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Für seine Eltern ist er ein Problem. Für seinen Psychiater eine Herausforderung. Und für seine Großmutter ein zauberhafter Junge. Quentin ist umgeben von Menschen, die die Wahrheit nicht sehen wollen. Gewissenlos und kalt begeht der ewige Außenseiter ein Verbrechen nach dem anderen. Seinen Wunsch nach einem ihm hörigen Zombie fordert Opfer auf Opfer. Präzise zeichnet die Autorin das Psychogramm eines Serienkillers.

Produktbeschreibung
Für seine Eltern ist er ein Problem. Für seinen Psychiater eine Herausforderung. Und für seine Großmutter ein zauberhafter Junge. Quentin ist umgeben von Menschen, die die Wahrheit nicht sehen wollen. Gewissenlos und kalt begeht der ewige Außenseiter ein Verbrechen nach dem anderen. Seinen Wunsch nach einem ihm hörigen Zombie fordert Opfer auf Opfer. Präzise zeichnet die Autorin das Psychogramm eines Serienkillers.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2000

Und ewig kühlt der Eispickel
Joyce Carol Oates drängt in das Hirn eines Sexualmörders

Es gibt Fragen, die sich Joyce Carol Oates im Laufe ihrer langen Schriftstellerkarriere schon oft hat stellen lassen müssen. Dazu gehört neben der Verwunderung über ihre schier unerschöpfliche Produktivität die Frage nach der Gewalttätigkeit ihrer Figuren. Ihre Anhänger, die die Spannbreite der von ihr erschriebenen Gattungen, Themen und sozialen Welten bewundern, zitieren Oates gern mit dem Ausspruch, sie wolle es Balzac nachtun und die ganze Welt in ihre Bücher pressen. Wer von einem solchen Ehrgeiz getrieben ist und sich als Chronist der Gegenwart versteht, darf vor gesellschaftlichen und individuellen Extremzuständen nicht zurückschrecken - und dazu gehört in einem Land, das Oates als Albtraum der Moderne bezeichnet hat, natürlich auch die Gewalt in all ihren Spielarten.

Man kann sich allerdings auch schwertun mit Oates' stilistischer Beweglichkeit und ihrer chamäleonhaften Bereitschaft, sich von der Verlogenheit der amerikanischen Suburbia über die Gewaltexzesse jugendlicher Banden bis hin zur Ausbeutung sozialer Randgruppen alle spektakulären Symptome einer kränkelnden Gesellschaft zunutze zu machen. Dahinter steht der Verdacht, die Autorin wittere hinter jeder Schlagzeile Stoff für ein weiteres aufsehenerregendes Szenario.

In ihrem jetzt auf deutsch erschienenen Roman "Zombie" von 1995, dem fiktiven Bericht des vielfachen Sexualmörders Quentin P., hat sich Oates an ein besonders heikles Sujet gewagt und sich direkt in das Hirn eines perversen Gewalttäters hineinversetzt. Damit hat sie eine moralfreie Zone geschaffen, deren schockierender Reiz sich aus einer komplizierten und widersprüchlichen Gemengelage von Leser-Reaktionen speist. Eine davon ist sicherlich das Unbehagen des ertappten Voyeurs, der doch die Finger vom Stoff nicht lassen kann, von diesen halbgaren Phantasien eines dreißigjährigen Versagers, der allmählich Fett ansetzt, sich von Mutter beim Zahnarzt anmelden läßt und in seinen stillen Stunden den Keller zur Folterkammer ausbaut.

Seit seiner Verurteilung zu zwei Jahren auf Bewährung setzt Quentin alles daran, den Anschein harmloser Mittelmäßigkeit zu pflegen, der ihm sein diabolisches Treiben überhaupt ermöglicht. Um die bangen, auf Rettung der Familienehre bedachten Eltern, die Therapeuten und Bewährungshelfer zu beruhigen, hält er sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen, trinkt in der Mensa des Dale Technical College mit den Studenten Kaffee und mäht seiner betagten Großmutter den Rasen.

