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Marcel Reich-Ranicki, geboren 1920 in Wloclawek an der Weichsel, lebte ab 1929 in Berlin und wurde 1933 von den Nazis nach Warschau deportiert. Zusammen mit seiner Frau Teofila gelang es ihm 1943, aus dem Ghetto zu fliehen und unterzutauchen. Nach Kriegsende war er für den polnischen Geheimdienst und das polnische Konsulat in London tätig.
1950 wurde Reich-Ranicki entlassen und aus der Partei ausgeschlossen und arbeitete danach als Lektor, freier Schriftsteller und Literaturkritiker. 1958 siedelt er mit seiner Familie nach Westdeutschland über, wo er zu einer Institution im literarischen
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Produktbeschreibung
Marcel Reich-Ranicki, geboren 1920 in Wloclawek an der Weichsel, lebte ab 1929 in Berlin und wurde 1933 von den Nazis nach Warschau deportiert. Zusammen mit seiner Frau Teofila gelang es ihm 1943, aus dem Ghetto zu fliehen und unterzutauchen. Nach Kriegsende war er für den polnischen Geheimdienst und das polnische Konsulat in London tätig.

1950 wurde Reich-Ranicki entlassen und aus der Partei ausgeschlossen und arbeitete danach als Lektor, freier Schriftsteller und Literaturkritiker. 1958 siedelt er mit seiner Familie nach Westdeutschland über, wo er zu einer Institution im literarischen Leben wurde und mit seiner Autobiografie 'Mein Leben' auch zum Bestsellerautor.

Autorenporträt
Anz, Thomas
Thomas Anz, Jahrgang 1948, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur in Marburg und verfaßte neben wissenschaftlichen Arbeiten zahlreiche Literaturkritiken und Essays für Zeitung und Rundfunk. Seit 1999 ist er außerdem Herausgeber der ersten Zeitschrift für Literaturkritik im Internet. Veröffentlichungen: 'Literatur der Existenz' (1977), 'Franz Kafka' (1989), 'Gesund oder krank? Medizin, Moral und Ästhetik in der deutschen Gegenwartsliteratur' (1989), 'Psychoanalyse in der modernen Literatur' (1999).

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2004

Wer ist Hölzenbein?
Kritik als Beruf: Marcel Reich-Ranicki in einer Biographie von Thomas Anz / Von Jürgen Busche

"Mein Leben", die Autobiographie von Marcel Reich-Ranicki, der heute seinen vierundachtzigsten Geburtstag feiert, ist so erfolgreich wie die erfolgreichsten Autobiographien, die seit 1945 erschienen sind: "Mein Leben" von Alma Mahler-Werfel und Carl Zuckmayers "Als wär's ein Stück von mir". Kann Reich-Ranickis Leben besser erzählt werden, genauer, informativer? Was traut ein Biograph sich zu, der sich daran wagt? Will er andere Leser erreichen als die vielen, die der Autobiograph schon für sich gewonnen hat? Wo mag es die geben?

Thomas Anz, Literaturprofessor in Marburg, hat ein schmales Buch geschrieben, das dem Leser die Berühmtheit seines Helden erklärt. Der Band "Marcel Reich-Ranicki", erschienen in der Porträtreihe des Deutschen Taschenbuch Verlags, bietet auf 170 unterhaltsam mit zahlreichen Fotos und farblich unterlegten Zitaten gestalteten Seiten eine Anleitung zum Staunen. Aber auch zum nachdenklichen Innehalten. Der Leser begegnet seiner Lektüre der Autobiographie Reich-Ranickis in der Zusammenfassung, wie sie Anz gibt. Das ist für sich schon so lehrreich und erbaulich, wie es die Beschäftigung mit einem klugen Reiseführer nach Abschluß der Reise sein kann.

Aber Anz gibt noch einiges mehr. Wo der Autobiograph dem Leser Urteile über prekäre Stationen und Konstellationen seines Lebens nur mittelbar nahelegen kann, weil die dazu nötige Distanz den Duktus der Erzählung stören würde, darf der Biograph essayistisch ausbreiten, was er bemerkt hat und für bemerkenswert auch durch andere hält. Daß Reich-Ranicki wenig von seinem Vater hielt, ist so ein Punkt bei Anz, der manchen Leser veranlassen mag, sich dazu noch einmal die Autobiographie selbst vorzunehmen.

Wo die Erinnerungen Reich-Ranickis von ihm selbst am eindrucksvollsten formuliert worden waren, in der Schilderung der Jahre im besetzten Polen, wahrt der nachfolgende Biograph die größte Zurückhaltung. Und er tut gut daran. Anders verhält er sich in den Kapiteln, in denen er seinem Helden als Zeitzeuge entgegen- oder zur Seite treten kann. Da Reich-Ranickis unmittelbar nach Kriegsende begonnene Karriere im polnischen Geheimdienst erst 1994 im Westen bekannt wurde und zu heftigen Polemiken Anlaß gab, entwickelt Anz seine Darstellung der Nachkriegszeit in diesem Fall aus seiner Parteinahme für Reich-Ranicki. Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Gründe für den so lang bedrohten, knapp dem Tode entkommenen Juden, sich den Kommunisten anzuschließen, sind plausibel, und die anfängliche Karriere, die auf diesen Schritt folgte, ist nicht zu beanstanden.

Je weiter freilich der Biograph in der Zeit vorankommt, die er aus eigenem Erleben zu kennen meint, um so stärker versucht er, seine Perspektive mit der des Autobiographen zu verschmelzen - wobei die eigene maßgebend ist. Hier kommt es zu Verkürzungen und Vereinseitigungen, von denen manche zeittypisch - typisch für die siebziger Jahre - sind, manche aber auch dazu dienen, die persönlichen Empfindungen, bei denen sich Biograph und Autobiograph einig sein mögen, affirmativ zu bekräftigen.

