, ist also nicht das Ende einer Kette, sondern der Anfang von Kreisläufen und Transformationen: im physiologischen, physikalischen, ökonomischen und auch religiösen Sinne (man denke an die Hostie des Christentums).

Beim Lesen dieses so schmalen wie dichten Buchs, das innerhalb einer halben Seite vom Geist-Begriff der Bibel zur Herausbildung des "Sauerstoffs" in der Chemie Lavoisiers führt oder von Edmund Burkes Konzept des Erhabenen zur Typologie des Monströsen im frühen 19. Jahrhundert, stellt sich immer wieder eine bestimmte Frage: Gibt es so etwas wie das Alterswerk eines Wissenschaftlers? Für die Künste ist diese Kategorie seit Adornos Essay über den "Spätstil Beethovens" etabliert und auf andere Bereiche wie die Literatur und die Malerei übertragen. Die Werke eines alternden Komponisten oder Dichters zeichnen sich diesen Analysen zufolge durch die Widerständigkeit gegenüber klassischen ästhetischen Kategorien aus; sie ermangeln der Konsistenz, der klaren Prägung des Stoffes durch ein schöpferisches Subjekt und sind, mit den vielzitierten Worten Adornos, "nicht rund, sondern durchfurcht, gar zerrissen".

Was ließe sich demgegenüber zum Spätstil Schivelbuschs sagen, jenes berühmten Historikers und Verfassers von kulturgeschichtlichen Standardwerken über die Eisenbahnreise, die Genussmittel oder die elektrische Beleuchtung? Nach längerer Pause hat er mit 73 Jahren diese Studie veröffentlicht (und bescheiden "Versuch" genannt), und womöglich sind Alterswerke von Wissenschaftlern genau vom entgegengesetzten ästhetischen Ehrgeiz beseelt. Nach einem Forscherleben im Dienst des verstreuten Materials, das eine sekundäre, eher trübe Autorschaft hervorbringt, im Hintergrund der zitierten und kompilierten Quellen, bricht am Ende die Sehnsucht nach Konsistenz und eigener Stimme durch. Und wenn Goethe oder Beethoven, ein Leben lang als Originalgenies verehrt, ihre letzten Werke nur noch als Sekretäre des vorhandenen Stoffes ausbreiten, beginnen die bedeutendsten Wissenschaftler im Alter, die Verbindungslinien zwischen Material und Eigenem zu verschleiern. Das Spätwerk von Gaston Bachelard, Michel Serres oder Roland Barthes lässt diese Tendenz erkennen, und auch Wolfgang Schivelbusch, den man ohne Zweifel in dieser Gesellschaft nennen darf, tut das mit diesem Buch.

"Das verzehrende Leben der Dinge" ist das Kondensat einer Gelehrtenexistenz, dessen Autor nicht mehr wie früher mit vielen randständigen Funden eine begrenzte Zeit bearbeitet, sondern die Geschichte der Assimilation von Subjekt und Objekt anspielungs- und voraussetzungsreich durch zweieinhalbtausend Jahre Ideengeschichte verfolgt: von Aristoteles bis Heidegger, von den Atomisten bis zur Quantenphysik. Gleichzeitig liefert das Buch, als Negativbild, auch einen Hinweis auf die gegenwärtige deutsche Universitätskultur. Denn es ist sicher kein Zufall, dass dieser enzyklopädische Ehrgeiz nur von jemandem bewerkstelligt werden konnte, der, wie er in der Danksagung schreibt, ein Leben lang "akademischer Außenseiter" war.

Wolfgang Schivelbusch hat seit den Siebzigern als freier Forscher in den Vereinigten Staaten gelebt, ohne Einbindung in den deutschen akademischen Betrieb. Und wo dieser Betrieb seit vielen Jahren hauptsächlich das Textformat "Antrag" kennt, das stets auf die Zukunft berechnet ist und tatsächliche Forschung in einer Art kollektivem Exposé-Rausch kontinuierlich verschiebt, hat Schivelbusch jahrzehntelang das getan, was man von einem Wissenschaftler seiner Disziplin erwartet: in den Archiven gesessen, gelesen und geschrieben.

ANDREAS BERNARD

Wolfgang Schivelbusch: "Das verzehrende Leben der Dinge. Versuch über die Konsumtion". Hanser, 192 Seiten, 19,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"'Das verzehrende Leben der Dinge' ist das Kondensat einer Gelehrtenexistenz, dessen Autor nicht mehr wie früher mit vielen randständigen Funden eine begrenzte Zeit bearbeitet, sondern die Geschichte der Assimilation von Subjekt und Objektanspielungs- und voraussetzungsreich durch zweieinhalbtausend Jahre Ideengeschichte verfolgt." Andreas Bernard, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 05.04.15

"Schivelbusch schreibt gelehrt und glänzend zugleich, er zwingt entfernte Wissensgebiete so elegant unter das Dach seines Denkgebäudes, dass man die Anstrengung nicht merkt. ... Wer Selbstvergewisserung sucht über die Gesellschaft, in der wir leben, dem steht hier ein Handbuch zur Verfügung." Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.03.15

"Bildungsroman der Arbeit und Kaleidoskop der Kulturgeschichte zugleich". Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung, 10.03.15

"Eine klare Konsumempfehlung für dieses Buch!" Katharina Schenk, Philosophie Magazin, 03/15