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Caryl Phillips verwebt in seinem Roman mehrere Geschichten. Die von Eva Stern, die als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt, mit der eines schwarzen Söldnergenerals im Venedig des 15. Jahrhunderts und der von drei Juden aus dem Veneto, die eines Ritualmords bezichtigt werden. Die Leitmotive wiederholen sich über die Jahrhunderte und Länder hinweg: mörderischer Rassenhaß, Traumata, die durch Verluste ausgelöst werden, die Kraft des Glaubens, Verfolgung und Verrat.

Produktbeschreibung
Caryl Phillips verwebt in seinem Roman mehrere Geschichten. Die von Eva Stern, die als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt, mit der eines schwarzen Söldnergenerals im Venedig des 15. Jahrhunderts und der von drei Juden aus dem Veneto, die eines Ritualmords bezichtigt werden. Die Leitmotive wiederholen sich über die Jahrhunderte und Länder hinweg: mörderischer Rassenhaß, Traumata, die durch Verluste ausgelöst werden, die Kraft des Glaubens, Verfolgung und Verrat.
Autorenporträt
Matthias Fienbork, geboren 1947, hat Musik und Islamwissenschaft studiert. Er übersetzte u.a. Bücher von Eric Ambler, W. Somerset Maugham, Michael Frayn, Amos Elon, Barack Obama und Tony Judt. Er lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.03.2000

Von der Lähmung der Überlebenden
Da verliert selbst der Klappentexter den Überblick: Caryl Phillips’ Roman „Blut und Asche”
Im Frühjahr 1945 befreit die britische Armee ein Konzentrationslager. Unter den Insassen ist auch die junge Jüdin Eva Stern, die als Tochter eines wohlsituierten Arztes alle Höllenstufen des Holocaust durchgemacht und überlebt hat: Den Übergang vom latenten zum offenen Antisemitismus in Schule und sozialem Umfeld, die Zwangsumsiedlung ins Ghetto, schließlich den Abtransport ins Vernichtungslager. Gerry, einer der britischen Soldaten, bringt gegenüber der körperlich und seelisch schwer geschundenen Frau Gefühle auf, deren schüchterne Zartheit einer merkwürdigen Mischung aus Mitleid und Verliebtheit entspringt. Das KZ wird aufgelöst, Eva, die ihre gesamte Familie verloren hat, wird in ein DP-Lager (für so genannte displaced persons) eingewiesen, Gerry kehrt in seine Heimat zurück, schreibt Eva von dort aber einen Brief, sie möge nach England kommen und ihn heiraten. Als Eva in London ankommt, stellt sich heraus, dass Gerry längst verheiratet ist. Eva unternimmt einen Selbstmordversuch und kommt schließlich in psychotherapeutische Behandlung.
Menschen wie sie, so einer der Ärzte, „litten an überwiegend chronischen Störungen. Sie brauchten einerseits Zeit zum Vergessen, andererseits Zeit, um zu lernen, anderen Menschen wieder zu vertrauen. Leider kann man beide Prozesse nicht künstlich beschleunigen. ” Der Arzt plant eine Studie über „die deutlich erkennbare Empfindungslosigkeit beziehungsweise psychische Lähmung der Überlebenden” – womit aus der Stimme dieses Arztes überdeutlich eine der Absichten des Buchs selbst anklingt.
Doch ist dies lediglich ein Erzählstrang in „Blut und Asche”, dem zweiten ins Deutsche übersetzten Roman des 1958 in der Karibik geborenen, in England lebenden Caryl Phillips. In einer mit diesem Strang verknüpften Rahmenhandlung wird die Geschichte von Evas Onkel skizziert, der den Holocaust überlebt, weil er nach Palästina auswandert und sich dort der israelischen Untergrundarmee anschließt. Eine dritte Ebene des Romans erzählt, betulich chronologisch, die Geschichte eines Ritualmordprozesses, dem Ende des 15. Jahrhunderts venezianische Juden zum Opfer fielen. Und damit nicht genug, erzählt Phillips im Zentrum des Romans noch einmal ausführlich und mit spätromantischem Gestus die Geschichte Othellos, des schwarzen venezianischen Generals: „der schwarze Onkel Tom . . . Führst den Krieg des weißen Mannes . . . Der Republik grinsender Satchmo. ”
Man wundert sich anfangs über diese Parallelschaltungen, entdeckt dann aber schnell die allzu guten Absichten im weit Hergeholten und ist am Ende gründlich verstimmt, weil Phillips’ Versuch, gescheiterte Assimilation, Rassenwahn und Holocaust als Produkt aller Jahrhunderte darzustellen, in literarischer Überambitioniertheit verläppert. Auch die historischen Vergleichsmodi bleiben überaus fragwürdig. Im Grunde besteht der Roman aus drei notdürftig miteinander kurz geschlossenen Erzählungen, vorgetragen in sehr unterschiedlichen Tonfällen, durchsetzt von Rückblenden, Träumen, Stimmen, deren dramaturgischer Einsatz willkürlich wirkt.
Wer mag, kann das „vielschichtig” nennen, doch hat hier offenbar selbst der Klappentexter die Übersicht verloren, indem er Eva Stern als deutsche Jüdin bezeichnet. Dagegen spricht die – übrigens beklemmend intensiv gezeichnete – Ghettosituation der Familie, die es so in Deutschland nie gab und eher darauf hindeutet, dass es sich um polnische Juden handelt. Oder hat der Autor schlecht recherchiert und sich vom Klischee hinreißen lassen, dass Ghetto sein musste, wo das Konzentrationslager folgte?
Wenn Martin Walser sich gegen die Instrumentalisierung der deutschen Schande „zu immer guten Zwecken, ehrenwerten” wehrte, gehören auch die ehrenwerten, sehr gut gemeinten, literarischen Zwecke dazu. Caryl Phillips hat jedenfalls mit diesem Buch den Holocaust zum Zweck literarischer Stilübungen funktionalisiert, für die unter gleich Gutgesinnten vermutlich bereits die Kategorisierungsklappe „Postkolonialismus” offen steht. Man schließe sie schnell über diesem Buch.
KLAUS MODICK
CARYL PHILLIPS: Blut und Asche. Roman. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Hanser Verlag, München 2000. 224 Seiten, 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2000

