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»Ich hab nichts. Nicht seinen Rücken. Nicht seine Hand. Auch sein Geruch ist von mir gegangen.« - Als Mas'ud, der Falafelkönig, einem Herzanfall erliegt, einem Messerstich oder einer Bratölverbrennung, ist seine Frau Simona von Sinnen vor Schmerz. Vom Leben nach diesem Verlust erzählen die verwaisten Familienmitglieder: Simona, die, statt den Schutzraum aufzusuchen, auf den Fußballplatz geht und hofft, der Katjuscha-Regen, der den Norden Israels täglich heimsucht, möge endlich über ihr niedergehen. Die Brüder - der verkrüppelte Itzik und Dudi - sind unzertrennlich. Itzik stiftet den Jüngeren…mehr

Produktbeschreibung
»Ich hab nichts. Nicht seinen Rücken. Nicht seine Hand. Auch sein Geruch ist von mir gegangen.« - Als Mas'ud, der Falafelkönig, einem Herzanfall erliegt, einem Messerstich oder einer Bratölverbrennung, ist seine Frau Simona von Sinnen vor Schmerz. Vom Leben nach diesem Verlust erzählen die verwaisten Familienmitglieder: Simona, die, statt den Schutzraum aufzusuchen, auf den Fußballplatz geht und hofft, der Katjuscha-Regen, der den Norden Israels täglich heimsucht, möge endlich über ihr niedergehen. Die Brüder - der verkrüppelte Itzik und Dudi - sind unzertrennlich. Itzik stiftet den Jüngeren zu kleinen Diebestaten an, lässt sich von ihm rasieren und animiert ihn dazu, mit ihm zusammen ein Falkenküken aufzuziehen, um es später »gegen die Terroristen« einzusetzen.

Kobi, der Erstgeborene, hadert grundsätzlich mit seinem Platz im Leben, schließlich wandert er, ohne sich der Bedeutung dessen bewusst zu sein, in das Ehebett der Mutter und spielt den erst nach Masuds Tod geborenen Zwillingen den Vater vor; und schließlich Etti, die unbedingt Radiosprecherin werden will und von einem besseren Leben träumt.

Sara Shilos Romandebüt war eine literarische Sensation. Sie schuf eine dichte Sprache aus Emotion und Unmittelbarkeit und gab so denen eine Stimme, die sonst stumm sind: Immigranten ohne Zukunft und deren Kindern, die keine Bildung, aber Träume haben.

Autorenporträt
Shilo, Sara
Sara Shilo wurde in Jerusalem geboren. 1976 zog sie mit ihrem Mann in eine israelische Siedlung in Ma'alot. Sie leitete das dortige Zentrum der Künste, schrieb Kinderbücher und gründete ein Puppentheater, das berühmt wurde. 'Zwerge kommen hier keine', ihr erster Roman für Erwachsene, gewann den Ministry of Culture Prize for a debut novel, den Wiener Prize for a debut novel sowie den Sapir Prize, Israels höchste literarische Auszeichnung. Shilo lebt mit ihrer Familie in Galiliäa.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2009

Blick aus dem Falafelstand
Sara Shilo erzählt von dem anderen Israel

Von Jakob Hessing

Der moderne Roman ist eine literarische Form der Kritik. Er hält den Lesern die Ungereimtheiten ihrer Gesellschaft vor, und meist sind es Mitglieder der Eliten, die Mängel bloßlegen. Die Unterschichten kommen selten in den Blick. Das ist auch in Israel so. In seiner Familienbiographie "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" stellt Amos Oz unter anderem die Schwäche der Intellektuellen dar, die die zionistische Bewegung getragen haben; ähnliche Diagnosen stellen israelische Autoren wie Abraham Jehoschua und Jakov Shabtai, Jehoschua Kenaz und David Grossman: Ein gescheiterter Mittelstand verbucht den Untergang seiner nationalen und sozialen Utopien.

