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Die Windbraut jagt die Liebenden, deren Schicksal es ist, nicht im gleichen Moment mit ihrer Liebe gestorben zu sein. Aber sie jagt sie nur, damit sie noch einmal die Chance haben, den gleichen tödlichen Augenblick zu finden. Im Sturm hat Hilal ihn genommen. Hingerissen von der Leidenschaft seiner neuen Geliebten läßt Lenz sein bürgerliches Leben zurück. Job, Wohnung, Freundin, alles ist ihm egal. Schließlich verliert er seine Freiheit gänzlich an die Geliebte. Sie fesselt ihn und läßt sich von ihm schwängern. Als er aus seinem Liebestaumel erwacht, muß er feststellen: Die Windbraut hat ihn…mehr

Produktbeschreibung
Die Windbraut jagt die Liebenden, deren Schicksal es ist, nicht im gleichen Moment mit ihrer Liebe gestorben zu sein. Aber sie jagt sie nur, damit sie noch einmal die Chance haben, den gleichen tödlichen Augenblick zu finden. Im Sturm hat Hilal ihn genommen. Hingerissen von der Leidenschaft seiner neuen Geliebten läßt Lenz sein bürgerliches Leben zurück. Job, Wohnung, Freundin, alles ist ihm egal. Schließlich verliert er seine Freiheit gänzlich an die Geliebte. Sie fesselt ihn und läßt sich von ihm schwängern. Als er aus seinem Liebestaumel erwacht, muß er feststellen: Die Windbraut hat ihn betrogen. In seinem dritten Roman versucht Leander Scholz das neue Geschlechterverhältnis in einem Extremfall zu definieren. Leidenschaftlich erotische Szenen wechseln mit philosophischen Exkursen und distanziert ironischen Kommentaren.
Autorenporträt
Leander Scholz, geb. 1969, ist Schriftsteller und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg 'Medien und kulturelle Kommunikation' der Universität zu Köln. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Gelehrtenkommunikation der Frühen Neuzeit, Philosophie der Aufklärung, Technik- und Medientheorie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Mit Heraklit auf der Autobahn
Zagende Seele am Bungee-Seil: Leander Scholz' Zettelkastenliebe

Letztes Mal brannten die Bürgerbetten, diesmal sind es die Damenhöschen: Nichts läßt junge Liebe heißer lodern als ein kleiner, gesellschaftskritischer Kaufhausbrand. Zumindest dann, wenn der Bonner Jungromantiker Leander Scholz lieben läßt - den Baader die Ensslin beispielsweise wie im letzten Jahr in seiner RAF-Träume-Tändelei "Rosenfest"; oder den Lenz die Hilal wie in seinem neuen Roman "Windbraut". In einer früheren Fassung hatte Lenz noch Lucky geheißen: buchstäblich eine glücklichere Wahl. Jetzt trägt Lenz ziemlich schwer an seinem Namen, liest allerweil Swedenborg, hangelt sich von Sentenz zu Sentenz, von Heraklit zu Janis Joplin, vom heiligen Franziskus bis zu den Pop-Idolen von Pink Floyd samt "Wish you were here".

Hier: das ist in Lenzens Fall die Welt nach dem Atomkrieg, der bloß dummerweise nicht stattgefunden hat; das ist die Warteschleife, in der er sich ganz passabel eingerichtet hat mit Job und Auto und Freundin. Hier ist "Einsamkeit, Hunger, Kälte, Ficken und Essen". Lenz zählt fünfundzwanzig Lenze, die Katastrophen sind gekommen und geblieben - der Umweltkollaps, die Klimakatastrophe, Aids, Rinderwahnsinn, Zweidrittelgesellschaft -, und sein Leben geht so dahin. Ging so dahin, bis Hilal kam. Da gab er alles auf, schickte die Freundin zum Teufel und die Freiheit. "Und er baute seine neue Kirche um Hilal."

Das Paar berauscht sich an seinem Selbsterfahrungstrip, koste es, was es wolle: Damenhöschen, Freundschaften, heranwachsende Föten. Alles ist immer ein nur neuer verstolperter Anlauf auf der Suche nach dem Wahren: dem wahren Ich, dem wahren Du, der wahren Liebe. Mal zündelt Lenz mit seinem Glimmstengel in ihren Schamhaaren, mal schlägt Hilal seine Exfreundin wund. Mal nimmt er sie im Kaufhauslift, mal verschnürt sie ihn mit einem Nylonfaden zu einem blutenden Zeugungspaket. Und zu Blut, Schweiß und Tränen feiern Swedenborgs Engel fröhliche Urständ, blinzeln mit ihren vier Augen und retten die junge Liebe. Schon hatte sich Hilal wieder ihrem alten Freund zugewandt, schon hatte Lenz seine totale Pleite in einen existentiellen Triumph umgemünzt, als die beiden sich wiedersehen, auf der Autobahn. Und sie wagen, von Vehikel zu Vehikel, einen Abschiedskuß. Da gönnt der Deus ex machina sich und uns ein Wunder: Am Ende der (bedeutungs)schwangeren Raserei sind die beiden, grient das Finale, "nicht tot".

