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Helmut Schmidt, der sich einer ungebrochenen internationalen Wertschätzung erfreut, zählt zu den bedeutendsten Kanzlern des 20. Jahrhunderts.
In Hamburg aufgewachsen, erlebte er als Offizier den Zweiten Weltkrieg, war in britischer Gefangenschaft und trat 1946 in die SPD ein. Als Hamburger Innensenator erwarb er bei der Flutkatastrophe 1962 durch herausragendes Krisenmanagement höchstes Ansehen. Dies war der Durchbruch zu einer steilen politischen Karriere. Seit 1967 Vorsitzender der SPD-Fraktion, war er im Bundestag als scharfzüngiger Redner bekannt. Schmidt hat maßgeblich zur Prägung der…mehr

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Produktbeschreibung
Helmut Schmidt, der sich einer ungebrochenen internationalen Wertschätzung erfreut, zählt zu den bedeutendsten Kanzlern des 20. Jahrhunderts.

In Hamburg aufgewachsen, erlebte er als Offizier den Zweiten Weltkrieg, war in britischer Gefangenschaft und trat 1946 in die SPD ein. Als Hamburger Innensenator erwarb er bei der Flutkatastrophe 1962 durch herausragendes Krisenmanagement höchstes Ansehen. Dies war der Durchbruch zu einer steilen politischen Karriere.
Seit 1967 Vorsitzender der SPD-Fraktion, war er im Bundestag als scharfzüngiger Redner bekannt. Schmidt hat maßgeblich zur Prägung der SPD als Volkspartei und zu ihrer Regierungsfähigkeit beigetragen.

Gestützt auf eine fast beispiellos breite Quellenbasis, darunter bisher verschlossene Akten und Korrespondenzen, schildert Hartmut Soell anschaulich Jugend und Aufstieg von Helmut Schmidt, seine familiären und geistigen Wurzeln, und fördert dabei durchaus Unbekanntes zutage.

Autorenporträt
Hartmut Soell, geboren 1939, lehrte als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Heidelberg. Er war mehrere Jahre lang Mitarbeiter des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt und 1980 bis 1994 selbst Mitglied des Deutschen Bundestags.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Schmidt ohne Schnauze
Der fünfte Bundeskanzler hat keinen Biographen, sondern nur einen Protokollanten für sein Leben gefunden / Von Gregor Schöllgen

Helmut Schmidt war ein bedeutender Bundeskanzler. Der Kampf gegen den Terror der "Roten Armee Fraktion", der Aufbau des Europäischen Währungssystems - der Vorläuferin der Währungsunion und damit des Euro - oder auch die Formulierung und Verabschiedung des Nato-Doppelbeschlusses verbinden sich mit seinem Namen. Kein zweiter vor oder nach ihm war besser und vielseitiger auf das Amt vorbereitet als der fünfte Kanzler.

Erste administrative Erfahrungen sammelt er in Hamburg, zunächst, seit 1952, als Verkehrsdezernent, danach, von 1961 bis 1965, als Innensenator und in dieser Funktion als Retter aus der Not der Flutkatastrophe des Februar 1962. Seine bundespolitische Karriere beginnt Schmidt mit Mitte Dreißig, als sozialdemokratischer Abgeordneter im Bundestag, dem er von 1953 bis 1962 und erneut seit 1965 angehört, seit März 1967 als Fraktionsvorsitzender. Mit dem Amtsantritt der ersten sozial-liberalen Koalition im Herbst 1969 wird er Verteidigungs-, 1972 kurzzeitig "Superminister" für Wirtschaft und Finanzen, um dann, vom Januar 1973 bis zum Rücktritt Willy Brandts im Mai 1974, das Finanzministerium zu verwalten. So gesehen, ist er der geborene Nachfolger seines gescheiterten Vorgängers, der allerdings den Parteivorsitz behält und in dieser Funktion zumindest nichts unternimmt, um den Sturz des Bundeskanzlers Schmidt im Oktober 1982 zu verhindern.

