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Ist es wirklich so schwer, Vater zu sein? Der eine Teil der Gesellschaft wünscht ihn schwächer, der andere stärker. Kein Wunder, dass es viele Männer inzwischen dankend ablehnen, eine Familie zu gründen und Vater zu werden. Aus der historischen Vogelperspektive liefert Dieter Thomä, unter den Philosophen der Spezialist für Familienfragen, neue Argumente für die immer noch aktuelle Debatte über gutes und schlechtes Vatersein. Allen Vätern und jenen, die noch Väter werden könnten, empfiehlt er Gelassenheit. Denn die Schlachten um das Familienoberhaupt sind geschlagen.

Produktbeschreibung
Ist es wirklich so schwer, Vater zu sein? Der eine Teil der Gesellschaft wünscht ihn schwächer, der andere stärker. Kein Wunder, dass es viele Männer inzwischen dankend ablehnen, eine Familie zu gründen und Vater zu werden. Aus der historischen Vogelperspektive liefert Dieter Thomä, unter den Philosophen der Spezialist für Familienfragen, neue Argumente für die immer noch aktuelle Debatte über gutes und schlechtes Vatersein. Allen Vätern und jenen, die noch Väter werden könnten, empfiehlt er Gelassenheit. Denn die Schlachten um das Familienoberhaupt sind geschlagen.
Autorenporträt
Dieter Thomä, geboren 1959 in Heidelberg, ist Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. Zuvor arbeitete er als Redakteur beim Sender Freies Berlin. Er schreibt regelmäßig für Die Zeit, die NZZ und andere Zeitungen und Zeitschriften. Bei Hanser ist erschienen: Väter. Eine moderne Heldengeschichte (2008) und (mit Vincent Kaufmann und Ulrich Schmid) Einfall des Lebens. Theorie als Autobiographie (2015).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.10.2008

