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Philippe Jaccottet ist eine der großen Stimmen der europäischen Poesie und 2014 durch die Aufnahme in die Bibliothèque de la Pléiade zum Klassiker geworden. "Sonnenflecken, Schattenflecken" umfasst Aufzeichnungen aus der gesamten Zeit seines Schaffens, von den Anfängen im Frankreich der 1950er Jahre bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts: poetische Fragmente im Sinne der Romantiker, Naturbeobachtungen, Reflexionen zum eigenen Leben, zu Literatur, Malerei und Musik. Es sind Texte, die dieses Lebenswerk wunderbar zusammenfassen - das Selbstporträt eines großen Dichters in seiner Zeit.

Produktbeschreibung
Philippe Jaccottet ist eine der großen Stimmen der europäischen Poesie und 2014 durch die Aufnahme in die Bibliothèque de la Pléiade zum Klassiker geworden. "Sonnenflecken, Schattenflecken" umfasst Aufzeichnungen aus der gesamten Zeit seines Schaffens, von den Anfängen im Frankreich der 1950er Jahre bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts: poetische Fragmente im Sinne der Romantiker, Naturbeobachtungen, Reflexionen zum eigenen Leben, zu Literatur, Malerei und Musik. Es sind Texte, die dieses Lebenswerk wunderbar zusammenfassen - das Selbstporträt eines großen Dichters in seiner Zeit.
Autorenporträt
Philippe Jaccottet, 1925 in Moudon/Waadtland geboren, 2021 im südfranzösischen Grignan/Drôme gestorben, wurde für sein umfangreiches Werk u.a. mit dem Petrarca-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. 2014 wurde sein Gesamtwerk in die Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen. Auf Deutsch erschienen zuletzt Der Unwissende (Gedichte und Prosa, 2003), Truinas, 21. April 2001 (2005), die Anthologie Die Lyrik der Romandie (2008), Notizen aus der Tiefe (2009), Sonnenflecken, Schattenflecken (2015) und Die wenigen Geräusche (Späte Prosa und Gedichte, 2020).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2015

Dem Unglück nicht den ganzen Platz überlassen
Dichter des Lichts: "Sonnenflecken, Schattenflecken" versammelt unveröffentlichte Notate von Philippe Jaccottet aus der Zeit von 1952 bis 2005

Mit einem drastischen Vergleich hat der junge Philippe Jaccottet den Anachronismus der Poesie, der er gleichwohl sein ganzes Leben widmen sollte, auf den Punkt gebracht. Gedichte, schrieb er, "stellen eine Herausforderung dar für eine Epoche, in der bloß zählt, was in sehr großen Zahlen gemessen wird; einen Gedichtband aufschlagen heißt, sich mit einer Kerze Klarheit verschaffen zu wollen, wenn die Wasserstoffbombe schon voll gezündet ist". Dass Philippe Jaccottet, dessen so leises und filigranes poetisches Werk tatsächlich manchmal wie bei Kerzenlicht, öfter jedoch wie unterm ersten Licht der Frühe oder dem letzten Licht des Abends geschrieben scheint, jetzt die seltene Ehre einer Pléiade-Ausgabe zu Lebzeiten zuteilwurde (was in Frankreich die Aufnahme eines Dichters in den Kanon klassischer Literatur bedeutet), wirkt ermutigend. Die Poesie hat also gegenüber der entfesselten Romanproduktion, die so gern nach der großen Zahl - Bestsellerlisten, Verfilmung - hechelt, noch eine echte Chance. (Der Preis der Leipziger Buchmesse für den Lyriker Jan Wagner, auch er alles andere als ein lauter Autor, ist ein weiterer Beleg dafür.)

Obwohl etliche Werke Jaccottets früh in Friedhelm Kemps (manchmal etwas preziöser) Übertragung auf Deutsch erschienen ("Elemente eines Traums", 1968, "Spaziergang unter den Bäumen" 1981), nahm man den Dichter aus dem Schweizer Waadtland, den die Franzosen längst für sich vereinnahmt hatten, in Deutschland erst wirklich wahr, nachdem ihm 1988 der Petrarca-Preis verliehen wurde. Damals rühmte Peter Handke in seiner Laudatio auf Jaccottet diesen als "Diener der sichtbaren Welt" und umschrieb dessen Dichtung als "ein Gewährenlassen, Zur-Geltung-Bringen und In-Schwebe-Halten: der Räume, der Dinge, der Stille und vor allem des uns umgebenden Lichts". Leicht ließe sich denn auch aus Jaccottets Werk eine Art Licht-Anthologie komponieren, in der nicht nur die unendlichen Facetten des sichtbaren Lichts versammelt wären, sondern ebenso die des verborgenen und inwendigen Lichts, jenes philosophischen Lichts Hölderlins, das für den Hölderlin-Übersetzer Jaccottet, der auch die Hölderlin-Pléiade-Ausgabe besorgt hat, die Dinge von innen zum Leuchten bringt und erst ,wahr' macht.

