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Über das Thema 'Freundschaft' als sozial-ethische Verpflichtung ist in den letzten 100 Jahren wesentlich weniger reflektiert worden als noch im 18. und 19. Jahrhundert. Durch die zunehmende gesellschaftliche Mobilität und die berufliche Konkurrenzsituation ist eine fortschreitende Lockerung aller sozialen Bindungen eingetreten, so dass Freundschaft heute weitgehend als etwas Privates, ja Okkasionalistisches angesehen wird. Dementsprechend veranschaulicht dieses Buch den sozialgeschichtlichen Wandel freundschaftlicher, kameradschaftlicher oder allgemein 'solidarischer' Beziehungen seit dem 18.…mehr

Produktbeschreibung
Über das Thema 'Freundschaft' als sozial-ethische Verpflichtung ist in den letzten 100 Jahren wesentlich weniger reflektiert worden als noch im 18. und 19. Jahrhundert. Durch die zunehmende gesellschaftliche Mobilität und die berufliche Konkurrenzsituation ist eine fortschreitende Lockerung aller sozialen Bindungen eingetreten, so dass Freundschaft heute weitgehend als etwas Privates, ja Okkasionalistisches angesehen wird.
Dementsprechend veranschaulicht dieses Buch den sozialgeschichtlichen Wandel freundschaftlicher, kameradschaftlicher oder allgemein 'solidarischer' Beziehungen seit dem 18. Jahrhundert. Die jeweiligen Spielarten mögen in ihrer historischen Spezifität veraltet erscheinen, könnten aber dennoch weiterhin vorbildlich sein, um der von vielen Menschen empfundenen Vereinzelung innerhalb der zwar verfreiheitlichten, aber zugleich vereinsamten Masse zu entgehen.
Aus dem Inhalt: Goethe und Schiller - Heine und Marx - Mensch und Tier - Freundschaft zwischen den Geschlechtern - Kumpelei und Kriminalität - Kameradschaft im Krieg - Genossenschaft - Kollegialität in der Konkurrenzgesellschaft.
Autorenporträt
Jost Hermand ist Professor em. für deutsche Kulturgeschichte an der University of Wisconsin-Madison (USA) und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2006