Kinder gehören der Republik
Neue Bücher über die alten Schwierigkeiten des Vater-Seins
Schaut man sich die Verlagsprospekte dieser Tage an, dann können einem die Väter nur leidtun. Wer nur irgend schreiben kann, versucht sich am Väterthema, verspricht Orientierung oder jongliert mit den verschiedenen Rollen. Vladimir Kaminer gibt in seinem neuen possierlichen Erzählungsband den überfordert-gutmütigen Papa, einen ungeschickten Doofi, den man einfach gernhaben soll; Christian Ankowitsch kupfert ziemlich schamlos ein amerikanisches Erfolgsbuch ab, in dem Papas beigebracht wird, wie sie die besseren Pfadfinder werden, mit Zaubertricks, Knotenschule und Listen der besten Kinderfilme. Und mit „Hilfe wir sind schwanger. Das Kopfkissenbuch für werdende Väter” gibt es nun endlich auch das Buch für den co-schwangeren Mann. Auch auf die Bühne wird der Vater allerorten gezerrt. Mirko Borscht lässt in „Opferpopp” einen Vater ans Kreuz schlagen, die „Elenden Väter” aus Tom Peuckerts gleichnamigem Stück fragen ratlos: „Was ist aus diesem Geschlecht geworden?”. Und in Franz Wittenbrinks „Vatertag” sitzen vereinzelte Väter ihre melancholische Ratlosigkeit aus. Soll man nun strenge Autoritätsperson sein? Oder Raufkumpel? Muss man kochen können? Und wie kriegt man Beruf und Familie unter einen Hut?
Gleichstellung sieht anders aus
Auf diese Frage versucht der Politiker Robert Habeck sich in seinem Buch zu beschränken. Habeck ist Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein. Als man ihn im vergangenen Jahr in den Bundesvorstand wählen wollte, lehnte er mit dem Argument ab, er könne doch nicht erst Kinder zeugen und sich dann aus dem Staub machen. Dieses Bekenntnis zur Vaterschaft gibt dem Autor eine Art street credibility. Habeck ist Vater von vier Jungen und schreibt mit seiner Frau Andrea Paluch zusammen Romane und Kinderbücher. In „Verwirrte Väter oder: Wann ist ein Mann ein Mann”, schreibt er nun alleine über die schmerzhaften Probleme von Männern, Kind und Beruf zu vereinbaren.
Habeck sieht die Väter in dem verzweifelten Bemühen, eine immer drückender werdende Doppelbelastung irgendwie auszutarieren: Der Job setzt Allverfügbarkeit und Flexibilität voraus; die Männer aber sollen heute mehr sein als Erzeuger und Ernährer (und erleben so verspätet, was die Frauen seit den Siebzigern umtreibt). Habeck zitiert Wassilios Fthenakis, Direktor des Münchner Staatsinstituts für Frühpädagogik, der in mehreren Studien nachwies, „dass bei der absoluten Mehrzahl der Väter die soziale Komponente der Vaterschaft deutlich an Bedeutung gewonnen hat”.
Warum aber wird es dann schon als Erfolg gefeiert, wenn gerade mal 1,6 Prozent der Männer die zweimonatige Leyen-Vaterschaft antreten? „Gleichstellung”, so Habecks lakonischer Kommentar, „Gleichstellung sieht anders aus.” Scharf geißelt er das deutsche Steuer- und Sozialsystem, das mit seinem Ehegattensplitting und der gemeinsamen Versicherung noch immer an die Paarbindung und die Bedarfsgemeinschaften gekoppelt ist und die Familien geradezu zur althergebrachten Rollenverteilung zwinge. Hier nun wird es spannend: Heißt es oft, die Männer würden nach der Geburt des Kindes doch nur deshalb mehr arbeiten, weil sie sich drücken wollen, kehrt Habeck den Spieß um. Dass junge Väter dem beruflichen Fortkommen oftmals einen höheren Stellenwert einräumen als vor der Geburt des Kindes, hat seines Erachtens nichts mit Karrierismus oder Egoismus zu tun. Es seien nicht so sehr die Männer, die vor der neuen Verantwortung ins Büro flüchten; vielmehr würden die Frauen ihnen stillschweigend die Ernährerrolle antragen. Das ist erfrischend unkorrekt argumentiert für einen Grünenpolitiker. Und wenn er den Unternehmern ins Stammbuch schreibt, dass sie endlich im 21. Jahrhundert ankommen und flexiblere Arbeitsmodelle anbieten sollen, möchte man das Buch gleich den eigenen Chefredakteuren anempfehlen.
Was die Ausführungen dann auf die Dauer ein wenig anstrengend macht, ist der narzisstische Revoluzzergestus, mit dem Habeck seine Thesen vorbringt, so als sei er der weltweit Erste, der endlich mal dieses heiße Eisen anfasse.
