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Die Toten sind nicht tot, am allerwenigsten in der Literatur, und sie selbst hat etwas Geisterhaftes, Nächtliches, aber in einem liebevollen Sinne: Zärtlich beobachtet sie das Leben, wenn auch aus der Ferne. Und da ist es nur zwingend, wenn in Dagmar Leupolds neuem Roman ein Toter spricht, wie zuletzt etwa auch in Romanen von Sibylle Lewitscharoff, Philip Roth oder Uwe Timm. Hier ist es Heinrich von Kleist, der über die Jahrhunderte hinweg einer Frau luftige Briefe der Zuneigung schickt oder geisterhafte Aufzeichnungen macht - ein Journal der Zuwendung und Fragen, der Meditationen und…mehr

Produktbeschreibung
Die Toten sind nicht tot, am allerwenigsten in der Literatur, und sie selbst hat etwas Geisterhaftes, Nächtliches, aber in einem liebevollen Sinne: Zärtlich beobachtet sie das Leben, wenn auch aus der Ferne. Und da ist es nur zwingend, wenn in Dagmar Leupolds neuem Roman ein Toter spricht, wie zuletzt etwa auch in Romanen von Sibylle Lewitscharoff, Philip Roth oder Uwe Timm. Hier ist es Heinrich von Kleist, der über die Jahrhunderte hinweg einer Frau luftige Briefe der Zuneigung schickt oder geisterhafte Aufzeichnungen macht - ein Journal der Zuwendung und Fragen, der Meditationen und Beobachtungen, kreisend um Themen der Literatur und Radikalität, der Geschichte und ihren Hoffnungen, der Unbedingtheit und ihrer Abgründe.
"Auf die Idee muss man erstmal kommen! Während die anderen arbeiten und schlafen, ergeben sich Verbindungen, die ihnen Albträume bescherten, wüssten sie davon." Die Adressatin dieses geistvollen Gespensts ist Ulrike. Nicht Kleists geliebte Schwester, auchwenn sie Ähnlichkeiten mit ihr hat, sondern eine Schwester im Geiste, in der Haltung, in der Tragik, Ulrike Meinhof. Seine Begegnung mit Meinhof ist nicht weniger als ein Zusammenstoß, der Kurzschluss zweier Epochen.
Klug und poetisch, voller bohrender Fragen und wunderbaren Beobachtungen, sucht dieser Kleist - Leupolds Kleist, nicht einfach der historische - unsere und Ulrikes Nähe. Gelegentlich kommt Ulrike zu Wort, erfreut wie wir Leser über diesen ungewöhnlichen "Koalitionär", der das Faktische, die Jahrhunderte, missachtet. Einen solchen Roman hat es noch nicht gegeben.
Autorenporträt
Dagmar Leupold, geb. 1955, lebt in Kirchseeon bei München. Für ihre Werke erhielt sie u. a. den Aspekte-Literaturpreis, den Montblanc-Literaturpreis und den Förderungspreis der Bayerischen Akademie der Künste.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2010

