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'Fritz K.', das ist Fritz Kiehn, ein erfolgreicher mittelständischer Unternehmer und in mancherlei Hinsicht typischer deutscher Selfmademan, ein in Trossingen in Südwestdeutschland vom mittellosen Handlungsreisenden zum Fabrikanten aufgestiegener 'Zugereister', der 1980 als hochangesehener Bürger und Wohltäter seiner Wahlheimat 94jährig verstarb, ein Mann, dessen Leben 100 Jahre deutscher Geschichte umfaßt. In Kiehns Biographie greifen Geschäftliches und Privates ineinander, verschränkt sich Lokal-Besonderes mit Epochenspezifischem, laufen 'kleine' und 'große' Politik zusammen. Sie liest sich…mehr

Produktbeschreibung
'Fritz K.', das ist Fritz Kiehn, ein erfolgreicher mittelständischer Unternehmer und in mancherlei Hinsicht typischer deutscher Selfmademan, ein in Trossingen in Südwestdeutschland vom mittellosen Handlungsreisenden zum Fabrikanten aufgestiegener 'Zugereister', der 1980 als hochangesehener Bürger und Wohltäter seiner Wahlheimat 94jährig verstarb, ein Mann, dessen Leben 100 Jahre deutscher Geschichte umfaßt. In Kiehns Biographie greifen Geschäftliches und Privates ineinander, verschränkt sich Lokal-Besonderes mit Epochenspezifischem, laufen 'kleine' und 'große' Politik zusammen. Sie liest sich als exemplarische Darstellung der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2000

Zigarettenpapier in mehreren Schubladen
Ein Trossinger Unternehmer nahm das Wort "sozial" im Parteinamen der NSDAP ernst

Hartmut Berghoff, Cornelia Rauh-Kühne: Fritz K. Ein deutsches Leben im zwanzigsten Jahrhundert. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, München 2000. 448 Seiten, 49,80 Mark.

Da kommt im Jahre 1908 ein armer Handlungsreisender in eine württembergische Kleinstadt, mietet zusammen mit einem anderen im Ortsgasthof ein klägliches Zimmer, heiratet nach gemessener Zeit das reiche Wirtstöchterlein, nimmt am Ersten Weltkrieg teil und schafft binnen weniger Jahre nach 1918 den Aufstieg zum mittelständischen Unternehmer. Mit der Herstellung von "Efka-Zigarettenpapier" (zwecks Selbstdrehens) machte er gerade wegen der wirtschaftlich trübsten Zeiten die besten Geschäfte - misstrauisch von jenen Honoratioren des Städtchens beäugt, die längst schon arriviert waren und mit dem Parvenu eigentlich nichts zu tun haben wollten. Vor allem das herablassende Verhalten des größten Platzhirsches am Ort erschien Fritz Kiehn wie Hohn: Hohner, der "König" aller Hand- und Ziehharmonikas, nahm den ehrgeizigen zugereisten Emporkömmling nicht für voll - und Kiehn beschloss, es ihm und allen zu zeigen.

"Eine kleine Stadt in Deutschland": Trossingen. Dort kennen die beiden heute noch alle, noch heute gibt es Hohner- und Kiehnstraßen, -plätze, -hallen. Nicht immer honorig, aber doch milieutypisch distanziert verhielt sich Ernst Hohner, als die Naziherrschaft auch in Trossingen begann. Fritz Kiehn aber nutzte die braunen Chancen - er war schon 1926 Parteimitglied geworden - und mischte den kleinen Industrieort mit seinen Anhängern im SA-Rock gründlich auf. Seine Zeit kam: Rasend schnell stieg er in der Parteihierarchie bis zum "Führer der württembergischen Wirtschaft" und zum SS-Obersturmbannführer auf. Mehr noch: Er gehörte zum engen Zirkel des Himmler'schen "Freundeskreises", und zu seinen besonderen "Freunden" zählten unter anderen Daluege und Gottlob Berger. Vor dem November 1932 hatte auch Gregor Strasser dazugehört, den er in der Stunde der Not ebenso im Stich ließ wie so manchen anderen SA-Funktionär. Unbeschadet überstand Kiehn am 30. Juni 1934 den vermeintlichen "Röhmputsch" und schlüpfte geschickt von der braunen in die schwarze Uniform. Am Ende des "Dritten Reiches", bevor Himmler im äußersten Norden des Reiches bei Dönitz (vergeblich) Zuflucht suchte, verbarg er sich in der Dalbheide, der pompösen Fabrikantenvilla Kiehns. Und der war stolz darauf.

