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Zunächst erörtert Katja S. Ziegler grundlegende Fragen der Staatenverantwortlichkeit wie die der staatlichen Zurechnung fluchtauslösender Verhaltensweisen. Dabei behandelt sie "fluchtspezifisch" verletzte Menschenrechte als Primärnormen, die durch die Auslösung von Fluchtbewegungen verletzt werden.
Ein Schwerpunkt ist sodann der Problematik der Rechtsverletzung gegenüber dem Zufluchtsstaat gewidmet. Hierzu wird die Staatenpraxis des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Völkerbundszeit, ausführlich auf Indizien hin untersucht, ob die notgedrungene Aufnahme von Flüchtlingen die Souveränität des
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Produktbeschreibung
Zunächst erörtert Katja S. Ziegler grundlegende Fragen der Staatenverantwortlichkeit wie die der staatlichen Zurechnung fluchtauslösender Verhaltensweisen. Dabei behandelt sie "fluchtspezifisch" verletzte Menschenrechte als Primärnormen, die durch die Auslösung von Fluchtbewegungen verletzt werden.

Ein Schwerpunkt ist sodann der Problematik der Rechtsverletzung gegenüber dem Zufluchtsstaat gewidmet. Hierzu wird die Staatenpraxis des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Völkerbundszeit, ausführlich auf Indizien hin untersucht, ob die notgedrungene Aufnahme von Flüchtlingen die Souveränität des Zufluchtsstaates verletzt. Schließlich beleuchtet Katja S. Ziegler neuere Ansätze einer internationalen Ordnung, die rudimentär in Form von normhierarchisch höher einzuordnenden einzelnen Belangen der internationalen Gemeinschaft vorhanden ist. Die Erörterung der Rechtsfolgen sowie die Frage nach ihrer Durchsetzung, z. B. im Wege humanitärer Intervention, machen die Untersuchtung auch für die Praxis interessant.

Die Ergebnisse sind auch auf die aktuelle Fluchtbewegung aus dem talibanischen Afghanistan anwendbar und können für eine völkerrechtlich fundierte Analyse des neuen internationalen Konflikts in der Folge des 11. September 2001 herangezogen werden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2003

Flucht aus dem Völkerrecht
Die unerwünschte Aufdrängung fremder Staatsangehöriger

Katja S. Ziegler: Fluchtverursachung als völkerrechtliches Delikt. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Herkunftsstaates für die Verursachung von Fluchtbewegungen. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2002. 976 Seiten, 112,- [Euro].

Das 20. Jahrhundert gilt als "Jahrhundert von Flucht und Vertreibung". Die Zahl der Flüchtlinge, die unfreiwillig ihre Heimat verlassen und andernorts Zuflucht suchen mußten, hat ein nie zuvor da gewesenes Ausmaß erreicht. Katja Ziegler geht der Frage nach, inwieweit fluchtverursachendes Verhalten eines Staates ein völkerrechtliches Delikt darstellt, welche Rechtsfolgen dies auslöst und wie Herkunftsstaaten zu ihrer völkerrechtlichen Verantwortung gezogen werden können.

Ein Staat begeht ein völkerrechtliches Delikt, wenn er eine ihm obliegende völkerrechtliche Verpflichtung verletzt. Als verletzte Völkerrechtsnormen kommen zwischenstaatliche Abwehransprüche des Zufluchtsstaates, der die Flüchtlinge notgedrungen aufnimmt, sowie individualrechtliche Schutz- und Gewährleistungsansprüche der betroffenen Flüchtlinge selbst in Betracht. Die unerwünschte Aufdrängung fremder Staatsangehöriger samt aller damit verbundenen materiellen und immateriellen Probleme beeinträchtigt die Gebietshoheit des Aufnahmestaates, verletzt als Interventionsverstoß seine äußere und innere Souveränität. Der die Fluchtbewegung auslösende Herkunftsstaat kann sich seiner Verantwortung nicht mit Hinweis darauf entziehen, daß der Aufnahmestaat seine Grenzen dicht machen könne und solle. Eine solche Abschottung scheidet bei bestehenden völkerrechtlichen Aufnahmepflichten schon aus Rechtsgründen, im übrigen wegen des inhumanen Ergebnisses der in ein Niemandsland abgedrängten Flüchtlinge jedenfalls praktisch als haftungsausschließendes (rechtmäßiges) Alternativverhalten des Zufluchtsstaates aus.