Wie uralt die Probleme tatsächlich sind, mit denen Väter sich heutzutage herumschlagen müssen, arbeitet der Philosoph und glänzende Essayist Dieter Thomä in seinem Buch „Väter – eine moderne Heldengeschichte” heraus. Der Vater, so die Kernthese, ist nicht über Nacht in die Krise geraten. Vielmehr kann man die Irritationen und Widersprüche, die Erosion des Vaterbildes bis an den Anfang der Moderne zurückverfolgen.
Thomä sieht den Vater als Teil einer jahrhundertelang einander stützenden Dreifaltigkeit: Über allem schwebte Gottvater, der auf Erden repräsentiert wurde vom Monarchen; an dem wiederum orientierte sich der Familienvater als Patriarch. Welche Rolle aber kommt dem Vater zu, wenn Gott verschwindet und der König geköpft wird?
1789, im Jahr der französischen Revolution, überarbeitete Adam Smith sein Frühwerk „Theorie der ethischen Gefühle” und fügte einen Passus ein, in dem er den Verlust der Gewissheit beklagt, dass „alle Bewohner des Universums unter dem Schutz jenes großen wohlwollenden allweisen Wesens stehen”, eines „Vaters” der sich um die Glückseligkeit seiner Geschöpfe kümmert. Es kommt ihm die „fürchterliche Vorstellung”, dass der Weltraum „mit endlosem Elend und Jammer” erfüllt sei und wir in einer „vaterlosen Welt” lebten.
Nun könnte man das Fundst ck abtun, schön und gut, da spricht 250 Jahre vor Mitscherlich einer von der vaterlosen Welt, ein semantischer Zufall. Thomä aber findet auf seinem Gang durch die Gründungstexte der frühen Moderne immer wieder das Schreckgespenst einer vaterlosen Welt oder Gesellschaft, sei’s nun bei Shaftesbury, Jean Paul oder Locke.
Die französische Revolution war begeistert von dieser Vorstellung, ja es gab Bestrebungen, die Familie komplett abzuschaffen: Rabaut Saint-Etienne sagte, die nationale Erziehung bestehe darin, sich des Menschen „schon vor seiner Geburt zu bemächtigen”, Danton ergänzte, die Kinder gehörten der Republik, „schon bevor sie ihren Eltern gehören. Wer wird mir erklären, dass die Kinder, die vom Egoismus ihrer Väter angetrieben werden, keine Gefahr für die Republik darstellen?” Die Nationalversammlung forderte die Verstaatlichung der Erziehung, um den verhängnisvollen Einfluss der Väter zu unterbinden, stellte das Projekt aber unverzüglich ein, als sie merkte, wie teuer das den Staat käme.
In der Überdruckkammer
Nun wäre es lächerlich, alleine aus der Abschaffung der Monarchie und den grundlegenden theologischen Zweifeln der Aufklärer auf eine Krise des Patriarchen zu schließen. Thomä weiß um die Starrheit und Verharrungskraft der Rollenbilder, trägt aber doch enorm viele Stimmen zusammen, die belegen, wie spätestens zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Vaterfigur fundamental in Frage gestellt wurde, ja wie der Vater oft gar nicht mehr vorkam im Reden über die Familie. Zumal sich mit Beginn der Industrialisierung alle alten Verbindungen zwischen Haushalt und Arbeitswelt auflösen. Die Arbeiterfamilie wird durch das harte Leben im Fabriktakt auseinandergesprengt, im Bürgertum waltet Arbeitsteilung, die eine amerikanische Kaufmannsfrau um 1850 klagen lässt: „Sie sind gute Verwalter, Direktoren oder Bankiers, aber sie sind ganz gleichgültige Ehemänner und Väter”. Kurzum: Allerorten macht Thomä „Schrumpfformen der Vaterschaft, vaterlose Teilwelten” aus. Das ist deshalb so interessant, weil es die leidigen Familien- und Genderdebatten, die meist so tun, als sei um 1970 die Familie erstmals ins Trudeln gekommen, recht beschränkt aussehen lassen. Herrlich, wie er das Zurücksehnen nach der biedermeierlichen Kleinfamilie an einer beklemmend genauen Beschreibung des Biedermeiers als stiller Überdruckkammer desavouiert oder wie er Führungsphantasien von Bueb & Bolz dekonstruiert.
Am schönsten aber ist, wie durch all seine Ausführungen die Freude am eigenen Vatersein durchschimmert. Als hätte das ganze Leben dadurch einen unsichtbaren Goldgrund. ALEX RÜHLE
DIETER THOMÄ: Väter. Eine moderne Heldengeschichte. Carl Hanser Verlag, München 2008. 368 Seiten, 24,90 Euro.
ROBERT HABECK: Verwirrte Väter oder: Wann ist ein Mann ein Mann. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008. 221 Seiten, 16,95 Euro.
Irgendwie muss dieser junge Mann noch in die Vaterrolle hineinwachsen. Hugh Grant in „About A Boy”. Foto: Cinetext Bildarchiv
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Der Vater hat die Hosen nicht mehr an
Dieter Thomä sucht kulturgeschichtliche Gründe für die Misere der Papas / Von Bettina Engels