Wie bezeichnend für Jaccottet, dass er noch in den Büchern Dostojewskijs jene "lichten Augenblicke" hervorhebt, die "nicht weniger wahr sind als die finstersten". Immanent ist Jaccottets "lichtwärts" gerichtete Poetik ein eindringliches Plädoyer zur Verteidigung unserer Erde und auch dafür, "dass diese Stätte trotz allem verdient, dass wir sie rühmen". Kein anderer Gegenwartsdichter und vielleicht kein Dichter seit Rilke hat sich so leidenschaftlich dem Rühmen verschrieben wie Jaccottet (den an Rilke allerdings stört, dass ihm "alle Naivität fehlte"). Einmal imaginiert Jaccottet in einem Prosastück ein Liebespaar: "Nur zwei Schatten, die fürchten mussten, jeden Augenblick sich aufzulösen oder zu trennen, und die fast ohne es zu wissen dieses Leuchten eines beharrlichen, eines hartnäckigen Ja in sich trugen." Dieses Ja bleibt bei Jaccottet freilich immer ein gefährdetes, die ,Positivität' dieses Dichters, die auf Apokalyptiker auch aufreizend wirken mag, ist nie selbstsicher, sie zittert.

Philippe Jaccottet, der stets auf Übereinstimmung von Leben und Werk insistiert hat, notierte in seinen "Carnets 1954 - 1979": "Nicht im Schreiben liegt die Schwierigkeit, sondern darin, so zu leben, dass das zu Schreibende ganz natürlich entsteht", und zustimmend zitierte er Paul Celan: "Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht." Müsste über Jaccottets Leben und Werk ein für beide gültiges Motto stehen, so böte sich kein besseres an als das Wort Simone Weils: Der Abstand ist die Seele des Schönen. So wie Jaccottets Poesie ganz aus der Anschauung kommt und zu Dingen und Menschen, statt sie zu vereinnahmen, Abstand hält, ging der Dichter stets auch auf Abstand zum Literaturbetrieb, zu literarischen Trends und zu allem, was Zeitgeist heißt.

Als er 1946 von Lausanne nach Paris zog, verfiel er dort weder dem Existentialismus à la Sartre und Camus noch dem Surrealismus von Cocteau und Konsorten und auch nicht der poésie engagée, die damals Hochkonjunktur hatte (sein Poem auf ermordete Résistance-Kämpfer verwarf er bald). Und schon 1953 kehrte Jaccottet Paris den Rücken und zog, frisch verheiratet mit der Schweizer Malerin Anne-Marie Haesler, nach Grignan in der nördlichen Provence. Die Distanz zum Zentrum war bewusst gewählt. Jaccottet, der bis zum heutigen Tag in Grignan lebt, entschied sich gegen Paris und für ein Leben auf und mit dem Land. Dem Vorwurf, er habe sich für den Rückzug in Idylle und Bukolik und gegen die ,harte Realität' entschieden, erwidert er, "als ob die Geschichte meines Nachbarn hier nicht ausreichte, fast alles über den Schmerz zu erfahren". Nein, dieser Dichter wurde kein Eskapist, aber er verordnete sich ein anderes Maß.