Mediziner-Porno mischt sich mit Philosophen-Latein, und auch die Zeugungsaktivitäten sind einfach ein weiteres Experiment, eine weitere Stufe auf dem krisengeschüttelten Gang zu höheren Weihen. Jedesmal, wenn Hilal mit ihrem Kitzler "gegen den Schaft stieß, zog sich der Nylonfaden tiefer in sein Skrotum hinein". Das Liebesspiel als Freimaurertum der Postmoderne: "Er lernte seine Lust kennen, indem er die Schmerzen der Geburt ahnte." Und für alle, die's noch nicht begriffen haben: "Sein Geschlecht blutete im Vorgriff auf Hilals Niederkunft."

Kurz: höherer Blödsinn. Aber auch: kein niederer Blödsinn. Leander Scholz hat seinen eigenen kleinen "Werther" geschrieben, wie ihn eben einer schreibt, der in den neunziger Jahren Philosophie studiert hat und trotzdem liebestrunken sein will. Wie ihn eben einer schreibt, der wahnsinnig gern "Die zwei werden ein Fleisch sein" deklamiert, aber seinen Machiavelli dabei nicht vergessen kann und nicht seinen McLuhan. Scholz hat sich in den Zettelkasten seiner Lehrjahre verliebt, in seine Zitatensammlung aus Zeiten der Ausweitung der Kampfzone - und in die Liebe als Bungee-Springen einer zagenden Seele. Wirklich ironisch wird's nie, wenn der Dreiunddreißigjährige von der Windbraut singt, die alle Liebenden jagt, "deren Schicksal es ist, nicht im gleichen Moment mit ihrer Liebe gestorben zu sein". Doch es gibt unter Scholz' Schwulst und Schwulitäten echte, ja geradezu wahre Höhepunkte: knappe, karge Sätze - die Facts zur philosofaselnden Fiction. Und es gibt, ganz entschieden, unser Mitgefühl. Denn irgendwann hatten wir alle so eine Passionsgeschichte unterm Kopfkissen. Früher mal.

ALEXANDRA KEDVES

Leander Scholz: "Windbraut". Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2002. 193 S., br., 13,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"In seinem dritten Roman versucht Leander Scholz das neue Geschlechterverhältnis in einem Extremfall zu definieren. Leidenschaftlich erotische Szenen wechseln mit philosophischen Exkursen und distanziert ironischen Kommentaren. Es ist das Manifest einer starken sexuellen Beunruhigung." Regensburger Stadtzeitung

"Zweifellos steckt ein Multitalent hinter der kessen Maske des Leander Scholz, ein Wanderer zwischen den Szenen, der im Rotlichtmilieu ebenso wie in der Psychoanalyse oder dem Germanistischen Seminar zu Hause ist: zart besaitet und hart verschalt." Christiane Schott in der "Neuen Zücher Zeitung"

"Literarisch gekonnt und sprachlich angenehm." Nina Freydag im 'Spiegel-Reporter'

"Es geht Scholz nicht darum, die Taten des Terroristenpärchens zu rechtfertigen. 'Ich wollte sie einfach in die Privatheit holen', sagt er, 'ich wollte ein Märchen zu Ende erzählen und mit der Sehnsucht abschlie-ßen, mit der wir uns als Jugendliche selbst betrogen haben.' So schöne Früchte wie sein Roman trägt der Selbstbetrug nur selten." Nina Frey-dag im 'Kultur-Spiegel'

"[...] ein Ereignis. Denn anders als die gleichaltrigen Kollegen, die im wunschlosen Glück ihrer eigenen Lebensgeschichte rühren und in den Federmäppchen mit den Geha- und Pelikanfüllern kramen, hat Scholz einen Plan. Er bezweifelt, dass alles, was besteht, wert ist, dass es so weitergeht. Er ist von der konsumversessenen Gegenwart enttäuscht, das Paradies nach vorn scheint ihm verschlossen. Also steigt er hinab ins Totenreich, in die Vergangenheit, zu den unerbittlichen Neinsagern und Verweigerungshelden der RAF, die der Zufriedenheitskultur von heute zumindest literarisch, zumindest in diesem Roman, die infantile Affir-mation austreiben sollen." Iris Radisch in der 'Zeit'

"In seinem ersten Roman gelingt Leander Scholz eine packende, mitrei-ßende Zusammenführung von authentischen Geschehnissen und Zitaten, realen Personen und fiktiven Handlungsabläufen." Buchkultur
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Claudia Kramatschek betont, dass der Roman durchaus ein "spannendes" und sehr "aktuelles Thema" aufgreift: die "luxuriöse Lust am Untergang", die sich in einer sadomasochistischen Beziehung zwischen den Protagonisten Lenz und Hilal ausdrückt. Allerdings bedauert die Rezensentin, dass in dem Roman alles "spröde Theorie" bleibt, weil der Autor die Rolle des Erzählers konsequent vermeide und stattdessen die "ironische Metaebene" bevorzuge. Auch im Ton vergreift sich Scholz nach Ansicht der Rezensentin zu oft, indem er mal zu "salopp", mal zu gestelzt formuliert. Das hat manchmal schon "unfreiwillige Komik", bemerkt Kramatschek. Insgesamt erscheint ihr die Haltung des "kalten Experimentators", in der sich der Autor versucht, so angestrengt, dass der Roman auch für den Leser zur "mühsamen Lektüre" wird.

© Perlentaucher Medien GmbH