Keine Frage, das ist der Stoff, aus dem Biographien zu machen sind. Alle bedeutenden Reichs- und Bundeskanzler seit 1871 beziehungsweise 1949 haben ihn geliefert. Die Historiker haben es ihnen mit opulenten Lebensbildern zu danken gewußt, und gerade in jüngerer Zeit scheint der Dank keine Grenze, jedenfalls keine literarische Begrenzung mehr zu kennen: Leben und Werk Otto von Bismarcks, des ersten Reichskanzlers also, waren zuletzt Otto Pflanze 1700 Seiten wert; über gut 2100 Seiten muß der Leser Hans-Peter Schwarz folgen, um sich über die Karriere Konrad Adenauers, des ersten Kanzlers der Bundesrepublik, erschöpfend ins Bild setzen zu lassen; und Ian Kershaw meint seinem Leser nicht weniger als 2300 Seiten zumuten zu müssen, einen eigenen Registerband nicht mitgerechnet, um Adolf Hitler zu begreifen, mit dessen zwölfjähriger Kanzlerschaft das Deutsche Reich unterging und die Geschichte des geteilten Deutschland begann.

Jetzt also Helmut Schmidt. Zwei Bände im Umfang von wohl 2000 Seiten müssen es nach Auffassung seines Heidelberger Biographen schon sein, um das Leben des heute Fünfundachtzigjährigen seiner Bedeutung entsprechend literarisch zu entfalten. Zwar hat Schmidt seit seiner Kanzlerschaft in- und ausländische Autoren immer wieder zu Lebensbildern gereizt, zuletzt Martin Rupps, der ihm im vergangenen Jahr eine gut lesbare "politische Biographie" gewidmet hat. Soell will mehr, will Definitives. Die Voraussetzungen sind gut. Nicht nur versteht er als gelernter Historiker sein Handwerk; er war auch Mitarbeiter des Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt und später, bis Mitte der neunziger Jahre, selbst vierzehn Jahre lang Mitglied des Bundestages.

Vor allem hat Soell uneingeschränkt Zugang zum Helmut-Schmidt-Archiv, das sich im Hamburger Haus des Altkanzlers befindet. Aus diesem Privatarchiv stammen alle "zitierten Quellen", soweit "nicht ausdrücklich anders vermerkt". Das jedenfalls ist einer Anmerkung zu entnehmen, mit der sich der Leser begnügen muß. Denn dem Buch ist kein Quellenüberblick, nicht einmal ein Verzeichnis der zahlreichen, auch autobiographischen Artikel, Beiträge, Reden oder Bücher aus der Feder Schmidts, sondern lediglich eine knapp dreiseitige Auswahlbibliographie beigegeben. Immerhin lassen das Studium des Anmerkungsapparats, des Abkürzungsverzeichnisses sowie der Danksagung des Autors den Schluß zu, daß er zahlreiche Gespräche mit Schmidt, aber auch mit Verwandten, Freunden und Weggefährten des Altkanzlers geführt und sich zudem vor allem auf die wichtigen Bestände im Archiv der Sozialen Demokratie in Bonn gestützt hat. Über den Umfang und Wert seiner Quellen läßt sich der Autor nirgends aus. Das ist schade, denn über einige, wie die "ab Januar 1943 erhaltenen" Taschenkalender mit "kurzen Notizen", die Schmidts "tägliche Begleiter" waren, hätten wir gerne Näheres gewußt. Schmidt hat die Fünfzig gerade überschritten, als Willy Brandt im Oktober 1969 das Wagnis einer sozial-liberalen Koalition eingeht. Damit beginnt auch für den Hamburger eine neue Etappe seiner politischen Karriere. Hier schließt Soell den ersten Band einer Biographie, deren Anfänge in eine äußerst bewegte Zeit fallen: Die Tinte unter dem Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Reich und seinen alliierten Gegnern im Ersten Weltkrieg ist gerade trocken, Wilhelm II. ist nicht einmal zwei Monate in seinem holländischen Exil, als Helmut Waldemar Schmidt am 23. Dezember 1918 in Hamburg-Barmbek das Licht der Welt erblickt. In Deutschland herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, und vor allem zwischen den Fraktionen und Parteien der Linken tobt ein gnadenloser Existenzkampf. Von den Folgen dieser Verwerfungen wird Schmidt erst spät, während des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit, eingeholt, als er sich politisch zu engagieren beginnt.

