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Charisma ist eine archaische Kraft: ein Mensch verkörpert die Hoffnung auf eine bessere Welt. In der Politik dagegen hat sie einen zweifelhaften Ruf, weil charismatische Führer ihre Länder oft genug ins Unglück gestürzt haben. Kann aber eine Demokratie mit Politikern funktionieren, die nur nüchterne Techniker der Macht sind? Helmut Schmidt verkörpert eine beruhigende Zuverlässigkeit, Petra Kelly machte die Themen der Grünen zu den Themen aller, und mit Marina Weisband wäre die Geschichte der Piraten vielleicht anders verlaufen. Julia Encke zeigt in ihrem ungewöhnlichen Gang durch die jüngste…mehr

Produktbeschreibung
Charisma ist eine archaische Kraft: ein Mensch verkörpert die Hoffnung auf eine bessere Welt. In der Politik dagegen hat sie einen zweifelhaften Ruf, weil charismatische Führer ihre Länder oft genug ins Unglück gestürzt haben. Kann aber eine Demokratie mit Politikern funktionieren, die nur nüchterne Techniker der Macht sind? Helmut Schmidt verkörpert eine beruhigende Zuverlässigkeit, Petra Kelly machte die Themen der Grünen zu den Themen aller, und mit Marina Weisband wäre die Geschichte der Piraten vielleicht anders verlaufen. Julia Encke zeigt in ihrem ungewöhnlichen Gang durch die jüngste Geschichte, dass unsere Demokratie erstarren könnte ohne Charismatiker, die die Bürger für Politik begeistern.
Autorenporträt
Encke, JuliaJulia Encke, geboren 1971 in Celle, studierte Neuere deutsche Literatur, Romanistik und Komparatistik in Freiburg, Toulouse und München. 2001 bis 2005 arbeitete sie als Feuilletonredakteurin der Süddeutschen Zeitung in München. Seit Sommer 2005 gehört sie der Feuilletonredaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin an, wo sie auch lebt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.04.2014