Niemand ahnt, daß der höfliche, vielleicht ein wenig verschrobene Hilfshausmeister seine Freizeit damit verbringt, bekiffte Anhalter und heruntergekommene Straßenjungen in seine Wohnung zu locken und ihnen einen Eispicker durch das Auge ins Hirn zu rammen. Transorbitale Gehirnlobotomie heißt die Operation, die Quentin in dubiosen Handbüchern genau recherchiert hat und die ihm seine Opfer zu gefügigen Zombies machen soll, zu glotzäugigen Kuscheltieren und Sklaven seiner sexuellen Gelüste, Mamas und Monster zugleich. Bisher hat Quentin allerdings nur Fehlschläge zu verzeichnen; weil er den Eingriff noch nicht perfektioniert hat und sich zwischendurch zu Prügeleien und Vergewaltigungen hinreißen läßt, sterben ihm die Auserkorenen unter der Hand weg. Aber Quentin läßt keinen Zweifel daran, daß er unter dem Deckmantel des geläuterten Sohnes, rührenden Enkels und therapierbaren Patienten weiter an der Vervollkommnung seiner Vision arbeiten wird.

Daß man sich den blutrünstigen Einzelheiten seines Handwerks überhaupt aussetzt, liegt auch an der geschickten Aufmachung des Bändchens. Mit unbeholfenen Skizzen, Auszügen aus medizinischen Lehrbüchern, handgeschriebener Kapitelnumerierung, wechselnder Groß-, Klein-, Fett- und Kursivschrift kommt der Roman als Tagebuch eines Perversen daher, ein scheinbar authentisches Gekritzel, das Fragen nach der Funktion literarisch zelebrierter Gewalt gar nicht erst aufkommen läßt.

Genau hier liegt auch die Bedenklichkeit des literarischen Experiments. In anderen Versuchen, psychopathologische Gewalttaten erzählerisch zu bearbeiten - in den letzten Jahren etwa Patrick McCabes "Butcher Boy" oder Steward O'Nans "Speed Queen" -, wird der Strom der Gewalttaten satirisch überzeichnet, formal gebrochen oder, zumindest in Andeutungen, sozialpsychologisch begreiflich gemacht. Nichts davon versucht dieser Roman. Zwar gibt es Passagen, die mit dem amerikanischen Traum des Immer-Weiter-Strebens spielen, hier pervertiert in die Allmachtsphantasien eines Vorstadt-Frankensteins, der keine moralischen Grenzen mehr kennt. Und hinter Quentins Haßtiraden gegen die inszenierte Idylle seiner maroden Familie lassen sich natürlich auch psychische Verletzungen vermuten.

Aber im Grunde ist der Text - und darin liegen seine distanzlose heikle Drastik und gleichzeitig seine unanfechtbare Stärke - eben nicht auf Deutungen hin angelegt. Dieser Täter steht allein in der absoluten Leere einer monströsen Brutalität, die sich allen Erklärungsversuchen entzieht. Dem Psychopathen kommt man nicht auf die Spur.

ANNETTE PEHNT.

Joyce Carol Oates: "Zombie". Roman. Deutsche Verlags Anstalt, München 2000. 208 S., geb., 34,- DM