Ist denn heute, vierzig Jahre, in unserer Zeitrechnung also gerade mal eine Generation, nachdem die 68er den Patriarchen in hohem Bogen aus seinem Familiensitz warfen, die Zeit wirklich schon wieder reif, um der geschassten Autorität ein Eckchen zu kehren? Nicht unbedingt, könnte man meinen, und ein bisschen schmeckt die "moderne Heldengeschichte", die der zweifache Vater und Philosophieprofessor Dieter Thomä über "Väter" auftischt, wie guter Wein in nicht mit letzter Gründlichkeit ausgespülten Schläuchen. Doch eins nach dem anderen.

Worum geht es in Thomäs Bilderbogen der Väterkultur? Zunächst einmal um die Tatsache, dass sich Männer und Frauen (z. B. in Deutschland) spät oder gar nicht, auf jeden Fall aber zu selten zum Elternsein entschließen. Das bringt die bekannten demographischen Schwierigkeiten einer alternden Gesellschaft mit sich. Je weniger selbstverständlich das Leben mit Kindern ist, desto häufiger muss man zweitens konstatieren, dass sich Eltern kein Bild von ihrer jeweiligen Elternrolle machen. Schlecht gerüstet stolpern sie in das Abenteuer Familie. Es sind dann, nach Thomäs plausibler Diagnose, eher die Männer, die ihr Heil in der Flucht suchen. Wenn sie können, gehen sie tagsüber im sicheren Hafen der Arbeit vor Anker, um erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder Familiensegel zu setzen. Ein solches Manöver bringt aber nicht nur den Haussegen in Schieflage (Geschlechterverhältnis), sondern nimmt auch dem Kind die Chance, im "Gesellschaftsspiel der Generationen" anzukommen, um die "Fackel des Lebens weiterzureichen", sagt Thomä.

Die Krankheit, die spätestens seit Alexander Mitscherlichs einflussreicher Studie als "Vaterlosigkeit" betitelt wird, hat Thomä zufolge eine Geschichte, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht. In Anlehnung an Mitscherlichs These vom "Erlöschen des Vaterbilds" erklärt er, dass die Vaterlosigkeit "Teil des Programms der Moderne" sei. Mit Fortschritt und Emanzipation, so scheint es, ist unwillkürlich die Abdankung, Absetzung oder Verwerfung des Vaters verknüpft. Auf der Suche nach einem Schuldigen für die Vatermisere landet Thomä zunächst beim englischen Philosophen John Locke, der mit einer kleinen Streitschrift gegen den Absolutismus ("Morbus gallicus" - ein damals geläufiger Name der Syphilis) das Patriarchat "zur Strecke gebracht" und durch den Gesellschaftsvertrag ersetzt habe. Das Patriarchat begreift Thomä als umfassende Welt- und Gesellschaftsordnung mit dem göttlichen Vater an der Spitze, dem von ihm autorisierten Monarchen in der Mitte und dem "pater familias" als Miniaturausgabe des absoluten Herrschers am unteren Ende.

In der Französischen Revolution sieht Thomä diesen väterfeindlichen Schachzug auf dramatische Weise vollendet: Nicht der imaginierte Vertrag zwischen Freien und Gleichen soll hier mit der Macht des Vaters brechen, sondern die reale Versammlung der Generalstände beschließt die Enthauptung des Monarchen. Weil sich die Revolutionäre im Namen der Brüderlichkeit aber bald gegenseitig zerfleischen, bringt der inszenierte Vatermord nicht die erhoffte Befreiung, sondern endet im Terror. "Sie ist wie Saturn, der nach und nach die eigenen Kinder verschlingt", soll der Abgeordnete Vergniaud kurz vor seiner Guillotinierung über die Revolution gesagt haben. Die Revolution scheitert, so kann man Thomäs impressionistischer Deutung einer Reihe von Bildern und Texten der Revolutionszeit entnehmen, weil sie genau wie der "sterile Mechanismus" des Gesellschaftsvertrags das Band zwischen den Generationen zerreißt.

