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Vom ganz gewöhnlichen Wahnsinn eines genialen Verlierers "Ich war nicht der Verrückteste. Ich war nur der Zweitverrückteste. Mein Name ist Bernhard Hval. Ich habe mehr Unheil angerichtet, als Sie sich vorstellen können." Und dieser Herr Hval bleibt sich treu bis zum Schluss. Die Festrede zum 80. Geburtstag hält er sich lieber gleich selbst. Sie ist sein Vermächtnis. Und da soll ausnahmsweise mal alles sitzen. Dass seine Lebensgeschichte die Länge eines Romans annimmt, ist nur folgerichtig. Im Jahr 1900 geboren wächst er auf Besserud in Kristiania als Einzelkind auf. Er macht eine Ausbildung…mehr

Produktbeschreibung
Vom ganz gewöhnlichen Wahnsinn eines genialen Verlierers
"Ich war nicht der Verrückteste. Ich war nur der Zweitverrückteste. Mein Name ist Bernhard Hval. Ich habe mehr Unheil angerichtet, als Sie sich vorstellen können." Und dieser Herr Hval bleibt sich treu bis zum Schluss. Die Festrede zum 80. Geburtstag hält er sich lieber gleich selbst. Sie ist sein Vermächtnis. Und da soll ausnahmsweise mal alles sitzen. Dass seine Lebensgeschichte die Länge eines Romans annimmt, ist nur folgerichtig. Im Jahr 1900 geboren wächst er auf Besserud in Kristiania als Einzelkind auf. Er macht eine Ausbildung als Arzt und wird der Beste seines Jahrgangs. Doch Zwangsvorstellungen und bestimmte Unarten erschweren ihm die Ausübung des Arztberufs. Er war am besten bei den Toten, wie es hieß, heuerte deshalb bei den Pathologen an. Nun sitzt er in seiner Wohnung im Skovveien in Oslo und schaut auf ein ganzes Jahrhundert zurück. Er erzählt von einer außergewöhnlichen Dreiecksbeziehung, zwischen ihm selbst, seiner robusten Frau Sigrid und Notto Fipp einem Sonderling wie er, einem äußerst sonderbaren Geher aus der Telemark, der nach dem Motto lebt: "Wenn ich gehe, denke ich weniger." Bernhard Hval wird sein Leibarzt. Solcherart sind die Grundfesten gelegt für Freundschaft, Leidenschaft, Wahnsinn und Skandale.

Lars Saabye Christensen ist der geborene Geschichtenerzähler, warmherzig und witzig, ernsthaft und aufrichtig, mit untrüglichem Gespür für menschliche Marotten und lebensnotwenige Macken seine Helden sind kleine Leute mit großen Schicksalen, denen der Wind gerne ins Gesicht bläst, die sich aber ihre Sehnsucht nach dem ganz großen Glück nie nehmen lassen.
Autorenporträt
Christensen, Lars Saabye§Lars Saabye Christensen, 1953 in Oslo geboren, ist einer der bedeutendsten norwegischen Autoren der Gegenwart. Seine Bücher sind in 36 Sprachen übersetzt und wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Nordischen Literaturpreis, mehrmals mit dem Norwegischen Kritikerpreis, dem Preis des Norwegischen Buchhandels sowie dem Preis des Norwegischen Verlegerverbandes.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2012

Bewegen sich Sozialisten anders als Direktoren?

Landstreicher erster Klasse: Der Norweger Lars Saabye Christensen erzählt in seinem Roman "Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval" über den Irrsinn des Daseins. Das Tourette-Syndrom des Helden ist dabei nur ein Handicap.

Im September 2009 wurde in einem Hotel im Norden von Norwegen eine zerknitterte Büste von Knut Hamsun enthüllt, und in dem Text, der aus diesem Anlass vorgetragen wurde, erinnerte der norwegische Schriftsteller Lars Saabye Christensen an die Stunden, in denen er sich als Vierzehnjähriger in die Bücherstapel eines Antiquariats eingrub wie in die Kohle eines Bergwerks. Die Bücher des Nobelpreisträgers Hamsun warteten auf ihn wie "Diamanten", sie machten ihn süchtig, je mehr er von ihnen fand, überall waren "Zeilen, die dich weiterziehen, in die Erzählung hinein, in den Menschen hinein, in den Himmel hinauf".

Und selbst was der alte Knut Hamsun von sich gab, war faszinierend, gehörte Hamsun doch irgendwie auf die andere und verrückte Seite; er war selbst im Falschen konsequent. Was hätte es gebracht, wenn Hamsun schon nach dem Nobelpreisfest beschwipst entschlafen wäre, wie manch einer wunschdenkt? Uns wären, meinte Lars Saabye Christensen, nur die Landstreicher-Romane entgangen und die "überwachsenen Pfade" als Testament. Vor allem wäre das Rätsel Knut Hamsun, das Rätsel eines Mannes, der das Leben erforschte, nicht annähernd so rätselhaft gewesen. Weil keine Rechnung mit ihm aufgeht.

Man muss an diese Zeilen denken, wenn man Lars Saabye Christensens großen Roman "Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval" zur Hand nimmt. Denn nicht nur erinnert dieser unverschämte, ungebremste und über den Irrsinn des Daseins trotzig hinwegstürmende Erzählstil an Knut Hamsun. Vielmehr begegnen sich der Dichter und der seltsame Arzt, in dessen Kopf uns Lars Saabye Christensen festmacht, in dieser skurrilen Geschichte aus dem jungen Norwegen.

