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Unter mehreren Gesichtspunkten betrachtet Werner Hofmann das Thema 'Daumier und Deutschland' sowie die Frage, welche Bedeutung Daumiers Werk heute für uns hat. Gleich zu Beginn steht eine überraschende Beziehung, die Alfred Rethel als möglichen künstlerischen Anreger Honoré Daumiers ausweist. Den fortwährenden Machtkampf zwischen Deutschland und Frankreich, aus dem 1870 der deutsch-französische Krieg hervorging, durchschaute Daumier als heuchlerisches Rollenspiel. Im zweiten Teil seines Beitrags widmet sich Hofmann der deutschen Rezeption Daumiers. Wie viele private Sammler sahen auch die…mehr

Produktbeschreibung
Unter mehreren Gesichtspunkten betrachtet Werner Hofmann das Thema 'Daumier und Deutschland' sowie die Frage, welche Bedeutung Daumiers Werk heute für uns hat. Gleich zu Beginn steht eine überraschende Beziehung, die Alfred Rethel als möglichen künstlerischen Anreger Honoré Daumiers ausweist. Den fortwährenden Machtkampf zwischen Deutschland und Frankreich, aus dem 1870 der deutsch-französische Krieg hervorging, durchschaute Daumier als heuchlerisches Rollenspiel. Im zweiten Teil seines Beitrags widmet sich Hofmann der deutschen Rezeption Daumiers. Wie viele private Sammler sahen auch die Künstler in Daumier den Kämpfer für die Unterdrückten und Ausgegrenzten. Die Kunstkritiker indes, etwa Eduard Fuchs, Julius Meier-Graefe und Erich Klossowski, erinnern daran, dass Daumier darüber hinaus auch ein großer, revolutionärer Maler war.
Autorenporträt
Dr. phil. Werner Hofmann, geb. 1928, Professor der Kunstgeschichte, wirkte von 1960-69 in Wien als Gründungsdirektor des Museums des 20. Jahrhunderts, bis 1990 war er Direktor der Hamburger Kunsthalle. Neben seiner Vortrags- und Lehrtätigkeit, ist er vor allem durch seine Veröffentlichungen zur Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts sowie durch zahlreiche bedeutende Ausstellungen, darunter die Hamburger Ausstellungsreihe 'Kunst um 1800'. bekannt geworden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2004

Die Kanone blickt auf ihr Werk: Werner Hofmanns Daumier-Studie

Honoré Daumier gilt immer noch in erster Linie als amüsanter Karikaturist, obwohl seit langem sein malerisches OEuvre bekannt ist, das sich unabhängig als eine der großen originalen Leistungen des neunzehnten Jahrhunderts behauptet. Daumier, der Maler, ist ein allegorischer Erzähler, dessen schattenhafte Figuren und dunkle Farben ein Lebensgefühl zwischen Abenteuer und Verzweiflung wiedergeben. Nicht erst durch die Entdeckung dieser Gemälde hat sich das Lachen verflüchtigt. Denn auch ein beachtlicher Teil des Karikaturenwerks von Daumier ist von einem bitteren Ernst, der jedes Lachen erstickt.

Die Blätter, mit denen Daumier den Krieg von 1870/71 kommentiert hat, sind beispielhaft dafür. Sie verlassen das karikaturale Genre, ohne am Strich und Habitus etwas zu ändern, und wechseln in das Gebiet der Kritik über, für das es in der Kunst, sieht man von Goya ab, kaum andere Beispiele gibt. Das hier abgebildete Blatt "Landschaft von 1870" ist dafür bezeichnend: Nach dem Ende der Schlacht blickt die Kanone auf ihr Werk. In anderen Blättern ist der Boden mit den Leichen der Gefallenen - oder der von einer barbarischen Kriegstechnik Hingerichteten - übersät. Daumiers Kriegslandschaften sind eigentlich Fotografien. Vergleicht man sie mit den Fotos vom Krimkrieg oder aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, so drängt sich die Feststellung auf, daß Daumier sogar fotografischer arbeitete als die damaligen Kriegsreporter - obwohl er kein Augenzeuge der von ihm dargestellten Kriegsereignisse war.