Sara Shilos Roman "Zwerge kommen hier keine" wurde bei seinem Erscheinen in Israel 2005 auch deshalb zu einem sensationellen Erfolg, weil er die Misere des Landes nicht aus dieser üblichen Perspektive darstellt, sondern vom unteren Rand der Gesellschaft. In fünf Monologen kommen die Mitglieder einer Familie zu Wort - die Mutter Simona, ihre Söhne Dudi, Itzik und Kobi, schließlich die Tochter Etti. Ihr Nachname, Dadon, weist sie als Marokkaner aus, Einwanderer, wie sie an den Rändern Israels leben, jenseits der politischen und ökonomischen Zentren Jerusalem und Tel Aviv. Die Dadons wohnen an der Grenze zum Libanon, und wir lernen sie an einem Tag kennen, an dem ihre Stadt von Katjuschas beschossen wird; eine Weile fällt der Strom aus, kunstvoll setzt Shilo Licht und Dunkelheit ein, um den aus verschiedenen Perspektiven erzählten Roman für den Leser zu fokussieren. Er spielt vermutlich in den achtziger Jahren; genauer lässt es sich nicht sagen, weil die einzige historische Figur, die vorkommt, Rabbi Kahane ist, ein rechtsradikaler Faschist, der 1990 ermordet wurde. Die Familie Dadon ist nicht zionistisch, sie hält kein Bollwerk an der Grenze, die große Politik ist ihr fremd. Unter dem Katjuschahagel zahlt sie nur ihren Preis, und was Shilo erzählt, ist nicht die Geschichte des Staates Israel, sondern die Geschichte dieser Familie. Diese erlebt einen Wendepunkt, als der Vater in seinem Falafelstand an einem Herzschlag stirbt. Eben hatte Kobi, der älteste Sohn, seine Bar-Mizwa gefeiert, und neun Monate später bringt die Mutter Zwillinge zur Welt, mit denen sie am Todestag ihres Mannes bereits schwanger war. Weil sie den Kindern das Gefühl geben will, einen Vater zu haben, lässt sie Kobi in ihrem Bett neben sich schlafen. Die problematische Entscheidung trägt bereits den Keim der Selbstzerstörung in sich. Kobi ist kein Kind mehr, die drohende Inzestsituation wird von Shilo in zurückhaltender und eindringlicher Weise sichtbar gemacht. Im einleitenden Monolog will die Mutter ihrem Leben ein Ende setzen; sie geht nicht in den Luftschutzbunker und hofft, von den Katjuschas getötet zu werden - doch nach diesem hoffnungslosen Beginn werden die Kinder eingeführt, und der Roman nimmt eine überraschende Wende.

Der zwölfjährige Itzik ist verkrüppelt zur Welt gekommen, aggressiv steht er der Umwelt gegenüber. Er zieht einen jungen Falken auf und will ihn dressieren, den von Norden drohenden Terroristen die Augen auszustechen. Sein jüngerer Bruder Dudi geht ihm dabei willig zur Hand, befreit sich jedoch zusehends von der Vormundschaft des herrschsüchtigen Bruders. Sara Shilo deutet die Richtung ihres Familienromans nur an: Er stellt verschiedene Grade einer Emanzipation dar.

Auch Kobis Bar-Mizwa, mit der die Tragödie begann, war eine Initiation. Der Neunzehnjährige geht nicht zum Militär, der Werdegang der Eliten ist ihm verwehrt, aber als fleißiger Arbeiter spart er heimlich Geld und wird bald die Anzahlung auf eine schöne Wohnung im Zentrum des Landes leisten, um seine Familie aus dem Unglück zu lotsen. Kobis Plan ist freilich nur die materielle Seite einer Selbstbefreiung, und das Wichtigste lässt Sara Shilo sowieso die Frauen sagen. Die Tochter Etti führt die Erzählung auf ihren Höhepunkt. Denn die Zwillinge kommen bald in die Schule, sie dürfen nicht mehr glauben, dass der Bruder ihr Vater ist. Wie aber bringt man es ihnen bei? Etti ist die Einzige, die nicht das verballhornte Straßenhebräisch ihrer randständigen Familie spricht, sondern Schriftsprache. Eines Tages will sie Radiosprecherin werden, am Mikrofon erzählen, was noch niemand gehört hat, und hier übt sie sich ein. Während die Katjuschas drohen, erzählt sie den kleinen Brüdern ihre Geschichte, die der Geschwisterliebe und der Tiefe des Romans ihren schönsten Ausdruck gibt. Es ist das große Verdienst der Übersetzerin Anne Birkenhauer, die sprachlichen Nuancen dieses wundervollen Buches herausgearbeitet und dem deutschen Leser damit ein anderes Israel nahegebracht zu haben.

Sara Shilo: "Zwerge kommen hier keine". Roman. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009. 298 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dies ist ein ungewöhnlicher Roman, betont der Rezensent Jakob Hessing, nicht zuletzt wegen des Milieus, in dem er spielt. Auch in Israel konzentrieren sich gesellschaftskritische Familienromane auf die Mittelschicht. Dieser nicht. Die fünf Figuren der aus Marokko stammenden Familie Dadon leben in keiner der großen Städte, sondern an der Grenze zum Libanon und gehören dem "unteren Rand der Gesellschaft" an. Die alleinerziehende Mutter spielt den Kindern eine Beziehung mit einem Mann vor, der in Wahrheit ihr Halbbruder ist. Das alles spielt - nie genau datierbar - wohl in den achtziger Jahren und an der Art, wie hier zuletzt Aussicht auf Emanzipation gewonnen wird, findet der Rezensent nichts Falsches. Die "sprachlichen Nuancen", die auch die Übersetzung bewahrt, hebt er besonders hervor.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ist Shilos Debütroman ein mutiges, originelles und bewegendes Buch, so ist die deutsche Übersetzung von Anne Birkenhauer ein wahres Meisterwerk."
Anat Feinberg, Die Welt 30.05.2009