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Lange Zeit wurde die Rolle von Frauen im »Dritten Reich« meist auf die von Opfern reduziert. Die Täterinnen-Ebene blendeten Forschung und Öffentlichkeitgerne aus. Allzu schnell war vergessen: Frauen waren Angehörige der SS gewesen, hatten Konzentrationslager bewacht und weibliche Häftlinge brutal misshandelt, als Ärztinnen und Krankenschwestern bei Menschenversuchen und »Euthanasie«-Aktionen assistiert oder als Fürsorgerinnen die nach NS-Ideologie »Minderwertigen« zur Zwangssterilisation vorgeschlagen.Den wenigen Frauen, die wegen ihrer Beteiligung an den menschenverachtenden Taten des…mehr

Produktbeschreibung
Lange Zeit wurde die Rolle von Frauen im »Dritten Reich« meist auf die von Opfern reduziert. Die Täterinnen-Ebene blendeten Forschung und Öffentlichkeitgerne aus. Allzu schnell war vergessen: Frauen waren Angehörige der SS gewesen, hatten Konzentrationslager bewacht und weibliche Häftlinge brutal misshandelt, als Ärztinnen und Krankenschwestern bei Menschenversuchen und »Euthanasie«-Aktionen assistiert oder als Fürsorgerinnen die nach NS-Ideologie »Minderwertigen« zur Zwangssterilisation vorgeschlagen.Den wenigen Frauen, die wegen ihrer Beteiligung an den menschenverachtenden Taten des NS-Regimes verfolgt und verurteilt wurden, unterstellten Justiz und Öffentlichkeit eine besonders grausame und eher unweibliche Natur. Mit dieser Dämonisierung machte man nicht nur die Auseinandersetzung mit ihren Taten und Motiven überflüssig, sondern schuf zudem eine Distanz zur Mehrheit der »normalen« Frauen. Daher ist noch heute das populäre Bild des »Dritten Reiches« durch die männlichen NS-Größen und -Mitläufer geprägt.Einen Eindruck des breiten Spektrums weiblicher Täterschaft vermittelt das Buch von Kathrin Kompisch. Angefangen von den KZ-Aufseherinnen über Frauen in Polizei und Justiz, im Kriegseinsatz, im Sozial- und Gesundheitswesen bis zu den am Holocaust beteiligten Schreibtischtäterinnen beschreibt und analysiert die Autorin, welche Rolle das »schwache Geschlecht« während des »Dritten Reiches« spielte. Als Schlaglichter gesetzte Kurzbiografien einzelner Täterinnen verleihen dabei dem Phänomen auf eindringliche Weise ein konkretes Gesicht.
Autorenporträt
Kathrin Kompisch ist promovierte Historikerin und hat mehrere Bücher zur Kriminalitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts veröffentlicht. Sie lebt als freie Autorin in Hamburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2009