Als wenig später die Franzosen nach Trossingen kamen, floh der SS-Bonze, nicht ganz ohne Gepäck, Hals über Kopf und wurde erwischt. Kiehns anschließendes "Martyrium" - so sah er es - dauerte dreieinhalb Jahre. Zuerst ein wenig holpernd, dann recht flott ging es mit ihm wieder aufwärts. Schließlich starb er hochbetagt und hoch geehrt am 1. September 1980; nun hatten zu seinen Freunden Leute wie Zoglmann, Dahlgrün, Bruno Heck gezählt. Heck hatte ihn auch privat mit Bundeskanzler Adenauer zusammengebracht.

"Deutschstunde"? Cornelia Rauh-Kühne und Hartmut Berghoff haben dieses Buch in Tübingen geschrieben, nicht weit von jenen Orten entfernt, in denen sich dieses ebenso spektakuläre wie unspektakuläre, ebenso paradigmatische wie beispiellose Leben vollzog. Herausgekommen ist eine Chronik, deren Lektüre ständig Entrüstung und gleichzeitig resignierendes Achselzucken auslöst: eine historiographische Meisterleistung, geglücktes Beispiel für die Fruchtbarkeit interdisziplinärer historischer Forschung. Es geht um Strukturen, Milieus, Mentalitäten und Mikrohistorie. Es geht genauso aber auch um große Politik, Wirtschaftsgeschichte und einen ganz bestimmten Menschen, den in seinen Widersprüchen zu beschreiben den beiden Autoren hervorragend gelungen ist.

War Kiehn ein Nazi-Verbrecher? Man möchte diese Frage in einem Atemzug bejahen und verneinen. Er bereicherte sich an jüdischem Grundbesitz, einmal gelang es ihm sogar, den Fürther Gustav Schickedanz ("Quelle") bei der "Arisierung" einer Fabrik auszubooten. Es ist wohl unmöglich, dass Kiehn vom Mord an den Juden nichts gewusst haben soll: Die drei Schwiegersöhne seiner einzigen Tochter kamen unmittelbar oder mittelbar aus dem Dunstkreis des Holocaust. Ihm war kein Mittel zu schäbig, um seinen nie in Erfüllung gehenden Wunsch nach Aufstieg zum Großunternehmer mit 1000 Mitarbeitern durchzusetzen. Korruptions- und Meineidverfahren begleiteten seinen unternehmerischen Weg bis tief in die fünfziger Jahre hinein. Und doch: Der gleiche Mann hatte auch nach 1933 keine Hemmungen, mit Juden und Freimaurern Geschäfte zu machen, seine Hausbank war lange von einem Juden geleitet. Er half verfolgten Sozialdemokraten und Kommunisten, vor allem wenn sie aus Trossingen waren. Seine Sozialpolitik war vorbildlich, und dafür liebten ihn alle seine Arbeiter. Trossingen profitierte von seinem berechnenden und nie erlahmenden Mäzenatentum.

Die beiden Autoren hüten sich, Kiehn nur in eine Schublade zu stecken. Mögen an seiner moralischen Verworfenheit, seiner geradezu lachhaften Renommiersucht auch keine Zweifel sein: Indem die bundesrepublikanische Gesellschaft nach einer angemessenen Straf-Auszeit Fritz Kiehn wieder in ihren Schoß aufnahm - wie unzählige andere belastete Figuren aus der braunen Zeit -, gelang die Stabilisierung der jungen Demokratie: "Der vom Standpunkt politischer Gerechtigkeit oft und zu Recht gescholtene Integrationskurs des ersten Bundeskanzlers gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten", so resümieren Hartmut Berghoff und Cornelia Rauh-Kühne, "zeitigte somit Resultate, die für die innere Stabilität der jungen Republik nicht überschätzt werden können." Mehr noch: Fritz Kiehn steht für viele nationalsozialistisch gesinnte Mittelständler, die das "sozial" im Parteinamen wirklich ernst nahmen - und damit gewiss ungewollt wichtige Grundlagen für das Konstrukt der "Sozialen Marktwirtschaft" nach 1945 schufen. Das mag uns gar nicht gefallen: Es gehört zu den wichtigen Ergebnissen dieser sorgfältig recherchierten Studie.

