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Meister Eckhart gilt als "Mystiker", gar als Meisterdenker einer "Deutschen Mystik". Kurt Flasch bietet in seinem Buch eine historische Einführung, die Meister Eckhart in einen nachweisbaren historischen Kontext stellt. Er verfolgt seine Auseinandersetzung mit Autoren, die er gelesen, kommentiert, teilweise persönlich gekannt hat. Dabei ergibt sich ein differenziertes Bild, in dem der arabische Denker Averroes eine überraschend wichtige Position einnimmt.
Dieses Buch verändert das Bild Eckharts durch neue faktische Nachweise. Es konstruiert keine neue "Tradition", sondern rekonstruiert eine
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Produktbeschreibung
Meister Eckhart gilt als "Mystiker", gar als Meisterdenker einer "Deutschen Mystik". Kurt Flasch bietet in seinem Buch eine historische Einführung, die Meister Eckhart in einen nachweisbaren historischen Kontext stellt. Er verfolgt seine Auseinandersetzung mit Autoren, die er gelesen, kommentiert, teilweise persönlich gekannt hat. Dabei ergibt sich ein differenziertes Bild, in dem der arabische Denker Averroes eine überraschend wichtige Position einnimmt.

Dieses Buch verändert das Bild Eckharts durch neue faktische Nachweise. Es konstruiert keine neue "Tradition", sondern rekonstruiert eine belegbare, wechselvolle philosophische Diskussion. Die Methode ist also nicht Intuition oder Assoziation, sondern historisch-philologischer Beweis. Dabei zeigt sich, daß, vermittelt durch Albertus Magnus und Dietrich von Freiberg, der arabische Philosoph Averroes in Eckharts Denken eine zentrale Rolle spielt. Es geht dabei nicht um das Vorkommen oder die Menge von Averroes-Zitaten, sondern um die argumentative Funktion der Theorien des Averroes im Denken Eckharts. Durch Albert und Dietrich war ihm ein arabisch-jüdisches intellektuelles Umfeld eröffnet, in dem auch Avicenna und Moses Maimonides von Bedeutung sind. In stringenter philologischer Argumentation zeichnet Flasch ein neues, ungewöhnliches Bild Meister Eckharts.
Autorenporträt
Kurt Flasch, geboren 1930 in Mainz, studierte Philosophie, Geschichte, Gräzistik und Germanistik in Bonn und Frankfurt, wo er 1956 promovierte und 1969 habilitierte. Von 1970 bis 1995 war er Ordinarius für Philosophie im Philosophischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Darüber hinaus hielt er zahlreiche Gastvorlesungen, u.a. an der Sorbonne in Paris. Kurt Flasch verfasste zahlreiche Publikationen und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, u.a. dem "Sigmund-Freud-Preis" für wissenschaftliche Prosa (2000) der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dem "Hannah- Arendt-Preis" (2009) und dem "Joseph-Breitbach-Preis" (2012).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2010

Die scharfe Muskatnuss
Kurt Flasch sucht den wahren Meister Eckhart
Verstehen ist eine Kunst, Missverstehen geht von allein. Und wie es geht, davon legt die Rezeptionsgeschichte manches Philosophen oder Theologen beredtes Zeugnis ab. Der Tiefpunkt in der Rezeption des Dominikaners Meister Eckhart war sicher mit Alfred Rosenberg erreicht, der ihm im „Mythus des 20. Jahrhunderts” einen Stahlhelm aufsetzte und zum germanischen Vorkämpfer der „Bewegung” machte. Viele Wege führen heute zu einem getreueren geschichtlichen Eckhart-Bild. Man nimmt ihn nicht mehr heraus aus seiner Zeit und stilisiert ihn nicht mehr zum einsamen Künder einer mystischen Botschaft. Philosophische und historische Nüchternheit prägen das Bild. Philologische Kunst und Beflissenheit sind am Werk. So, wenn es Eckhart-Forschern wie Kurt Ruh oder Loris Sturlese ausdrücklich um ein geschichtliches Eckhart-Bild geht, und eben so, wenn Kurt Flasch in seinem 2007 erschienenen Buch über Meister Eckhart die Geburt der „Deutschen Mystik” aus dem Geist der arabischen Philosophie untersucht. Wobei „Deutsche Mystik” in Bezug auf Eckhart von Flasch nur in Anführungsstrichen geduldet wird. In seinem neuesten Buch stellt der lange Zeit in Bochum lehrende Philosophiehistoriker seine Gesamtansicht Meister Eckharts vor.
