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Die süditalienische Camorra mischt mit im internationalen Drogenhandel, verschiebt riesige Mengen Giftmülls in Italien, macht gewaltige Geschäfte mit der Herstellung billiger wie hochwertiger Textilien, hat praktisch das Monopol auf den Handel mit Zement - und Geschäftsbeziehungen, die bis nach Deutschland, Schottland oder China reichen. Der junge Journalist Roberto Saviano hat unter Einsatz des eigenen Lebens vor Ort in Neapel recherchiert, Beweise geliefert und ein brillantes Buch geschrieben, das dem Leser den Atem nimmt. In Italien schlug es ein wie eine Bombe, der Autor war damit…mehr

Produktbeschreibung
Die süditalienische Camorra mischt mit im internationalen Drogenhandel, verschiebt riesige Mengen Giftmülls in Italien, macht gewaltige Geschäfte mit der Herstellung billiger wie hochwertiger Textilien, hat praktisch das Monopol auf den Handel mit Zement - und Geschäftsbeziehungen, die bis nach Deutschland, Schottland oder China reichen. Der junge Journalist Roberto Saviano hat unter Einsatz des eigenen Lebens vor Ort in Neapel recherchiert, Beweise geliefert und ein brillantes Buch geschrieben, das dem Leser den Atem nimmt. In Italien schlug es ein wie eine Bombe, der Autor war damit schlagartig berühmt - aber auch gefährdet. Saviano lebt inzwischen im Untergrund.
Autorenporträt
Roberto Saviano, 1979 in Neapel geboren, arbeitete nach dem Philosophiestudium als Journalist. Seit Erscheinen seines Bestsellers Gomorrha steht er wegen andauernder Morddrohungen von Seiten der Camorra unter Personenschutz und lebt im Untergrund. 2012 erhielt er den Olof-Palme-Preis für seinen publizistischen Einsatz gegen organisiertes Verbrechen und Korruption.

Friederike Hausmann, geboren 1945, Studium der Geschichte und Altphilologie in Berlin. Nach Promotion tätig als Lehrerin. Nach langjährigem Aufenthalt in Italien lebt sie heute als Autorin und Übersetzerin in München. Als Italien-Expertin schreibt sie für den Rundfunk sowie überregionale Tages- und Wochenzeitungen.

Rita Seuß arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren mit Bernhard Jendricke zusammen. Gemeinsam haben sie neben Romanen von Clare Clark Werke von Gore Vidal, Peter Heather und Jeremy Scahill ins Deutsche übertragen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007

Als Stilvorlage dient Hollywood
Wir essen, trinken und vögeln: Roberto Savianos literarisch-investigative Reise durch das Reich der Camorra / Von Kerstin Holm

Als Roberto Saviano in Italien sein Werk über die Camorra vorstellte, wurde ihm gedroht (F.A.Z. vom 3. November 2006). Jetzt ist sein Buch auch bei uns erschienen.

Ein Würgenetz aus Produktion und Handel umklammert die Erde. Sein hochdifferenzierter Stoffwechsel erzeugt Kleider für Massen und Eliten, pumpt Warenfluten zum Konsumenten und Abfälle an schwache Stellen. Die Menschen sind festgezurrt, froh, wenn sie die große Peristaltik bedienen dürfen, von deren Säften sie allmählich verdaut werden wie Fliegen im Spinnengewebe. Dies ist keine Szene der neuesten Antiutopie aus Hollywood, sondern eine investigative Reportage des großartigen Italieners Roberto Saviano über die Camorra-regierte Umgebung seiner Heimatstadt Neapel. Seit Savianos Bucherstling, der durch die Anatomie der Camorra-Wirtschaft führt und deren Prominenz porträtiert, im letzten Jahr erschien, muss der Autor sich verstecken, weil sein Leben bedroht ist. So viel kostet es, das Mafia-Thema in eine nicht melodramatische, sondern realistische Kunstform zu gießen.

Das Werk des 28 Jahre alten Autors liest sich wie ein Epos unserer Zeit. Die Camorra ist an die Globalisierung allerbestens angepasst. Im Gegensatz zur patriarchalisch pyramidal verfassten sizilianischen Mafia dockt die Camorra leicht horizontal an neue Zellen an. Die Camorristi haben den geschäftsschädigenden Rassismus überwunden und kooperieren beim Vertrieb von Rauschgift, Mode, Müll und Menschen erfolgreich mit chinesischen, nigerianischen, albanischen Kollegen. Statt sich altmodisch gegen die Staatsmacht zu stellen, arrangieren sie sich mit deren flexiblen Vertretern. Das Netzwerk der Klane organisiert unbürokratisch Wertarbeit zum Niedrigstpreis, lässt Umweltgift verschwinden und investiert in Zukunftsbranchen. Mit der Camorra, Europas größter krimineller Organisation, wie Saviano vorrechnet, wollen alle zusammenarbeiten.

