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Ethik im 21. Jahrhundert
Was ist heute unter Ethik zu verstehen? Mit welchen Fragen setzt sie sich auseinander und auf welche Weise tut sie das? Ethik - so argumentiert Wilhelm Vossenkuhl - soll helfen, moralische Konflikte im Leben der Menschen zu lösen, und sie soll dazu beitragen, Konflikte im Leben der Gesellschaft zu bewältigen. Sein Buch zeigt die zentralen Probleme und weist Wege, sich ihnen zu stellen.
Vossenkuhl versteht unter Ethik weniger ein Theoriegebäude, das sich selbst genügt, als vielmehr eine praktische Wissenschaft, der es um die Frage geht, wie das Gute möglich sei.
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Produktbeschreibung
Ethik im 21. Jahrhundert

Was ist heute unter Ethik zu verstehen? Mit welchen Fragen setzt sie sich auseinander und auf welche Weise tut sie das? Ethik - so argumentiert Wilhelm Vossenkuhl - soll helfen, moralische Konflikte im Leben der Menschen zu lösen, und sie soll dazu beitragen, Konflikte im Leben der Gesellschaft zu bewältigen. Sein Buch zeigt die zentralen Probleme und weist Wege, sich ihnen zu stellen.

Vossenkuhl versteht unter Ethik weniger ein Theoriegebäude, das sich selbst genügt, als vielmehr eine praktische Wissenschaft, der es um die Frage geht, wie das Gute möglich sei. "Das Gute" wird dabei verstanden als das gute, glückende Leben der Menschen. Daß ein gutes Leben glückt, wird einerseits von wissenschaftlichen Fortschritten gefördert, etwa bei der Verlängerung des Lebens, andererseits aber durch neue Probleme, etwa die Sterbehilfe, belastet. Vossenkuhl stellt in einer ganzen Reihe von Problemkonstellationen dieses doppelte Gesicht des Fortschritts vor. Anhand der Frage nach der Freiheit prüft er, inwieweit wir Menschen befähigt sind, für uns selbst und für andere so viel Verantwortung zu tragen, daß ein gutes Leben für alle denkbar und konkret möglich ist. Das Gute, gerade das gute Leben, war lange kein Thema der Ethik mehr. Dafür gibt es Gründe. Vossenkuhl spricht von der Paradoxie des Guten, weil es sich häufig herausstellt, daß das, was einmal als gut galt, im Nachhinein anders zu beurteilen ist. Er denkt dabei an Nebenfolgen wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen, aber auch an die sozialen Verteilungsprozesse. Für diese Prozesse schlägt er ein neues Verfahren vor, mittels dessen Güter und Lasten in einer Gesellschaft gerecht verteilt werden, so daß ein gutes Leben für alle möglich wird.
Autorenporträt
Wilhelm Vossenkuhl ist Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bei C.H.Beck sind von ihm lieferbar: Ludwig Wittgenstein (2003) und Die Fragen der Philosophie (hrsg. mit Ernst Fischer, 2003).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2006

Beseitigen wir die Knappheit
Wilhelm Vossenkuhls fahrige Vorschläge zur Güterverteilung

In seiner "Theorie der Gerechtigkeit" nahm John Rawls eine folgenschwere Verschiebung des traditionellen Gegenstandsbereichs der politischen Philosophie vor. Während seine Vorgänger von Hobbes bis Kant ihre Konzeptionen entlang der Alternative von Naturzustand und bürgerlichem Zustand entworfen und ihren Ehrgeiz darin gesetzt hatten, Notwendigkeit und Ausgestaltung eines Systems politischer Institutionen zu beweisen, nahm Rawls' Theorie ihren Ausgang von einem weitaus höheren gesellschaftlichen Komplexitätsniveau. Rawls' Gesellschaft war im wesentlichen befriedet, in ihr gab es Güter, die durch die Zusammenarbeit der Gesellschaftsmitglieder erzeugt worden waren, und es stellte sich lediglich noch die Frage nach deren gerechter Verteilung.