Vom Vatermord zur Kinderlosigkeit: Worauf die Zerstörung der Familienbande in letzter Konsequenz hinausläuft, zeige die russische Revolution. Die gegen Tradition und Autorität entfesselte Gewalt habe sich hier ganz buchstäblich gegen die Kinder gekehrt, die entweder in "Arbeitskommunen oder Kinderheimlaboratorien" gesteckt oder gar nicht erst zur Welt gebracht worden seien. Der vermeintliche Umstand, dass noch im Moskau der dreißiger Jahre drei von vier Schwangerschaften mit einer Abtreibung geendet hätten, legt Thomä der familienfeindlichen Gesetzgebung der frühen So-wjetzeit zur Last: Ehebruch, Abtreibung oder Inzest seien gleichermaßen willkommen gewesen. Alarmiert vom freien Fall der Geburtenrate habe erst Stalin die Eltern wieder zum Austragen und Erziehen ihrer Kinder verpflichtet.

Mit dem Lockeschen Vertragsgedanken und der revolutionären Idee der Volksversammlung nagen also zwei Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaats an der Familienfeste. Das sozialistische Experiment erscheint im Hinblick auf den Generationengang nur noch als blutige Karikatur seiner selbst. Und auch der Kapitalismus ist letztlich Gift für die Familie, weil sich dem Kosten und Nutzen kalkulierenden Geist der Sinn von Fortpflanzung nicht erschließt. Spätestens an dieser Stelle fragt man sich allerdings, worauf Thomäs kulturkritischer Rundumschlag eigentlich hinauslaufen kann. Dass sich die Gesellschaft in der Moderne ausdifferenziert hat und ihre Teilbereiche oder Systeme unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Anforderungen an den Einzelnen stellen, dürfte heute kein Gesellschaftstheoretiker ernsthaft bezweifeln. Und auch für den Zweifrontenkampf der Familie gegen Wirtschaft und Staat hat Jürgen Habermas schon in den achtziger Jahren die griffige Formel einer "Kolonialisierung der Lebenswelt" gefunden.

Wenn man die Vaterlosigkeitsthese noch einmal durch die Habermassche Brille liest, erkennt man die Umrisse einer Problematik, die Thomä gewissermaßen von Mitscherlich geerbt hat. Die Rationalitätskritik der alten Frankfurter Schule - zu der eben auch Mitscherlich gehört - war in der Aporie geendet, dass die Kräfte der kapitalistischen Modernisierung die Fundamente der Subjektivität aufzehren. Dieser Einsicht in die "Dialektik der Aufklärung" hatte Mitscherlich mit dem Stichwort der Vaterlosigkeit einen neuen Drall gegeben, der vielleicht gerade wegen seiner semantischen Unberechenbarkeit in den sechziger Jahren Furore machte. Die Nachkriegsgeneration konnte Mitscherlichs schillernden Begriff auf die Gefallenen der beiden Weltkriege und die in Werkshallen und Büros verschwindenden Arbeitnehmer-Väter beziehen. Ihr eigener Protest gegen die Täter und Mitläufer des Nationalsozialismus war ebenso mitgedacht wie die ideologische Verunsicherung der Kriegsgeneration. Er brachte sowohl die utopische Hoffnung auf eine antiautoritäre Gesellschaft als auch die schmerzliche Erfahrung von Orientierungslosigkeit zum Ausdruck.

