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Noch immer befinden sich in Deutschland 180.000 ausländische Personen im Status der "Duldung" - mehr als ein Drittel davon seit über zehn Jahren. Sie leben in einem ausländerrechtlichen Schwebezustand jenseits des illegalen und des legalen Aufenthalts. Die gesetzliche Einordnung geduldeten Aufenthalts als "unrechtmäßig" wirft die Frage nach der grundrechtlichen Rechtsstellung dieser Bevölkerungsgruppe auf. Augenscheinlich widerspricht die menschenrechtliche Fassung der ersten drei Verfassungsbestimmungen - Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit - jeder qualitativen Unterscheidung in der…mehr

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Produktbeschreibung
Noch immer befinden sich in Deutschland 180.000 ausländische Personen im Status der "Duldung" - mehr als ein Drittel davon seit über zehn Jahren. Sie leben in einem ausländerrechtlichen Schwebezustand jenseits des illegalen und des legalen Aufenthalts. Die gesetzliche Einordnung geduldeten Aufenthalts als "unrechtmäßig" wirft die Frage nach der grundrechtlichen Rechtsstellung dieser Bevölkerungsgruppe auf. Augenscheinlich widerspricht die menschenrechtliche Fassung der ersten drei Verfassungsbestimmungen - Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit - jeder qualitativen Unterscheidung in der grundrechtlichen Stellung von Ausländern mit/ohne Aufenthaltsrecht. Ziel der Arbeit ist es, die vermeintliche Inkongruenz zwischen einfachgesetzlichem und grundrechtlichem Status aufzulösen.

Im Zentrum des ersten Teils steht die These, dass sich der grundrechtliche Status von Ausländern im Bundesgebiet durch eine Teilhabe am Verfassungsprinzip der gleichen Freiheit aller Menschen realisiert. Mit dem Nationalstaatsprinzip ist zudem ein zweites, gegenläufiges fundamentales Verfassungsprinzip auszumachen, welches die Entscheidungsbefugnis über die grundsätzliche Aufnahme von Ausländern dem Staat belässt. Vor dem theoretischen Hintergrund dieser Prinzipien erklärt sich das Phänomen eines relativ rechtswidrigen Aufenthaltes: Ungeachtet der aufenthaltsrechtlichen Wertung des Aufenthalts als "unrechtmäßig" erlangen geduldete Ausländer einen übergeordneten verfassungsrechtlichen Rechtsstatus, in dessen Perspektive der Aufenthalt rechtmäßig bleibt. Die Verfassung legt damit eine Obergrenze für den Zeitraum der Duldungserteilung fest. Den Aufenthalt aus humanitären oder politischen Interessen auf die Grundlage der Duldung zu stellen ist zudem mit dem Prinzip der Freiheit unvereinbar. In Anwendung der gewonnenen Ergebnisse auf die bundesdeutschen Ausländergesetze bis hin zum Zuwanderungsgesetz 2005 zeigt sich im zweiten Teil, dass diese klaren verfassungsrechtlichen Grenzen sowohl bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Duldung, als auch bei ihrer Anwendung in der Praxis bis heute nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2006

Schwebezustand ohne Ende?
Duldung des Aufenthalts von Ausländern als Verfassungsproblem

Im Gegensatz zum Universalismus der Menschenrechte und zu dem daraus abgeleiteten Prinzip gleicher Freiheit aller bleibt das Nationalstaatsprinzip auf das eigene Staatsvolk bezogen und damit einer partikularen Gemeinschaft verhaftet. Der Staat des Grundgesetzes ist sowohl dem Nationalstaatsprinzip als auch dem Grundsatz gleicher individueller Freiheit verpflichtet. Diese beiden Prinzipien bestimmen nach Philipp-Asmus Riecken den aufenthaltsrechtlichen und grundrechtlichen Status des Ausländers: Das Nationalstaatsprinzip begründet das grundsätzlich freie Recht des Staates, über die Zulassung der dem eigenen Staatsvolk nicht Zugehörigen zum Staatsgebiet zu entscheiden. Die staatliche Hoheitsmacht über die Zulassung schließt die Befugnis ein, zwischen genehmigtem und ungenehmigtem und deshalb unrechtmäßigem Aufenthalt zu unterscheiden.

Hat der Staat indes grundsätzlich eine positive Zulassungsentscheidung getroffen - und sei sie zeitlich oder inhaltlich beschränkt -, so darf er in der Ausgestaltung des Aufenthaltsstatus eines solchen Ausländers dahinter nicht zurückfallen. Dies folgt für Riecken aus dem grundrechtlichen Status der Ausländer. Für alle sich innerhalb des Staatsgebiets aufhaltenden Ausländer realisiere sich eine Teilhabe an dem Verfassungsprinzip der Freiheit ohne Ansehung der aufenthaltsrechtlichen Bewertung. Der grundrechtsfreien Aufenthaltsbegründung im Wege der Kooptation folgt also eine Phase der grundrechtlichen Absicherung des tatsächlichen Aufenthalts infolge der dadurch bewirkten Unterworfenheit unter die Staatsgewalt.