Und das gleich mehrfach. Erst in einem Hotel in Nizza, Ende der zwanziger Jahre (Hval will den Dichter nach einem Herzanfall wiederbeleben: "Fass mich nicht an!", zischt Hamsun. "Ich bin Arzt, der beste meines Jahrgangs", sagt Hval. Und Hamsun: "Das ist mir scheißegal.") Dann in der Nervenklinik, in die der Dichter nach seiner Lobeshymne auf Hitler gesteckt wurde. Wobei Hval dem bleistiftkauenden Greis aus lauter Mitleid eine Klinge auf den Tisch legt: "Sollte er es benutzen, wie er wollte."

Dazu diese Geschichte, die an der Oberfläche von einem Landstreicher der Premiumklasse und seinem Freund erzählt, von zwei Außenseitern, die als verrückt gelten, weil sie sich entrückt haben und die Welt aus anderen Blickwinkeln betrachten. Sie sind Seelenverwandte wie Knut Hamsun und Bernhard Hval, und sie stoßen in just jenem Moment im Jahr 1929 aufeinander, in dem Bernhard Hval, der Sohn eines im Weltkrieg gestorbenen Industriellen, mit Roadster und Fahrer zur Planung seiner Hochzeit aufbricht.

Er ein Tourette-Kranker voller "Ticks", der die obszönen Wörter nicht für sich behalten kann, was sich einzig im Bett mit Sigrid von Vorteil erweist: "Sie war alles, sie war Fluss, Wald und Holz." Der andere ein die Landschaft immer wieder zu Fuß durchquerender, schier unnützer Sonderling, der Hval augenblicklich auf die Idee bringt, eine Doktorarbeit über das Gehen und also den Fortschritt zu schreiben. "Was unterscheidet die Gangart des Bauern von der des Industriearbeiters? Bewegen sich Sozialisten anders fort als Direktoren?" Das sind so Fragen, die Bernhard Hval sich zurechtlegt.

Dabei sagt Notto Fipp bloß: "Wenn ich gehe, denke ich weniger." Und der junge Mediziner Bernhard Hval, dem die Gedanken so unaufhörlich durch den Kopf funken, dass er gegen Ende seines Lebens wie in einem Akt der Notwehr zunächst eine Biographie und dann den eigenen Tod in Angriff nimmt (was aufs Neue schwierige Fragen nach der idealen Symbolik des Suizids aufwirft), versteht. Denn kaum etwas im Leben ist gefährlicher, als sich auf einmal selbst zu finden.

Die Hochzeit und der Kinderwunsch der unersättlichen Sigrid werden unter den Vorzeichen von Zwang und Zwangabwehr zum Problem. Beim Junggesellenabschied, klar, da fällt das Prosit leicht: "Auf die Hausbediensteten", stößt Bernhard Hval an, "die Nachtigallen, die Kellnerinnen, die Soubretten, die Huren, die Bordsteinschwalben, die Mütter und die ganze Gynäkolokratie und, last but not least, auf sie, die ich morgen Nacht lieben will, vom Bug und Heck und allen Kanten. Hurra!". Dann aber, beschleunigt durch die Hochzeitsreise und Biologie, setzt die Unruhe ein, das Messer an. Und alles, was als Zufluchtsort da ist, geht dahin. "Alles oder nichts, im Guten wie im Bösen! So sind wir." Jaja, neinnein. Hoho!

Man ahnt es da, obzwar Bernhard Hval die Erinnerungen an die Kindheit als "überschätzte Entschuldigung" bezeichnet, ruppig an die eigene Verantwortung, den eigenen und selbstbestimmten Weg durchs Leben erinnernd: Es gibt eine dunkle Geschichte vor der vermeintlich drolligen mit Sigrid und "Geher" Fipp - und eine kurze danach, die nicht nebensächlich ist, schon weil sie auf die Abrechnung mit den norwegischen Landesverrätern nach 1945 hinausläuft, auf die Begegnung Bernhard Hvals mit lauter Leuten, die für genau fünf Jahre den Verstand verloren zu haben meinen.

"Weiß ein Mensch, wann er die falschen Schritte macht?", fragt er sich im Laufe dieses heimtückischen "Post festum"-Epilogs; Bernhard Hval hat sich den Kopf verstaucht und die Seele ausgerenkt, er sah ein janusköpfiges Kind sterben, obwohl es lebensfähig und "ein Mensch" war, und das mit dem Roadster lief auch ziemlich schlimm. "Ahnt man es, wenn man den falschen Weg einschlägt, in dem Moment, in dem man den Fuß auf den Boden setzt?" Im Grunde schon, lautet seine Antwort. Und trotzdem gehe man weiter.

Das ist das Unheimliche an diesem ungestümen, unterhaltsamen und doch brutal direkten Buch über das Leben an sich: Dass man diese Hommage an das Dasein abseits von Normen und Konventionen, diese gegen alle wohlfeilen Gewissheiten und die "Vernunft der anderen" gerichtete "Festschrift für einen zusammengewürfelten und unergründlichen Mann" nicht zuklappen kann, ohne das Leben als solches für verrückt und bedrohlich zwanghaft zu halten.

MATTHIAS HANNEMANN

Lars Saabye Christensen: "Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval".

Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt, btb Verlag. München 2012. 624 S., geb., 21,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz schön mitgerissen von diesem Roman über die Freundschaft zweier Außenseiter (der Geher Fipp und der Arzt Bernhard Hval) und den "Irrsinn des Daseins" plappert Matthias Hannemann im Stakkato drauflos. Einerseits vermittelt er uns auf die Art ganz gut den Stil des "ungebremsten" Erzählens des Autors Lars Saabye Christensen und seines großen Vorbilds Knut Hamsun. Unheimlich und unterhaltsam, brutal direkt und verrückt sei das Buch, schreibt Hannemann ganz zum Schluss.

© Perlentaucher Medien GmbH