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Das Prinzip der Politik - eine Grundlegung Die Politik wird von Individuen gemacht, und sie hat für Individuen da zu sein. Sie hat keinen anderen Grund, als der Freiheit Raum zu geben, die Gleichheit vor dem Gesetz zu garantieren und eben damit dazu beizutragen, daß der Mensch seine Würde nicht verliert. Und sie hat von Anfang an das Ziel, das Leben ihrer Akteure zu erhalten und zu entfalten. Das Ziel aber kann der Mensch nur erreichen, indem er partizipiert: an der Natur, an der Technik, an seinem kulturellen Erbe und an den Institutionen, die er nach seinem eigenen Vorbild schafft. - Das ist…mehr

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Produktbeschreibung
Das Prinzip der Politik - eine Grundlegung
Die Politik wird von Individuen gemacht, und sie hat für Individuen da zu sein. Sie hat keinen anderen Grund, als der Freiheit Raum zu geben, die Gleichheit vor dem Gesetz zu garantieren und eben damit dazu beizutragen, daß der Mensch seine Würde nicht verliert. Und sie hat von Anfang an das Ziel, das Leben ihrer Akteure zu erhalten und zu entfalten. Das Ziel aber kann der Mensch nur erreichen, indem er partizipiert: an der Natur, an der Technik, an seinem kulturellen Erbe und an den Institutionen, die er nach seinem eigenen Vorbild schafft. - Das ist die Einsicht, die Volker Gerhardt in seiner Theorie des Politischen darzustellen und zu begründen sucht.

Das systematisch angelegte Werk des Berliner Philosophen behandelt den historischen Übergang von der Natur zur gesellschaftlichen Lebensform und von ihr zur spezifisch politischen Organisation. Den Anfang bildet die Evolution der Freiheit, die sich in der Entwicklung des Wissens und des Rechts vollzieht und erst in der Politik zu vollem Bewußtsein kommt. Politik beschränkt sich nicht auf gemeinschaftliche Vorsorge. Sie ist ausdrückliche Gestaltung des durch das Wissen eröffneten öffentlichen Raums. Sie beruht auf der Analogie zwischen Individuum und Institution, erweitert die technische Selbststeigerung des Menschen und setzt in allem den Willen zur Repräsentation voraus. Repräsentation fundiert somit nicht nur das menschliche Wissen, sondern auch die Politik.

Gleichwohl steht das Werk unter dem Titel der Partizipation. Der Begriff bedeutet Teilhabe und Teilnahme an einem Ganzen, über das niemand allein verfügen kann. Partizipation ist der ausdrücklich auf die Gemeinschaft mit anderen bezogene Akt individueller Selbstbestimmung. In ihm liegen Anmaßung und Bescheidenheit nahe beieinander. Als "Prinzip der Politik" soll Partizipation verständlich machen, warum die Politik so große Hoffnungen freisetzt und dennoch dem Menschen nicht alles bedeutet. Im "Menschen-Recht" kommt diese Grenze des Politischen auf einen unnachahmlichen Begriff.
Autorenporträt
Volker Gerhardt wurde 1944 geboren. Er promovierte 1974 und habilitierte 1984. 1985 war er Professor für Philosophie in Münster, 1986 hatte er eine Gastprofessur an der Universität Zürich, von 1988 bis 1992 war er Leiter des Instituts für Philosophie an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Seit Oktober 1992 ist er Professur für Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, leitet den DFG-Beirat zur Förderinitiative Bioethik und gehört dem Nationalen Ethikrat an. 1999 hat er mit der Selbstbestimmung eine lebenswissenschaftlich fundierte Begründung der Ethik vorgelegt, der 2001 mit der Individualität die Skizze eines neuen Systems der menschlichen Welterfahrung folgte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2007

Eintüten als Prinzip
Volker Gerhardts Versuch, der Politik auf die Schliche zu kommen

"Der Zweck des Gehorsams ist Schutz." In diesem Satz kulminiert Hobbes' politische Philosophie. Politische Autorität wird hier rein funktional begründet. Kluge Individuen unterstellen sich dem Souverän, sofern er die von ihm erwartete Leistung erbringt. Die Atmosphäre ist geschäftsmäßig. Man geht nüchtern miteinander um und bleibt vorsichtig.

Das emphatische Gegenmodell zu dieser pragmatischen, dezidiert antiaristotelischen Konzeption stammt von Rousseau. Bei ihm setzt die Existenz als Bürger eines freiheitlichen Gemeinwesens eine quasi-religiöse Wandlung des Herzens voraus. Bürger kann nur sein, wer sich als vom Ganzen unabtrennbaren Teil versteht.