MICHAEL SALEWSKI

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Anpassungskünstler
Ein deutscher Unternehmer laviert sich durch das Jahrhundert
HARTMUT BERGHOFF, CORNELIA RAUH-KÜHNE: Fritz K. ; ein deutsches Leben im zwanzigsten Jahrhundert, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart/München 2000. 442 Seiten, 49,80 Mark.
Wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biografien deutscher Unternehmer, zumal solcher mittelständischen Zuschnitts, gibt es nicht allzu viele. Werden individuelle Lebensgeschichte und allgemeine politische und wirtschaftliche Entwicklung überdies gekonnt verknüpft und gut lesbar präsentiert, dann ist man versucht, von einem Glücksfall zu sprechen. Den beiden Autoren, Historiker und Historikerin an der Universität Tübingen, ist jedenfalls eine anschauliche und vielschichtige Studie gelungen, die nicht nur einen Unternehmertypus seziert, der die deutsche Wirtschaftsgeschichte prägte, sondern auch Einblicke in die Herrschafts- und Alltagsgeschichte der Provinz vom ausgehenden Kaiserreich bis in die Bundesrepublik gestattet.
Aufstieg per Heirat
Der „Held” dieser Biografie, Fritz Kiehn, 1885 in Westfalen geboren und in eher ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, trat nach einer kaufmännischen Lehre 1908 eine Stelle als Handlungsreisender im schwäbischen Trossingen an. Drei Jahre später heiratete er die Tochter eines ortsansässigen Gastwirts. Damit fand er den Anschluss an jenen Teil der örtlichen Honoratiorenschaft, der im Gefolge der Industrialisierung von einer neuen Elite, in diesem Fall angeführt von der Familie des Harmonika-Fabrikanten Hohner, von der Spitze der kleinstädtischen Hierarchie verdrängt worden war. In dieser Ehe flossen somit „die Ressentiments kleingewerblicher Industrialisierungsverlierer mit den Ambitionen eines kleinbürgerlichen Aufsteigers zusammen” – eine brisante Mischung.
Eine stattliche Mitgift ermöglichte den Schritt in die Selbstständigkeit. Der rasante Aufstieg zum Fabrikanten begann jedoch erst 1920, als Kiehn den Vertrieb und die Herstellung von Zigarettenpapier – eine gerade in Notzeiten begehrter, weil preisgünstiger Artikel – aufnahm und binnen weniger Monate einen Betrieb mit etwa 70 Beschäftigten sein Eigen nennen konnte. Damit war der Grundstock der „Efka-Werke”, die Basis der Karriere Kiehns, geschaffen.
Die Aufnahme in die „bessere Gesellschaft” Trossingens, die ihn als Parvenu verachtete und seine geschäftlichen Expansionspläne wiederholt blockierte, blieb ihm dennoch zunächst verwehrt. Diese Erfahrung erklärt nach Ansicht der beiden Autoren neben ähnlichen politisch-ideologischen Überzeugungen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil das Engagement des Industriellen für die NSDAP, die sich im Ort als„dynamische Partei der kleinen Leute und des sozialen Fortschritts” zu präsentieren verstand: 1930 trat er der nationalsozialistischen Partei bei und gründete die Trossinger Ortsgruppe, 1932 wurde er sogar Reichstagsabgeordneter. Nach der Machtübernahme der Nazis kam noch eine Reihe wichtiger Ämter in der halbstaatlichen Wirtschaftsverwaltung dazu: In der SS erreichte er den Rang des Hauptsturmführers. Von noch größerer Bedeutung war seine – großzügigen Spenden und einer gezielten Verheiratung seiner Tochter zu verdankende – Zugehörigkeit zum „Freundeskreis Reichsführer-SS”, einem exklusiven Kreis prominenter Industrieller, Bankiers, Partei- und SS-Funktionäre, sowie zum „Persönlichen Stab” Himmlers. Obwohl in diesen Zirkeln nur eine Randfigur, verfügte Kiehn nun über „jenes Maß an Protektion, das ihm trotz dubioser Geschäfte und gravierender Spannungen mit der Stuttgarter Gauleitung lange das politische Überleben und nicht zuletzt die Teilhabe an Arisierungsgewinnen sicherte”.