Obwohl Thomäs Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen eine etwas andere Strategie einschlägt, spannt er doch den Bogen seines Vater-Themas ähnlich weit wie Mitscherlich, von der ökonomischen Rationalität über die Psychoanalyse kindlicher Identifikationsprozesse bis hin zu Erziehungsfragen, die das Selbstbild heutiger Väter (und nebenbei gesagt: auch der Mütter) betreffen. Die Verklammerung von Psychologie und Politiktheorie aber führt den Leser auf eine unproduktive Fährte: Wenn die Vaterlosigkeit im Sinne einer Abschaffung des Patriarchats zum Programm der Moderne gehört, dann erfüllt der als Vater versagende Mann - wie ein umgekehrter Ödipus - nur seine tragische Mission. Wer versucht, seine Vaterrolle gegen das implizite Vaterverbot auszufüllen und dennoch modern zu interpretieren, wird zum tragischen Helden. Welche Konsequenzen das wiederum für die Verteilungskämpfe zwischen Vater und Mutter hat, "die in unseren Tagen aus kaum einer Beziehung wegzudenken sind", muss man nicht lange ausbuchstabieren: Alles bleibt beim Alten.

Vor lauter geschichtsphilosophischem Überbau sollte man abernicht übersehen, dass es Thomä eigentlich auf grundsympathische Weise um das harte, beglückende Geschäft des Familienalltags geht. Die gewiss nicht tragische, aber doch paradoxe Aufgabe des Vaters könnte man frei nach Anton Makarenko, dem großen sowjetischen Pädagogen, als kreative Balance zwischen Fürsorge-Realität und Gleichheitsutopie beschreiben. Denn nur, wenn sich der Vater im Geist egalitärer Menschlichkeit - der Empfindung, die als "Sympathie" im Zentrum von Adam Smiths "Theorie der ethischen Gefühle" steht - mit seinen Kindern verbunden weiß, wird seine Autorität kein "angemalter und unbeweglicher Popanz" sein, sondern aus der aktiven Teilhabe am "erfüllten, leuchtenden und zarten Leben" seiner Kinder erwachsen. Dieser Empfehlung Makarenkos folgend, fordert Thomä den Vater auf, seinen Kindern ein doppelter Lebenshelfer zu sein: Er solle sie das Können und das Wollen lehren. Sein pädagogischer Eros träume davon, "dass den Kindern, die von inneren und äußeren Hemmnissen und Verlockungen umringt sind, ihr Wünschen gelingt". Bei Freud heißt dieser Traum unbedingter Vaterschutz.

Dieter Thomä: "Väter". Eine moderne Heldengeschichte. Carl Hanser Verlag, München 2008. 367 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ambivalent wirkt Peter Michalzik bei seiner Besprechung von Dieter Thomäs Buch über die Rolle des Vaters in unserer Gesellschaft. Sein Bedarf an Familien-, Mutter-, Väterbüchern ist nach seiner Auskunft eigentlich längst gedeckt, zum Thema scheint ihm alles gesagt. Dennoch äußert er sich wohlwollend über Thomäs ernsten Blick auf die Vater-Figur, scheint ihm doch vieles, was der Philosoph zu berichten weiß, durchaus erhellend. Ausführlich referiert er dessen Überlegungen zur Krise des Vaters, schätzt seinen Überblick über die Geschichte der Vaterrolle in der Neuzeit und unterstreicht seine kritische Auseinandersetzung mit ökonomischen Individualisten und Berufsjugendlichen, aber auch denen, die zur guten alten Kleinfamilie zurück wollen. Thomäs Versuch, den Vater als "Lebenshelfer" seiner Kinder einzusetzen, und sein Ruf an die Männer, die Vaterrolle anzunehmen, findet er bisweilen etwas vage, was er aber nicht dem Autor ankreidet. Schließlich gehe es hier nicht um diskursives, sondern um praktisches Wissen. Insofern begrüßt er auch den Umstand, dass Thomä auf eine starke These verzichtet, mit der er zwar wunderbar in Talkshows diskutieren könnte, die aber echte Erkenntnis eher verhindern würde.

© Perlentaucher Medien GmbH
In vielen glänzend geschriebenen Kapiteln legt Thomä dar, wie sich das Bild des Vaters durch die Jahrhunderte hindurch zersetzte.
Claudia Voigt Kultur Spiegel 20081201