Wahlgeschwister
Kleist und Meinhof: Dagmar Leupold stellt ihren Roman „Die Helligkeit der Nacht” vor
Sie hat dem Kleist-Jahr schon vorausgeschrieben. Der Tag, an dem Heinrich von Kleist seine Gefährtin Henriette Vogel und sich selbst am Kleinen Wannsee erschoss, jährt sich am 21. November 2011 zum 200. Mal. Die Seele des toten Dichters hat sich in ihrem Kopf eingenistet. „Die Helligkeit der Nacht. Ein Journal.” nennt die bei München lebende Schriftstellerin Dagmar Leupold ihren Kleist-Roman (C. H. Beck Verlag, 18,90 Euro). Und weil die Gedanken keine Grenzen kennen, weil sie frei sind, selbst Jahrhunderte und damit sämtliche historischen, kulturellen, politischen und auch menschlichen Implikationen zu überbrücken, schuf sie sich ihren Kleist als lebendigen Geist, der sich seine Seelenverwandte sucht: Ulrike Meinhof.
Leupold ist klug und belesen. Schon aus diesen Gründen tischt sie natürlich keine Gespenstergeschichte zwischen Potsdam und Stammheim auf, sondern eine genau recherchierte Reflexion über die Ähnlichkeiten und Differenzen zweier Unsterblicher in der deutschen Literatur und Geschichte. In seinem Widerspruchsgeist, seiner Unbeugsamkeit ähnelt Kleist der Ulrike Meinhof. Seine Konflikte mit der Obrigkeit einer streng hierarchischen Gesellschaft weisen, zeitlich versetzt, verblüffende Parallelen zu deren Leben und Handeln auf. Was er stets literarisch verarbeitete, bekämpfte sie, der Stumpfheit des Pamphlets als Waffe bewusst, mit scharfer Munition. Beider Ende war jeweils selbst gewählt. Er schied aus dem Leben aus Überdruss, sie machte aus ihrem Sterben den letzten Protest.
Leupolds fiktives Journal beginnt am 18. März 2008 in Berlin und endet, nicht genau datiert, ein Jahr später in Stammheim. Es ist Heinrich von Kleist, der an Ulrike, die späte Wahlschwester, schreibt, die zufällig den selben Namen trägt wie seine tatsächliche Lieblingsschwester. Ulrike Meinhofs Repliken stehen, kursiv gedruckt, als rare Einwände und Kommentare in seine eigenen, an sie gerichteten Briefe eingefügt. Während Kleist räsonierend durch sein Leben mäandert und es mit dem der Ulrike zu verknüpfen sucht, denkt Leupold in ihrem literarischen Konstrukt über die Bedeutung dieser beiden sehr deutschen Exponenten nach.
Kleist, der Patriot und Autor der „Hermannsschlacht”, wurde von Goebbels ins Dichter-Walhall erhoben und von den Nationalsozialisten als einer der Ihren vereinnahmt. Am 9. Mai, am Tag vor dem Jubiläum der Bücherverbrennungen, also schreibt Kleist über seine Bücher zur Nazizeit: „Meine wurden nicht angetastet, man hatte sie ja bereits reichlich missbraucht und zum wohlfeilen Klassiker versteinert. Und Steine brennen nicht.” Und Ulrike kontert: „Lieber Kleist, leisteten Sie nicht Vorschub? Mit Ihrem unbändigen Franzosenhass, Ihren patriotischen Gesängen, die man durchaus als Schlachtmusik empfinden kann?” Es erscheint zunächst merkwürdig, aber auch konsequent, dass nach solchen Gedanken Kleist einer anderen Unsterblichen begegnet, Sylvia Plath, die ihrem Leben ein Ende setzte, indem sie ihren Kopf in den Gasofen steckte.
Gas und Tod. Leupold lässt Kleist sogar nach Buchenwald reisen. Sie spinnt damit den Faden fort vom politisch instrumentalisierten Schriftsteller zur Untergrundkämpferin, die über die Verdrängungen in Nachkriegsdeutschland, die Selbstgerechtigkeit der Elterngeneration zur Kohlhaasin wurde.
Es wird darüber reichlich zu diskutieren geben, wenn Eberhard Falcke Dagmar Leupold heute im Literaturhaus mit ihrem Roman „Die Helligkeit der Nacht” vorstellt. (20 Uhr, Salvatorplatz 1). EVA-ELISABETH FISCHER
Dagmar Leupold. Foto: Teutopress
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2010

Seelenpost nach Stammheim

Penthesilea und Kohlhaas lesen eifrig die vermischten Meldungen: Dagmar Leupolds Roman "Die Helligkeit der Nacht" protokolliert Totengespräche zwischen Kleist und Ulrike Meinhof und will aus der Kollision zweier Zeitalter Funken schlagen.

Einen solchen Roman hat es noch nicht gegeben", schwärmt der Verlag, und auch die Hauptfigur kann da nicht widersprechen: "Die Meinhof und der Kleist! Auf die Idee muss man erst einmal kommen! Während die anderen arbeiten und schlafen, ergeben sich Verbündungen, die ihnen Albträume bescherten, wüssten sie davon." Ganz so unerhört ist die Idee von einem Totengespräch zwischen den beiden "Invaliden mit angebrochenem Herzen" jedoch nicht; schließlich gibt es jede Menge Romane, Filme, Hörspiele und Theaterstücke, die Verbindungslinien zwischen Ulrike Meinhof und Maria Stuart oder auch Andreas Baader und Heino ziehen. Zwischen dem armen Heinrich, dem auf Erden nicht zu helfen war, und der RAF-Ikone liegen zwar Welten und zweihundert Jahre, aber sie haben auch einiges miteinander gemein.