Während die meiste zeitgenössische Literatur, sogar die Lyrik, von Tempo und Tumult der Großstädte bestimmt wird und deren zerrissenes Lebensgefühl spiegelt, herrscht in Jaccottets Werk das Maß der Verlangsamung, des Innehaltens und der Beruhigung, soll man sagen: das Maß der provenzalischen Landschaft, der sich Jaccottet, ein anderer Cézanne, nahezu täglich neu aussetzte, um sie in Sprache zu übersetzen. Der leidenschaftliche Spaziergänger wurde dabei zum Pilger nach jener Ewigkeit, die sich im Alltäglichen, in jedem Stein oder Scherben, jedem Baum oder Bach, jedem Lichteinfall oder Vogelruf offenbart, aber auch in der mühseligen Existenz derer, die seit langem mit und von dieser Erde leben. Vor dieser Landschaft verbietet sich alles Artifizielle, jedes Blendwerk einer ,originellen' Metaphorik. Auch fordert sie, alles Vorgewusste zu vergessen, programmatisch hat Jaccottet eines seiner Bücher "Der Unwissende" betitelt. Es genügt die gesteigerte Aufmerksamkeit des Dichters, der sagt, was er sieht - und durch das Gesehene hindurch ahnt. Nicht nur den Cézanne-Vergleich legt Jaccottets Werk nahe, sondern auch den mit Giorgio Morandi, dem der Dichter eines seiner schönsten Bücher gewidmet hat. Darin feiert er Morandis Stillleben als mönchische Meditationen, in denen die unauffälligen Dinge des Alltags zu "Denkmälern" erhoben werden, "etwas wie Stelen aus Luft".

Zu Jaccottets Werk zählen neben seinen Übersetzungen aus fünf Sprachen vor allem auch seine "Carnets", die der Dichter lebenslang, auch in Phasen des dichterischen Verstummens, führte. Sie enthalten, vergleichbar den Skizzenbüchern eines Malers, flüchtige Impressionen, Prosa- und Versfragmente, Reisenotizen, Randnoten zu Lektüren und sind für Jaccottets Werk ähnlich bedeutsam wie die "Cahiers" Paul Valérys für dessen Werk. Im Gegensatz dazu werden die "Carnets" allerdings nie zum journal intime, auch ist Valérys Lust am Geistreichen so wenig Jaccottets Sache wie politische Stellungnahmen (wenn auch seine Aufzeichnungen von einer Reise ins Heilige Land seine Sympathie für die Palästinenser nicht verhehlen).

Bisher nie gedruckte Carnet-Notate aus der Zeit von 1952 bis 2005 haben jetzt die beiden mit Jaccottet seit langem befreundeten Übersetzer Elisabeth Edl und Wolfgang Matz, die den Ton des Dichters wunderbar genau treffen, unter dem Titel "Sonnenflecken, Schattenflecken" herausgebracht. Wieder lässt sich hier Jaccottets "unerschütterliche Treue zum Wesentlichen" bewundern, zu Naturerscheinungen ebenso wie zu den Dingen des Alltags, zu Musik, Bildern und Büchern (Jaccottets Lesepensum ist enorm und reicht von Dante, Meister Eckhart und Leopardi über Robert Walser, Schestow, J. C. Powys und Mandelstam bis zu Christine Lavant und vielen anderen). Doch auch seine hartnäckigen Selbstzweifel verstummen nie. Überraschend, wie entschieden er sich von Autoren abgrenzt, die eher als ihm ,verwandte' gelten, etwa von René Char, oder wie polemisch er die Spezies französischer Hölderlin-Ausleger attackiert, denen er die Schuld gibt, dass Hölderlins Werke nun "mit technischen, wissenschaftlichen, philosophischen Begriffen überzogen sind wie mit Krätze". Es sind Dichter wie Zbigniew Herbert oder Jan Skácel, denen Jaccottets uneingeschränkte Sympathie gilt und die ihn in der Meinung bestärken, "dass nur oder fast nur die Dichter aus dem Osten es verstehen, vom Schmerz in einem richtigen und wahren Ton zu sprechen, ohne Rhetorik, ohne Pathos, aber auch ohne sinnlose Brutalität".

Philippe Jaccottet, der ein Leben lang seiner Maxime treu blieb, "dass man dem Unglück nicht den ganzen Platz überlassen darf", und für den "ein Buch nicht existiert, wenn es nicht auf die eine oder andere Weise erleuchtend ist", feiert heute in Grignan seinen neunzigsten Geburtstag.

PETER HAMM

Philippe Jaccottet: "Sonnenflecken, Schattenflecken".