Der erfahrene Reporter hat dieses Imperium studiert wie einst Wallraff deutsche Industrieriesen, als proletarischer Mitarbeiter. Im Hafen von Neapel, wo Frachtschiffe zu den Kais streben wie Jungtiere zu den Mutterzitzen, allerdings um dort ausgesogen zu werden, bezieht Saviano eines der letzten Zimmer eines Wohnblocks. Als Miete hilft er dem Chinesen Xian, Häuser zu entkernen, die Warenlager werden müssen. Unter Xians Regie holt er eine Ladung Qualitätsturnschuhe aus China per Boot direkt vom Schiff, was ihren Verkaufspreis noch einmal drückt. Mit Arbeitsmigranten schleppt er Kartons in brütender Julihitze - da die Ware nicht leidet, gibt es keine Ventilatoren. Xian wird für Saviano zum Vergil, der ihm den Unterleib der Ökonomie erklärt. Wo der Italiener mit Grausen Verbrauchsgut in verbrauchtes Gut übergehen sieht, erkennt der Chinese nur die Aussaat und Ernte von Geld.

Verglichen mit Savian, bearbeitete Walraff, der Rechtsbrüche anklagte und Prozesse gewann, einen Rosengarten. Der Neapolitaner hat ein heroisch fatalistisches Lebensgefühl gegen sich. Dessen Erfüllung ist der Konsumrausch. Wir essen, wir trinken, und wir vögeln, formulierte der 2005 verhaftete Klanchef Cosimo di Lauro seinen Wahlspruch und begeisterte damit seine Mitstreiter. Während Mafiosi oft einen Hang zum Understatement haben, muss ein Camorrista ostentativ prassen. Als Stilvorlage dient Hollywood. Saviano schildert, wie Cosimo di Lauro, als die Polizei ihn stellte, sich wie für einen Presseauftritt mit Sonnenbrille, Haargel und schwarzem Regenmantel zurechtmachte, wie der Star von "Matrix".

Als Schlüsselfilm für die Camorra betrachtet ihr Chronist Di Palmas Maßlosigkeitsparabel "Scarface". Deren Held schlägt die Mafiaregel in den Wind, sich zu zügeln und der Droge, die einen reich macht, nicht selbst zu verfallen. Der italoamerikanische Kokainkönig will allen Ruhm und Reichtum und dafür früh sterben - wie der homerische Achill vor Troja. "Scarface" sei die Ilias der Camorra, sagt Saviano. Fasziniert schildert er die Villa des Zement-Camorrista Walter Schiavone, wo dorische Säulen, die Freitreppe und der Salon mit dreistufiger Wasserkaskade das Palais Tony Montanas aus "Scarface" zitieren.

Die Ästhetik des blutigen Melodrams erzieht Generationen. Junge Mädchen erleben die Beerdigung eines Camorra-Opfers als Initiation, wie die erste Menstruation. Zur Trauerfeier ziehen sie tiefsitzende Hosen an, die ihren Tanga sehen lassen. Dass sie öffentlich weinen und einander trösten, macht sie auch stolz. Jugendliche Auftragsmörder, die am Tatort verhaftet werden, lächeln und zwinkern, wenn sie Journalisten sehen. Der Insasse eines Jugendgefängnisses skizziert eine beispielhafte Traumkarriere. Drei Autos wolle er haben, Frauen, Fabriken in aller Welt und dann sterben wie ein Mann, von der Hand eines Killers. Im Camorra-Revier Secondigliano wissen schon Kinder, wie man mit den geringsten Schmerzen ins Jenseits kommt: durch Kopfschuss. Ethik wird zum Feigenblatt von Verlierertypen.

Savianos Buch ist aber auch eine Faktensammlung und Gebrauchsanweisung. Von den Bandenkriegen, Strafprozessen, Fehdemorden hatte man in der Presse lesen können. Saviano bündelt sie zu einer Erzählung, die, mit gerichtlichem Aktenmaterial unterfüttert, auf den Leser eine Datenflut von namhaften Camorristi und Todesopfern niedergehen lässt wie Homers Aufzählung der Schiffe und Gefechte vor Troja. An den Krieg von Secondigliano 2004 bis 2005, bei denen der Di-Lauro-Klan sein Kokain-Vertriebs-Monopol gegen spanische Eindringlinge verteidigte, erinnern sich Veteranen als ihr "Vietnam". Saviano protokolliert die blutige Routine der Massaker. Als Wirtschaftskriegsberichterstatter weiß er aber auch, dass die Klanchefs den Gegner niedermachen müssen, wenn sie nicht von ihm vernichtet werden wollen.