Beide Begründungsansätze haben ihre hinlänglich bekannten Tücken. Man kann versuchen, ihnen unter Wahrung ihrer Grundstruktur ihre ursprüngliche Schroffheit zu nehmen, sei es, indem man im Gefolge Lockes den Schutz der Bürger voreinander um den Schutz der Bürger vor ihrer Regierung ergänzt, sei es, indem man mit Hegel die Achtung eines Raums privater Interessenverfolgung zur Voraussetzung staatsbürgerlicher Loyalität erhebt.

Zum Scheitern verurteilt ist hingegen eine Vermischung beider Begründungsmodelle. Wer sich eine Entscheidung zwischen den Deutungen des Politischen als Geschäft oder als Lebensform ersparen will, wird über ein Ensemble von Halbheiten nicht hinauskommen. Den jüngsten Beweis dafür liefert der Berliner Philosoph Volker Gerhardt mit seinem neuen Buch. Gerhardt verspricht nichts Geringeres als die Identifizierung des "Prinzips der Politik". Er findet es in dem Gedanken der Partizipation. Was er darunter genau versteht, ist jedoch selbst nach fünfhundert, mitunter mühsam zu lesenden Seiten noch immer nicht recht klar. Zwar geizt Gerhardt nicht mit Definitionen, aber leider runden diese sich nicht zu einem einheitlichen Ganzen.

An manchen Stellen des Buches - so etwa, wenn Gerhardt erklärt, dass sich das telos des Menschen nur in einem politischen Zusammenhang erfülle - meint man einen waschechten Aristoteliker vor sich zu haben. Partizipation erscheint hier als die originäre Bürgerpflicht. "Man muss sich selbst schon als Teil eines Ganzen begreifen, ehe man Anteil nehmen und Anteil fordern kann." Der Schwung dieses Gedankens trägt Gerhardt mitunter bis hart an die Grenze dessen, was heute als politisch korrekt gilt. Zur Rolle des Bürgers, der sich als Teilhaber an den gemeinsamen Angelegenheiten verstehe, gehöre es, sich mit seinem Volk zu identifizieren. "In dieser Identifikation versteht er sowohl das Volk als eine Repräsentation seiner selbst wie auch sich selbst als Repräsentant seines Volkes."

Klugheitsarrangement.

Andernorts kommen die Hobbesianer unter Gerhardts Lesern auf ihre Kosten. Ihnen erläutert er, Partizipation bedeute lediglich, dass "die Menschen wechselseitig Einfluss aufeinander nehmen, um im sozialen Zusammenhang mehr zu erreichen, als ihnen als Einzelwesen möglich ist". In dieser Lesart des Partizipationsgedankens schrumpft Politik zum Klugheitsarrangement zusammen, sie beruht auf der Erwartung gegenseitiger Leistungen. "Die einfachste Formel dafür besteht in der Korrespondenz von Schutz und Gehorsam." Von einer Identifikation des Einzelnen mit der politischen Einheit, der er angehört, ist hier nicht die Rede. Vielmehr heißt es schlicht: "Der politische Körper hat das Leben aller in ihm verbundenen Menschen zu ermöglichen, damit jeder seine eigenen Ziele verfolgen kann. Im Rahmen der von ihm errichteten Ordnung schafft er die Disposition zu beliebigen Zwecken. Dazu hat er die Handlungsfähigkeit des sozialen Ganzen herzustellen."

Wie aber lässt sich eine Auffassung, der die Politik nichts weiter ist als ein Instrument zur effizienten Verwirklichung individueller Lebensziele, mit dem weitaus anspruchsvolleren Verständnis, dass jeder, der politisch agiert, dies als "Stellvertreter des Ganzen" tun müsse, zur Einheit einer kohärenten Theorie zusammenfügen?

