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Die Menschheit an der Jahrtausendwende: Globalisierungs-, Einwanderungs- und Informationsgesellschaft - das Fremde und die eigene Identität. Der Autor beleuchtet in diesem Buch Themen aus Politik, Philosophie und Ethnologie mit Blick auf maßgebliche Forschungsergebnisse dieses Jahrhunderts. Gegen die Rede vom "Ende der Geschichte", von ausweglosen und alles dominierenden Zerfalls- und Gewaltprognosen bringt er andere Formen des Wissens und Bewußtseins ins Gespräch; Formen, die zu einem Verständigungswissen statt zum Kampf der Kulturen führen.

Produktbeschreibung
Die Menschheit an der Jahrtausendwende: Globalisierungs-, Einwanderungs- und Informationsgesellschaft - das Fremde und die eigene Identität. Der Autor beleuchtet in diesem Buch Themen aus Politik, Philosophie und Ethnologie mit Blick auf maßgebliche Forschungsergebnisse dieses Jahrhunderts. Gegen die Rede vom "Ende der Geschichte", von ausweglosen und alles dominierenden Zerfalls- und Gewaltprognosen bringt er andere Formen des Wissens und Bewußtseins ins Gespräch; Formen, die zu einem Verständigungswissen statt zum Kampf der Kulturen führen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2000

Der Jungbrunnen
Hans-Jürgen Heinrichs sucht die Quelle der ewigen Jugend

Als der Psychoanalytiker und Maler Fritz Morgenthaler beim Versuch, in einem New Yorker Café etwas zu bestellen, mehrmals ignoriert wurde, griff er zu einem ungewöhnlichen Mittel. Er beschwerte sich mit den Worten "Look, I am a foreigner" und wurde von diesem Moment an mit besonderer Aufmerksamkeit beachtet. Der Ethnologe und Schriftsteller Hans-Jürgen Heinrichs führt die Anekdote als Beispiel an, um zu zeigen, dass Fremdheit nicht unter allen Umständen Ausgrenzung und Diskriminierung zu bedeuten hat. Eine Identität im Widerspruch zur vorherrschenden Kultur ist immer noch besser als gar keine; auch der Außenseiter hat einen festen Platz, von dem aus er die alte oder neue Mitte in den Blick nehmen kann.

Heinrichs legt zur Jahrtausendwende eine Streitschrift für das utopische Denken vor. Utopien haben es nicht leicht in unseren Zeiten der allerneuesten Sachlichkeit, in denen "Innovationen" zum Surrogat für neue Ideen geworden sind. Es ist allerdings mühsam, den utopischen Kern des Buchs herauszuschälen, denn obwohl das Herz des Autors sicher eher links als rechts schlägt, erwartet er das Heil nicht vom Umbau der politischen oder ökonomischen Rahmenbedingungen menschlichen Strebens. Dessen Unzulänglichkeit will er vielmehr tiefer, bei der seelischen Wurzel packen. Die Debatten zwischen universalistischen und relativistischen Ansätzen in der Gesellschaftstheorie hält er für unfruchtbar, weil beide Seiten die Notwendigkeit einer stabilen Identität überbewerteten.

Während die einen die Aufgabe kultureller Eigenständigkeit im Sinne einer (so der Vorwurf der Gegenpartei) "eurozentrischen" Menschenrechtsidee fordern, setzen die anderen auf eine Politik der Differenz, die sich von der Chimäre einer formalen Gleichberechtigung gelöst hat, aber immer in Gefahr steht, mit künstlichen Grenzziehungen einem neuen kulturellen Rassismus den Weg zu bereiten. Heinrichs hält dagegen das westliche Beharren auf festen Identitäten selbst für ein Hindernis auf dem Weg zu einer "fundamentalen (tiefen-)ökologischen Einstellung". Das warme "Gefühl, ein wertvoller Teil des Universums zu sein", würde jede Mauer zwischen den Menschen zum Schmelzen bringen. Aber wie soll das ohne eine religiöse Fundierung gelingen, die doch selber wieder zur Waffe im Kulturkampf werden kann?

Mit Charles Taylor will Heinrichs zu den eigentlichen Quellen des Selbst vordringen, das aus dem klaren Brunnen der Authentizität und Wahrheit entspringe, und den trüben Gewässern fiktionaler Scheinidentitäten ade sagen. Gerade an diesem neuralgischen Punkt reicht allerdings das essayistische Verfahren des Buches nicht mehr hin. Jetzt wäre Argumentation statt Zitation gefragt. Denn Heinrichs hantiert gleichzeitig mit dem psychoanalytischen Konzept Jacques Lacans, das die unverstellte Wahrheit des Begehrens freilegen will, und der phänomenologischen Ethik von Emmanuel Levinas, der eine absolute Priorität des Anderen über die Ansprüche des Selbst verlangt.

Das geht nicht zusammen. Wie die Psychoanalyse programmatisch jedes Sollen im Genuss unterläuft, so ist Levinas' Forderung deshalb so radikal, weil sie nicht nur historischer und alltäglicher Erfahrung, sondern auch dem (So-)Sein des Menschen entgegensteht und sich nur vom "Jenseits des Seins" her begründen lässt. Auf eine religiöse Hoffnung will sich Heinrichs allerdings nur mit Vorbehalten berufen. Für das einundzwanzigste Jahrhundert erwartet er eine Spiritualität, die "ganz eigenartige Verbindungen mit dem Marktgerechten und dem Technologischen, dem Konsumismus und Materialismus eingeht".

Kaum zufällig sind die besten Passagen des Buches Exkurse zu Kunstwerken, etwa von Jochen Gerz. Freilich scheint Heinrichs zu übersehen, dass die Kunst die globale Durchsetzung des liberalen Gesellschaftsmodells voraussetzt, soll sie, geschützt von ihrer Autonomie, tatsächlich eine Funktion als Laboratorium der Zukunft wahrnehmen. "Globalisierung" ist für Heinrichs allerdings kein Begriff, der etwas erklären könnte, sondern ein "Mythos" oder gar eine "Fiktion", die beliebige Zukunftshoffnungen und -ängste anziehe. Dieser durchaus bedenkenswerten Kritik zum Trotz tappt Heinrichs selber immer wieder in die "Globalisierungsfalle", indem er weltweite Entwicklungen für allerlei bis hin zum privaten Unglück verantwortlich macht.

RICHARD KÄMMERLINGS

Hans-Jürgen Heinrichs: "Der Mensch hat eine Zukunft". Spielräume für Wissen und Bewusstsein im neuen Zeitalter. Eugen Diederichs Verlag, München 1999. 208 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Richard Kämmerlings hat das Buch sehr zwiespältig augenommen. Diese "Streitschrift für das utopische Denken" werfe zwar interessante Gedanken auf, sein essayistisches Vorgehen reiche aber dort nicht aus, wo Argumente statt Zitate gefragt sind. Die Theorien von Lacan und Levinas, mit denen der Autor gleichzeitig "hantiere", widersprechen sich, kritisiert der Rezensent, und außerdem sieht er den Autor immer wieder in die "Globalisierungsfalle" geraten, wenn er selbst individuelles Unglück mit weltweiten Entwicklungen erklärt. Am besten haben dem Rezensenten die Überlegungen zur Kunst gefallen, die er ausdrücklich lobt.

© Perlentaucher Medien GmbH