Es ist sicherlich richtig, daß Reich-Ranicki in den ideologischen Kämpfen der siebziger Jahre als Literaturchef der "Frankfurter Allgemeinen" im Gegensatz zur politischen Linie der Zeitung stand und auf ihren Seiten manches erscheinen ließ, um das deutlich zu machen. Aber was für Anz, selbst einmal Literaturredakteur dieser Zeitung, ein Lebensthema war und immer noch sein mag, ist es für Reich-Ranicki nicht mehr, wahrscheinlich nie gewesen. Zu Recht zitiert Anz Reich-Ranicki mit dem Satz, die fünfzehn Jahre als Literaturchef der "Frankfurter Allgemeinen" seien die schönsten seines Lebens gewesen. Und zu Recht fügt er hinzu, daß er dies Joachim Fest zu verdanken hatte, der, anders als es Anz hernach notiert, im sogenannten Historiker-Streit vielleicht eine unglückliche, ganz gewiß aber keine "unrühmliche" Rolle gespielt hat.

Irreführend ist auch der knappe Hinweis, Reich-Ranicki sei "von der Redaktion nicht eben freundlich empfangen" worden. Im Zuge der Etablierung von Fest und Reich-Ranicki und - später - Georg Hensel als Theaterkritiker gab es Verabschiedungen anderer, die nicht allen leichtfielen. Hier wurden Loyalitäten spürbar, die man kaum als Unfreundlichkeit gegenüber den Neuen bezeichnen kann.

Wie es da zuging, mag eine kleine Geschichte veranschaulichen. Vor Beginn einer Feuilleton-Konferenz - man wartete noch auf den Herausgeber - hatte sich ein lebhaftes Gespräch über die Frankfurter Eintracht (den Fußballverein) entwickelt. Immer wieder fiel der Name Hölzenbein. Reich-Ranicki, rasch verstimmt, weil er zu dem Gespräch nichts beitragen konnte, polterte schließlich los: "Hölzenbein! Wer ist Hölzenbein? Ich kenne diesen Mann nicht!" Darauf antwortete der Filmkritiker Michael Schwarze: "Der kennt Sie auch nicht." Großes Gelächter. Unfreundlich?

Das weitaus längste Kapitel seines Buches hat Anz unter den Titel "Kritik als Beruf" gestellt. Hier analysiert der Philologe Reich-Ranickis Leistung und Selbstverständnis als Literaturkritiker. Und hier hat sich der Biograph naturgemäß von dem Autobiographen getrennt. Es sind die reflexionsreichen Bücher Reich-Ranickis, die immer wieder zu lesenden "Anwälte der Literatur" und "Über Ruhestörer", auch das 2002 erschienene Kompendium "Über Literaturkritik", woraus er das beste Material für sein Porträt des Mannes gewinnt, den er in der Einleitung den erfolgreichsten, wirkungsvollsten "und deshalb auch" umstrittensten Literaturkritiker der "Nachkriegszeit" nennt.

In diesem frühen Satz kann man die Stärken und die Schwächen des Buchs von Anz erkennen. Der Autor vermag einsichtig zu machen, warum die Komplimente für den Kritiker berechtigt sind. Aber daß er nicht gemerkt hat, daß die Nachkriegszeit längst vorbei ist, oder aber, daß der Ruhm Reich-Ranickis, auch seine leistungsstarke Präsenz, weit über das Ende der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart andauert, wird aus dieser historisch verfehlten oder politisch befangenen Formulierung nicht klar. So reicht diese Biographie, was die gebotenen Fakten betrifft, bis ins Jahr 2003, doch der Geist, aus dem sie geschrieben ist, ist weitgehend der von 1973. Und der Biograph erweist sich als heimlicher Autobiograph gegenüber seinem verehrten Helden.

Jürgen Busche gehörte von 1972 bis 1987 der Redaktion dieser Zeitung an. Er lebt heute als freier Publizist in Berlin. Der Band "Marcel Reich-Ranicki" von Thomas Anz, erschienen im Deutschen Taschenbuch Verlag, kostet 10 Euro.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wenn in der FAZ ein Ex-FAZ-Redakteur das Buch eines Ex-FAZ-Redakteurs über einen Ex-FAZ-Redakteur bespricht, dann ist für den unbefangenen Leser kaum abzuschätzen, ob hier sachlich informiert oder in dem einen oder anderen Nebensatz manche Rechnung beglichen wird. Soweit man also von außen urteilen kann, ist Jürgen Busche mit Thomas Anz' Reich-Ranicki-Biografie halb zufrieden. Ganz in Ordnung findet er die Passagen, in denen sich Anz einfach auf die Spuren des höchst erfolgreichen Autobiografen Reich-Ranicki heftet und das von diesem Vorgegebene pointiert, perspektiviert und mit Abstand betrachtet. Gegen "Parteinahme" in der Angelegenheit von Reich-Ranickis Tätigkeit für den polnischen Geheimdienst hat Busche nichts einzuwenden. Problematisch aber werde es in der Einschätzung der 70er Jahre. Anz kämpft, so der zentrale Vorwurf des Rezensenten, die "ideologischen Kämpfe der 70er Jahre" weiter und mag nicht akzeptieren, dass die "Nachkriegszeit" vorbei ist, ohne dass Reich-Ranickis Einfluss geschwunden wäre.

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