Gerhardt setzt hauptsächlich auf die immanente Logik des politischen Prozesses. Da in der politischen Arena jeder Akteur zumindest den Anschein erwecken müsse, dass seine Position nicht lediglich Ausdruck eines Gruppenegoismus, sondern allgemein zustimmungsfähig sei, werde in der Politik "das Ganze einer Gemeinschaft zum erklärten Mittel für die Bedürfnisbefriedigung eines jeden. Was immer in ihr erreicht werden kann, muss den Umweg über die anderen nehmen." Dass dem öffentlichen Diskurs eine gewisse Disziplinierungswirkung zukommt, wird man schwerlich bestreiten können. Ob sie so weit reicht, wie Gerhardt hofft, erscheint jedoch höchst zweifelhaft. Den Menschen, jedenfalls soweit sie nicht professionelle Philosophen sind, ist nun einmal das Hemd näher als der Rock. Wer ernsthaft annimmt, eine politische Partei habe nicht hauptsächlich die Partikularinteressen derjenigen im Auge, von denen sie sich Unterstützung bei den nächsten Wahlen erhofft, dürfte nach einem Jahr großer Koalition eines Besseren belehrt sein. Der Verweis auf die politische Praxis ist deshalb am allerwenigsten geeignet, die Zwiespältigkeit von Gerhardts Position vergessen zu machen.

Jakobinische Verve.

Die Auswirkungen dieser Ambivalenz lassen sich an Gerhardts Ausführungen über die Aufgaben der Politik ablesen. An einer Stelle bezeichnet er es als das "Kerngeschäft des Politischen, den Menschen vor sich selbst zu schützen" - Hobbes lässt grüßen. Einige Seiten weiter konzediert er dagegen der Politik "eine unbegrenzt erscheinende Reichweite". Sie habe den Anspruch, den inhaltlichen Impuls der Selbstbestimmung, also das, worum es dem Menschen konkret in seiner Freiheit gehe, zu organisieren, im Ganzen zu repräsentieren und nach Kräften bei dessen Realisierung zu helfen. Der Nietzscheaner Gerhardt steigert sich hier zu geradezu jakobinischer Verve: "Erst die Repräsentation des ganzen Menschen und die damit verbundene Steigerung der personalen Selbstrepräsentation in der politischen Organisation legt einen rationalen Grund für das erforderliche Einverständnis des Einzelnen mit seiner Nation."

Mit den bislang betrachteten Definitionen ist der Reigen der von Gerhardt angebotenen Begriffsbestimmungen allerdings noch nicht erschöpft. Die politische Körperschaft, so erfahren wir, habe ihren Angehörigen vor allem ein Recht zur Mitwirkung am gemeinsamen Ganzen einzuräumen. "Eben das bedeutet Partizipation." Sie sei "Mitbestimmung unter dem Anspruch individueller Selbstbestimmung". Deshalb bestehe keine akzeptable Alternative zur Demokratie. "Sie muss sein, weil sie die einzige Staatsform ist, die das Individuum mit seinen vollen Rechten am gemeinsamen Ganzen teilhaben lässt."

Indes finden sich auch hier die bereits bekannten Zweideutigkeiten. Einerseits solle die Mitwirkung "den Willen des Einzelnen zur Geltung bringen", andererseits aber wird dem Einzelnen angesonnen, seinen Willen einen Verallgemeinerungsprozess durchlaufen zu lassen, bevor er ihn im Kreis seiner Mitbürger geltend macht. "Wenn es stimmt, dass sich schon der einzelne Bürger als Repräsentant seiner Gemeinschaft versteht, hat er bereits seine Bedürfnisse und Interessen im Licht ihrer allgemeinen Vertretbarkeit reflektiert"; er ist nach einem Spottwort Marxens über Hegel zu einem "subjektivierten Staat" geworden. Irgendwann fragt sich selbst der geduldigste Leser: Ja, wie denn nun?

Gerhardt ist mit einem hohen Anspruch angetreten. "Wir schreiten", so lässt er das Publikum wissen, "das Feld der Grundlegung des Politischen systematisch ab, nehmen die Einsichten der Klassiker, wo immer wir können, auf, beziehen die Beiträge der Politischen Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts ein und achten auf die einzelwissenschaftlichen Erkenntnisse, wann immer sie uns die Eigenart des politischen Handelns besser verstehen lassen." Hätte Gerhardt diesen Anspruch ernster genommen, dann hätte er ein überzeugenderes Buch geschrieben.

MICHAEL PAWLIK.