Selig, wer sich vor der Welt ohne Hass verschließt
Geborgenheit in rauen Zeiten, heimatloser Welt: Zwei neue Bücher über Kunst und Tugend der Freundschaft
Den einsam Frierenden der Singlegesellschaft naht Rettung. Die Freundschaft soll‘s richten. Die „freieste aller Beziehungsformen” soll unsere hochindividualisierte Freiheit wieder in menschliche Wärme einmummeln: „Freundschaft ist die Möglichkeit einer Vertrautheit, ja Geborgenheit in heimatlosen Zeiten”, schreibt Martin Hecht in „Wahre Freunde. Von der hohen Kunst der Freundschaft”. Das klingt nach Quadratur des Kreises, aber natürlich muss man ernstlich fragen, ob sich nicht „alte Institutionen” wie die schwächelnden Familien- und Liebesbünde durch „neue Netzwerke, neue Wahlverwandschaften” (Hecht), eben freundschaftliche, ersetzen lassen. Eine große Frage - und das Erstaunliche ist, dass Hechts erbaulich himmelblaues Bändchen, welches zwei ineinander greifende Hände zieren, eine wirklich überzeugende Antwort darauf enthält. Doch davon später.
Dasselbe Motiv, der Knoten zweier Hände, schmückt ein weiteres neues Freundschaftsbuch, das inhaltlich kaum unterschiedlicher sein könnte: Die Studie des in den USA deutsche Kulturgeschichte lehrenden Jost Hermand, „Freundschaft. Zur Geschichte einer sozialen Bindung”. Die Präposition gilt wörtlich, Hermand liefert keine glatte Geschichte, sondern Essays „zur” Freundschaft in den letzten zweihundertfünfzig Jahren. Vor allem interessiert ihn eine spezielle Freundschaftsform, nicht die herzensmäßige, sondern die Freundschaft als sozial-ethische Haltung, als solidarischer Bund. Ein, so Hermand, seit der französischen Revolution gängiges Ideal („Fraternité”), um aus persönlichen Wurzeln ein progressives, verantwortungsvolles politisches Bewusstsein zu entwickeln. Ein Ideal, das freilich auch stets von konservativen Freundschafts-Privatisierern bekämpft wurde.
Zum Beispiel im Dichterbund von Goethe und Schiller. Dessen dioskurenhafte Innerlichkeit sieht Hermand als geistesfeudalistische Abkehr von der bürgerlich-aufklärerischen Solidarität: Die Dichterfreundschaft war der „ideologische Zweckbund zweier Herrschernaturen”. Ähnlich kritisch wird ein linker Freundschaftsmythos zerlegt: Heinrich Heine und Karl Marx, die 1844 in Paris „Gesinnungsgenossen” wurden - und sich wohl auch wirklich mochten. Doch störte Heine bald Marx‘ Verengung allen „gesellschaftlichen Seins” aufs Ökonomische, während diesem Heines Festhalten an der Religion suspekt blieb.
Weitere Freundschaftsfälle analysiert Hermand, stets nach Solidarität fragend, oft sie vermissend: Die Kameradschaft im Ersten Weltkrieg, die kollegialen Schlangengruben der Bürowelt, die Tierschutzbewegung. Am Ende des Buchs erstaunt es aber doch, dass Hermand gerade die deutsche Grüne Partei als beispielhaften Hort universalistischer Freundesethik, des Respekts und der Verantwortung preist. Als ob es nicht tiefere Graswurzel-Soldaritäten auf der Welt gäbe.
Hermands offen linke, ja marxistische Engagiertheit ist sympathisch, sorgt aber auch für enorme Vergröberung. So sieht er etwa zwischen romantischer „Liiiebe” (sic!) und der heutigen (auch erotischen) Mentalität nur einen großen Widerspruch, den die Gesellschaft heuchlerisch überdecke. Eine platte Kritik, hat doch etwa die Soziologin Eva Illouz gezeigt, wie fein Romantik und Konsum verzahnt sind (ohne letzterem das Wort zu reden).
Hermand beschreibt die Freundschaft von außen. Die inneren Zerreißproben, die Konfliktfelder von persönlicher Neigung und politischer Pflicht, von denen die deutsche Literatur, auf die sich Hermand oft beruft, ja voll ist, interessieren ihn nicht. Das kann man so machen, aber so ganz ohne Herz und Innerlichkeit, wie das Buch auskommen will, hätte es dann doch besser „Zur Geschichte der Solidarität” geheißen.
Ums Private geht es dafür umso mehr in Martin Hechts „Wahre Freunde”. Freundschaft ist die Lösung für „verantwortungslose Egoisten und beziehungsunfähige Lüstlinge im Trümmerfeld der Erlebnisgesellschaft”, denn sie baut auf Freiwilligkeit und „kennt keine unbedingten Pflichten”. Gut 200 Seiten lang geht es um Freundestypen, Krisen, Sternstunden, um die Substanz echter Freundschaft: Selbstzweck, Gleichheit, Offenheit, Vertrauen und so weiter.
Das kann man als Gesülze abtun, begiebt sich aber dann der Chance, das Buch als schönes Dokument des aktuellen Freundschaftsbegriffs zu lesen. Auffällig ist zunächst eine hysterische Angst vor Fehlinvestititionen, die sich darin zeigt, dass das Buch zum größeren Teil nicht aus Tipps zum Gelingen, sondern aus Warnungen vor den Risiken der Freundschaft besteht. Die gipfeln in ernst gemeinten Proben wie „Wer dein Freund ist, erkennst du an der Frau, die er sich aussucht” oder „Ist das gegenseitige Interesse noch ausgewogen?” Wer so inquisitorisch fragt, wird bald einsam sein. Dass Freundschaft aus Nachsicht, Großzügigkeit und Kompromissen besteht, davon hat Hecht noch nie gehört. Er predigt höchste Freundesharmonie - bloß kosten darf sie nichts. Und falls sie einmal endet: Nicht so schlimm, denn dann war sie eh nichts mehr wert.
Diese Alles-oder-Nichts-Logik erinnert an ein anderes Beziehungsmodell, an die Liebe. (Schon Hechts Widmung „für Gabriele, meine wahre Liebe”, gab zu denken.) Seine Widersprüchlichkeit, sein Materialismus, vor allem aber seine enorme Idealisierung der Freundschaft zeigt geradezu modellhaft was passiert, wenn man sie als Notausgang zum Sozialen ausruft: Er verstopft, sofort. Was soll Freundschaft für Hecht nicht alles sein: eine „wirklich erfüllende Beziehung”, gar ein „Spender von höchster Lebensqualität”. Sonst noch was?
Überdetermination, das ist die Antwort, die Hecht unwillentlich gibt: Sein Freundschaftsbegriff ist mit eben jenen übergroßen, paradoxen, uneinlösbaren Erwartungen und Wünschen beladen, die schon unsere Familien- und Liebesverhältnisse so kompliziert machen. Gegen die Freundschaft spricht das alles nicht. Nur gegen den Wunsch, das Leben einfacher haben zu wollen, als es nunmal ist. WILHELM TRAPP
MARTIN HECHT: Wahre Freunde. Von der hohen Kunst der Freundschaft. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006. 223 S., 14,90 Euro.
JOST HERMAND: Freundschaft. Zur Geschichte einer sozialen Bindung. Böhlau Verlag, Köln 2006. 218 S., 19,90 Euro.
Die freieste aller Beziehungsformen: Flusspferd mit Kuhreiher.
Foto: VISUM
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zufrieden zeigt sich Wilhelm Trapp mit Jost Hermands Buch über die Geschichte der Freundschaft. Wie er präzisiert, handelt es sich dabei nicht um eine Geschichte der Freundschaft im engeren Sinn, sondern um eine Reihe von Essays, die eine spezielle Form von Freundschaft - die Freundschaft als sozial-ethische, solidarische Haltung - in den letzten 250 Jahren beleuchten. Freundschaftsfälle wie die Kameradschaft im Ersten Weltkrieg oder die "kollegialen Schlangengruben der Bürowelt" werden dabei ebenso unter die Lupe genommen wie berühmte Beziehungen, etwa die von Goethe und Schiller oder die von Heinrich Heine und Karl Marx. Bisweilen findet Trapp die Ausführungen Hermands etwas undifferenziert, was er auf dessen offene marxistische Haltung zurückführt. Er unterstreicht zudem, dass Hermand das Phänomen Freundschaft dezidiert von außen betrachtet. Bisweilen fehlen Trapp daher ein wenig "Herz und Innerlichkeit". Passender erschiene ihm für das Buch ohnehin den Titel "Zur Geschichte der Solidarität".

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