Amokläufer der Erinnerung
Kunstvollstes Grauen: Caryl Phillips' Roman "Blut und Asche"

Die Judenverfolgungen in Europa mit der Leidensgeschichte der schwarzen Afrikaner zu verknüpfen und daraus einen Roman zu machen, dazu gehört Mut, vor allem aber - hier paßt das abgewetzte Wort - Betroffenheit. Caryl Phillips, der dunkelhäutige Westinder, ist weder Jude noch Europäer, noch Afrikaner, aber er weiß, wovon er spricht, wenn er Rassismus und Nationalismus die schlimmsten Übel dieser Welt nennt. Er hat in Oxford studiert, Europa jahrelang bereist und lebt jetzt in Amerika als Literaturprofessor. Die Literatur ist für ihn ein Schlüssel zu den Obsessionen der Menschen, mit ihr spürt er den verheerenden Folgen des kulturellen Differenzbewußtseins nach. 1958 auf der winzigen Insel St. Kitts geboren, aber in England aufgewachsen, hat er, wie sein großer karibischer Kollege V. S. Naipaul, erlebt, was es heißt, ein "farbiger Einwanderer" zu sein. Seine ersten, durchaus konventionellen Romane ("The Final Passage", 1985, und "Cambridge", 1991) sind eine Art literarischer Trotzreaktion auf das Gefühl, "Engländer zu sein und doch nicht dazuzugehören".

"Blut und Asche" ist Phillips' sechster Roman, ein Buch, das in Anspruch, Thema und Konstruktion weit über alles hinausgeht, was er bisher geschrieben hat. Das geradlinige Erzählen realistisch beschriebener Ereignisse ist hier ersetzt durch ein Mosaik aus lose verschränkten Szenen, das sich der Leser selber, mehr oder weniger mühsam, zusammensetzen muß. Den Rahmen bilden vier parallel erzählte Geschichten über Leid und Verfolgung, in Deutschland, Venedig, London, Palästina und Zypern angesiedelt, von der Vergangenheit in die Gegenwart reichend. Nach einem Vorspann, der 1946 auf Zypern in einem britischen Internierungslager für Juden spielt und in dem der Arzt Stephan Stern als Ich-Erzähler auftritt, entfalten sich nach und nach die Umrisse.