Ein starres Entweder-Oder - Aufenthaltsgestattung oder Aufenthaltsrechtsversagung mit der Folge sofortiger Ausreise(pflicht) - kommt allerdings nicht in jedem Fall in Betracht. Es gibt Konstellationen, in denen der Staat aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zur zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht nicht in der Lage ist, weil Abschiebungshindernisse entgegenstehen. Es kann daher ein unabweisbares Bedürfnis bestehen, die Abschiebung im Einzelfall temporär auszusetzen. In einem solchen Fall wird dem betroffenen Ausländer eine sogenannte Duldung erteilt. Die aufenthaltsrechtliche Lage geduldeter Ausländer läßt sich als "Zwischenstadium des unrechtmäßigen, aber nicht sanktionierten Aufenthalts" kennzeichnen. Entgegen seiner eigentlichen Zweckbestimmung als vorübergehender Aufschub der Abschiebung entwickelte sich das Rechtsinstitut der Duldung in der ausländerrechtlichen Praxis indes mehr und mehr zu einem subsidiären Aufenthaltstitel, der bei mehrfacher Verlängerung (Kettenduldung) tatsächlich zu einem häufig humanitär begründeten Daueraufenthalt führte, dies jedoch in einem prekären Schwebezustand zwischen Legalität und Illegalität.

Gegen diese durch die Neuregelung des Ausländerrechts 2005 allerdings in ihrem Anwendungsbereich erheblich eingeschränkte Möglichkeit bloßer Duldung des Aufenthalts von Ausländern auf unbestimmte Dauer wendet sich Riecken. Er macht nicht nur politische, sondern auch verfassungsrechtliche Bedenken geltend: Das Zwischenstadium des unrechtmäßigen, aber staatlicherseits tolerierten Aufenthalts darf nicht perpetuiert werden. Gesetzliche Abstufungen der Aufenthaltsberechtigung bedürfen im Hinblick auf damit verbundene Einschränkungen grundrechtlicher Freiheit verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Die Vorenthaltung eines gesicherten aufenthaltsrechtlichen Status wird im Zeitablauf zunehmend rechtfertigungsbedürftig, aber immer weniger rechtfertigungsfähig. Wenn die - verfassungsrechtlich wohl nicht exakt zu fixierende - zeitliche Obergrenze bloß geduldeten Aufenthalts erreicht ist, muß nach Riecken der Aufenthalt (erforderlichenfalls zwangsweise) unter Beachtung der rechtsstaatlichen Anforderungen beendet oder (bei nicht vom Ausländer zu vertretender Unmöglichkeit der Abschiebung) durch Erteilung eines Aufenthaltstitels legalisiert werden. Durch Befristung, Bedingungen oder Auflagen kann dabei - legitimen Interessen der staatlichen Gemeinschaft Rechnung tragend - einer ungewollten Verstetigung des Aufenthalts entgegengewirkt werden.

Die verfassungsrechtlichen Kernaussagen der lesenswerten Schrift verdienen Zustimmung: Der nationale Verfassungsstaat ist vorbehaltlich eng begrenzter völkerrechtlicher Verpflichtungen frei, über die Aufnahme oder Nichtaufnahme eines Ausländers zu entscheiden. Aber wenn er ihn aus humanitären Erwägungen aufnimmt, darf er ihn nicht dauerhaft in rechtlicher Unsicherheit lassen, sondern muß ihm einen näher zu bestimmenden rechtlichen Status zuweisen. Das schuldet der Staat des Grundgesetzes sich selbst und dem als (Grund-)Rechtssubjekt anerkannten Ausländer.

CHRISTIAN HILLGRUBER

Philipp-Asmus Riecken: Die Duldung als Verfassungsproblem. Verlag Duncker & Humblot. Berlin 2006. 283 S., 82,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Lesenswert" findet Christian Hillgruber diese Studie über die Duldung des Aufenthalts von Ausländern als Verfassungsproblem, die Philipp-Asmus Riecken vorgelegt hat. Hillgruber rekapituliert die verfassungsrechtlichen Überlegungen des Autors und unterstreicht seine politischen und verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Möglichkeit bloßer Duldung. Den verfassungsrechtlichen Kernaussagen Rieckens kann sich Hillgruber nur anschließen. Danach steht es dem Verfassungsstaat - abgesehen von Ausnahmen völkerrechtlicher Verpflichtungen - frei, Ausländer aufzunehmen oder auch nicht. Allerdings dürften aus humanitären Gründen aufgenommene Ausländer nicht dauerhaft in rechtlicher Unsicherheit belassen werden. Dies schulde der Staat des Grundgesetzes sich selbst und dem als (Grund-)Rechtssubjekt anerkannten Ausländer.

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