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Das Haar gilt von alters her als ein Zeichen von Lebenskraft. Haare und ihre Gestaltung in der Frisur sind Bestandteile unserer alltäglichen Kultur. Die Art, das Kopfhaar zu tragen, dient nicht zuletzt der Selbstinszenierung und lässt zu allen Zeiten Eigenarten und Moden erkennen. Dabei bestimmen Körperideale und Hygienevorstellungen stets mit, wie das Haar getragen wird. Das Haar kann auch den Körper überspielen und zugleich in der Frisur und im Styling zum Kunstwerk werden. Aus interdisziplinärer kulturwissenschaftlicher Perspektive verfolgen und erkunden die Autoren dieses Buches…mehr

Produktbeschreibung
Das Haar gilt von alters her als ein Zeichen von Lebenskraft. Haare und ihre Gestaltung in der Frisur sind Bestandteile unserer alltäglichen Kultur. Die Art, das Kopfhaar zu tragen, dient nicht zuletzt der Selbstinszenierung und lässt zu allen Zeiten Eigenarten und Moden erkennen. Dabei bestimmen Körperideale und Hygienevorstellungen stets mit, wie das Haar getragen wird. Das Haar kann auch den Körper überspielen und zugleich in der Frisur und im Styling zum Kunstwerk werden. Aus interdisziplinärer kulturwissenschaftlicher Perspektive verfolgen und erkunden die Autoren dieses Buches vielfältige Inszenierungen des Haar-Tragens. Kulturgeschichtliche und volkskundliche Blicke richten sich zum Beispiel auf den Zusammenhang von Frisur und Ritus - etwa bei frühneuzeitlichen Hochzeitsfeiern oder bei der Trauer um Verstorbene. Ein ganz anderer Blick richtet sich auf den Einsatz von "falschem Haar", von Perücken und Bärten - etwa als Requisiten der Geheimdienste. Auch als Zeichen bestimmter politisch-weltanschaulicher Haltungen werden Frisuren gestaltet. Der "Tituskopf " (der spätere "Bubikopf") etwa stellte um 1800 eine Demonstration neuen weiblichen Selbstbewusstseins dar, und die ungepflegte Langhaarfrisur der "68er-Generation" war Ausdruck von deren Protest und Lebensgefühl. Beiträge über moderne Trends und Schnitte runden den reich bebilderten Band ab.
Autorenporträt
Janecke, Christian§Christian Janecke ist Inhaber der Wella Stiftungsdozentur für Mode und Ästhetik an der TU Darmstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2004

Vorne lang und hinten kurz gegen hinten lang und vorne kurz
Ein Sammelband zur Kulturgeschichte der Haartracht untersucht die Auseinandersetzungen beim Waschen, Legen und Schneiden

"Die Beschmierten" nannte sie Opa Paul immer. Opa Ernst war schon tot. Er hätte vermutlich für dieses Gesindel weit drastischere Bezeichnungen aus dem Wortschatz des Dritten Reichs verwendet. Die Beschmierten, das waren die "Beatles" mit den "Pilzköpfen", die nach heutigen Maßstäben genauso langweilig waren wie das Lied "Please Please Me". Selbst die Trachtenjanker mit weißem Hemd und Krawatte, wie sie die Fab Four am Anfang ihrer Schallplattenkarriere auf PR-Fotos trugen, verschafften ihnen keinen Sympathiebonus bei der älteren Generation. Für pubertierende Jugendliche und ihre Eltern können kleinere Scharmützel ganz heilsam sein, weil sie die notwendige Trennung fördern, aber der Konflikt um die Haarlänge bei Männern, der bei uns etwa um 1964 begann, war schon fast ein Bürgerkrieg. Natürlich ging es eigentlich um etwas ganz anderes. Es war ein Kampf für Freiheit und Toleranz und gegen Autorität und Anpassung. Wer zu jung ist, um dabeigewesen zu sein, dürfte Schwierigkeiten haben, sich das Maß der Aggression auf beiden Seiten vorzustellen.

Soeben ist der von Christian Janecke herausgegebene Sammelband "Haar tragen - Eine kulturwissenschaftliche Annäherung" erschienen. Er basiert auf einer Tagung an der TU Darmstadt. Die Wella AG hat diese Tagung und die Publikation unterstützt. Der Hauptreiz eines solchen Buchs liegt in seiner Zufälligkeit. Die Lektüre ist wie eine Reise, nicht nach Paris sondern, sagen wir mal, nach Breslau. Man weiß nicht genau, was auf einen zukommt, aber interessant wird es allemal. Die Artikel behandeln alle das Thema Haare und Kultur. Ansonsten haben sie wenig miteinander zu tun. Das müssen sie ja auch nicht.