In jungen Jahren hat er mit Politik "nichts zu tun". Die Zeit auf der reformpädagogisch ausgerichteten Lichtwarkschule ist ein Glücksfall, prägt den jungen Schmidt nachhaltig und bestimmt auch sein Verhältnis zum Nationalsozialismus. Denn eine "langsam aufkommende Skepsis gegenüber bestimmten Praktiken des NS-Regimes" führt Soell weniger auf politische Überzeugungen als vielmehr auf die schulische Erziehung, vor allem auf ein früh entwickeltes, ausgeprägtes Kunst- und Musikverständnis, zurück. Daß Schmidt im Dezember 1936 nach einem Krach aus der Marine-HJ geworfen wird, hinterläßt bei dem Jungen gemischte Gefühle, auch Besorgnis. Immerhin hat er im Herbst 1933 durch seine Mutter von der jüdischen Abstammung seines leiblichen Großvaters erfahren.

Es folgen Arbeits- und Wehrdienst, an den sich fast nahtlos der Kriegsdienst anschließt - ein schwieriges Kapitel, auch für den Biographen. Der meistert die Herausforderung auf eine Art, die für seine Darstellung insgesamt charakteristisch ist: alle denkbaren Aspekte sorgfältig abwägend, dabei extreme, pointierte Urteile und Charakterisierungen sorgsam vermeidend. So kommt Soell nicht in die Verlegenheit, die insgesamt reservierte Einstellung Schmidts zum nationalsozialistischen Regime als Widerstandshaltung zu stilisieren oder die durch Pflichterfüllung ausgezeichnete Wehrmachtskarriere des rasch beförderten Offiziers "vom moralisch hohen Roß eines Nachgeborenen herab" einer pauschalen Verurteilung zu unterziehen.

Die schulische und musische Erziehung, aber gewiß auch die Bewährungsproben und Überlebenskämpfe der Wehr- und Kriegsdienstzeit tragen das Ihre dazu bei, daß Schmidt, als er im Alter von 27 Jahren aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen wird, ein gestandener Mann ist - mit einem ausgebildeten Charakterprofil, alsbald auch mit einer klaren Vorstellung seines beruflichen Werdegangs und seiner politischen Heimat. Was in ihm steckt, hatte schon ein Vorgesetzter beim Militär erkannt und dem gerade Einundzwanzigjährigen attestiert: "Gute Erscheinung. Sehr straffes, sicheres und gewandtes Auftreten. Geistig und körperlich hervorragend veranlagt - seine Veranlagung, sein Fleiß und sein fester Wille lassen ihn hervorragende Leistungen zeigen. Infolge seiner Veranlagung und Leistungen neigt er jedoch zu einer gewissen Überheblichkeit." Und gut fünf Jahre später ergänzt ein ihm untergebener Offizier das Bild mit der Charakterisierung: "Alles mit einem Tempo, das einem zuerst den Atem verschlägt. Er bekümmert sich um alles, verlangt viel von sich und den anderen." Die Weggefährten der kommenden Jahrzehnte, politische Freunde und Gegner gleichermaßen, können davon ein Lied singen.

Nach Jahren der Fremdbestimmung sind Helmut Schmidt diese Eigenschaften jetzt von besonderem Nutzen. Pragmatisch und ehrgeizig macht er sich auf den Weg in eine selbstgestaltete Zukunft: Weil das Studium der Architektur zu lange dauert, hängt er nicht länger dem Traum vom Beruf des Städtebauers nach, sondern nimmt im Herbst 1945, unter anderen bei Karl Schiller, das Studium der Volkswirtschaft auf. Als er es nach knapp vier Jahren abschließt, hat er längst ein zweites Standbein: Im Mai 1946 ist Helmut Schmidt der SPD beigetreten. Im August des folgenden Jahres ist er Vorsitzender des örtlichen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, 1951 Verkehrsdezernent in seiner Vaterstadt, zwei Jahre später Abgeordneter im Bundestag.