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Einen Menschen ganz für sich zu haben
Der Killer in uns: Joyce Carol Oates’ Roman „Zombie”
Die Leukotomie ist eine erstmals von dem portugiesischen Neurologen António Moniz im Jahr 1935 durchgeführte Operation. Dabei werden das Mark beider Stirnlappen und die Verbindung zwischen Stirnhirn und Thalamus durchtrennt. Der Eingriff wurde früher an gewalttätigen Schizophrenen und geistig gestörten Patienten mit schweren Zwangsvorstellungen vorgenommen, die zu Selbstmord oder Mord neigen. Die Folge ist eine demente Abstumpfung bis hin zur vollkommenen Willenlosigkeit. Heute behandelt man solche Patienten vorwiegend mit Psychopharmaka.
Quentin ist einunddreißig Jahre alt und kommt aus einer intakten amerikanischen Familie des gehobenen Mittelstands. Der Vater ist Professor für Astrophysik und Philosophie. Ein Gott, vor dem der Sohn kläglich versagt. Mittelmäßiger Schulabschluss. Studium abgebrochen. Homosexuell. Quentin hat versucht, einen zwölfjährigen schwarzen Jungen aus einem Ghetto zu vergewaltigen. Die Anwälte des Vaters haben eine Bewährungsstrafe herausgeholt. Jetzt will Quentin ein neues Leben anfangen. Er wird Hausmeister in einem Studentenwohnheim, einem Altbau, der der vermögenden Großmutter gehört. Alle kümmern sich um den gefallenen Sohn. Der Bewährungshelfer, der Anwalt, die Psychologen und Therapeuten. Die Welt ist halbwegs in Ordnung. Da ist nur eine Kleinigkeit, die niemand ahnt außer dem Leser, den die Autorin in Quentins Kopf versetzt.
Eine ganz alltäglich Sehnsucht
Quentin ist beherrscht von einem einzigen Gedanken. Er träumt davon, einen Menschen ganz für sich zu haben. Ihn zu besitzen, zur Verfügung zu haben für immer, so vollständig wie eine Sache. Ein Mensch, der sich vor dir hinkniet und alles tut, was man von ihm verlangt. Einer, der dich mit Meister anspricht und dir mit klarem offenen Blick begegnet. Ohne Verstellung, ohne Widerspruchsgeist, ohne eigenen Willen. Keine Fee und kein Teufel, nicht der Butt aus dem Märchen, nicht der Flaschengeist Aladin, deren Wunscherfüllungen Haken und Ösen haben. Ein normaler Mensch. Adam, wie Gott ihn schuf, bevor er vom Baum der Erkenntnis gegessen hat. Quentin träumt davon, sich so einen zu erschaffen. Man muss dafür nicht den komplizierten Weg gehen, einen Roboter zusammenzubasteln. Der Mensch, wie er ist, tut’s auch. Man braucht nur ein kleines chirurgisches Instrument. Und falls das nicht zur Hand ist, einen Eispicker.
Wenn der Patient bewusstlos ist, fasse man das Oberlid zwischen Daumen und Zeigefinger und ziehe es so weit wie möglich vom Augapfel weg. Sodann führe man die Spitze des transorbitalen Leukotoms in den Bindehautsack ein und bewege die Spitze bis sie an die Wölbung der Orbita stößt. Die Knochenwölbung oberhalb des Augapfels wird mit Hilfe von Hammerschlägen auf den Eispicker durchstoßen. Wenn die Fünf-Zentimeter-Marke erreicht ist, ziehe man den Griff des Instruments so weit zur Seite, wie es der Rand der Orbita erlaubt, um das Gewebe an der Basis des Stirnlappens zu durchtrennen. Ein kleiner Schnitt, und das Glück ist perfekt. „Denn ein echter ZOMBIE könnte nie etwas sagen, was nicht ist . . . Seine Augen würden klar sein & weit geöffnet, aber in ihnen wäre nichts . . . was denkt. ”
Mit einem Menschen unter der Decke liegen. . . Die Schläge der Turmglocke zählen und im gleichen Augenblick einschlafen. Eine ganz alltägliche Sehnsucht. Nur schade, dass zwischen Wirklichkeit und Traum der Schädelknochen liegt und dass die Operation immer wieder misslingt. Quentins Karriere als Serienkiller ist gepflastert mit misslungenen Zombies, deren Entsorgung viel Phantasie erfordert. Aber Quentin ist nie entdeckt worden und wird nie entdeckt. Er bleibt der hilfsbereite Sohn eines bekannten Professors, der wie viele andere nicht ganz die Erwartungen erfüllt hat, die seine Eltern in ihn gesetzt haben.