Man kann nur eine Sache verstehen, bei der man selbst mitgemacht hat, lautet Savianos Credo. Mit einer Schlichtheit, die verstört und imponiert, versetzt er sich in sämtliche Figuren. Er studiert die Angst in den Augen der Sterbenden. Er steht an der Seite seines Volkes, das den Rechtshütern "seine" Paten vorzieht, weil an ihnen ein bescheidenes Auskommen hängt. Auch die Ursprache der Alphatiere ist ihm nicht fremd. Der Drogenmanager Paolo di Lauro demütigte einen Kompagnon durch ein Urinritual, was die Machtvertikale vorübergehend stabilisierte, erklärt der Autor, der sich dann selber in dem Idiom verewigt. Als er ins Schloss des verhafteten Schiavone eindringt, wässert er dessen Kaskadenbrunnen.

Gomorrha" bietet keinen historischen Optimismus. Die Camorra scheint intelligenter zu sein als die gesellschaftliche Immunabwehr. Der innere Konkurrenzkampf versorgt das System mit frischem Blut, neuen Ideen, hält die Preise schlank. Zehn Jahre bevor der italienische Unternehmerverband Handelsbeziehungen nach Asien überhaupt anknüpfte, investierte Paolo di Lauro schon in die chinesische Industrie. Längst sind die Klans ins Hochtechnologiegeschäft eingestiegen und vertreiben Kameras und Werkzeugmaschinen, die in China billig gefertigt werden, in Europa unter teuren Markennamen. Di Lauro wurde vor drei Jahren verhaftet. Doch dann verschwanden aus seiner Kriminalakte fünfzehn Zeilen und mit ihnen achtzig Tote. Der Pate wurde entlassen und ist seither untergetaucht.

Mittelklasseanstand und intellektuelle Solidität vervollständigen die Erfolgsgeschichte der Camorra. Aus Dank für sein Milchhandelsmonopol in der Provinz Caserta fördert der Konzern Cirio Sport-, Musik- und Freizeitvereine, die Saviano die "Zivilgesellschaft" der Klane nennt. Akademiker aus Süditalien werden Umweltrechtsexperten, die mit manipulierten Papieren Industrieabfälle aus Europas Norden im Süden deponieren helfen. Die besten Preise und Paketlösungen haben die Klane der Kampania. Das Schlusskapitel führt in die kampanischen Giftmüllgebiete, die einst für ihre landschaftliche Schönheit gerühmt und von den Bewohnern inzwischen "Feuerland" getauft wurden. Der Bauch der Erde ist geschwollen von Millionen Tonnen von Abfällen aus Chemiewerken, Gießereien, Krankenhäusern, Kläranlagen, die abgefackelt werden, um Platz zu machen für neuen Müll.

Saviano beschreibt eine Lawine von Sachzwängen, behauptet dabei aber eine humane Optik. 3600 Menschen brachte das System seit seiner Geburt um. Vielen setzt er ein literarisches Denkmal. Mit Pathos würdigt er das moralische Format von "Verlierern" wie dem Priester Don Peppino Diana, der Widerstand gegen die Camorra mobilisierte und getötet wurde, oder jener Kindergärtnerin, die unter vielen Mordzeugen als Einzige vor Gericht aussagte, weshalb sich ihr Freund und Angehörige von ihr abwandten. Savianos lateinische Klarheit kontrastiert eindrucksvoll mit der Situation in Russland, wo die Literatur staatsmafiose Strukturen in Andeutungen und Gleichnissen abhandelt. Der Neapolitaner schrieb sein Buch auch, um zu beweisen, dass Intellektuelle nicht harmlose Narzissten sein müssen. Dem Leser zeigt er, wie man der Allmacht der Ökonomie die menschliche Kontur abtrotzt. Solange es Männer wie Saviano hervorbringt, ist Europa nicht verloren.