Für den Hamburger beginnt damit eine steile politische Karriere, für den Leser seiner Biographie ein Leidensweg. Denn fast schlagartig ist es nach 170 Seiten mit der Lebendigkeit der Darstellung vorbei. Die Politik, vor allem aber die Partei, fordern gnadenlos ihr Recht. Über Seiten, manchmal durch ganze Kapitel muß der Leser dem Autor folgen, wenn dieser mit der nicht erlahmenden Geduld und pflichtbewußten Akkuratesse des Protokollanten mehr oder weniger aufschlußreiche Grundsatz- und Parteitagsreden, Parlaments- und Fraktionsdebatten, Gruß- und Schlußworte, Programme und Beschlüsse oder auch Artikel und Bücher aus der Feder Schmidts wiedergibt: 25 Seiten hält Soell für angemessen, um den Inhalt von Schmidts 1961 publiziertem Buch "Verteidigung oder Vergeltung" zu referieren. Ähnlich hält der Biograph es mit der detailgetreuen Rekonstruktion von Gesprächen, Verhandlungen, Sitzungen oder Begegnungen, und natürlich kommen auch die ausgeprägten Rivalitäten und Rankünen, namentlich in den Reihen der Genossen, zu ihrem Recht. Wohl läßt die eine oder andere aufschlußreiche Sottise Wehners oder Brandts kommendes Unheil ahnen; wirklich Neues aber bietet Soell in dieser Hinsicht vorerst nicht.

Hinter der Chronistenpflicht steht alles andere zurück. Der anfänglich anschauliche, mitunter bewegende Bericht über den Mann hinter der Fassade - seine Neigungen und seine Leidenschaften, seine Schwächen und seine Ängste, vor allem auch seine Freunde und seine Familie - verkommt zur Fußnote; die Porträts seiner politischen Weggefährten, Herbert Wehner und Willy Brandt zum Beispiel, sind farblos und nüchtern. Nur in Ausnahmefällen wagt Soell eine pointierte Charakterisierung, wenn er etwa - bezeichnenderweise unter Berufung auf "genauer beobachtende Zeitgenossen" - andeutet, was Helmut Schmidt mit Franz Josef Strauß gemeinsam hatte: "die zupackende Intelligenz, die rhetorische Begabung, die Fähigkeit zur Polemik, ja zur Demagogie".

Schmidt weiß um seine Talente und setzt sie ein, wenn ihm etwas wichtig ist. Früher oder später gilt das für alle großen Themen der deutschen Politik der fünfziger und sechziger Jahre, zunächst und vor allem für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Rasch macht sich der Weltkriegsoffizier einen über die Parteigrenzen hinweg respektierten Namen als Wehrexperte. Mit den Genossen gegen die atomare Bewaffnung der deutschen Streitkräfte Stellung zu beziehen und bei der Bundeswehr eine freiwillige Reserveübung abzuleisten ist für Schmidt, anders als für das Gros seiner Partei, kein Widerspruch.

Immer wieder meldet er sich zu den großen Themen der Außen- und Sicherheitspolitik zu Wort. Ihnen gilt sein Interesse, sie bleiben seine Leidenschaft, ganz gleich, wo die Tagespolitik ihn fordert. Schmidt ist einer der besten, wenn nicht der beste Kenner außen- und sicherheitspolitischer Themen innerhalb der politischen Klasse der Bundesrepublik, und das nicht erst seit seiner späteren Minister- und Kanzlerkarriere. Zu keinem zweiten Themenkomplex läßt sich der Hamburger, auch in Buchform, so intensiv, so stetig, in gewisser Weise auch so oberlehrerhaft aus wie zu diesem. Nicht nur dem Außenminister geht es gelegentlich auf die Nerven, wenn der Fraktionsvorsitzende, wie im Sommer 1968, wieder einmal - so Brandt - seine "Weltsicherheitsüberlegungen" vorträgt. Dieser dominante Zug in Schmidts politischer Biographie gewinnt klare, mitunter auch bislang unbekannte Konturen, weil Soell der Außen- und Sicherheitspolitik wie allen Themen den Platz einräumt, der ihnen gebührt.