Die vergessenen Rädchen
Frauen spielten im NS-System eine bisher unterschätzte Rolle
Wenn zwei Bücher nahezu titel-, themen- und zeitgleich erscheinen, kann man vielleicht schon von einem historiographischen Trend sprechen. Marita Krauss als Herausgeberin eines Sammelbandes und Kathrin Kompisch mit ihrer monographischen Untersuchung beschäftigen sich mit Frauen im Nationalsozialismus, Frauen als Täterinnen wohlgemerkt.
Allzu lange wurde ihre Verstrickung ins NS-Unrechtssystem ignoriert oder, schlimmer noch, marginalisiert. Mehr als 60 Jahre nach Schließung des Frauen-KZ Ravensbrück wirft die Geschichtsschreibung ihren fokussierten Blick auf die Täterinnen, die dem Nationalsozialismus in vielfältiger Weise gedient haben. 1942/43 gab es in Ravensbrück auch ein Ausbildungslager der Aufseherinnen. 3500 Frauen wurden hier geschult, um im Gefolge der SS Dienst zu tun, Opfer zu bewachen, zu quälen und zu töten. Etwa zehn Prozent des Personals in den Konzentrationslagern bestand aus Frauen – bezahlt nach der Tarifordnung für Angestellte im öffentlichen Dienst.
Vornehmlich Historikerinnen haben im Kontext der Frauenbewegung auch die politische Rolle und Dimension der Frauen in der NS-Diktatur entdeckt. Das überkommene Bild von der „friedfertigen” Frau, das Margarete Mitscherlich noch 1985 zeichnete und wofür sie viel Beifall erhielt, lässt sich nicht länger aufrechterhalten. Kompisch beschreibt die Täterinnen, wie sie tatsächlich waren – Frauen, die aus Überzeugung am Mordprozess teilhatten, aber keineswegs „von Natur aus” böse Psychopathinnen und damit entschuldbar waren. Der oft wiederholten Behauptung, weibliche Tatbeteiligung habe mehr im Unterlassen als im aktiven Handeln bestanden, setzt Kompisch entgegen, dass angesichts des Wissens um die fatale Konsequenz dieses Verhaltens Unterlassen sehr wohl als „bewusste Handlung” anzusehen sei.
Frauen wussten, billigten und unterstützten Verbrechen gegen die Menschlichkeit – freiwillig: Im Schatten der Einsatztruppen tippten sie Berichte über Massenexekutionen, lenkten mordende Männer mit Hilfe von Alkohol und Späßen von ihrem „Geschäft” ab, bei der Gestapo protokollierten sie Folterverhöre, als Ärztinnen beteiligten sie sich an Menschenversuchen und wirkten aktiv an der Euthanasie mit. Frauen gelten dann als NS-Täterinnen, wenn sie ohne Unrechtsempfinden agierten und dadurch mit den menschenverachtenden Zielen des Nationalsozialismus konform gingen. Und das waren neben den prügelnden und mordenden KZ-Aufseherinnen in letzter Konsequenz auch die Fürsorgerinnen oder (braunen) Rot-Kreuz-Schwestern. Und all die bislang wenig beachteten Sekretärinnen und Nachrichtenhelferinnen, kurz: die „vergessenen” Täterinnen – sie waren allesamt Rädchen im großen Getriebe des NS-Staates.
Frauen kamen in der Nachkriegsjustiz in aller Regel glimpflich davon. Die milden Urteile resultierten aus der richterlichen Annahme, Frauen seien eher als Statistinnen des Verbrechens zu werten. Beide Studien belehren uns eines Besseren. Das Regime war auf Frauen angewiesen: Im kleinen Alltagskosmos mussten Frauen ihren „Mann stehen”, sie wurden gebraucht, um das System zu stabilisieren. Ihre Partizipation war – scheinbar – mit einer kollektiven Aufwertung verbunden. Hier liegt der Ursprung für die bis heute weiterwuchernden Mythen, die Frau und Mutter habe im Nationalsozialismus besondere Wertschätzung genossen. Dieser Einschätzung steht die völlige Abwertung der Frau als Einzelperson entgegen. Die Aufgaben der Frauen im Kriegseinsatz und an der „Heimatfront”, die Belohnungen für Loyalität und regimekonformes Verhalten, all das übertünchte die weiterwirkende Ungleichheit und gab vielen Frauen das Gefühl, auf dem Wege der Emanzipation vorangekommen zu sein.
Fotos lachender, flirtender, die Freizeit genießender SS-Helferinnen sind bekannt. Sie wirken als „normale” junge Frauen, nicht als mordende Bestien. Was unterschied diese Frauen, die im KZ töteten und folterten, von anderen Frauen? Diese Frage stellten sich Marita Krauss und weitere elf Autorinnen, die sie zur Mitwirkung an ihrem Sammelband eingeladen hat. Möglicherweise, so eine These, mussten aufstiegsorientierte Frauen besonders linientreu und dienstbar agieren, um bezüglich der Karrierechancen zu den Männern aufzuschließen, ohne an sie heranzureichen. – Beide Bücher haben einen wichtigen Anstoß zur Täterinnenforschung gegeben. LUDGER HEID
KATHRIN KOMPISCH: Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2008. 277 Seiten, 22,90 Euro.
MARITA KRAUS (Hrsg.): Sie waren dabei. Mitläuferinnen, Nutznießerinnen, Täterinnen im Nationalsozialismus. (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte Bd. 8). Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 262 Seiten, 20 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der "Täterinnenforschung" beurteilt Ludger Heid die Bücher von Kathrin Kompisch und Marita Krauss, die sich beide mit dem Thema der Frau im Nationalsozialismus befassen. Etwa zehn Prozent des Personals in den deutschen Konzentrationslagern bestand aus Frauen, teilt der Rezensent mit, dargestellt wurden diese später aber fast ausschließlich als schwache Handlangerinnen und Statistinnen des Verbrechens. Beide Bücher belehren nun eines Besseren, stellt Heid fest. Diesmal, so meint der Rezensent, werden die Frauen des NS-Systems als das gezeigt, was sie waren: Täterinnen, die freiwillig und aus Überzeugung Teil hatten an den Verbrechen der Nazis.

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