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Produktdetails
  • Verlag: Rotbuch Verlag
  • Seitenzahl: 230
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 255g
  • ISBN-13: 9783434530855
  • ISBN-10: 3434530851
  • Artikelnr.: 09441038
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2001

Es klappert
Fahrt
und Trieb
Wie Michael Ignatieff wirklich
den Kosovokrieg erlebt hat
Als am 14. März 1999 die Luftangriffe der Nato gegen Serbien begannen, rief Michael Ignatieff einen Freund in Belgrad an: „Während ich darauf wartete, dass er ans Telefon kam, hörte ich die Geräusche eines Messers, mit dem jemand auf der Küchenplatte Gemüse schnitt. Als Aleksa den Hörer nahm, waren seine ersten Worte: ,Ich verstehe den Mechanismus des Wahnsinns auf meiner Seite, aber verstehst du den auf deiner Seite?‘ Ich sagte, das sei kein Wahnsinn. Es sei die einzige Alternative. Er war anderer Meinung. Die Atmosphäre war eisig, aber wir redeten weiter. Ein beiderseitiges Bedürfnis – zu erklären, zu rechtfertigen – ließ uns während des Krieges immer wieder miteinander sprechen. ”
Das Gespräch zeigt, was den Wert der Bücher von Ignatieff ausmacht: Während die meisten an jenem 14. März nur das virtuelle Rauschen der Fernsehkommentare hörten, stritt sich Ignatieff mit einem Freund in Belgrad und hörte im Hintergrund das reale Klappern eines Gemüsemessers – der kanadisch-britische Autor entwickelt seine Ansichten in enger Rückbindung an das von ihm Erlebte und verbindet die packende Reportage mit dem kühlen Essay.
Sein neues Buch Virtueller Krieg ist wieder ein solcher Zwitter aus historisch-politischer Analyse, szenisch angelegter Kriegsberichterstattung und diplomatischem gossip: Ignatieff analysiert den virtuellen Charakter zukünftiger Kriege der internationalen Staatengemeinschaft und versucht, zu begründen, warum der Kosovokrieg, trotz aller Problematik, nichts mit einem „Mechanismus des Wahnsinns” zu tun hatte sondern gerechtfertigt war.
Zunächst einmal gibt es ja ein Problem der Wahrnehmung: Die ,sauberen‘ Präzisionslenkwaffen, die gereinigte Sprache der Militärs, die nie von einem Krieg, immer nur von „Luftschlägen”, einer „Diplomatie des Zwanges” und „Kollateralschäden” redeten, und die mediale Aufbereitung dieses Krieges als CNN-Häppchen – all das trug dazu dabei, die Realität ins Virtuelle zu verkehren. Wie schon im Irak so hatten auch die Bombardements gegen Serbien selbst für die Beteiligten etwas irreal Abstraktes: „Wenn jemand auf mich schießt, komme ich mir vor wie im Krieg”, zitiert Ignatieff einen amerikanischen Bomberpiloten.
Wie um dem Konflikt Bodenhaftung zu geben, macht er dessen inhärente Probleme klar, indem er fünf Protagonisten der Kosovokrise beschreibt. Er zeichnet ein faszinierendes Porträt von Richard Holbrooke, der fast im Alleingang an einer diplomatischen Lösung des Konfliktes arbeitete. Man lernt Holbrooke im logistischen Rausch seiner Shuttle-Diplomatie kennen: Zwischen Flughafen und Taxi, am Handy die Außenministerin Albright, vor sich Milosevic. Bei der Ankunft heißt es: „Das Ego ist gelandet. ”
Einige Monate später begleitet Ignatieff Louise Arbor, die Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien, in den westlichen Kosovo, wo sie ein Massengrab besucht. „Gerechtigkeit und Rache” ist dieser pessimistische Essay über den notwendigen Versuch einer juristischen Aufarbeitung des Krieges überschrieben. Ob er Wesley Clarke vorstellt, der das militärische Zusammenspiel von fast 20 Nationen zu koordinieren hatte oder von den Streitgesprächen mit seinem Belgrader Freund Aleksa erzählt – immer wieder kommt Ignatieffs Überzeugung von der Notwendigkeit dieses Krieges zum Ausdruck, die er zum ersten Mal beim Besuch eines Flüchtlingslagers sah: „Als ich nun, auf dieser Böschung in Mazedonien sitzend, beobachtete, wie sich eine vertriebene Nation auf ihre erste Nacht im Exil einrichtete, erschien mir das ganze Ausmaß dessen, was in den vergangenen acht Jahren geschehen war – mehr als eine Viertelmillion Menschen getötet, zwei weitere Millionen aus ihren Häusern vertrieben – plötzlich unerträglich. Nur ein Gedanke schien noch möglich: das muss beendet werden. Sofort. Durch nachhaltige und präzise militärische Stärke. Das Argument, es gehe hier nicht um nationale Interessen, erschien plötzlich ärgerlich abwegig. Es ging hier sowohl um Werte als auch um Interessen. ”
Ignatieff versucht eine Art Kriterienkatalog für militärische (westliche) Interventionen zu erarbeiten: In seinen Augen muss sich die internationale Staatengemeinschaft in Fällen von Massentötungen oder Völkervertreibungen, die auch den politischen Frieden in den umliegenden Ländern bedrohen, militärisch engagieren. Allerdings fürchtet er, dass die Nato nach den Interventionen und Kriegen im Irak und in Somalia, in Bosnien und in Serbien in Zukunft überhaupt nur noch eingreift, wenn vorher sicher steht, dass sie keinerlei Opfer wird bringen müssen. Ignatieff schreibt voll Ingrimm vom Kalkül der Amerikaner, die bei Ausbruch des Kuwaitkrieges damit rechneten, Tausende von Soldaten zu verlieren, in Somalia aber wieder abzogen, als 19 ihrer Soldaten getötet wurden. Das eine Mal ging es eben um Öl, das andere mal nur um Menschenrechte und einen undurchschaubaren Bürgerkrieg.