Individualrechtlich steht die Verletzung "fluchtspezifischer" Menschenrechte in Rede. So läßt sich bereits aus dem Einreiserecht ein "right to remain" und ein Ausweisungsverbot gegenüber eigenen Staatsangehörigen ableiten. Das kontextbezogene "Recht auf die Heimat" geht über dieses Freizügigkeitsrecht hinaus. Ebenso wie beim Selbstbestimmungsrecht von Völkern und Volksgruppen und den Minderheitenrechten als Kollektivrechten kann allerdings auch bei der Verletzung des subjektiven "Rechts auf die Heimat" durch Zeitablauf und "Neuansiedlungen" die primär geschuldete restitutio in integrum unmöglich werden und sich der Wiedergutmachungsanspruch in einen Kompensationsanspruch verwandeln: die "offene Flanke" all dieser Rechte.

Als dritte normative Ebene behandelt Ziegler Rechtsverletzungen zum Nachteil "der internationalen Gemeinschaft" als Ganzes. Da diese Gemeinschaft nicht als organisatorische Einheit existiert, geht es um mögliche Ansprüche, die allen Staaten, zur gesamten Hand oder einzeln, insbesondere aber den nicht unmittelbar betroffenen Staaten zustehen. Hier bemüht Ziegler das ganze von der Völkerrechtslehre zur Verfügung gestellte "Arsenal": die Kategorien der international crimes, die Verpflichtungen erga omnes und das ius cogens. Der Ertrag bleibt gering, weil nicht deutlich wird, welche besonderen Rechtsfolgen sich an diese als besonders gravierend eingestuften Völkerrechtsverletzungen (wie crimes against humanity und den Genozid) knüpfen.

Das völkerrechtliche Delikt der Fluchtverursachung löst die allgemeinen Rechtsfolgen der Staatenverantwortlichkeit aus: Zur Behebung des Interventionsverstoßes kann der Zufluchtsstaat die Rücknahme der Flüchtlinge, die Einstellung des fluchtverursachenden, menschenrechtsverletzenden Verhaltens und - bei Wiederholungsgefahr - die Zusicherung künftiger Unterlassung durch den Herkunftsstaat verlangen. Der problematischen, in der Staatenpraxis nicht nachweisbaren Konstruktion der Geltendmachung der individuellen Rechtspositionen der selbst nicht anspruchsberechtigten Flüchtlinge durch den Zufluchtsstaat ("in Umkehrung des Prinzips diplomatischen Schutzes") bedarf es dazu nicht. Hinzu kommt ein Anspruch des Zufluchtsstaates auf Entschädigung der mit der Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge verbundenen finanziellen Belastungen. Drittstaaten, die aus internationalen Menschenrechtsverpflichtungen berechtigt sind, können deren Erfüllung durch den Herkunftsstaat gegenüber den Flüchtlingen als ihr eigenes Recht geltend machen.

Ein Vertreibungsstaat wird indes häufig nicht nur seine primären völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzen, sondern sich auch seiner sekundären völkerrechtlichen Verantwortlichkeit entziehen. Dann stellt sich die prekäre Frage der Durchsetzbarkeit: Friedliche Gegenmaßnahmen kann jeder im Rechtssinne verletzte Staat ergreifen, zu militärischer Zwangsgewalt darf nur im Rahmen und unter den Voraussetzungen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen gegriffen werden. Das mag unbefriedigend erscheinen, entspricht aber dem Entwicklungsstand des Völkerrechts.

CHRISTIAN HILLGRUBER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christian Hillgruber, Professor für Völkerrecht in Bonn, bespricht diese Dissertation von Katja Ziegler leider rein juristisch. Die Autorin überlegt darin, wie Hillgrubers Zusammenfassung zu entnehmen ist, wie Staaten für ein "fluchtverursachendes Verhalten" zur völkerrechtlichen Verantwortung gezogen werden können. Die "unerwünschte Aufdrängung fremder Staatsangehöriger" beeinträchtige nämlich die Gebietshoheit des Aufnahmestaates und dessen Souveränität, so Zieglers Argumentation, wodurch ein völkerrechtliches Delikt vorliegt, das geahndet werden kann. Auch wenn Hillgruber zu bedenken gibt, dass ein Staat, der seine Bürger zur Flucht zwingt, wahrscheinlich nicht den Aufnahmestaat freiwillig entschädigen wird, die Durchsetzbarkeit eines solchen Konstrukt also in den Sternen steht, scheint er gar nicht so unzufrieden. So sei es halt, das Völkerrecht. Vom Rezensenten ist leider nicht zu erfahren, ob dieses Gedankengebäude in irgendeiner Weise mit der praktischen Wirklichkeit gekoppelt ist.

© Perlentaucher Medien GmbH