"Es ist die Gewalt, die uns verwandt macht", sagt Dagmar Leupolds Kleist einmal. "Es ist die Art des Verkehrs mit ihr, die uns trennt." Beide führten als gelernte Journalisten eine scharfe Feder, beide führten Krieg (der eine als ungehorsamer Soldat des Königs, die andere einen selbsterklärten Bürgerkrieg), beide "Meister der Selbstzerfleischung" endeten als Selbstmörder, ihre Gehirne auf dem Obduktionstisch. Kleists geliebte Schwester hieß Ulrike, und Meinhof war so schrecklich in ihrer Raserei wie Penthesilea oder Michael Kohlhaas. Kleist und seine Schwester im Geiste hätten sich vermutlich einiges zu erzählen, und genau das übernimmt für sie Dagmar Leupold.

Ihr "Journal" ist die "Seelenpost zweier lädierter Seelen": Kleist, der tot in seiner Berliner Wohnung sitzt, wenn er nicht gerade unsichtbar das "Narkosestübchen" besucht, schreibt der im Stammheimer Schattenreich einsitzenden Terroristin Briefe mit Maximen, Reflexionen und Alltagsbeobachtungen. Im März 2008 begegneten sich beide auf Wielands Landgut Oßmannstedt; danach korrespondieren sie ein Jahr lang. Wobei der Briefwechsel eher einseitig verläuft: Das Wort führt fast ausschließlich der Dichter, dem die Autorin offensichtlich nähersteht als seiner "süßen Feindin". Jedenfalls spricht Leupold nicht nur Kleists Sprache: Auch seine Erlebnisse und Gedanken stammen von ihr. Meinhofs Antworten werden nur sporadisch zitiert; von einem Dialog kann also kaum die Rede sein: "Ich versetze mich in Sie, verlasse mich dabei und gerate in Ihre Nähe, das ist eine Herzensanstrengung. Entsprechend müde bin ich."

Leupolds Kleist nimmt die kritischen Einwände seiner Seelenfreundin gegen sein Frauenbild und seine Franzosenfresserei aufmerksam vorweg und nicht weiter übel. Er idealisiert und liebt seine Ulrike so demütig-schwärmerisch wie sein Käthchen ihren Ritter, überschüttet sie mit Blumengrüßen und galanten Komplimenten, während sie eher zurückhaltend und wortkarg auf seine Verbrüderungsangebote und Rechtfertigungen reagiert. Nur in der Verurteilung ihres Fanatismus und ihrer mörderischen Manifeste bleibt er unnachgiebig: "Das Wort zu erheben war immer ein Akt der Menschlichkeit, auch da, wo es um Unmenschliches ging." Die Meinhof hatte als Frau der Tat keinen Sinn für die "Schönheit des Gestaltens": "Ich eigne mich nicht für Haltung, ich hänge der Gestaltung an."

Der Dritte im Bunde ist Marius, ein hitzköpfiger Dichter, Träumer und Selbstmörder, der den alten Kleist behutsam mit der Gegenwart oder auch einem neuen "Lichtspiel" über seine Ulrike vertraut macht. Kleist hält seine Briefpartnerin über die Ein- und Ausfälle und Affären seines exaltierten Freundes auf dem Laufenden; aber sie scheint sich nicht sehr für Marius' unglückliche Liebe zu einer verheirateten Politikerin (möglicherweise Hillary Clinton) zu interessieren. Klatsch und Liebe lässt sie kalt, während Kleist auch "das Nichtige wohltut".