Auch der Münchner Philosoph Wilhelm Vossenkuhl wird in erster Linie von den Problemen der Güterverteilung umgetrieben. Im Unterschied zu Rawls, der sich auf die antiaristotelische Begründungsfigur des Gesellschaftsvertrags stützte, umhüllt Vossenkuhl seine sozialpolitischen Ambitionen allerdings mit einem neoaristotelischen Begriffspanzer. Das Ziel der Ethik besteht in seinen Worten darin, die Frage zu beantworten, "was das Gute ist und wie es möglich ist, das Gute in Gestalt des guten Lebens zu verwirklichen". Das gute Leben wiederum sei nur als Mischung höchst heterogener Arten von Gütern zu denken. Zu seiner Verwirklichung müßten "so unterschiedliche Güter wie die Menschenrechte, Gerechtigkeit, soziale Anerkennung, die Geltung des Rechts, Arbeit, Einkommen, Gesundheit und Bildung in ein Ganzes ohne Widersprüche integriert werden". Auf der gerechten Verteilung dieser Güter beruhe die Möglichkeit eines guten Lebens für alle Gesellschaftsmitglieder.

Wie soll dieses Verteilungskunststück gelingen? Rawls' erster Schritt bestand darin, die Gesamtheit der in Betracht kommenden Güter zu zwei Gruppen zusammenzufassen, der Gruppe der Freiheitsrechte einerseits und derjenigen der materiellen Güter andererseits. Das Verteilungsprinzip für die Güter der ersten Gruppe bestimmte Rawls in Anlehnung an Kant. Jedermann solle gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich sei. Weniger präzise, aber inhaltlich weitgehend übereinstimmend äußert sich Vossenkuhl. "Das gute Leben einer Gesellschaft und jedes ihrer Mitglieder setzt voraus, daß die Menschen- und Freiheitsrechte gelten, daß es ein demokratisches, parlamentarisches System, ein Rechtssystem und eine unabhängige Rechtsprechung gibt."

Rawls' Hauptsorge galt freilich den Prinzipien für die gerechte Verteilung der materiellen Grundgüter, zuvörderst des Vermögens. Auf die Beantwortung dieser Frage verwandte er Hunderte von Seiten. In immer neuen Anläufen verfeinerte und präzisierte er seine ursprüngliche Intuition, der zufolge natürliche Vorzüge sich nicht in rechtlichen Vorteilen niederschlagen dürfen, bis am Ende jene Verteilungsgrundsätze dastanden, an denen sich Rawls' Nachfolger bis heute die Zähne ausbeißen. Die Stelle von Rawls' Gerechtigkeitsprinzipien nimmt bei Vossenkuhl ein Set von "Maximen" ein. Deren Gebrauch werde "von der Frage geleitet, wie die knappen Güter auf bestmögliche Weise verteilt werden können". Die von Vossenkuhl so genannte "Maximenmethode" bildet somit den Kern des ganzen Buches.

Aber wie flüchtig sind Vossenkuhls Maximen formuliert, und wie fahrig werden sie erläutert! So lautet die erste Maxime: "Ein normativer Anspruch wird verändert, wenn er zu einer Güterverteilung führen würde, die nicht anerkannt werden kann." Der Leser legt seine Stirn in Falten. Erstens ärgert er sich über unnötigen terminologischen Bombast, denn nichtnormative Ansprüche sind ihm noch nie begegnet. Zweitens ist er irritiert darüber, dort, wo ihm eine Maxime, also ein Handlungsgrundsatz, angekündigt worden ist, eine bloße Begriffsbestimmung zu finden. Und drittens leuchtet ihm auch deren Inhalt nicht ein. Die Veränderung bestehender Ansprüche ist entweder legitim oder illegitim, aber daß von einer Veränderung nur dort die Rede sein könne, wo sie in eine nichtanerkennungswürdige Güterverteilung mündet, ist definitorische Willkür.

Gelingt es Vossenkuhl, durch seine nachfolgenden Erläuterungen diese Bedenken zu zerstreuen? Nein, man ist vielmehr versucht zu sagen: Er macht die Dinge dadurch nur noch schlimmer. Ein Beispiel: Aus gutem Grund plädiert die Verfassungsrechtswissenschaft für eine strenge Unterscheidung zwischen dem Eingriff in ein Recht und der Verletzung dieses Rechts. Zahllose Rechtseingriffe sind gerechtfertigt und deshalb nicht verletzend.