Heißes Herz, kühler Kopf
In Deutschland gilt das Charisma als Risiko, als Einfallstor des Populismus –
Julia Encke plädiert in ihrem Essay „Charisma und Politik“ für mehr Leidenschaft in der Demokratie
VON JENS HACKE
Leidenschaft oder Charisma sind nicht unbedingt naheliegende Begriffe, um das gegenwärtige politische Führungspersonal der Bundesrepublik oder benachbarter europäischer Demokratien zu beschreiben. Sicherlich, die kulturkritische Klage über Technokratie, das Regime des Sachzwanges und die Politikverdrossenheit ist über die Jahre derart konstant geblieben, dass man darin schon wieder ein stabilisierendes Element der repräsentativen Demokratie sehen kann. Immerhin erscheint friedliches Desinteresse und der bürgerliche Rückzug ins Private verträglicher als ein Übermaß an politischer Leidenschaft. Doch gerade der müde Bundestagswahlkampf 2013 rief schmerzlich in Erinnerung, dass nicht Parteiprogramme, sondern in erster Linie politische Führungsfiguren Mobilisierung und Integration bewerkstelligen. Was nützt die zutreffende Einsicht, dass viele gesellschaftliche, fiskalische und sozialpolitische Fragen der Klärung bedürfen, wenn Persönlichkeiten fehlen, die anstehende Aufgaben zu ihrer Sache, mithin ernstzunehmende Alternativen für den Bürger sicht- und wählbar machen.
  Welche Eigenschaften muss ein Politiker mitbringen, um „die Menschen draußen im Lande“ (H. Kohl) zu erreichen? Wann lässt sich in der Sphäre des Politischen wirklich von Charisma sprechen? Die Kulturjournalistin Julia Encke macht diese Fragen zum Ausgangspunkt eines ebenso geistreichen wie unterhaltsamen Essays, der eine wichtige Einsicht Max Webers noch einmal ins Zentrum stellt: Charisma entsteht nur im Wechselspiel politischer Begabung und gesellschaftlicher Umstände. Es ist nichts, das antrainierbar oder auszubilden wäre, wie die Ratgeberliteratur zur Persönlichkeitsoptimierung suggeriert, sondern bildet sich in einer Konstellation aus atmosphärischen Bedingungen, psychosozialen Stimmungen und kollektiven Sehnsüchten.
  Für Encke gibt es keinen Grund mehr, sich vor politischen Charismatikern zu fürchten. In aufgeklärten demokratischen Gesellschaften sind die Chancen für populistische Menschenfänger gering. Ein Blender von der Harmlosigkeit eines Karl Theodor zu Guttenberg verschwindet von der Bildfläche, nicht nur weil er der Hochstapelei überführt, sondern weil schnell klar wurde, dass er politisch keine substanzielle Botschaft zu versenden hatte. Sein Appeal beruhte auf zur Schau gestelltem adligem Manierismus und den Trivia inszenierter Homestorys, denen eine politische Öffentlichkeit zunächst auf den Leim ging. Enckes Analyse dieses Charisma-Bluffs zählt zu den besten Passagen eines an Einsichten reichen Buches.
  Zum positiven Exempel politischen Charismas kürt die Autorin Barack Obama. Wenn sich die Hoffnungen an politische Inhalte und Überzeugungen knüpfen, die der amerikanische Präsidentschaftskandidat glaubwürdig verkörperte, dann werden Kräfte aktiviert, die den politischen Alltag transzendieren. Freilich bleibt das Charisma eine fragile und vergängliche Ressource, deren Veralltäglichung zur Entzauberung führt. Es verblasst, sobald die politischen Ergebnisse keinen Vergleich mehr mit den einst geweckten Erwartungen aushalten. Der Charismatiker hat nicht nur „das gewisse Etwas“; er muss in der Lage sein, die ihm verfügbare politische Energiezufuhr virtuos zu nutzen – in manchen Fällen für Entscheidungen, die gegen die kurzfristigen Interessen der Wähler und das Kleinklein der Interessenverbände durchsetzbar werden. Ein solches charismatisches Momentum attestiert die Verfasserin Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die innen- und außenpolitische Weichenstellungen – Agenda 2010, Kosovo-Einsatz, Irak-Krieg – wirkungsvoll zu Charakterfragen stilisierten. Allerdings bieten die rotgrünen Veteranen ein Exempel dafür, wie rasch sich jedes Charisma mit dem Amtsverlust verflüchtigen kann. Anders als der Alterscharismatiker Helmut Schmidt, dessen noch so unsinnige Äußerungen über China und Russland stets auf Gehör stoßen, haben die Achtundsechziger ihren Nimbus als elder statesmen mit dem übergangslosen Wechsel in die Wirtschaft rapide verspielt.
  Es scheint also, wie Schmidts Verwandlung vom ersten Angestellten der Republik zum Orakel von der Elbe nahelegt, neben dem politisch-dynamisierenden Charisma eines Führungspolitikers auch eine nachträgliche, durch geschichtliche Erfahrung beglaubigte Charismatisierung zu geben. Sie hat freilich weniger mit politischer Leidenschaft als mit musealer Verehrung zu tun, die einen Kontrast zur profanen Gegenwart inszeniert. Ob jede Personalisierung von Politik gleich mit dem Charismabegriff befrachtet werden muss, daran lassen Enckes Ausführungen zur Grünenpolitikern Petra Kelly und Piratin Marina Weisband zweifeln. Zwar stilisierte sich Kelly zur Jeanne d’Arc der Friedensbewegung, aber ihr Eingesponnensein in eigene Ängste und ihre leidenschaftliche monothematische Fixierung führte sie ins Abseits. Und war Weisband nicht eher eine Medien-Sternschnuppe als ein charismatisches Phänomen?
  Enckes Plädoyer für mehr Leidenschaft in der Politik, ihre Positivierung des Charismabegriffs ist durchweg sympathisch. Man möchte ihr darin zustimmen, dass Begeisterung und Emotionalisierung ihren Platz verdienen in einer Demokratie, die genügend Möglichkeiten für kritische Kontrolle bietet. Aber die charismatische Flaute der Gegenwart ist vermutlich auch zeittypischen Vermeidungsstrategien geschuldet, keine politische Polarisierung zuzulassen und klaren Alternativen auszuweichen. Eine Konsenskultur nimmt Abstand von Charismatikern, vermeidet rhetorische Volten, überspielt Krisen und fährt auf Sicht. Der politische Visionär, dem der Alterscharismatiker Schmidt bekanntlich den Gang zum Arzt empfahl, taugt kaum als Erlösungshoffnung. Politiker erlangen charismatische Statur nur dann, wenn sie für Inhalte eintreten, die in einer lebendigen Bürgergesellschaft auf Resonanz stoßen. Dann kann mit „Leidenschaft und Augenmaß“ (M. Weber) gestritten werden. Mit Julia Encke sieht der Leser künftigen Vitalisierungsschüben der Demokratie freudig und intellektuell gerüstet entgegen.
Charisma lässt sich nicht
antrainieren, es ist für die
Ratgeberliteratur unerreichbar
Charisma ist eine fragile und vergängliche Ressource: Barack Obama spricht, Kalifornien 2013.
Foto: afp
  