Nichts ist dem großen Dichter zu klein und trivial, um es nicht der Seelenpost anzuvertrauen: Passanten beim Eisschlecken, Paare beim Liebesspiel, Spießer im Schrebergarten, Marder auf dem Dachboden, Elefanten im Zoo, eine zugelaufene Katze, Kleist-Ausstellungen in Frankfurt an der Oder, Orgelkonzerte, neue RAF-Bücher, Ausflüge und Reisen nach Stuttgart, München, Buchenwald, Naumburg, Danzig, ins Engadin und nach Italien. Kleist interpretiert sein Werk und Leben, brilliert als "Baumphilologe", Etymologe, Kulturkritiker und Verfasser feuilletonistischer Versuche über den Bewegungsmelder oder die Bombenpost.

Der historische Kleist schrieb vermischte Meldungen für die Journale; Leupold zeigt sich in ihrem Journal als deren eifrige Leserin. Der Jahreskalender der Gedenktage und der Schlagzeilen wird fast lückenlos abgearbeitet: Hitlers und Goethes Geburtstag, Mai-Randale in Kreuzberg, Obamas Berlin-Besuch, die Olympischen Spiele in Peking. Dieser Kleist mag seinem Geschlecht nach zweideutig und zwitterhaft sein; als Beobachter und Räsoneur ist er eindeutig Leupolds anderes Ich.

Leupold gelingen immer wieder helle, zarte Impressionen und kluge, nachtdunkle Reflexionen über Einsamkeit, Kunst und Widerstand auf verlorenem Posten. Ihre Sätze sind fein ziseliert, mit Wortspielen und lyrischen Einsprengseln durchschossen: Ganz im Sinne Kleists stellt sie die "Wortmacht" über Meinhofs "Machtwort". Aber der hohe Ton ist manchmal auch ziemlich angestrengt und prätentiös ("Ich fühle mich lebendig in den Auf- und Abschwüngen der imaginierten Schrift, den Tränen und Träumen aus erdachter Tinte"), der Nähr- und Mehrwert der politisch-literarischen Gedanken eher gering. Kleist will mit Meinhof "das Äußerste verstehen", aber aus der Kollision der "Exponenten zweier Zeitalter" schlagen selten Funken. "Sie wandten - ich wandte - einmal ein, ich verstünde die neuere Zeit, die nicht meine ist, nicht", schreibt Kleist aufgeregt nach Stuttgart. "Nein! Es ist unsere Aufgabe, Gestalt zu verleihen - wäre sie es nicht, zählte nur das selbst Erlebte und Bezeugte (wie außerordentlich wenig wäre es in meinem Fall! Und wie gar nichts wäre damit zur Form gesagt!), man bräuchte die Kunst nicht."

"Die Helligkeit der Nacht", Gedankenspiel, poetisches Tagebuch und poetologische Selbstverständigung in einem, empfiehlt sich für jeden Kleist-Preis. Aber manchmal wünscht man sich doch, Dagmar von Kleist hätte mehr erlebt und weniger "gestaltet": Sie hätte dann mehr zu erzählen, er weniger romantisch zu schwärmen und melancholisch zu grübeln. Ach! "Wir Toten sind Touristen: Flaneure und Schmarotzer. Wir laben uns an den Anderen, also an den Lebendigen. Wir schauen nur zu."

MARTIN HALTER

Dagmar Leupold: "Die Helligkeit der Nacht. Ein Journal". Roman. C. H. Beck Verlag, München 2009. 207 S., geb., 18,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensentin Insa Wilke ist gehörig enttäuscht von der Umsetzung von Dagmar Leupolds Idee, Heinrich von Kleist und Ulrike Meinhof miteinander in einen Dialog treten zu lassen. Das ambitionierte Konzept - "Sehr viel Gewicht auf den Schultern der Autorin!", findet Wilke - bringe eine gewaltige Fallhöhe mit sich. Und nach Ansicht der Rezensentin kommt Leupold auch ganz schön ins Trudeln. Besonders mit der Ausarbeitung der Figur Kleist ist die Rezensentin nicht zufrieden, ihr fehlt der "Radikaldramatiker". Zudem vermisst sie einen wirklich originellen Gedanken. Leupold hat Wilkes Meinung nach zwar ihre Hausaufgaben gemacht, aber nichts Eigenes daraus gestaltet: "Alles wird zitiert, aber nichts ausgeleuchtet, nirgends entsteht Reibung."

© Perlentaucher Medien GmbH