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Ein Buch für alle, die gerne ins Theater gehen. Und auch für alle, die es aufgegeben haben.

Produktbeschreibung
Ein Buch für alle, die gerne ins Theater gehen. Und auch für alle, die es aufgegeben haben.
Autorenporträt
Ivan Nagel wurde 1931 in Budapest geboren. Er studierte in Zürich und Frankfurt am Main, arbeitete als Kritiker und Dramaturg in München, leitete von 1972 bis 1979 das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, lebte von 1981 bis 1983 in New York, begründete das "Theater der Welt", war Chef des Stuttgarter Schauspiels und lehrte seit 1988 als Professor für Ästhetik und darstellende Kunst in Berlin. 2005 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis. Ivan Nagel verstarb 2012.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2007

Wie es euch gefällt
Sinnhuber oder Stoffhuber: Ivan Nagels und Klaus Völkers Theater

Theater ist immer Gegenwart. Man spielt nicht rückwärts. Natur- und kunstgemäß. Wenn der Vorhang fällt, ist alles vorbei. Theaterbücher dagegen schreiben sozusagen rückwärts. Wenn der Buchdeckel sich hebt, wird Unwiederbringliches als Bringliches geliefert. Und der Lieferservice trägt den Firmennamen "Rekonstruktion" (Gesellschaft mit sehr beschränkter Haftung). Das Material ist unwiederbringlich tot. Die Boten aber, die es überbringen, müssen es beleben: mit sich, ihrem Temperament. Auf sie kommt es an. Das lässt sich sehr schön an zwei neuen Theaterbüchern zeigen.

Das eine trägt den schwärmerisch schönen, rätselhaft poetischen, alles Innigliche und Persönliche versprechenden Titel "und vorrätig ist dein Herz vor jedem andern", der aus einer Gedichtzeile Ingeborg Bachmanns stammt und sozusagen ein Doppelporträt umspannt, das den beiden noch lebenden, spielenden, Triumphe feiernden Burgschauspielerinnen Elisabeth Orth und Kirsten Dene gewidmet ist. Es stammt von Klaus Völker, lange Jahre Direktor der Berliner Schauspielhochschule "Ernst Busch", Dramaturg, Publizist, Theaterausstellungsmacher, Biographienverfasser, Jahrgang 1938. Das andere Theaterbuch trägt den nüchternen, leicht wissenschaftsparfümierten, aber sonst nichts weiter versprechenden Titel "Drama und Theater. Von Shakespeare bis Jelinek" und stammt von Ivan Nagel, Intendant in Hamburg und Stuttgart, Dramaturg und Kritiker in München, Korrespondent in New York, Festivalmacher in Köln und Stuttgart, Hochschulprofessor in Berlin, Publizist, Gedankenmacher, Jahrgang 1931.

Nagel schreibt über Theater als Geschichte, Völker über Theater als Personen. Der eine geht ins Archiv, um zu schildern, was er gefunden hat, der andere auf Menschen zu, um mitzuteilen, wie er sie findet. Nagel also der geborene Stoffhuber? Völker also der prädestinierte Sinnhuber?

Verblüffend und geradezu erheiternd, wie hier sich die Verhältnisse verkehren. Wenn Ivan Nagel ältere Aufsätze, zum Beispiel über Kortners Wiener "Emilia Galotti" von 1970 und Peter Steins Bremer "Tasso" von 1969, noch einmal auftreten lässt, nicht ohne über dreißig Jahre danach kritisch auf sie zurückzublicken; wenn er von Racines und Planchons "Bérénice" aus dem Jahr 1966 schwärmt; wenn er noch einmal seine Laudatio auf Klaus Michael Grüber aus dem Jahr 2000, seine Nachrufe auf Ulrich Wildgruber oder Heiner Müller aus den neunziger Jahren präsentiert und sein Archiv so ungeniert wie klug anzapft - dann wirkt das derartig lebendig, entschieden, leidenschaftlich, dass man sich mitten in einer aufgeladenen, leicht hektisch erregten, vom Konflikthauch umbrausten Szene wähnt.