Aus dem Französischen von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Carl Hanser Verlag, München 2015. 272 S., br., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2015

Dem Wind zuvorkommen, bevor er bläst
Gerettete Aufzeichnungen: Zum 90. Geburtstag des Schweizer Dichters Philippe Jaccottet bietet ein neuer Band Einblicke in das Schreiben dieses Klassikers zu Lebzeiten
Könnte man mit einem Radiergummi schreiben, so wäre es das ideale Arbeitswerkzeug für diesen Autor. Auswischen, kaum steht etwas da – nicht, weil die Worte falsch, sondern weil sie immer schon zu stark sind. Philippe Jaccottet ist der vielleicht leiseste unter Europas großen Gegenwartsdichtern. Dennoch findet er als einer der ganz Wenigen sein Werk zu Lebzeiten schon in der französischen Klassikerbibliothek La Pléiade bei Gallimard. Seit der Schweizer sich in den frühen Fünfzigerjahren aus Paris ins südfranzösische Dorf Grignan zurückzog, pflegt er das, was er in den hier nun vorliegenden Aufzeichnungen einmal seine „Kunst zu fliehen, zu schweigen, fernzubleiben“ nennt. Heute wird er neunzig Jahre alt.
  Der neue Band „Sonnenflecken, Schattenflecken“ bietet Einblicke in über sechzig Jahre des Schreibens, Lesens, Wahrnehmens. Dass das Sein der Dinge dort wahrnehmbar wird, „wo am wenigsten Poesie im formalen Sinne ist“, davon war der im waadtländischen Moudon Geborene Jaccottet schon früh überzeugt. Kaum hatte er seine Pariser Verlagslektorentätigkeit aufgegeben, setzte er diese Überzeugung 1953 mit seinem ersten wichtigen Buch „L’Effraie“, einer Gedichtsammlung im Flüsterton, im eigenen Schaffen um. Umberto Saba, Jan Skácel, Yves Bonnefoy, Ossip Mandelstam sind für ihn Beispiele solchen Dichtens, in dem das Poetische sich über das Unscheinbarste in die Sprache hineinschleicht wie in Mandelstams Gedicht aus dem Jahr 1921, das mit dem Vers „Nachts, vorm Haus, da wusch ich mich. . .“ beginnt. Keine starken Bilder, keine surrealistische Überspanntheit, keine gesuchte Vieldeutigkeit.
  Jaccottets Distanz gegenüber denen, die er manchmal abschätzig als „Phrasendrescher“ – immerhin: Albert Camus, François Mauriac, André Gide – und „Sprachfrömmler“ abtut, macht ihn jedoch nicht zum mürrischen Einsiedler. Dagegen steht neben seiner sanften Umgänglichkeit auch die Paralleltätigkeit des Übersetzens, die er seit jungen Jahren mit Hingabe ausübt. Seine Verbindung mit Giuseppe Ungaretti ging auf das Jahr 1946 zurück. Aus dem Deutschen übersetzte er vor allem Rilke, Hölderlin und Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Seine Gesprächspartner aus der Literatur hießen Francis Ponge, Paul Celan, Yves Bonnefoy.
  In den drei Dutzend erschienenen Einzelwerken und Sammlungen sind die Grenzen zwischen den Genres fließend. Verse wechseln ab mit Prosadichtungen, Lesekommentaren, Landschafts- oder Bildbetrachtungen – etwa zu Giorgio Morandi in „Der Pilger und seine Schale“ – sowie mit Meditationsstenogrammen, bis hin zum Haiku. Immer spürt man die Sorge dieses „Sichtbarkeitsdieners“, wie Peter Handke ihn einmal nannte, so einfach wie möglich bei der Wahrnehmung der Dinge zu bleiben und weder in Abstraktion abzugleiten, noch sich vom anekdotisch Konkreten in den Bann ziehen zu lassen. „Keine abschließenden Folgerungen ziehen“, notierte Jaccottet 1963, „nur sagen: in einem bestimmten Augenblick habe ich das gesehen – die reine, offene, leichte Welt; in einem anderen, die purpurn gefärbte Welt; in noch einem anderen, wenn sie verfault und Grauen dich überkommt. Weiter nichts“.
  Diese Zurücknahme des Subjekts bestimmt auch die essayistischen Arbeiten und die editorischen Projekte, die Jaccottet gelegentlich in Angriff nahm wie etwa jene vorzügliche zweisprachige Anthologie „Die Lyrik der Romandie“ von 2008, in der er unter anderen seinem Vorbild Gustave Roud huldigte. Sein unerhört weit gespannter Blick auf fremde Werke, ferne Dinge, mitunter aktuelle Ereignisse war in den frühen Jahren manchmal sarkastisch, ist mit der Zeit aber fast milde geworden und behält doch eine anregende Schärfe.
  Auch bei den größten Dichtern dringe fast immer ein „Übermaß an Kompliziertheit“ ins Werk, notierte Philippe Jaccottet einmal: die scholastische Struktur bei Dante, das Barocke bei Paul Claudel, Satanismus bei Baudelaire, ein bizarrer Spiritualismus bei Rilke. Er selbst wollte „nichts anderes sein als ein Mensch, der seinen Garten gießt und, auf diese einfachen Arbeiten bedacht, diese Welt in sich eindringen lässt, die er nicht lange bewohnen wird“. Immerhin sind es erfreulicherweise nun schon neunzig Jahre.
  Die hier vorgelegten Aufzeichnungen sind das, was Jaccottet vor drei Jahren aus seinen rund dreißig Notizheften noch aussortiert hat, bevor er diese der Vernichtung anheimgeben wollte. Die drei Bände seiner Carnets „Fliegende Saat“ waren zuvor ebenfalls schon daraus geschöpft. Damit ist das Werk dieses Autors auch auf Deutsch – wo nicht komplett, so doch sehr überzeugend abgerundet, besorgt von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz, zwei ausgezeichneten Kennern. Dass der Dichter beim Scheiden von Spreu und Weizen dem Wind noch zuvorkommen wollte und selber Hand anlegte, bezeugt die Größe eines Mannes, der bis zuletzt kein Wort zu viel gesagt haben will.
JOSEPH HANIMANN
Philippe Jaccottet: Sonnenflecken, Schattenflecken. Gerettete Aufzeichnungen 1952-2005. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Carl Hanser Verlag, München 2015. 272 Seiten, 22,90 Euro.
Jaccottets Schreibideal gleicht
einem Radiergummi: Er will kein
Wort zu viel gesagt haben
Philippe Jaccottet 2008 im Literaturhaus Zürich.
Foto: Picture-Alliance/KEYSTONE
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als vielleicht "leisesten unter Europas Gegenwartsdichtern" rühmt Rezensent Joseph Hanimann Philippe Jaccottet, dessen bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen aus den Jahren 1952 bis 2005 nun als Pleiade-Ausgabe erschienen sind. Angetan lauscht der Kritiker den Tönen des Schweizer Lyrikers, der in den brillant übersetzten Notaten Einblicke in über sechzig Jahre Lesen, Schreiben, Wahrnehmen gewährt. Hanimann schwelgt in den Landschafts- und Bildbetrachtungen, etwa zu Giorgio Morandis "Der Pilger und seine Schale", verliert sich in poetischen "Meditationsstenogrammen" und Lektüre-Notizen zu Yves Bonnefoy oder Ossip Mandelstam und amüsiert sich nicht zuletzt über geringschätzige Urteile, etwa zu Albert Camus oder Andre Gide, die ihm als "Sprachfrömmler" erscheinen. In Jaccottets Schriften fällt nicht ein Wort zuviel, schwärmt der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Jaccottet ist, im besten Sinne, ein altmodischer Dichter, in den Klassikern ebenso bewandert wie in den Modernen, ein Asket des Schreibens, in dessen Leben sich alles, vom Rückzug ins ländliche Grignan bis zu seinen Äusserungen in Interviews, auf Klarheit und "Richtigkeit" richtet." Milo Rau, Neue Zürcher Zeitung, 30.06.15