Der Dominikaner wird in der heutigen Forschung wieder an den Stätten seines Wirkens aufgesucht, in Erfurt, in Köln, in Paris, Straßburg oder anlässlich seines Prozesses in Avignon. In einem von Klaus Jacobi herausgegebenen Forschungsband werden diese Lebensstationen als Redesituationen vergegenwärtigt, und auf einer Erfurter Tagung 2003 wurde über Eckhart in Erfurt nachgedacht. All dies verortet den Meister. Und es zeigt: Wir haben es mit einem Pariser Magister der Theologie an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert zu tun oder mit einem Vikar des Predigerordens, mit einem Provinzial der Ordensprovinz Saxonia oder mit einem Angeklagten in einem mittelalterlichen Häresieprozess. Wir können seine Quellen ausfindig machen und seinen Ort in zeitgenössischen Debatten bestimmen. Verstehen ist eine Kunst, die Arbeit macht. Kurt Flasch hat gezeigt: Wer Eckhart verstehen will, muss auch Dietrich von Freiberg
studieren.
Aber Eckhart spricht selbst auch noch von anderem, und er predigt über die schwierigsten Dinge zu – welch ein Skandal! – den ungebildeten Laien. Etwa von der Gottesgeburt in der menschlichen Seele, von dem vernunftgemäßen Leben nach jenem Teil, jenem Funken der Seele, der nichts will als Gott, und der weder Zeit kennt noch Raum und Ort, damit auch kein Fremdsein und Fernesein. Es ist ein Denken der Ortlosigkeit. „Kommt ihr nicht über die Welt und die Zeit hinaus, so sehet ihr Gott nicht.” Es ist eine Vernunft, die so wenig Geschichte hat wie das Selbstbewusstsein Descartes’ oder das transzendentale Subjekt Kants, auf welche sie laut Flasch vorausweist. Kurt Flasch hat mit unerschrockener Verve der hergebrachten Deutung Meister Eckharts als Mystiker widersprochen. Eckhart selbst habe mehrfach gesagt, wie er verstanden werden wollte, nämlich, wie Kurt Flasch es sieht, als Philosoph des Christentums. Aber mit dem Selbstverständnis eines Autors hat es seine besondere Bewandtnis.
Einen Autor zu verstehen, wie er sich selbst verstand, ist eine hermeneutische Maxime, die zwei Seiten hat. Ein Autor sagt etwas, und er verbindet damit einen Anspruch. Oft macht ein mittelalterlicher Autor es seinem zeitgenössischen Leser und Hörer wie auch uns Heutigen zunächst einmal leicht. Denn er nennt eingangs ausdrücklich seine Intention. Kurt Flasch geht mit gutem historischen Recht von solchen Selbstzeugnissen Meister Eckharts aus. „Wie in allen seinen Werken hat der Verfasser bei der Auslegung dieses Wortes und der folgenden die Absicht, die Lehren des heiligen christlichen Glaubens und der Schrift beider Testamente mit Hilfe der natürlichen Gründe der Philosophen auszulegen.” Er, Eckhart, wolle die Inhalte des christlichen Glaubens also mit den Mitteln der natürlichen Vernunft erweisen. So lautet das eckhardische Programm in den entscheidenden Worten der Vorrede zu seiner Auslegung des Johannesevangeliums, und Kurt Flasch will ihn beim Wort nehmen.
Und wie genau kann Kurt Flasch sein, wenn es um Worte geht! Wer Meister Eckhart studiert, gewinnt den Eindruck, es mit einem kühnen Geist zu tun zu haben. Und so sagt man es dann auch, historisch unvorsichtig, wie man eben ist. Anders Kurt Flasch. Vielleicht war es ihm nur zu unpräzis, von Kühnheit, gar von „Überkühnheit” zu reden. Er rechnet die übersteigernden Adjektive ohnedies zum rhetorischen Schutt einer überholten Eckhartrezeption. Gern aber möchte man annehmen, er weise das Attribut auch deshalb zurück, weil es den so Beschriebenen von vornherein ins Unrecht setzt. Denn es diente Josef Quint als Übersetzung des Ausdrucks „temerarius” aus der päpstlichen Verurteilungsbulle Johannes XXII. (1329). Und wie dieser Papst, dem Eckhart als ein Mann galt, der zuviel wissen wollte, so spricht der sensible Philosophiehistoriker über seinen Meister Eckhart nicht.
Einen Autor zu verstehen, wie er sich selbst verstand, hat aber noch eine zweite Seite. Es verlangt nicht nur zu wissen, was jemand sagt, sondern auch zu erfassen, was er tut und bezweckt, indem er es sagt. Es geht um einen Wahrheitsanspruch, und es geht um eine bestimmte Wirkung auf den Hörer oder Leser, insbesondere da, wo Schriften nicht nur behaupten, was der Fall ist und warum, sondern auch eine Lebensweise als vorbildlich erweisen und dazu auffordern, dem Gesagten praktisch zu folgen. In Meister Eckhart verweisen Theologie, Metaphysik und Ethik – Gott, das Sein, die menschliche Seele und die Lebensführung – aufeinander. „Solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, so lange wird er diese Rede nicht verstehen”. Warum sollte dies nicht Mystik genannt werden dürfen oder zumindest als eine Hinführung zu ihr verstanden
werden?