Vossenkuhl scheint beide Begriffe hingegen stillschweigend gleichzusetzen. Die Einschränkung bislang gewährter Leistungen öffentlicher Güter ist für ihn gleichbedeutend damit, daß die "normativen Ansprüche" der Betroffenen "verletzt" werden. Wörtlich verstanden, läuft dies auf einen sozialstaatlichen Konservatismus hinaus, im Vergleich zu dem selbst die Linkspartei eine progressive Programmatik aufweist. Will man diese Interpretation vermeiden, bleibt nur die Möglichkeit, Vossenkuhls Maxime als Umschreibung einer Tautologie zu lesen: "Ansprüche werden verändert, wenn in sie eingegriffen wird", oder noch knapper: "Ansprüche werden verändert, wenn sie verändert werden."

Die Verteilungsproblematik als solche hat freilich seit dem Erscheinen von Rawls' opus magnum nichts von ihrer Brisanz verloren. Sie macht sich heute an der Frage nach der Zukunft des Sozialstaats fest. Vossenkuhls Hauptsorge gilt der Gefahr, daß die Absenkung sozialstaatlicher Ansprüche deren Substanz beschädigen könnte. Dies sei unzulässig, weil dadurch den Betroffenen die Möglichkeit eines selbstbestimmten guten Lebens genommen werde. Das Niveau, das am Ende des Prozesses der Neuverteilung von Gütern erreicht werde, dürfe deshalb für keine Gruppe beliebig nach unten variieren.

Diesem Anliegen sucht eine weitere von Vossenkuhls Maximen Rechnung zu tragen. "Normative Ansprüche und Güterverteilungen können nur verändert werden, wenn damit weder absolut unverzichtbare Güter noch das Wertgefüge der Güter insgesamt gefährdet werden." Das "Beispiel schlechthin für diese Grenze" bilden Vossenkuhl zufolge das "menschliche Leben und der aus dem Lebensrecht abgeleitete Anspruch eines jeden Menschen auf Lebensschutz und Achtung seiner körperlichen und seelischen Integrität".

Wie aber, wenn die Knappheit ein solches Ausmaß erreicht, daß es unmöglich wird, diese Begrenzung einzuhalten, weil beispielsweise eine flächendeckende Maximalversorgung im Gesundheitswesen nicht mehr finanzierbar ist? Vossenkuhl weiß Rat: In diesen Fällen "sollte die Knappheit beseitigt werden", zum Beispiel durch höhere Steuereinnahmen, wenngleich es selbstverständlich "kein Wachstum um jeden Preis" geben dürfe.

Man kann nur hoffen, daß die Koalitionäre in Berlin Wichtigeres zu tun haben, als Philosophiebücher zu lesen. Allen Nichtpolitikern aber sei geraten: Lest Rawls!

MICHAEL PAWLIK

Wilhelm Vossenkuhl: "Die Möglichkeit des Guten". Ethik im 21. Jahrhundert. C. H. Beck Verlag, München 2006. 472 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.08.2006