Es geht Spitz auf Knopf um die "Aufklärung über die Aufklärung", die "zurückgenommene Lüge", das Drama als "puren Vorschlag zur Aktion" und im Falle von Steins "Tasso" um eine "Attacke der Schönheit" mit der "betörenden Aggression eines Generationenmassakers". Lauter Aufreger, glanzvoll formuliert und mit einem dialektisch prunkenden Verstand durchmessen, der seine Herkunft aus der Adorno-Schule nie verleugnet, aber gehärtet ist im außerschulischen Feuilletonfeuer. Wie er Wildes "Bunbury" charakterisiert ("Nie wird in diesem Stück Montag"), die Komödienform als Gesellschaftsform feiert, sich über die Nachwirkung einer alten Aufführung freut, der "Doppelchörigkeit" der Stimmführung in Shakespeares "Antonius und Cleopatra" ergriffen lauscht, Castorf und Marthaler als Heroen eines alles rettenden "Theaters der Truppen feiert" - das hat was vom Vergnügen eines professoral pubertären Schwärmers, der sich seine Archiv-Genüsse aus einer Erotik der Sinnhuberei verschafft.

Dagegen wirkt Klaus Völker, der die Dene und die Orth, zwei eigensinnige, herb auratische Ausnahmeschauspielerinnen, sozusagen zum sinnhuberischen Verlieben im Doppelpack vor sich haben könnte, als solidester Stoffhuber. Der den Stoff nicht übersteigt. Seriös arbeitet er erst die eine, dann die andere Diva ab, zitiert ausführlich und seitenlang aus "Theater heute", schildert Rollen, benennt Entwicklungen, zitiert Briefe, führt entscheidende Regisseure, Lebensstationen, Krisen an, schreibt sachdienlich, sauber, zweckmäßig. Die Bilder im Buch der "edition burgtheater" sind wie immer wunderschön, das Register ist verdienstvoll, der künstlerischen Biographie zweier Schauspielerinnen wird Genüge getan. Obwohl beide nie zusammen gespielt und nichts miteinander zu tun haben, außer dass sie demselben Ensemble angehören.

Nur spürt man bei Völkers Vivisektion nie das, was man bei Nagels Archivspaziergängen alle satzlang spürt: ein Entzücken, eine Erregung, eine temperamentvoll begeisterte Charakterisierung, das Wagnis einer Herzensfestlegung. Nagel reißt noch das tote Material emphatisch an sich, Völker delegiert noch seine Begeisterung fürs Lebende an tote Quellen. Nützlich sind sie beide. Und Theaterbücher sagen halt immer auch ein bisschen mehr über ihre Verfasser als übers Theater.

GERHARD STADELMAIER

Ivan Nagel: "Drama und Theater". Von Shakespeare bis Jelinek. Carl Hanser Verlag, München 2006. 199 S., geb., 17,90 [Euro].

Klaus Völker: "Elisabeth Orth. Kirsten Dene. ,und vorrätig ist dein Herz vor jedem andern'". Edition Burgtheater. Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006. 256 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Rezensent Andreas Tobler hat offensichtlich großes Vertrauen in den Theaterautor Ivan Nagel, der seiner Meinung nach so gar nicht "spröde" und "akademisch" ist, wie er hier stellenweise wirkt. Das Einführungskapitel etwa besitzt für Tobler den Charme einer "Betriebsanleitung für Staubsauger". Von diesem "Theoriegewusel" sollte sich der potentielle Leser nach Meinung des Rezensenten trotzdem nicht schrecken lassen, denn danach folgt eine Sammlung der besten Essays von Ivan Nagel, die einen gelungenen Überblick über das Theaterschaffen in den letzten Jahrzehnten bietet.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Der Erkenntnisgewinn für den Leser ist außerordentlich."
Sigrid Löffler, Literaturen, 10/06

"(D)ie Leidenschaft ist aus den Texten nicht verdampft, im Gegenteil: Intellektuelle Filterung hat die Aromen erst voll entwickelt, zum fein differenzierten Bukett, und den Wärmestrahl gespeichert, der die Jahrzehnte durchglüht."
Christopher Schmidt, Süddeutsche Zeitung, 04.10.06