Volker Gerhardt: "Partizipation". Das Prinzip der Politik. C. H. Beck Verlag, München 2007. 504 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.01.2008

Unter kriegerischen Tieren
Volker Gerhardt kennt das Prinzip der Politik
Vor gut zweieinhalb Jahrtausenden hat ein bedeutender griechischer Philosoph behauptet, die menschlichen Lebewesen handelten politisch, um zu leben und gut zu leben. Dass diese vergleichsweise schlichte These von Aristoteles „alles” enthalte, was eine Philosophie der Politik braucht, davon ist Volker Gerhardt, Lehrstuhlinhaber für praktische Philosophie an der Humboldt-Universität, selbst zu Beginn des dritten Jahrtausends noch überzeugt. Allerdings knüpft er eine gewichtige Bedingung an sein Bekenntnis zur Gegenwartstauglichkeit antiker Erkenntnis. Man müsse sich, so hatte es Gerhardts Berliner Antrittsvorlesung aus dem Jahre 1993 formuliert, alle Mühe geben, um zu verdeutlichen, „was es eigentlich heißt, sich als ein Lebewesen zu verstehen.”
Vierzehn Jahre später liegt das Resultat dieser metaphysischen Mühen in Gestalt einer voluminösen und facettenreichen Monographie vor. Deren Titel bringt, wie es einer philosophischen Summe gut ansteht, bereits die Grundthese zum Ausdruck. Gerhardt überschreibt sein Buch „Partizipation” und gibt im Untertitel zu verstehen, Teilhabe sei das „Prinzip der Politik”.
Angekündigt ist damit eine Abhandlung, die offenkundig unter zwei Voraussetzungen darlegt, als was Politik zu denken sei. Nach ihrer ersten Voraussetzung sind juristisch niedergelegte Verfahren der Teilhabe der Grund des Politischen. Nach der zweiten Voraussetzung verfolgen diese Arrangements einen doppelten Zweck. Sie sollen nicht nur die Selbsterhaltung der menschlichen Gattung gewährleisten, sondern auch Sorge dafür tragen, dass sich das durch die Politik zivilisierte Leben zu einem für die menschlichen Lebewesen guten Leben gesteigert findet. Politik dient Lebewesen, deren Existenz notorisch gefährdet ist, also dazu, ihr individuelles und kollektives Dasein in einer Weise zu sichern, die Spielräume freilegt, um es durch kulturelle Überformungen zu intensivieren.
Methodisch vertraut ein solcher Ansatz darauf, dass Politik am besten verstanden wird, wenn man sie als einen Handlungszusammenhang beobachtet, der auf stabilisierende Einheitsbildungen zielt. Außerdem unterstellt Gerhardts Zugangsweise, dass politische Praxis – wie alles Handeln überhaupt – nur angemessen interpretiert ist, wenn die Zwecke, die sich politisches Handeln zuschreibt, zugleich als die motivierenden Ursachen der politischen Akteure betrachtet werden. Insofern schneidet Gerhardt seinen Begriff des Politischen auf eine Explikation zu, deren klassisches, erstmals bei Platon ausbuchstabiertes Modell die rationale Lebensführung eines selbstbewussten Individuums ist. Solche Lebewesen wollen nicht nur ihre leibliche Existenz bewahren, sondern sich zudem als autonome Subjekte in der Kooperation mit anderen zur Geltung bringen.
Für den homo politicus ist das Leben mehr als ein Stoffwechselprozess, der nach Naturgesetzen verläuft. Es ist vielmehr eine Aufgabe, der er sich stellt und die er nach Maßgabe selbstgewählter, freilich mit anderen geteilter Vorstellungen zu bewerkstelligen sucht. Unter dieser Beschreibung ist Politik – von der Einrichtung kommunaler Kindergärten bis zur Aushandlung eines Friedensvertrages – im Kern ein Unternehmen aktivierender Selbstzivilisierung.
Dass diese Interpretation durchaus nicht selbstverständlich ist, liegt offen zutage. So ließe sich, um nur einen Aspekt herauszugreifen, etwa fragen, ob das politische Handeln in einer geschichtlichen Situation, die den Nationalstaaten gravierende Souveränitätsverzichte abverlangt, tatsächlich mit Gerhardts Konzeptualisierungen beschreibbar ist. Kann man Politik in der Weltgesellschaft ernsthaft als einen integrierten und sich ständig selbst integrierenden Handlungszusammenhang auffassen? Natürlich sind dem Berliner Philosophen mögliche Einwände bewusst. Freilich verwendet er erstaunlich wenig argumentative Arbeit darauf, die eigene, dezidiert individualistisch, handlungstheoretisch und teleologisch akzentuierte Perspektive gegen Alternativen zu verteidigen, die im Zweifelsfall nicht minder gut begründet sind. Der Systemtheorie etwa bescheinigt Gerhardt zwar, sie biete mitunter interessante Verfremdungen politischer Phänomene. Doch glaubt er, Luhmanns Idee, die Politik stelle nur eines unter einer Vielzahl anderer Funktionssysteme dar, kraft derer sich ausdifferenzierte Gesellschaften operativ schließen, sei bei Lichte besehen kryptoteleologisch: Wer von Funktionen spreche, meine in Wahrheit auch nur Zwecke.