Roberto Saviano: "Gomorrha". Reise in das Reich der Camorra. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuß. Hanser Verlag, München 2007. 364 S., geb., 21,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.08.2007

Die Clans haben ein langes Gedächtnis
Rache für ein Buch: Die Mafia droht dem Autor Roberto Saviano mit der Hinrichtung
Wenn Blut fließt, dann steht das Thema Mafia für kurze Zeit im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, bis es wieder vergessen wird. Das war schon 1982 bei der Ermordung des Präfekten von Palermo, Carlo Alberto Dalla Chiesa, so, bei den Attentaten der Cosa Nostra gegen die Untersuchungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992 oder beim Camorra-Krieg in Neapel 2005/2006. In diesen Tagen berichten die italienischen Medien ausführlich über „la strage di Ferragosto”, das Massaker vom 15. August, bei dem sechs Menschen durch den Einsatz von Killern der kalabrischen ’Ndrangheta in Duisburg ums Leben kamen. Ein Fall von Vendetta, dessen Spuren in den Ort San Luca an den Hängen des Aspromonte zurückgehen, wo es jetzt vor Journalisten nur so wimmelt. Spätestens in zehn Tagen wird man San Luca vergessen haben. Vielleicht ist das auch eine Art Selbstschutz. Die Mafia, schrieb der Schriftsteller Leonardo Sciascia einmal, hasse die, die sich erinnern.
Die Mafia-Organisationen selber, die Cosa Nostra auf Sizilien, die ’Ndrangheta in Kalabrien und die Camorra in Kampanien, vergessen nicht so schnell. Der Clan der Casalesi aus dem nordwestlichen Hinterland von Neapel hat einmal elf Jahre gewartet, bis er einen Gegner ermorden ließ.
Neben den vielen Morddrohungen, die der junge Autor Roberto Saviano wegen seines Buches „Gomorrha” erhalten hat, liegt jetzt auch ein Hinrichtungsbeschluss vor. Das jedenfalls schreibt das römische Wochenmagazin L’espresso in seiner neusten Ausgabe: „Die Padrini haben nur das Datum der Ausführung offen gelassen.”
Lirio Abate, ein Journalist der Nachrichtenagentur Ansa, hat gerade nach ähnlichen Drohungen der Cosa Nostra Palermo verlassen müssen, weil er in einem Buch die Verbindungen zwischen Mafia, Wirtschaftskreisen und der Politik namentlich belegt hatte. Die Mafia will nicht, dass man über sie spricht.
Der 28-jährige Roberto Saviano lebt schon seit geraumer Zeit unter Begleitschutz an wechselnden Orten. Angst, so sagte er dem L’espresso, habe er keine, „solange ich noch meine Sprache habe, mit der ich meine Ideen ausdrücken und verbreiten kann, ist das meine beste Verteidigung.” Ihn bedrücke allein, dass jetzt auch auf seine Verwandten Druck ausgeübt würde.
Und das nicht nur von der Camorra. Die Nachbarn der Mutter, die sich durch das Polizeiaufgebot vor dem Haus gestört fühlten, haben sich in einem Brief an die Kommunalverwaltung beschwert und gefordert, dass der Frau ein „sicherer Wohnplatz” zugewiesen werde.
Gleichzeitig fühlt sich der Schriftsteller durch eine Welle der Solidarität getragen, die vor allem von Basisgruppen ausgeht, egal ob sie politisch links oder rechts stehen. Besonders die Solidarität der rechten Gruppen habe ihn überrascht, die sich aus Stolz zu ihrem Heimatgebiet von der Camorra abwenden. Am 5. September wird die deutsche Öffentlichkeit Roberto Saviano bei einer Veranstaltung des italienischen Kulturinstitutes in Berlin kennenlernen können. Und seine Leibwächter auch. HENNING KLÜVER
Bedroht, aber durch Solidarität gestärkt: Roberto Saviano. Foto: AFP
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Michael Braun zeigt sich in seiner Rezension beeindruckt nicht nur vom großen Tatsachenmaterial, das Roberto Saviano in seinem Erfahrungsbericht über die neapolitanische Camorra aufbietet, sondern auch von der literarischen Qualität der Schilderung. Savianos nüchtern und bisweilen fast zynisch erscheinender Bericht zehre von den persönlichen Erfahrungen, die der junge Autor und seine Familie mit der kampanischen Mafia gemacht habe. Trotz der großen Subjektivität, die sich aus diesem Herangehen ergibt, habe Saviano auch eine tiefgehende Analyse der mafiösen Strukturen geleistet, lobt Braun. Da der Erfolg der Mafia darauf beruhe, in der Öffentlichkeit totgeschwiegen zu werden, bedeute die große Beachtung, die Savianos Buch in Italien erfahren habe, bereits einen Erfolg gegen die Mafia.

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