Das ist ohne Zweifel die große Stärke dieses Lebensbildes. Kenntnisreich, gewissenhaft, akribisch entfaltet ihr Autor vor dem Auge seines Lesers ein Leben im Detail - stets eingebettet in die politische, wirtschaftliche, soziale oder auch geistige Situation der Zeit. Das Buch bietet immer auch ein Panorama der deutschen Politik während der fünfziger und sechziger Jahre. So gesehen, legt Soell tatsächlich Definitives vor. Der Preis, den er für diese minutiöse Rekonstruktion eines politischen Lebens entrichtet, ist hoch. Denn der Bericht gerät förmlich aus den Fugen. Die abschließende Schilderung der nicht einmal dreijährigen Tätigkeit Schmidts als Fraktionsvorsitzender im Bundestag nimmt ein Drittel der Darstellung, beinahe 300 Seiten, in Anspruch. Diese epische Breite ist ein Angriff auf das Lesevergnügen; vor allem verstellt sie den Blick auf das Wesen des Mannes. Aber vielleicht wissen wir in einem Jahr mehr, haben wir mit dem zweiten Band dieser Biographie auch eine Antwort auf die Frage: Wer war, wer ist dieser Helmut Schmidt?

Hartmut Soell: Helmut Schmidt. Band I: 1918-1969. Vernunft und Leidenschaft. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2003. 958 Seiten, 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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literaturtest.de
Der Kühle aus dem Norden
Pünktlich zum 85. Geburtstag liegt der erste Teil der Biographie des fünften deutschen Bundeskanzlers vor. Sie beschreibt und bewertet die Zeit von 1918 bis 1969. Im Mittelpunkt stehen Familie, Kindheit, Kriegszeit, der Einstieg in die Politik mit dem ersten Bundestagsmandat (1953), die Zeit als Hamburger Innensenator und die Rückkehr auf die Bonner Bühne mit der Übernahme des SPD-Fraktionsvorsitzes.
Vielseitig und gebildet
Der Autor geht kräftig ins Detail. Soell, Geschichtsprofessor in Heidelberg, war mehrere Jahre Mitarbeiter des damaligen Fraktionsvorsitzenden Schmidt und selbst 14 Jahre Mitglied des Bundestages. In seine umfassende Biographie fließen eigene Erlebnisse ein und - in gigantischer Kleinarbeit zusammengetragen - Erfahrungen von Zeitgenossen, Protokolle, Vermerke, Aufzeichnungen, Artikel und Reden. Der Hanseat Schmidt ist geprägt durch eine freiheitliche, humanistische Erziehung. Er liebt das Theater, die Kunst, vor allem den Expressionismus, spielt Klavier und Orgel und schließt seine Studien als Diplomvolkswirt ab. Die erste Anstellung sichert ihm Karl Schiller, Ökonomie-Professor und Hamburger Wirtschaftssenator, Jahre später Bundesminister. Er stellte Helmut Sch. 1949 als persönlichen Referenten ein.
"Schmidt-Schnauze"
Schmidt hat schnell Spitznamen weg. "Schmidt-Schnauze" ist einer der ersten und bekanntesten. Er ist scharfzüngig, ein glänzender Debattenredner, gebildet und intelligent; manche nennen ihn arrogant und zynisch. Nach seiner umsichtigen und verantwortungsbewussten Arbeit als Innensenator Hamburgs bei der Flutkatastrophe 1962 begann der sichere und gewissermaßen konsequente Aufstieg in die Bundespolitik: Fraktionsvorsitzender, Minister und ab 1974 Kanzler. Diese Zeit wird den nächsten Teil der Biographie bestimmen.
(Henrik Flor)
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2008