Ethik für Kommissionen
Wilhelm Vossenkuhls unfreiwilliger Individualismus
Wer im Jahre 2006 sein Buch mit dem Untertitel „Ethik im 21. Jahrhundert” versieht, muss sich ziemlich sicher sein, was in den restlichen 94 Jahren folgt. Als ein Politologe 2002 erklärte, dass 21. Jahrhundert werde eine Epoche gänzlich „neuer Kriege” sein, war er 2003 schon widerlegt. Das muss Wilhelm Vossenkuhl nicht befürchten, denn er schließt nicht aus, dass es die „Möglichkeit des Guten” schon früher gegeben hat. Und er behauptet auch nicht, dass im 22. Jahrhundert alle Chancen zum Guten vertan sind.
Der missglückte Untertitel wird durch den gelungenen Titel kompensiert: „Die Möglichkeit des Guten” aufzuzeigen, dürfte das Beste sein, was eine Ethik überhaupt leisten kann. Zwar ist das Gute nach Vossenkuhl „ungreifbar”. Aber er erkennt es trotzdem als „Quelle allen menschlichen Strebens” oder als „natürliche Anziehungskraft”, die auf den Weg eines „guten Lebens” führt - wobei das „gute Leben” eben das sein soll, was dem Guten am nächsten kommt. Den darin liegenden Zirkel versteht der Autor als Beleg für den umfassenden Charakter des Guten. Das Gute kann man nur im Ganzen finden.
Folglich ist es das erste Ziel der Untersuchung, die Unabdingbarkeit von Einheiten vor Augen zu führen, ohne die eine ethische Reflexion nicht zu ihrer Bestimmung findet. Es wäre zu wenig, die guten Gründe, nach denen eine wissenschaftlich verfahrende Ethik zu suchen hat, auf das Ganze eines individuellen Lebens zu beschränken. Sie müssen vielmehr das Ganze eines sozialen Handlungszusammenhangs erfassen, der seinerseits in das Ganze einer geschichtlichen Lage einzubetten ist. Da Handlungen auf Zukunft ausgerichtet sind, hat die Ethik auch das Ganze möglicher Folgen zu bedenken, was ihr, angesichts der Grenzen des Wissens, nicht gelingen kann, wenn sie nicht auch das Ganze des menschlichen Daseins einzubeziehen sucht. Dabei kommt sie nicht umhin, auch das Göttliche in ihre Überlegungen aufzunehmen. Im Göttlichen liegt der Grenzbegriff des Guten - womit offenkundig ist, dass es einen eindeutig bestimmbaren Begriff des Guten nicht gibt.
Mangel- statt Wohlstandstheorie
Die Stärke Vossenkuhls liegt in der Beharrlichkeit, in der er die Bezüge zum jeweils in Frage stehenden Ganzen bewusst zu machen sucht. In allen erdenklichen Handlungslagen soll die Abhängigkeit sowohl von den je gegebenen Bedingungen als auch von den möglichen Folgen aufgewiesen werden. Deshalb sucht er zu zeigen, dass sich die Ethik nicht wirklich von der tradierten Sitte lösen kann, dass sie in die bestehenden gesellschaftlichen Konflikte eingebunden bleibt und allemal mit der Knappheit der nachgefragten Güter zu rechnen hat. Bei der Freiheit sind die immer schon gegebenen Verbindlichkeiten zu beachten, von denen sich kein Mensch zu befreien vermag. Schließlich können sich noch nicht einmal die konkreten Gestalten des Guten der Relativität der Zwecke und Mittel entziehen, ganz abgesehen davon, dass auch sie der zeitlichen Unbeständigkeit aller Dinge unterworfen sind.
Die eindringlich veranschaulichte Einbindung eines jeden Problems ins Ganze führt zur prinzipiellen Unabschließbarkeit der ethischen Reflexion. Das wäre hinzunehmen, wenn sie nicht auch den Verlust der Eigenständigkeit des individuellen Handelns nach sich zöge. Das ist bei Vossenkuhl leider der Fall: Da er alles mit allem zu einem wissenschaftlich erfassbaren Ganzen verbinden will und keinen Raum für einen unabhängigen Impuls des individuellen Handelns lässt, bleibt von der Freiheit nichts mehr übrig. Dem steht die Häufigkeit entgegen, mit der Vossenkuhl von Freiheit spricht. Doch da er sie nur aus der daseinsgebundenen „Sorge” herleitet und primär auf „Verantwortung” verpflichtet, fehlt das Entscheidende, nämlich die Spontaneität des individuellen Akts. Deshalb kommt für ihn nur eine „begrenzte Autonomie” in Frage, für die er aber auch nur einen Kalauer übrig hat: „Wir bemühen uns, moralisch so autonom wie möglich zu sein, aber eben nicht autonomer.”