Das kleine Trossinger „Reich”, eine Art „NS-Musterbetrieb”, blieb jedoch das eigentliche Zentrum der vielfältigen, unternehmenspolitisch oft fragwürdigen Aktivitäten. Detailliert beschreiben die Verfasser Kiehns erfolglose Versuche, im Windschatten der Partei seine großindustriellen Ambitionen zu verwirklichen. Dass er nicht als „Parteibuch-Industrieller” von überregionalem Rang reüssierte, erleichterte nach dem Krieg seine Reintegration in die lokale Geschäftswelt.
Der Nachkriegskarriere sind die letzten Kapitel gewidmet. Auch in der schwäbischen Provinz glaubte man, grundsätzlich auf die zunächst verachteten Nazis beim Wiederaufbau nicht verzichten zu können. Belege für ihre These von „unterschiedlich langen, traumatischen Phasen sozialer Deklassierung und existentieller Unsicherheit” ehemaliger NS-Funktionäre bleiben Berghof und Rauh-Kühne im Falle Kiehns freilich schuldig. Dessen Entnazifizierungsverfahren zog sich zwar bis Dezember 1949 hin, doch überstand er es als „Minderbelasteter”.
Seine Rolle als Arbeitgeber und Steuerzahler beschleunigte die Rehabilitierung. Noch vor Abschluss des Verfahrens gewährte ihm die Landesregierung einen Kredit in Höhe von drei Millionen Mark, gewissermaßen die Starthilfe in die Marktwirtschaft. Dass die Efka-Werke in den sechziger Jahren dennoch in Schwierigkeiten gerieten, hing auch mit der „unprofessionellen Personalpolitik des Patriarchen” Kiehn zusammen, der Führungspositionen vorzugsweise mit fachlich inkompetenten „alten Kameraden” besetzte.
Voraussetzung der 1972 eingeleiteten erfolgreichen Sanierung des Betriebes war deshalb der Rückzug der Familie aus der Unternehmensführung. Der Reputation Kiehns schadete dies nicht. Für seine Metamorphose vom NS-Funktionär zum „bundesdeutschen Vernunftrepublikaner” machen die Autoren drei Faktoren verantwortlich: die gelungene Integration der, um mit Adenauer zu sprechen, „Nichteinwandfreien” in die Gesellschaft, die Legitimation des neuen Staates durch wachsenden Wohlstand und das zum Teil hohe Maß an ideologischer und mentaler Kontinuität. Die Vergangenheit war für Kiehn tabu; der Gedanke einer persönlichen Mitschuld an den Verbrechen des NS-Regimes lag ihm fern.
Wir sind wieder wer
Für ihre beeindruckende Studie haben die beiden Autoren die einschlägigen Bestände zahlreicher Archive – darunter das Bundesarchiv, die Hauptstaatsarchive in Wiesbaden und Stuttgart, die Staatsarchive Ludwigsburg, Sigmaringen und Trossingen sowie das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg – ausgewertet. Trotz dieser Quellennähe verlieren sie die wichtigen Forschungsdebatten etwa über „Polykratie” oder „Arisierung” jedoch nie aus dem Blick. Wer etwas über die Ursachen der „bemerkenswerten Stabilität der NS-Herrschaft und ihrer reibungslosen ,Bewältigung‘ in den Anfangsjahren der Bundesrepublik” und über die „lebensweltlichen Folgen” der in der deutschen Geschichte so zahlreichen politischen Umbrüche erfahren möchte, sollte dieses Buch lesen.
WERNER BÜHRER
Der Rezensent ist Historiker
in München.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Werner Bührer begrüßt dieses Buch als eine der wenigen wissenschaftlich anspruchsvollen und zugleich gut lesbaren Unternehmerbiografen. Solche Bücher seien selten, umso mehr wenn sie nicht von den ganz großen Bossen, sondern, wie hier, von einem Mittelständler handelten: Fritz Kiehn war Hersteller von Zigarettenpapier der Marke "efka". Als beispielhaft präsentierten die Autoren Kiehns Karriere vom kaum gelittenen Aufsteiger in ein schwäbisches Provinzbürgertum, der sich aus Frust der NSDAP zuwendet und im Dritten Reich SS-Offizier wird. Auch die Kontinuität der Nachkriegszeit, in der Kiehn seine Firma ruiniert hätte, weil er hier vor allem alte Kameraden mit Posten versorgte, sei typisch. Eine "beeindruckende Studie", so Bührer, in der man zumal in das Funktionieren und die Mentalität der Nachkriegszeit tiefe Einblicke tun könne.

© Perlentaucher Medien GmbH