Und gegen Habermas führte schon Gerhardts Antrittsvorlesung ein gerade unter konservativen Kritikern gern benutztes Argument ins Feld. Dieser Einwand beargwöhnt, dass die diskurstheoretische Begründung der Politik als demokratischer Rechtsschöpfung den nötigen existentiellen Ernst vermissen lasse. Wer Teilhabe zu einer bloß normativ verankerten, also stets kritisierbaren Praktik innerhalb gesellschaftlicher Verständigungsverhältnisse verkürze, verharmlose die agonale Natur politischer Konflikte und verkenne folglich auch die Idee des Rechts. Er sehe nicht deutlich genug, was bei Denkern wie Hobbes und Kant mit Händen zu greifen sei, dass sich nämlich das Recht „aus dem Anspruch zum Schutz der leiblichen Sphäre ergibt”. Ohne einen ausgeprägten Sinn für die Bedrohungen menschlicher Existenz lassen sich, wie Gerhardts nietzscheanisch inspirierter Liberalismus einschärfen möchte, weder die Geburt des Rechts aus der Todesangst ableiten, noch die Leistungen würdigen, die das Recht und die ihm zugehörenden Institutionen zur Befriedung einer sozialen Welt voller Ängste erbringen.
Das Leben optimieren
Solche Bedenken zeigen, was Gerhardts politische Philosophie an soziologisch inspirierten Politiktheorien stört. Sie führen zu einem falschen Verständnis des Eigenrechts politischer Praxis, weil die intrinsische Verbindung zwischen individuellem Leben und kollektiver Selbstzivilisierung gekappt wird. Dass die Politik, wie Gerhardt doch zu zeigen beabsichtigt, unmittelbar aus den Lebensvollzügen selbstbewusster Individuen hervorgeht, denen es in ihrem Sein um ihr eigenes Lebendigsein geht, also darum, diese Lebendigkeit sowohl zu bewahren, als auch zu optimieren, wird unsichtbar. Wer die Menschen lediglich als sprechende, das heißt kommunizierende, nicht aber als sich wechselseitig das Leben streitig machende, das heißt als kriegerische Tiere begreift, vermag für Gerhardts Begriffe überhaupt nicht zu erklären, warum Lebewesen, die mit einem Bewusstsein ihrer selbst ausgestattet sind, die Politik derart wichtig nehmen. Ihre Unverzichtbarkeit kommt Gerhardt zufolge erst in den Blick, wird das Leben selbst nicht mehr zu einer bloß vorpolitischen Angelegenheit herabgestuft.
Doch führt umgekehrt die Aufwertung des Lebens zum Biobrennstoff der Politik zu einem durchaus fragwürdigen Effekt. Selbstbewusstes und individuiertes Leben ist Gerhardt zufolge qua eigener Natur zur Politik buchstäblich verurteilt. Eine Freiheit von der Politik, die doch zum Selbstverständnis jener politischen Moderne gehört, die sich der Erfahrung des Totalitarismus gestellt hat, schließt Gerhardts Grundlegung des Politischen aus. Das ist der blinde Fleck in seiner naturalistischen Rehabilitation von Politik als einer Praxis der Lebensoptimierung. MARTIN BAUER
VOLKER GERHARDT: Partizipation. Das Prinzip der Politik. Verlag C. H. Beck, München 2007. 507 Seiten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Etwas unausgegoren findet Rezensent Michael Pawlik diesen Versuch des Philosophen Volker Gerhardt, das "Prinzip der Politik" zu ergründen. Ein hoher Anspruch, den er zu Pawliks Bedauern nicht überzeugend einlösen kann. Sein Hauptvorwurf betrifft Gerhardts Unentschiedenheit zwischen einem Hobbes'schen Verständnis der Politik als Instrument zur Verwirklichung individueller Lebensziele und der Rousseau'schen Auffassung von Politik, die den Bürger emphatisch als integralen Teil des freiheitlichen Gemeinwesens versteht. Eine Vermittlung zwischen beiden Ansätzen gelingt dem Autor nach Pawliks Ansicht auch nicht wirklich. Er kritisiert zudem, dass der bei Gerhardt zentrale Gedanke der Partizipation trotz zahlreicher Definitionen notorisch unklar bleibt. Dass die Lektüre der fünfhundert Seiten recht mühselige Angelegenheit ist, macht das Buch für Pawlik nicht eben besser.

© Perlentaucher Medien GmbH