Die Gleichgültigkeit gegenüber der Spontaneität des Individuums könnte man als Eigenart der philosophischen Position des Verfassers gelten lassen, wenn er damit nicht seinen eigenen Ansatz unterliefe. Wann immer er erklären muss, dass die auf Endlosigkeit angelegte ethische Reflexion gelegentlich doch zu einer Entscheidung gebracht werden muss, setzt auch er auf nichts anderes als auf die Spontaneität des Individuums. Die Person mag sich noch so sehr der Hilfe und des Rats von anderen versichern: „Entscheiden, was für sie und für diejenigen, für die sie Sorge trägt, gut sein wird, muss sie aber immer allein und in eigener Verantwortung.”
Die Alleinverantwortung des Individuums, die der Autor systematisch zu eliminieren sucht, bietet also die einzige Chance, seiner eigenen Ethik praktische Bedeutung zu verschaffen. Stärker hätte der Autor die Unverzichtbarkeit der von ihm verdrängten Individualität nicht ins Recht setzen können.
Der auf gesellschaftliche Einheiten gerichteten Absicht entsprechend, veranschaulicht Vossenkuhl seine Ethik nicht an Beispielen individueller moralischer Konflikte, sondern an den aktuellen Fragen der Medizin- und Bioethik. Hier ist er auf der Höhe der Diskussion und entwickelt einsichtige Argumente für das Recht schwerkranker Patienten auf Behandlungsabbruch, für die Unbedenklichkeit der Embryonenforschung und zum Verteilungsproblem in Fragen der Organtransplantation. Es liegt überhaupt in der Konsequenz seines ganzheitlichen Zugangs, wenn er das „gute Leben” wesentlich von einer gerechten Verteilung der Gütern abhängig macht.
In seinem ausführlich vorgetragenen Lösungsvorschlag geht Vossenkuhl weit über John Rawls hinaus, vom dem er sich schon in der Wahrheitsfrage, in der Unterscheidung von „ethisch” und „moralisch” sowie in der überschätzten Didaktik einer original position nicht hat verwirren lassen. Anders als der Wohlstandtheoretiker Rawls, der von einem Zuwachs an Gütern ausgeht, konzentriert sich Vossenkuhl auf den unübersehbaren Mangel. Die drei „Maximen”, mit denen er den Umgang mit dem Mangel unter das Prinzip der Gerechtigkeit zu stellen sucht, mögen formal noch nicht ausgereift sein, weisen aber einen gangbaren Weg.
Auf diesem Weg stellt sich der Autor Kommissionen vor, in denen über die Verteilung knapper Güter, seien es Transplantate, Einkommen oder Bildungschancen, verhandelt wird und empfiehlt ihnen Regeln, nach denen sie beraten und beschließen können. Die Vorschläge zeigen, dass die Ethik des Guten ideal für Kommissionen ist, in denen um politische Kompromisse gerungen wird. Dabei kann es in der Tat so aussehen, als könnte man auf die alleinverantwortlichen Individuen verzichten, weil ja am Ende die Mehrheit entscheidet.
Vielleicht liegt darin ein Novum der Ethik im 21. Jahrhundert. Gleichwohl spricht viel für die Annahme, dass man auch in Zukunft für Mehrheiten nicht nur argumentieren, sondern auch kämpfen muss. Dazu sind nur Individuen in der Lage, die selbst ein Ganzes sind, das sich als Ganzes gegen die Einheiten aus Gesellschaft, Geschichte oder Natur zu behaupten hat. Aber es geht nicht nur um die spontane Selbstbehauptung der Person: Ihre Einheit ist das Modell, nach dem wir die Einheiten in der Welt überhaupt erst zu denken vermögen. Hätte Wilhelm Vossenkuhl diese Kleinigkeit beachtet, wäre seine Ethik des Guten gewiss besser geworden.
VOLKER GERHARDT
WILHELM VOSSENKUHL: Die Möglichkeit des Guten. Ethik im 21. Jahrhundert. C. H. Beck Verlag, München 2006. 472 Seiten,29,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Einen besseren Gegenstand der Ethik als die "Möglichkeit des Guten", die das jüngste Buch von Wilhelm Vossenkuhl ausloten will, kann sich Volker Gerhardt zwar kaum vorstellen, ganz zufrieden ist er mit dem Ergebnis aber nicht. Bei seiner Konzentration auf das Universelle verliere der Autor das Individuum aus dem Blick, beklagt der Rezensent. Für Vossenkuhl sind es Kommissionen, die mehrheitlich den von ihm vorausgesetzten Mangel an Gütern gerecht verteilen sollen und sich damit für das gute Leben einsetzten, so der Rezensent. Dass es dafür letztlich aber immer auf die "Spontaneität" des als Einheit verstandenen Einzelnen ankommt, werde vom Autor zwar indirekt vorausgesetzt, in seiner Philosophie aber nicht anerkannt, so Gerhardt kritisch. Wenn Vossenkuhl sich allerdings Fragen der Bioethik oder der medizinischen Ethik zuwendet, überzeugt er den Rezensenten mit einleuchtenden Argumenten und stabiler Sachkenntnis.

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