Schweiß, Sparsamkeit, Solidarität
Hartmut Soell überlässt im zweiten Band seiner großen Schmidt-Biographie das Urteil im Wesentlichen dem Leser
Mit Vorschusslorbeeren kommt Hartmut Soells zweiter Band seines Monumentalwerkes über Helmut Schmidt auf den Markt. Da schon der erste Band (2003) positiv aufgenommen wurde, waren die Erwartungen an die Fortsetzung entsprechend hoch. Belohnt wird, wer Zeitgeschichte als Chronologie der Ereignisse versteht und Fakten, Hintergründe und Zusammenhänge sucht. Soells Buch ist eine Fundgrube für Zeitgeistforscher und Historiker. Wer hingegen kritische Bewertungen und Vergleiche wünscht, wird enttäuscht. Dies lässt eine gemischte Bilanz entstehen: eine Fleißarbeit, die das Urteil über die Schmidt-Ära dem Leser überlässt.
Soells Chronologie beginnt mit Schmidts Zeit als Verteidigungsminister im ersten Kabinett Brandt. Es folgt der stellvertretende Parteivorsitz und das Finanzministerium im zweiten Kabinett Brandt, als Schmidt für Schiller „in die Bresche” springt. Der Verteidigungsminister, so der Chronist, hatte Lust, „jedermann zu beweisen, dass er allen Sätteln gerecht werden könnte”. Schmidt hat die Bundeswehr reformiert und die ministeriellen Kompetenzen und militärischen Befehlsstränge neu geordnet. Das Doppelministerium für Wirtschaft und Finanzen sei „mehr Pflicht als Kür” gewesen. Als Finanzminister musste er einen amerikanischen „Währungskrieg” gegen die deutsche Mark abwehren und die Einführung der flexiblen Wechselkurse managen. Die Weltwirtschaftsrezession durch die Ölpreisexplosion brachte die Energie- und Versorgungspolitik ins Rampenlicht. Dann begann der Weg ins Kanzleramt – mit „Schweiß, Sparsamkeit, Solidarität”.
Helmut Schmidt hatte sich gegenüber Willy Brandt neben Respekt auch Gefühle der Freundschaft bewahrt. Als dieser nach der Guillaume-Affäre zurücktreten wollte, kam es zu „kommunikativen Störungen” innerhalb des SPD-Führungstrios. Brandt hatte sich Schmidt als Nachfolger gewünscht. Soell bemerkt, dass Wehners Rolle beim Rücktritt kleiner war, als von vielen Medien behauptet. Schmidt habe sich vor der Bürde des Kanzleramtes gefürchtet.
Die Außenpolitik der Schmidt-Kanzlerschaft wurde von der Freundschaft mit Giscard d’Estaing, von Europapolitik, Ostpolitik und den deutsch-amerikanischen Beziehungen geprägt. Beim KSZE-Gipfel im Juli 1975 hat Schmidt die Formel von Frieden durch Entspannung und Zusammenarbeit von Staaten in Ost und West als gemeinsames Ziel definiert. Endzweck seiner Regierung bleibe, „auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlange”. Der Kanzler versuchte, die sowjetische Politik gegenüber Bonn durch finanzielle Angebote in Bewegung zu bringen. Historisch die Begegnung zwischen Helmut Schmidt und Erich Honecker in Helsinki, als die deutschen Chefdelegierten über den Gang „mit vorgereckten Oberkörpern” miteinander sprachen. Die Begegnung sorgte für Entspannung im innerdeutschen Dialog. Weitere Gespräche folgten.
Für Soell steht fest, dass Schmidt auch ein Kanzler der inneren Reformen war. Der Paragraph 218 wurde geändert, die „Hausfrauenehe” beseitigt, das Schuldprinzip im Scheidungsrecht abgeschafft, die Volljährigkeit auf 18 Jahre gesenkt, der Resozialisierungsgedanke gestärkt, das Mitbestimmungsgesetz verabschiedet und die Rentenversicherung für Hausfrauen geöffnet. Der Wähler hat es gewürdigt: 1976 erhielt die SPD 42,6 Prozent. Ein „achtbarer Erfolg”.