In den vergangenen Jahren hat der „embedded journalist” Karriere gemacht, der in das Kriegsgeschehen eingebettete Reporter. Kurt Flaschs geharnischte Lektionen von den Kampfplätzen der Philosophie lesen sich einerseits wie die Berichte eines „embedded philosopher”. Seine historische Sensibilität und seine Kunst der Darstellung sind ebenso bemerkenswert wie seine Fähigkeit, anspruchsvolle und komplexe denkstrategische Manöver in den historischen Auseinandersetzungen nachvollziehbar zu machen. Wie sehr man glaubt, dabeizusein, wenn der Philosophiehistoriker beschreibt, wie philosophisches Neuland betreten und beansprucht wird, zeigte Jürgen Kaube jüngst, der Kurt Flasch zu dessen 80. Geburtstag in der FAZ als bedeutendsten lebenden „Landnehmer” der Ideengeschichte vor 1600 feierte. Der Erfolg seiner Bücher spricht für sich und ist nicht nur mit ihren unverkennbaren stilistischen Qualitäten zu erklären. Andererseits gleichen sie doch eher dem scharfen Blick durch ein Fernrohr in eine andere geistige Welt hinüber, aus der die Kraft der Argumente, mit denen die Kontroverse geführt wird, wie auch der Anspruch der Lebensformen nicht mehr zu uns herüberreicht. „Eckhart ist tot und folglich Gegenstand historischen Wissens.” Die Lektüre wird zur Schule der Differenzerfahrung.
Ein außergewöhnlicher Denker war Meister Eckhart schon zu seiner Zeit. Kurt Flasch attestiert ihm ein Außenseiterbewusstsein. So etwas ist ein Ehrentitel. „Er stand gegen eine kulturelle Welt.” Und doch ist etwas anders in dieser Bilanz, die keine zurückblickende sein will. Kurt Flasch will noch einmal von vorn anfangen und spricht (neben den unvermeidlichen scharfen Muskatnüssen, mit denen Eckhart seine Predigten verglichen hat) auch im honigfließenden Ton methodischer Skrupulösität und Versöhnlichkeit. Der Titel „Philosoph des Christentums” diene als Hypothese, die an Eckharts Texten überprüft werden soll. Von dessen Philosophie des Christentums heißt es, sie versöhne Wissen und Offenbarung und gebe der Menschheit den Frieden. Zuletzt geht es auch um das richtige Leben.
Natürlich ist das letzte Wort dann doch kein anderes als die Bestätigung der Hypothese: Meister Eckhart ist als Philosoph des Christentums zu lesen. Aber so, wie Flasch es diesmal angeht, hat es den Anschein, dass er seinem Eckhart auch anders noch einmal näher gekommen ist. Insofern nämlich, als Meister Eckhart zu verstehen auch heißt, den Weg des Lassens, der Gelassenheit und des Sich-Lassens zu gehen. „Die deutschen Predigten lehren und fordern auf; sie popularisieren keine abstrakte Metaphysik; sie zeigen Lebenswege und sagen, warum sie verfehlt werden.” Sie stellen den kategorischen Imperativ jeder negativen Ethik auf: „Lass dich!” Wer ihn versteht, der gibt den Eigenwillen auf. Aber sicher, nein, sicher sein kann man sich natürlich nicht, wer so weit schon gelangt ist. Und noch einmal eine andere Frage ist es, ob man es Kurt Flasch und uns, seinen Lesern mit diesem unerhörten Appetit auf scharfe Muskatnüsse, wirklich wünschen möchte. DIRK LÜDDECKE
KURT FLASCH: Meister Eckhart. Philosoph des Christentums. Verlag C. H. Beck, München 2010. 365 Seiten, 24,95 Euro.
Wer diesen Mann studiert, gewinnt den Eindruck, es mit einem kühnen Geist zu tun zu haben
Kommt ihr nicht über die Welt und die Zeit hinaus, so sehet ihr Gott nicht
Meister Eckhart: Miniatur aus dem 15. Jahrhundert. Foto: Ullstein
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dirk Lüddecke schreibt eine wahre Eloge auf Kurt Flasch. Wenn dieser unerschrockene Denker und Ausleger sich einer harten Nuss wie Meister Eckhart annimmt, kann Lüddecke sicher sein, dass philologische "Kunst und Beflissenheit" und philosophische und historische Nüchternheit Hand in Hand gehen. Flaschs Gesamtansicht liest Lüddecke als Widerspruch gegen eine Deutung Eckharts als Mystiker. Wenn Flasch den Schutt überholter Eckhart-Rezeption zusammenkehrt und uns, ausgehend von Selbstzeugnissen, mit scharfem Blick, stilistischer Brillanz und einer gewissen Lässigkeit Eckhart als Philosophen des Christentums zeigt, scheint der Rezensent glücklich überzeugt.

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