"Könnte man mit einem Radiergummi schreiben, so wäre es das ideale Arbeitswerkzeug für diesen Autor. Auswischen, kaum steht etwas da - nicht, weil die Worte falsch, sondern weil sie immer schon zu stark sind. Philippe Jaccottet ist der vielleicht leiseste unter Europas großen Gegenwartsdichtern." Joseph Hanimann, Süddeutsche Zeitung,30.06.15

"Der Ton des Dichters wird von den Übersetzern wunderbar genau getroffen." Peter Hamm, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.06.15

"Zweifel gegenüber der Tauglichkeit der Sprache, daneben die eigene Poesie, die diese Zweifel gleichzeitig ausräumt: Das ist die grossartige und bereichernde Spannung in diesem Buch." Beda Hanimann, St. Galler Tageblatt, 10.06.15

"Dieses Buch stellt nicht weniger als eine poetische Sensation dar und wurde nach seinem Erscheinen in Frankreich entsprechend gewürdigt." Volker Strebel, Am Erker, 01.06.2015

"In solch permanentem Nachdenken über die Schönheit der Welt und die geeignetste Weise, sie zum Ausdruck zu bringen, kann der Band als ideale Einladung gelten, dieses bedeutende Werk (Jaccottets) kennenzulernen." Eberhard Geisler, Neue Zürcher Zeitung, 05.05.15…mehr