Doch auf einen „Stolperstart” folgte das „Rentendebakel” der neuen Regierung. Das Finanzministerium hatte verkündet, die Rentenfinanzen würden auf ein „Desaster” zusteuern. Im Dezember 1976 wurde Schmidt nur mit einer Stimme über der absoluten Mehrheit zum Kanzler gewählt. Die Auseinandersetzung mit der RAF forderte seine volle Konzentration und Kraft. Hans Apel, so der Autor, hatte Schmidt „noch nie so am Rande des seelischen Zusammenbruchs erlebt wie während der Schleyer-Entführung”. Nach der Befreiung der Geiseln von Mogadischu sprach Schmidt von „Wut, Schmerz und Leid, Hoffnung, Glück und Enttäuschung”. Die Menschen in der Bundesrepublik seien „näher zusammengerückt”. Die Republik hatte eine „existenzielle Herausforderung” bestanden.
Die nächste große Herausforderung kam mit der Nachrüstungsfrage. Schmidt forderte „konkrete Maßnahmen zur Nachrüstung als Reaktion auf die seit Jahren anhaltenden Rüstungen im Warschauer Pakt”. Breschnew kritisierte den Nato-Doppelbeschluss, die deutsche Linke nannte Schmidt „Raketenkanzler”. Gescheitert ist der Kanzler letztendlich am Koalitionspartner FDP: Schmidt habe „erfolgreich regiert” – sei aber am Ende „ausmanövriert” worden.
Für Hartmut Soell war Helmut Schmidt ein Krisenmanager mit konkreten und ideenreichen Konzepten. Er hat die EG vor dem Zerfall bewahrt, die Wirtschaftspolitik der sieben westlichen Industrienationen koordiniert und mit Geduld und Selbstbescheidung regiert. „Seine eigenen Empfindungen und Verletzungen hatte er in den Kämpfen dieser Jahre meist hinter einer Panzerung verborgen, häufig aber auch durch aggressive Rhetorik überspielt und dabei andere verletzt.” Soell schätzt Schmidt als „deutschen und europäischen Staatsmann”. Das liest man gern. Schade nur, dass ein Großteil des Textes zäh und verschachtelt geschrieben wurde. Dem großen Inhalt fehlt die flüssige Form. Nicht jeder hervorragende Historiker ist auch ein guter Stilist. FRIEDERICH MIELKE
HARTMUT SOELL: Helmut Schmidt. 1969 bis heute. Macht und Verantwortung. DVA, München 2008. 1081 Seiten, 39,95 Euro.
Krisenmanager mit konkreten und ideenreichen Konzepten: Helmut Schmidt, hier in einer Aufnahme von 1992. Entgegen seinem Image war Schmidt auch ein Kanzler der inneren Reformen – von der Mitbestimmung bis zum Scheidungsrecht. Foto: Regina Schmeken
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Der nun vorliegende erste Band von Hartmut Soells voluminöser Biografie Helmut Schmidts, der die Jahre 1918-1969 umfasst, hat Rezensent Gregor Schöllgen beeindruckt, aber nicht uneingeschränkt überzeugt. Positiv bewertet er, dass Soell stets alle Aspekte "sorgfältig abwägt", extreme Urteile und Charakterisierungen vermeidet und allen Themen den ihnen gebührenden Platz einräumt. Soells Darstellung von Schmidts Vita im Kontext der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Situation der Zeit hält Schöllgen durchgehend für "kenntnisreich", "gewissenhaft" und "akribisch". Das Buch biete zudem ein "Panorama der deutschen Politik" der fünfziger und sechziger Jahre. Der Preis für diese Vorzüge ist nach Schöllgen allerdings hoch. Die "epische Breite" der Darstellung, die Soell seiner Pflicht als Chronist schuldig zu sein glaubt, mindert seines Erachtens nicht nur das Lesevergnügen. Sie verstelle zudem den Blick auf das Wesen Schmidts, so Schöllgens Haupteinwand gegen das Buch. "Wer war, wer ist dieser Helmut Schmidt?" Diese Frage beantwortet Soells erster Band seiner Schmidt-Biografie zum Bedauern des Rezensenten nicht. So hofft er, dass Soell die Frage im zweiten Band beantworten wird.

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