Erzählgerüst sind die Erinnerungen der Eva Stern, eines Holocaust-Opfers. Sie ist die jüngste Tochter eines jüdischen Arztes, der den Ernst der Lage erst erkannte, als es zur Auswanderung zu spät war. Eine Weile gelingt es ihm, die Töchter zu verstecken, dann werden die Sterns ins Konzentrationslager abtransportiert. Eva überlebt als einzige aus der Familie. Sie bleibt im Lager, verfolgt von den Gespenstern der Vergangenheit, während die Befreier Bestandsaufnahme machen. Mit einem englischen Soldaten, der sie heiraten will, geht sie nach London - und erlebt, daß er zu Frau und Kind zurückkehrt. Sie, die ihre Eltern, die Schwester und alle Freunde verloren hat, verliert nun auch allmählich die Kontrolle über ihre Erinnerungen. Ihr Geist verwirrt sich, die Ärzte sagen, die Krankheit sei ihre Unfähigkeit zu vergessen. "Zu viel Erinnerung", weiß auch sie, "ist eine Form des Wahnsinns."

Caryl Phillips sucht die historischen Wurzeln der Intoleranz im Europa des fünfzehnten Jahrhunderts. Er überblendet die Geschichte der Eva Stern mit dem Schicksal einer Gruppe deutscher Juden, die sich 1480 in Venedig niederließen und dort in noch schlimmere Pogrome gerieten: Drei jüdische Geldverleiher wurden auf dem Markusplatz verbrannt. Papst Paul IV. läßt in Venedig ein Ghetto einrichten, und durch dieses Ghetto geht Othello, dessen Schicksal die dritte Geschichte mit neuen Akzenten nacherzählt. Der Stadtstaat braucht beide, den schwarzen General und die jüdischen Geldverleiher, zur Aufrechterhaltung der Macht. Für Caryl Phillips ist Othello ein afrikanischer Sklave, der Frau und Kind in der Heimat zurückgelassen hat und jetzt von seinen venezianischen Arbeitgebern akzeptiert werden will, ein schwarzer Onkel Tom, der für die Weißen Krieg führt, "zu schwach, um seine Vergangenheit in ihrer Gegenwart zu behaupten".

Schon in "Higher Ground" (1989) und "Jenseits des Flusses" (1995) hatte Phillips versucht, thematisch verwandte Geschichten mit Hilfe eines auktorialen Erzählers zu einem Roman zu verschmelzen. Was dort gelang, ist ihm hier nur teilweise geglückt: In "Blut und Asche" stiftet die Verteilung der Themen und Motive auf mehrere Ich-Erzähler bisweilen Verwirrung, und die leblose Prosa macht die Anteilnahme nicht leicht. Ein Buch, das man mehr respektvoll als aufgewühlt aus der Hand legt.

HELMUT WINTER

Caryl Phillips: "Blut und Asche". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Fienbork. Carl Hanser Verlag, München 2000. 223 S., geb., 36,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Überwiegend positiv bespricht Georg Sütterlin dieses Buch, das für ihn weniger ein Roman als vielmehr eine Sammlung von vier Erzählungen ist, die "kunstvoll" miteinander verknüpft werden. Auffallend findet er dabei, dass der Autor Parallelen zwischen der Judenverfolgung und dem Schicksal Schwarzer betont. Daran hat der Rezensent prinzipiell nichts auszusetzen, jedoch merkt er an, dass dies für einen Leser, dem Philipps` frühere Romane unbekannt sind, etwas verwirrend sein muss. Wenig begeistert zeigt sich Sütterlin von der Sprache des Autors, die er "stellenweise flach, uninspiriert" findet, allerdings lobt er die gut gezeichneten Figuren in diesem Roman und auch ein "Fluidum des Schwebenden". Dieses Schwebende begründet der Rezensent mit dem Fehlen eines zeitlichen und handlungsbezogenen Orientierungspunktes.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Judenverfolgung in Europa mit der Leidensgeschichte der schwarzen Afrikaner zu verknüpfen und daraus einen Roman zu machen, dazu gehört Mut, vor allem aber -...Betroffenheit. Caryl Phillips, der dunkelhäutige Westinder, ist weder Jude noch Europäer, noch Afrikaner, aber er weiß wovon er spricht, wenn er Rassismus und Nationalismus die schlimmsten Übel dieser Welt nennt....Literatur ist füt ihn ein Schlüssel zu den Obsessionen der Menschen, mit ihr spürt er den verheerenden Folgen des kulturellen Differenzbewußtseins nach.....ein Buch, das in Anspruch, Thema und Konstruktion weit über alles hinausgeht, was er bisher geschrieben hat." Helmut Winter, FAZ,18.8.00