Beginnen wir deshalb gleich unsystematisch am Ende des Buchs bei den Artikeln von Nicole Tiedemann und Heike Jenß. Die erstere berichtet über "Lange Männerhaare als jugendkulturelles Zeichen nach 1945". Es fing scheinbar harmlos an. Die vollfetten Stirnlocken von Tony Curtis und Elvis Presley, die uns heute nie und nimmer auffallen würden, wurden von den Frisuren der Pachucos inspiriert. Das waren mexikanische Einwanderer an der Westküste der Vereinigten Staaten, die sich mit dem "Duck's Ass", auf deutsch: Entenschwanz, demonstrativ von den Nordamerikanern unterscheiden wollten und sich regelmäßig mit kurzhaarigen Polizisten prügelten. Im Jahr 1960 erfand Astrid Kirchherr, die deutsche Freundin des fünften Beatles Stuart Sutcliffe, die Beatles-Frisur. Eines ihrer Vorbilder war angeblich Julius Cäsar. Sie hat eine Lawine losgetreten. Lange Männerhaare wurden zum Symbol des Protestes. Nur die orthodoxen Linken verweigerten sich dem Trend, weil sie die Arbeiterklasse nicht verschrecken wollten. Im Februar 1971 hatten die Studenten und Hippies nach bitteren Konflikten dann ihren Pyrrhussieg errungen. Der Verteidigungsminister und künftige Kanzler Helmut Schmidt erlaubte vierzehn Monate lang per "Haarerlass" bei der Bundeswehr die femininen Frisuren, vorausgesetzt man trug im Dienst ein unangenehmes Haarnetz. Danach konnte nur noch Thomas Gottschalk kommen.

Heike Jenß schildert im folgenden Artikel, wie sich die Tragödie der Vergangenheit heute als Farce wiederholt. Mit viel liebevollem Aufwand kopiert die Sixties-Szene die alten Moden. Twiggy ist wieder da wie ein Dinosaurier von Spielberg. Männer orientieren sich beispielsweise an Steve Marriot von den "Small Faces". Der "trug einen Backcomb mit kurzem Mittelscheitel, der den Pony in zwei Partien teilte. Hinter dem kurzen Scheitel wurde das Haar über den Oberkopf gegen den Haarstrich zurückgekämmt und wie bei den Damenfrisuren austoupiert, um der Frisur mehr Höhe und Volumen zu verleihen." "picked her up on a Friday night, sha la la la lee. Yeah. I knew ever'thing gonna be alright, sha la la la lee. Yeah." Natürlich ist das alles nur eine höchst subjektive und unvollständige Imitation, aber die "Retro-Ausführung wirkt damit beinahe authentischer als das Original, da sie die Images, die sich über die Popkultur festgesetzt haben, verifiziert".

Oliver Becher schreibt über "Haare als Symbol in frühneuzeitlichen Hochzeitsritualen". Am Beispiel des Schaffhausener Bürgers Hans Stockar (1490 bis 1556) schildert er, was damals vielleicht allgemein üblich war. Der Bräutigam ließ sich bei seiner Hochzeit mit sechsunddreißig Jahren zum ersten Mal in seinem Leben rasieren. Vorher ist ihm der Bart "gaingen bis uber das herzgrüblin". Seine Braut Elsbett hatte bei der Hochzeit eine Brautkrone oder vielleicht auch einen Brautkranz auf dem Kopf. Danach mußte sie eine Haube tragen. Ihr Haar durfte hinfort nur noch der Gemahl sehen. Becher spricht es nicht aus, aber das Thema hat natürlich einen aktuellen Bezug. Damals wurden die Frauen gezwungen, ihr Haar zu bedecken, heute verbietet man es ihnen per Gesetz. So schreitet die Zivilisation fort.

Nomen est omen. Mata Hari, die berühmte dunkelhaarige Doppelagentin aus dem Ersten Weltkrieg, wurde erst durch ihre exotische Frisur zu der verruchten Person, als die wir sie in Erinnerung haben. Sie entsprach einem der Klischees, die man damals mit einer Spionin verband. Im Gefängnis, vor ihrer Hinrichtung, färbte sie sich die Haare nicht mehr und verlor alles Verführerische. Im Zweiten Weltkrieg hingegen hatte man ein anderes Bild von ihresgleichen. Die britische Aufklärungskampagne "Careless Talk Costs Lives" stellte Agentinnen systematisch als blonden Marlene-Dietrich-Typ dar. Oliver Benjamin Hemmerles Thema lautet "Haare und Geheimdienst". Hemmerle stellt keine allgemeine Theorie auf. Er schildert "Fälle, Einzelfälle, singuläre Ereignisse". Für die Spionage zitiert er den schönen Begriff "wilderness of mirrors". Ein Wald von Spiegeln täuscht und desinformiert. Haar- und Barttracht tragen nur zu einem kleinen Teil zu dieser Verwirrung bei.

Genug! Wir müssen nicht alle Artikel resümieren, Streiflichter genügen. Wer gerne etwas über die haarige Kulturgeschichte des Alltags wissen möchte, wird das Buch vermutlich mit Genuß lesen. Das ist nicht die Art Forschung, für die man an die Akademie der Wissenschaften berufen wird. Dieses Gebiet ist viel amüsanter.

ERNST HORST

Christian Janecke (Hrsg.): "Haar tragen". Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2004. VI, 308 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Recht unterhaltsam findet Rezensent Ernst Horst diesen von Christian Janecke herausgegebenen Sammelband zur Kulturgeschichte der Haartracht, der - mit Unterstützung der Wella AG - aus einer Tagung der TU Darmstadt hervorgegangen ist. Zwar handelt es sich bei den Beiträgen von Nicole Tiedemann (über "Lange Männerhaare als jugendkulturelles Zeichen nach 1945"), Oliver Becher ("Haare als Symbol in frühneuzeitlichen Hochzeitsritualen") oder von Oliver Benjamin Hemmerles ("Haare und Geheimdienst") und anderen nach Horsts Einschätzung nicht um die Art Forschung, "für die man an die Akademie der Wissenschaften berufen wird". Dafür findet er dieses Gebiet "viel amüsanter". Allen, die sich für die haarige Kulturgeschichte des Alltags interessieren, kann er den Band deshalb nur ans Herz legen.

© Perlentaucher Medien GmbH