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Mit der Weihe der Dresdner Frauenkirche im Oktober 2005 wird der Wiederaufbau des 1945 in Trümmer gesunkenen Bauwerks nahezu abgeschlossen sein. Durch das breite Interesse, das den Restaurierungsmaßnahmen zuteil wird, ist auch die Frage nach der Entstehungsgeschichte des bedeutendsten Sakralbaus der protestantischen Christenheit und nach seinem Schöpfer George Bähr aufgekommen. Vor dem Hintergrund des kulturellen und politisch-gesellschaftlichen Klimas im Zeitalter Augusts des Starken schildert dieser Band den Aufbau der Frauenkirche im 18. Jahrhundert und bindet ihn ein in das Gesamtwerk des…mehr

Produktbeschreibung
Mit der Weihe der Dresdner Frauenkirche im Oktober 2005 wird der Wiederaufbau des 1945 in Trümmer gesunkenen Bauwerks nahezu abgeschlossen sein. Durch das breite Interesse, das den Restaurierungsmaßnahmen zuteil wird, ist auch die Frage nach der Entstehungsgeschichte des bedeutendsten Sakralbaus der protestantischen Christenheit und nach seinem Schöpfer George Bähr aufgekommen. Vor dem Hintergrund des kulturellen und politisch-gesellschaftlichen Klimas im Zeitalter Augusts des Starken schildert dieser Band den Aufbau der Frauenkirche im 18. Jahrhundert und bindet ihn ein in das Gesamtwerk des Ratszimmermeisters Bähr. Eingehender als bisher in der Forschung geschehen, nähert sich der Autor dem Leben und Wirken des relativ unbekannt gebliebenen, großen bürgerlichen Barockbaumeisters. Detailreich wird auch seine Lebenswelt erfasst: die politischen und wirtschaftlichen Ambitionen Augusts des Starken, der barocke Ausbau der Residenzstadt, das künstlerische Milieu sowie das alltägliche Leben in der Elbmetropole. Entdeckt werden auch die profanen und sakralen Bauten, für die George Bähr in und fernab von Dresden verantwortlich zeichnete.
Autorenporträt
Siegfried Gerlach arbeitete bis zum Eintritt in den Ruhestand als Professor für Geographie und ihre Didaktik zu den Schwerpunkten Stadt-, Wirtschafts- und Sozialgeographie sowie Baugeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2005

Warten auf Dresden
Siegfried Gerlach auf der Suche nach dem Baumeister George Bähr

Brauchen wir denn noch ein Buch zur Dresdner Frauenkirche? Im Zuge des symbolträchtigen Wiederaufbaus hat es eine wahre Schwemme von Publikationen zu dem Bau im allgemeinen und den Problemen seiner Rekonstruktion im besonderen gegeben. Der Historiker Siegfried Gerlach hat dennoch eine Lücke in der Beschäftigung mit jenem Bauwerk aufgetan, dessen Wiederweihe am 31. Oktober die Nation entgegenfiebert. Jenseits der Masse an Studien zum Hauptwerk des Ratszimmermeisters George Bähr sei es bislang nur "in geringem Umfang" gelungen, dessen "Person und Vita zu erhellen". In seinem Buch zum "Erbauer der Dresdner Frauenkirche" schickt Gerlach sich an, des Phantoms Bähr habhaft zu werden, das "trotz aller wissenschaftlichen Anstrengungen bis heute seltsam konturlos" geblieben sei.

Dem vorschnell verspürten Impuls, der Ausbreitung des "Menschen George Bähr" auf 236 Seiten lieber nicht beiwohnen zu wollen, hält der Untertitel allerdings das Versprechen der Skizzierung eines "Zeitbildes" entgegen. Zuvor jedoch wird der Leser über Klima, Vegetation und Viehwirtschaft der Ortschaft Fürstenwalde im Erzgebirge unterrichtet, wo Bähr an den Iden des März im Jahre 1666 das Licht der Welt erblickte. Im Grunde böte die gewählte Herangehensweise durchaus Gelegenheit, jene Aspekte der Biographie zu beleuchten, die in der Tat weiteren Aufschluß über Bährs OEuvre geben könnten. Doch dieser Hoffnung wirkt der Autor sogleich mit der Information entgegen, die zur Verfügung stehenden Quellen erlaubten keinen Rückschluß bezüglich dessen "Einstellung gegenüber Kollegen" oder den "künstlerisch-geistigen Bewegungen des Jahrhunderts".

Über das Referat der bestehenden Forschung hinaus liefert Gerlach darum auch keine neuen Erkenntnisse über Ausbildung und Werdegang. Statt dessen stellt er für das Werkverständnis irrelevante Fragen, deren Beantwortung in Ermangelung der erforderlichen Quellen ebenfalls ausbleiben muß: "Dabei wüßte man doch allzu gern, wie sein Alltag aussah ... in welchem Haus er seinerzeit wohnte ... wie wir uns seine Beziehungen zu seinen Ehefrauen und Kindern vorzustellen haben."

Weil Gerlach der von ihm beklagten Konturlosigkeit der Persönlichkeit Bährs nichts entgegenzusetzen weiß, widmet er sich ersatzweise der den Baumeister umgebenden augusteischen Epoche. Zur Erfassung dieser "Bährschen Lebenswelt" entfaltet er ein Panorama der politischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Bedingungen, die aufgrund ihres zeitlichen Aufeinandertreffens mit George Bährs Lebensdaten (1666 bis 1738) Einfluß auf die Entstehung seines Hauptwerks gehabt haben mögen.