„Alles, was die Intellektuellen beisteuern können, sind seichte Gemeinplätze über unser wertvolles europäisches Erbe”, schrieb Ignatieff vor Jahren. Ignatieff selbst steuert mit seinem spannenden Buch, das eine Trilogie über die neuen Spielarten des Nationalismus und die internationale Interventionspolitik abschließt, mehr als nur Gemeinplätze bei.
ALEX RÜHLE
MICHAEL IGNATIEFF: Virtueller Krieg. Kosovo und die Folgen. Deutsch von Angelika Hildebrandt. Rotbuch Verlag, Hamburg 2001. 223 Seiten, 34 Mark.
Stagnation auf dem deutschen Comic-Markt – der neue Asterix, Nummer 31, ist eher enttäuschend in der Art, wie er Altbewährtes noch einmal durchspielt, und die Mangas aus dem Osten machen, durch die Wucht ihrer Attacke, schnell atemlos. Wie von selbst wendet der Blick sich da zurück – ohne dass man dabei gleich von Nostalgie sprechen könnte.
Der letzte Hugo Pratt ist im vorigen Jahr erschienen, das postume Meisterwerk des Vaters von Corto Maltese: Morgan, eine kleine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, inspiriert von den Aktionen der wendigen Torpedoboote im Mittelmeer (Kult Editionen, Casterman, Übersetzung: Uwe Löhmann, 96 Seiten, 34,80 Mark).
„Anfang des Zweiten Weltkriegs”, werden wir im Vorwort unterrichtet, „legte die Royal Navy merkwürdiger Weise wenig Wert auf den Einsatz von Torpedobooten, aber als Italien in den Krieg eintrat und seine starke Flotte mit der deutschen vereinigte, wurden sie für die Kontrolle des Mittelmeeres unverzichtbar . . . Als die Achsenmächte sich von diesen Kriegsschauplätzen zurückzogen, nahmen die Torpedoschnellboote Kurs auf die Ägäis, wo die Briten sie bei Kommandooperationen einsetzten und zum Waffentransport für die griechische Befreiungsarmee. Die Befehle kamen oft im letzten Moment und manchmal improvisierten die Kommandanten an Bord sogar eine Operation wie die ,Versenkung deutscher Motorräder‘ vor Triest. In den sechziger Jahren erzählte ein Matrose dieser Schnellboote persönlich Hugo Pratt diese wahre Geschichte in einem Londoner Pub. ”
In seinen Comics hat Hugo Pratt eine eigene Art der historischen Erzählung entwickelt, seltsam entrückte Geschichten zwischen der Macht der Fakten und der Freiheit der Imagination. Und immer inspiriert von der Lockung der Weite, des grenzenlosen Meeres: „Ein Gedanke, hervorgerufen von einer seltsamen Lockung des Horizonts, einem uns innewohnenden Drang ins Ferne, einer Art von Leidenschaft oder blindem Trieb zur Fahrt . . . Ich für meinen Teil deute mir diesen ganzen Zauber des Meeres so: daß es meinen Augen unablässig Möglichkeiten zeigt. ” (Paul Valéry)
Hugo Pratt ist fürwahr der moderne Erzähler des Horizonts geworden, und in diesem Sinne hat er die großen Erzählungen des vorigen Jahrhunderts geprägt. Einer, der von jener Linie weiß, da alles Erzählen sich auflöst, der von jener Grenze erzählt, die eigentlich keine ist, die sich im Moment des Herangehens verflüchtigt. In Morgan erleben wir Abenteuer zu Wasser und zu Lande, die kühnsten Rettungs-, Infiltrations- und Spezialaktionen, dazu eine Attacke mit einem Ballon, an der Seite der kühnen Evelyne Cunningham. Eine Flucht, wie sie nur im Lesen möglich ist, Mobilität, die kein Innehalten mehr kennt.
göt/Abb. : Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hohes Lob erhält das Buch des britisch-kanadischen Historikers Michael Ignatieff über den Charakter des Kosovo-Kriegs, seine Rechtfertigung und seine Folgen von Alex Rühle. Ignatieffs Buch sei ein "Zwitter" aus politischer Analyse und szenischer Reportage, in denen der Autor auch seine Erfahrungen aus eigener Anschauung verarbeite, so Rühle. Er versuche zu rechtfertigen, warum der Krieg trotz seiner medialen Verharmlosung (Stichwort Kollateralschaden) gerechtfertigt war. Dazu habe Ignatieff fünf Protagonisten der Krise beschrieben, darunter Louise Arbor, Chefanklägerin in Den Haag, General Wesley Clarke und in einem "faszinierenden Porträt" den Diplomaten Richard Holbrooke. Ignatieff ist ein entschiedener Befürworter einer westlichen Interventionspolitik in Fällen von Massentötungen und Vertreibungen, der anhand des Kosovo-Kriegs "eine Art Kriterienkatalog für militärische Interventionen" zu erstellen versucht, wie Rühle schreibt. Mit seinem "spannenden Buch", so Rühle, schließe Ignatieff eine Trilogie über die neuen Spielarten des Nationalismus und die westliche Interventionspoltik ab, zu der er ebenfalls einiges zu sagen habe

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