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Die bewegende Spurensuche eines Zeugen der Budapester Todesmärsche 1944.
Der 14-jährige Iván flieht im Kriegswinter 1944/45 gemeinsam mit seiner Freundin Vera vor den Deportationen im belagerten Budapest. Carl Lutz, der Schweizer Vizekonsul, ist ebenfalls auf den unter Beschuss liegenden Straßen unterwegs: Wie der weitaus bekanntere Raoul Wallenberg stellt er sich mutig den Anordnungen der Nationalsozialisten entgegen und wird zum Retter von über 60.000 Juden. Auch die beiden Jugendlichen begegnen dem Diplomaten, doch Iván Sándor erfährt erst Jahre später, wen er damals vor sich…mehr

Produktbeschreibung
Die bewegende Spurensuche eines Zeugen der Budapester Todesmärsche 1944.
Der 14-jährige Iván flieht im Kriegswinter 1944/45 gemeinsam mit seiner Freundin Vera vor den Deportationen im belagerten Budapest. Carl Lutz, der Schweizer Vizekonsul, ist ebenfalls auf den unter Beschuss liegenden Straßen unterwegs: Wie der weitaus bekanntere Raoul Wallenberg stellt er sich mutig den Anordnungen der Nationalsozialisten entgegen und wird zum Retter von über 60.000 Juden. Auch die beiden Jugendlichen begegnen dem Diplomaten, doch Iván Sándor erfährt erst Jahre später, wen er damals vor sich hatte.

Mit dramaturgischer Raffinesse verknüpft er seine persönlichen Erinnerungen mit der berührenden Geschichte von Carl Lutz, dessen furchtloses Handeln ihn zu einem Vorbild für Zivilcourage und Humanität werden ließ.
Autorenporträt
Sándor, Iván
Iván Sándor, geboren 1930 in Budapest, gehört zu den renommiertesten Schriftstellern Ungarns. Sein umfangreiches Werk umfasst 13 Romane sowie zahlreiche Essays zur europäischen Geschichte und Literatur und Dramen. Iván Sándor wurde mit den wichtigsten Literaturpreisen des Landes geehrt, darunter mit dem József-Attila-Preis (1985) und dem Márai-Sándor-Preis (2000). 2005 wurde ihm für sein Lebenswerk der Kossuth-Preis verliehen. Bei dtv erschien 2006 der Roman 'Geliebte Liv', der zu seinen bekanntesten Werken zählt. Iván Sándor lebt in Budapest.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2010

Der Packard in der Not

Iván Sándors Roman "Spurensuche" erzählt vom Leid Ungarns zur Zeit des Nazi-Terrors. Vielschichtig und zugleich lakonisch wird so Geschichte gegenwärtig.

Geschichte, Erinnerung und Phantasie sind die Quellen der Literatur. Wer für seine Prosa allein aus einem dieser Ursprünge schöpft, mag im historischen Roman, in Memoiren oder in der Science-Fiction ein etabliertes Ausdrucksmittel finden. Wer dagegen Historisches, Erlebtes und Erdachtes kombiniert, riskiert mehr - und kann weitaus mehr gewinnen. Dies beweist der 1930 in Budapest geborene Schriftsteller Iván Sándor mit seinem Roman "Spurensuche", den er "Eine Nachforschung" nennt.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs war der Jude Sándor präsent, als Nazis und mit ihnen verbundene ungarische Faschisten, die "Pfeilkreuzler", unzählige Juden auf Todesmärsche schickten oder gleich erschossen. Immer wieder von seinen Eltern getrennt, von den herannahenden Russen in Angst und Schrecken versetzt, irrte der Vierzehnjährige mit seiner zwölf Jahre alten Freundin Vera durch die ungarische Hauptstadt und entzog sich einige Male dem Zugriff der Pfeilkreuzler. Als Zuflucht dienten dem Jungen desolate Heime und Krankenhäuser, die der Schweizer Diplomat Carl Lutz (1895-1975) vor Adolf Eichmann und seinen Gesellen schützen ließ.

In seinem 2006 im Original vorgelegten Roman verschmilzt Sándor viele Details des Vergangenen mit jüngeren Eindrücken an Orten des Geschehens; hinzu kommen Schilderungen von aktuellen Treffen mit Leidensgenossen, ferner Traumsequenzen. Auf diese Weise entsteht ein mitreißender Textstrom. Es ist faszinierend, dass die schnelle Folge von Beschreibungen (etwa von Brücken und Zimmern), Vorstellungen (zum Beispiel über Verluste und Nöte) und Dokumenten (darunter Regierungsmemoranden und Ministeranordnungen) nicht irritiert. Unweigerlich hat man das Gefühl, dass menschliches Wahrnehmen und Reflektieren ideal nachempfunden sind.