Die Kriegsblätter von 1870/71, darunter ein hochst suggestives mit einem schwer träumenden Bismarck und dem Tod, sind politische Kampfblätter: diktiert von Haß auf Preußen und Deutschland und voller Vorahnungen einer ungeheuren kriegstechnischen Bedrohung, die nicht nur über Frankreich kommen wird. Sie sind aber auch Zeugnisse einer sehr komplexen Beziehung zur deutschen Kunst, die Werner Hofmann in dieser brillanten kleinen Studie sichtbar macht.

Es ist eine Geschichte von Ignoranz - Heinrich Heine nimmt Daumier nicht zur Kenntnis -, und Mißverständnissen. Als ein solches muß man den im übrigen erstaunlichen Einfluß Daumiers auf Spitzweg und dessen armen Poeten bezeichnen. Ein pariserisch gestimmtes Blatt von Daumier, das an Balzac und nicht an die Spitzweg-Welt denken läßt, regte den deutschen Maler zu seinen idyllischen Motiven an. Aber auch in umgekehrter Richtung sind die Berührungen zwischen Daumier und Deutschland staunenswert. Werner Hofmann ist der Ansicht, daß sich Daumier durch Alfred Rethels "Tod als Freund" in der Holzschnittfolge über die Revolution von 1848 zu einer Reihe von Figuren anregen ließ. Rethels Tod, der unbeirrbar seinen Weg zwischen den gefallenen Aufständischen sucht, wird von Daumier dämonisiert, am eindrucksvollsten in der flackernd schwarzen Silhouette des Erfinders des Zündnadelgewehrs, der befriedigt auf sein Werk, das Leichenfeld von Königgrätz, blickt.

Vielleicht wäre es zu den bedeutendsten Bilderfindungen Daumiers nicht gekommen, wären seine Figuren nicht aufgeladen von der extremen Spannung des Nationalhasses. Der Fall dürfte einzig sein: Die Kreuzung der Anregungen eines deutschen Künstlers und eines zum Äußersten gesteigerten politischen Hasses erzeugt Bilderfindungen, die ohne diese Konstellation wohl kaum entstanden wären.

Mit Spitzweg und Rethel ist es aber nicht getan. In die Geschichte, die Hofmann erzählt, gehört auch Goethes Mephisto, der auf dem Umweg über Delacroix' Faust-Illustrationen in Daumiers Werk Eingang findet. Das scheinbar abgelegene Thema des Essays von Werner Hofmann führt überraschend ins Zentrum der Kunst Daumiers.

HENNING RITTER.

Werner Hofmann: "Daumier und Deutschland". Deutscher Kunstverlag, München, Berlin 2004. 72 S., Abb., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine "brillante kleine Studie" sieht Henning Ritter in Werner Hofmanns Essay "Daumier und Deutschland", dessen "scheinbar abgelegenes Thema" "überraschend" ins Zentrum von Daumiers Kunst führt. Wie Ritter darlegt, kann Hofmann eine "sehr komplexe Beziehung" zwischen Daumier und Deutschland beziehungsweise der deutschen Kunst sichtbar machen: seine Kriegsblätter von 1870/71 etwa bezeugen den Hass des Künstlers auf Preußen und Deutschland, während er sich andererseits durchaus von deutscher Kunst, etwa von Alfred Rethels "Tod als Freund", beeinflussen ließ. In dieser Ambivalenz sieht Ritter dann auch das Besondere von Daumiers Schaffen. "Die Kreuzung der Anregungen eines deutschen Künstlers und eines zum Äußersten gesteigerten politischen Hasses", erklärt Ritter, "erzeugt Bilderfindungen, die ohne diese Konstellation wohl kaum entstanden wären."

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