Solche Geschichten von freundlichen Psychopathen, in denen die Hölle tobt, kennen wir aus Horrorfilmen und aus den Nachrichten. Kinder metzeln ihre Familien und Schulkameraden nieder. Amokläufer schießen auf alles, was sich bewegt. Die Geschichte der Kriminologie ist voll von Wahnsinnigen, die ihre Opfer schlachten und auf Dosen ziehen. Und alle sind normale, unauffällige Bürger und Nachbarn. Die Provokation von Joyce Carol Oates’ Roman liegt nicht in dem Fall, den sie akribisch anhand von Täterprofilen – vor allem der Serienkiller Jeffrey Dahmer und Ted Bundy – recherchiert hat. Das, was uns beim Lesen dieses Buches zu Eis erstarren lässt, ist die Erzählperspektive. Wir sitzen im Kopf des Serienkillers, und wir erkennen, dass keiner seiner Gedanken und Gedankenschritte für sich gesehen absurd ist. Quentin ist das Rumpelstilzchen unserer Zeit. Eine Karikatur des mitleidslosen Egoisten ohne Moral. Aber wir sollten vorsichtig sein mit unserem Urteil, denn indem wir in dieses Gehirn eindringen, erleben wir nicht nur, wie der Serienmörder sich in uns einnistet. Wir schauen auch in die Wunschhöllen der Zivilisationsgeschichte.
Wann bin ich der nächste Täter?
Was unterscheidet Quentins Wunsch von den Träumen der biologistischen und politischen Menschenzüchter des 20. Jahrhunderts? Was unterscheidet seine Sehnsucht von der Victor Frankensteins nach einem Wesen aus eigener Schöpferkraft und der des Hoffmannschen Nathanael nach der Automate Olimpia? Was unterscheidet die Phantasien dieses Verbrechergehirns von denen des Marquis de Sade? Wo liegt der prinzipielle Unterschied zwischen Quentins Menschenrauben zu Giacomo Casanovas Kauf eines dreizehnjährigen russischen Bauernmädchens, das er sich ausschließlich für sein Bettvergnügen anschafft? Es ist der Traum, Menschen nach unserer Pfeife tanzen zu lassen, der uns mit dem Serienkiller Quentin verbindet. Wie weit würden wir gehen, wenn es keine Moral, keine Gesetze gäbe und wenn wir wüssten, dass wir unentdeckt und straflos blieben?
Die Psychologen und Kriminologen haben gezeigt, wie klein der Schritt vom Ehrenmann zum Monster ist, Jekyll und Hyde, der Spießer und Mengele, Genie und Wahnsinn, Liebe und Terror. Wir wissen genau, wie nahe das beieinander liegt. Und sind immer aufs Neue erstaunt und erschüttert über die Tatsache, wie dünn das Eis ist, auf dem die Zivilisation ihre Gebäude errichtet. Die Frage, die sich der Leser von Oates’ Roman am Ende stellt, ist nicht die, wann bin ich das nächste Opfer, sondern: Wann bin ich der nächste Täter. Man braucht dafür nicht unbedingt Gehirnlappen zu durchschneiden. Ein Wackerstein von der Autobahnbrücke geworfen, bringt bereits den kleinen Allmacht-Kick. Der Text wirkt deshalb so intensiv, weil die Autorin mit eiserner Konsequenz bis hinein in kleinste Sprachdetails bei der Innenschau des Killergehirns bleibt. Keine Moral aus der Geschichte, keine Verurteilung. Das alles bleibt dem Leser überlassen. Warum ist dieser Bericht dem deutschen Publikum fünf Jahre vorenthalten worden? Wir schauen in einen Eisblock und entdecken das Schlimmste an uns selbst.
MICHAEL WINTER
JOYCE CAROL OATES: Zombie. Roman. Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann. DVA, München 2000. 208 Seiten, 34 Mark.
Joyce Carol Oates
Foto: Peter Peitsch
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Georg Seeßlen findet es bemerkenswert, dass sich Oates` Arbeit von den typisch-amerikanischen allegorischen oder satirischen Serienmördergeschichten unterscheidet. Er beschreibt die Arbeit als ein Wagnis (sowohl für die Autorin als auch für den Leser). Einen ziemlich guten literarischen Text sieht Sesslen in diesem Buch: "Sprache kann sehr eispicklig sein. Und Poesie sehr hnterhältig."

© Perlentaucher Medien GmbH