  
  
  
Julia Encke: Charisma und Politik. Warum unsere Demokratie mehr Leidenschaft braucht. Carl Hanser Verlag, München 2014. 176 Seiten, 17,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Voller Freude nimmt Jens Hacke die Erkenntnisse seiner Feuilletonkollegin Julia Enckes zur Brust, denenzufolge Charisma nur im Zusammenspiel mit politischer Kompetenz und Begabung sowie gesellschaftlichen Umständen entsteht. Zu sehen am Beispiel des Herrn zu Guttenberg und positiv an Obama, wie Hacke bei Encke lernt. Was die Kulturjournalistin ferner mit Max Weber in ihrem Essay erkundet, scheint dem Rezensenten unterhaltsam, vor allem lehr- und beispielreich (Joschka Fischer kriegt auch sein Fett weg). Wie rasch sich Charisma verflüchtigen kann, erfährt Hacke hier auch. Die insgesamt positive Sicht auf das Phänomen gefällt ihm, und die Hoffnung, Charisma möge eines Tages wieder in der Politik eine Rolle spielen, teilt er mit der Autorin.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein ebenso geistreicher wie unterhaltsamer Essay (...) Mit Julia Encke sieht der Leser künftigen Vitalisierungsschüben der Demokratie freudig und intellektuell gerüstet entgegen." Jens Hacke, Süddeutsche Zeitung, 14.04.14

"Julia Encke hat sich auf die Reise durch die bundesrepublikanischen Charisma-Landschaften begeben (...) Das ist klug beobachtet, amüsant geschrieben und gibt eine Idee davon, wie sehr Politik von Verblendungen und dem Bedürfnis nach Pathos dirigiert wird. Am Ende ist es aber auch ein Plädoyer für mehr politische Leidenschaft." Harry Nutt, Frankfurter Rundschau, 29.03.14

"Man liest mit Vergnügen, wie Encke die Verallgemeinerungen abräumt und den Blick auf Webers eigentliche Idee freimacht. Charisma ist eben mehr als nur das gewisse Etwas, das man hat - oder eben nicht." Philip Grassmann, Der Freitag, 13.03.14

"Ein packendes Buch, das nicht nur für jeden in einem politischen Amt ein "Must Have" ist, sondern jedem Leser den Blickwinkel auf Demokratie vergrößern kann." Cellesche Zeitung, 13.09.14