Dabei zeichnet er ein leicht konsumierbares Bild der Herrschaft Augusts des Starken und des barocken Dresden; der erforderliche nächste Schritt - das Aufzeigen eines Zusammenhangs zwischen kulturellem Hintergrund und ästhetischer Entwicklung - bleibt dann aber leider im Ansatz stecken. Die architektonische Formensprache, deren Beschreibung nicht über die Etikettierung mit dem unreflektiert verwendeten Terminus "barock" hinausgeht, wird pauschal mit dem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis des absolutistischen Herrschers und des aufstrebenden Bürgertums erklärt.

Im Galopp durchquert Gerlach die jenseits von Architektur und Städtebau liegenden Bereiche der Kultur wie das "in voller Blüte" stehende Musikleben und die weniger prächtig blühende literarische Produktion und mündet dann in einer anschaulichen Betrachtung der Alltagskultur Dresdens. Das städtische Treiben im sogenannten Elbflorenz verewigte der venezianische Vedutenmaler Bernardo Bellotto, besser bekannt als Canaletto, in seinen Stadtansichten, welche Gerlach als Ausgangspunkt seiner Ausführungen über Zusammensetzung, Verhalten und Kleidung der Einwohnerschaft in den dargestellten Vierteln dienen - keinerlei Zweifel daran hegend, daß Canalettos bunte Staffage "die Realität der residenzstädtischen Daseinsformen in hervorragendem Maße offenbart": Ein Vorgehen, das die künstlerische Autonomie der Gemälde verleugnet und angewendet auf ein Porträt aus Picassos kubistischer Phase auf direktem Wege zu der Annahme führen würde, Dora Maar sei ein Zyklop gewesen.

Jenseits dieser Untiefen liegt der eigentliche Wert des Buches in seiner präzisen und aufschlußreichen Schilderung des Baubetriebs im achtzehnten Jahrhundert. Am Beispiel der ab 1722 geplanten und im Jahr 1743 vollendeten protestantischen Hauptkirche Dresdens zeichnet Gerlach ein lebendiges Bild vom "Ameisenhaufen" einer vorindustriellen Baustelle. Minutiös, aber ohne die Monotonie, der er bei seinen Architekturbeschreibungen zuweilen anheimfällt, fächert er die Aufgabenverteilung der beteiligten Berufsgruppen und ihr Verhältnis zueinander auf.

Während die Patronatsherrschaft über die Frauenkirche dem Rat der Stadt Dresden unterlag, war der Entwurf dennoch dem Oberlandbauamt - jener nach dem Vorbild der "Bâtiments du Roi" Ludwigs XIV. zur Zentralisierung des Bauwesens eingerichteten Verwaltung - vorab zur Genehmigung vorzulegen. Im Spannungsfeld dieser Instanzen entwickelte Bähr das der Ausführung zugrundeliegende Projekt. Die von der Forschung zu Genüge bearbeitete Projektgenese faßt Gerlach konzise zusammen und verwendet seine Energien auf die Darlegung der Begleitumstände. Er beschreibt die finanziellen und witterungsbedingten Widrigkeiten ebenso wie die zum Teil unlauteren Mittel, mit denen der Stadtrat dem chronischen Geldmangel Abhilfe zu schaffen versuchte: Neben einer "Frauenkirchen-Baulotterie" ist die Rede vom Verkauf der Grabbeigaben, auf die man im Verlauf der Bauarbeiten auf dem Gelände des ehemaligen Kirchhofs zufällig gestoßen war.

Auch die alltäglichen Arbeitsbedingungen und das wenig fortschrittliche Instrumentarium, mit dem Handwerker und Fachkräfte sich noch im Goldenen Zeitalter der naturwissenschaftlichen Entdeckungen an die Bewältigung der ihnen übertragenen Aufgabe machte, weiß Gerlach anschaulich darzulegen: Das Abstecken des Grundrisses mit Hilfe von Pfählen und Brettern auf dem Baugrund, die mühsame Anfertigung von Holzgerüsten und der Einsatz von Hebelbäumen, "die in ihrem Ursprung bereits auf die antike Welt zurückgingen", vermittelt einen Eindruck vom damaligen Alltag des Bauwesens. Hier offenbart sich der Grund für die noch vor Abschluß der Bauarbeiten an der steinernen Kuppel zutage tretenden Risse: Er lag in der mangelnden wissenschaftlichen Aufarbeitung baulicher Probleme und dem Unvermögen, die Ableitung der Kuppellast im voraus genau zu berechnen.

Letztlich wird sehr schnell deutlich, daß eben gerade nicht der "Mensch Bähr", sondern der Zimmergeselle, der, beauftragt mit der Errichtung der Frauenkirche, das Werk eines Künstler-Architekten im neuzeitlichen Sinne erbringt, der Betrachtung lohnt. In seinem Beitrag zu diesen berufsgeschichtlichen Aspekten liegt der Wert des Buches.

KRISTINA DEUTSCH

Siegfried Gerlach: "George Bähr". Der Erbauer der Dresdner Frauenkirche. Ein Zeitbild. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2005. 236 S., 20 S/W-Abb. auf 16 Tafeln, geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kristina Deutsch lobt Siegfried Gerlachs Buch für eine Leistung, die es gar nicht erbringen wollte: die "präzise und aufschlussreiche Schilderung des Baubetriebs im achtzehnten Jahrhundert". Wie wurde gebaut, wie geplant, welche Werkzeuge wurden verwendet, wie waren die Arbeitsbedingungen? Wie sah es aus auf einer "vorindustriellen Baustelle"? Antworten darauf findet man in der vorliegenden Studie, die Person George Bährs, des Erbauers der Dresdner Frauenkirche, bleibt dagegen weiterhin ein "Phantom". Aber immerhin.

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