Derlei gelang Sándor bereits in "Geliebte Liv", dem 2006 ins Deutsche übersetzten Roman, der 2002 in Ungarn erschienen war. Während hierin das Geschehen um den Aufstand von 1956 teils schwer zu verfolgen ist, verläuft die "Spurensuche" nur so rätselhaft, wie es zum Halten der Spannung nötig ist. Die nunmehr zweite Übertragung einer Publikation des Künstlers in eine Fremdsprache offenbart die Reife eines Meisters, zu dessen Werk neben vierzehn Romanen etliche Essays und Dramen zählen. Sándor hat einen spezifischen Ton - der bei Deskriptionen von Lakonik geprägt ist. "Auf der Andrássy-Straße ist kein Mensch zu sehen", heißt es einmal. "Aus den verdunkelten Fenstern dringt kein Licht. Die Stadt ist eine dunkle Masse. Besteht nicht aus Häusern. Nicht aus Straßen. Nur aus Dunkelheit." In einer ruhigen Minute sinniert der Erzähler: "Endgültig verloren geht nur, was schon in Vergessenheit gerät, während es geschieht." Ein anderes Mal meint er, eine Beschreibung finde dann ihre Würde, wenn darin etwas aufscheine, was über das Erzählbare, das Bewahrbare hinausgehe. Es ist wenig vermessen, dies als Teil von Sándors Poetik zu sehen, die der Autor 2007 im Gespräch ergänzte: Sein Ziel sei eine Synthese des Realismus des 20. Jahrhunderts mit der Postmoderne, die er als passé betrachte. Zu den von ihm eher beneideten als bewunderten Kollegen gehören Marcel Proust, Virginia Woolf und Franz Kafka, außerdem Christoph Ransmayr. Gerade Ransmayrs Roman "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" (1984), die rekonstruierende, polyphone Montage über die österreichisch-ungarische Polarexpedition von 1872 bis 1874, mag dem Ungarn für die "Spurensuche" Pate gestanden haben: Eine anschauliche Sprache und abrupte Wechsel der Zeiten tragen in beiden Fällen zu reportagehaften Passagen bei. Sehr eindrücklich geraten Sándor die Momente, da Carl Lutz in seinem Luxusauto, einem schwarzen Packard, quasi aus dem Nichts auftaucht und überall in der Stadt das Schlimmste verhindert.

Weniger bekannt als der später ähnlich agierende Schwede Raoul Wallenberg, hat Lutz 62 000 Menschen, die Hälfte der überlebenden ungarischen Juden, mit Schutzbriefen für die Auswanderung nach Palästina vor der Deportation bewahrt. Von seinen Vorgesetzten wegen "Kompetenzüberschreitung" gerügt, erhielt der Vizekonsul erst in den sechziger Jahren gebührend Anerkennung. Das "Glashaus", ein von Lutz protegiertes Industriegebäude, in dem 3000 Juden gerettet wurden, ist heute ein Museum, das die Taten des Schweizers veranschaulicht. Iván Sándor hat dem mutigen Gesandten ein facettenreiches literarisches Denkmal gesetzt.

THOMAS LEUCHTENMÜLLER

Iván Sándor: "Spurensuche". Eine Nachforschung. Roman.

Aus dem Ungarischen von Katalin Fischer. dtv, München 2009. 340 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein Denkmal für den Schweizer Diplomaten Carl Lutz, der Budapester Juden vor den Zugriffen der Nazis zu schützen versuchte, sieht Thomas Leuchtenmüller in diesem 2006 im Original erschienen Roman von Ivan Sandor. Allerdings ist das Buch mehr für ihn. Literarisch besticht es laut Leuchtenmüller durch seine gelungene Kombination aus Historischem, Erlebtem und Erdachtem. Nicht ganz risikolos, so ein Unternehmen, meint der Rezensent, freut sich aber umso mehr, dass unter Sandors Händen daraus ein Textfluss entsteht, der ihn fasziniert und förmlich mitreißt. Gründe dafür sind für Leuchtenmüller das ausgewogene Verhältnis von nachempfundener menschlicher Wahrnehmung und Reflexion sowie eine bei Kafka wie bei Christoph Ransmayr geschulte Sprache, die Lakonik und reportagehafte Elemente vereint.

© Perlentaucher Medien GmbH
Ein berührendes Plädoyer für mehr Zivilcourage und Humanität - nicht nur in Zeiten des Krieges.
ORF TV 20091122