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Der arabische Dichter und Schriftsteller Abu l'Ala al-Ma'arri (973-1058) hat mit seinem Hauptwerk, dem "Sendschreiben über die Vergebung", knapp 300 Jahre vor Dante die arabische "Göttliche Komödie" geschrieben. Er schildert hier - oft mit phantasievollem Witz und tiefgründigem Humor - das islamische Paradies und die Hölle. Das "Sendschreiben" ist al-Ma'arris Antwort auf den Brief eines Literaten aus Aleppo, Ibn al-Qarih. Im ersten Teil des Werkes stellt sich der Dichter vor, daß sein Adressat inzwischen gestorben, wiederauferstanden und ins Paradies versetzt worden ist. Ibn al-Qarih…mehr

Produktbeschreibung
Der arabische Dichter und Schriftsteller Abu l'Ala al-Ma'arri (973-1058) hat mit seinem Hauptwerk, dem "Sendschreiben über die Vergebung", knapp 300 Jahre vor Dante die arabische "Göttliche Komödie" geschrieben. Er schildert hier - oft mit phantasievollem Witz und tiefgründigem Humor - das islamische Paradies und die Hölle. Das "Sendschreiben" ist al-Ma'arris Antwort auf den Brief eines Literaten aus Aleppo, Ibn al-Qarih. Im ersten Teil des Werkes stellt sich der Dichter vor, daß sein Adressat inzwischen gestorben, wiederauferstanden und ins Paradies versetzt worden ist. Ibn al-Qarih diskutiert dort mit bekannten Dichtern, denen Gott "vergeben" hat (daher der Titel des Werkes), und erzählt ihnen seine abenteuerlichen Erlebnisse nach dem Auferstehungstag. Er hält Gastmähler und Trinkgelage ab, begegnet Paradiesjungfrauen, die in Früchten wachsen, einem gläubig gewordenen Geist, der vor seiner Bekehrung die Menschen drangsaliert hat, und Tieren, deren Leiden auf der Erde durch die ewige Seligkeit ausgeglichen wurde. Auch in die Hölle blickt Ibn al-Qarih. Der in sich abgeschlossene erste Teil des "Sendschreibens über die Vergebung", die Vision von Paradies und Hölle, erscheint hier erstmals in deutscher Übersetzung. Zahlreiche Erläuterungen erschließen den Text auch für diejenigen, denen die islamische Kultur und Geschichte noch weitgehend fremd sind. Eine Einleitung informiert über den Dichter, sein Werk und seine Zeit.
Autorenporträt
al-Ma'arri
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2002

Philologen ins Paradies
Bei Engeln kommt das nicht gut an: Al-Ma'arris häretische Komödie

Wie wenig wir die Araber kennen! Alles mögliche trauen wir ihnen zu, nur nicht Humor - schon gar nicht, wenn es um den Islam geht. Doch weit gefehlt. Gegen den Spott, den die Araber selbst ihrer Religion schon im Mittelalter haben zuteil werden lassen, nehmen sich die Auslassungen Houellebecqs wie Kleinjungenstreiche aus. Wer es nicht glauben will, der lese Abu l-Ala Al-Ma'arri, einen der größten, für uns vielleicht der größte mittelalterliche Dichter der Araber. Bislang war er einer größeren literarischen Öffentlichkeit unzugänglich - was fast so ist, als hätte man Dante bislang nicht lesen können.

Das substantielle Stück Al-Ma'arris mit dem Titel "Sendschreiben über die Vergebung", das endlich auf deutsch vorliegt, wurde lange als mögliche Quelle für die "Göttliche Komödie" gehandelt. Belegen jedoch ließ sich diese Behauptung nie. Beide Bücher allerdings schöpfen aus ähnlichen Quellen, und beide handeln von einer Jenseitsreise und der Begegnung mit berühmten Verstorbenen. Dabei ist das spottlustige, beinahe häretische "Sendschreiben" deutlich vergnüglicher als die "Commedia" mit ihrem religiösen Pathos. Aber es ist auch mindestens so schwer zu übersetzen.

Glücklicherweise gibt es eine Art von Humor, die selbst das trockenste Philologendeutsch überlebt. Der Scheich, den Al-Ma'arri auf die Jenseitsreise schickt, darf nach dem Gang durchs Paradies, wo der Genuß von Wein bekanntlich erlaubt ist, einen Blick in die Hölle werfen. Dort weilt auch Satan, nicht als Höllenmeister, sondern gemäß der islamischen Tradition als das erste und liebste Opfer der "Strafengel" mit ihren Marterwerkzeugen. Voller Begeisterung ruft der Scheich ihm zu: "Gelobt sei Gott, der jetzt alle Macht von dir genommen hat!" Auf die Frage des Teufels, wer er überhaupt sei, gibt er sich als Literat aus Aleppo zu erkennen. Darauf Satan: "Welch schlechter Beruf! Er bringt gerade so viel, daß man selbst davon leben kann, aber schon die Familie kann man durch ihn nicht ausreichend unterhalten." Und dann stellt er eine Frage über die Gepflogenheiten im islamischen Paradies, die der schlimmste Islamhasser an Perfidie nicht überbieten könnte: "Der Wein ist euch doch im Diesseits verboten, im Jenseits hingegen erlaubt. Machen nun die Bewohner des Paradieses mit den unsterblichen Jünglingen dasselbe wie die Leute der Dörfer Lots?" Wer wie die frühen Muslime das Paradies als Spielwiese für libidinöse Phantasien konzipiert, darf sich nicht wundern, wenn auch die Freunde der Knabenliebe eines Tages ihr Recht einfordern.

Abu l-Ala Al-Ma'arri, der größte Skeptiker des mittelalterlichen Islam, wurde 973 in der Nähe von Aleppo geboren. Er erblindete im Alter von vier Jahren. In der auf mündlicher Überlieferung beruhenden Kultur seiner Zeit konnte er dennoch einer der bedeutendsten Gelehrten werden, denn er muß über ein phantastisches Gedächtnis verfügt haben. Nach einem kurzen Studium in Bagdad kehrte er zu Beginn des ersten Jahrtausends in seine Heimatstadt Ma'arra nach Nordsyrien zurück und führte bis zu seinem Tod 1058 ein asketisches Leben, stets in Verbindung mit den Geistesgrößen seiner Zeit.

Neben dem "Sendschreiben über die Vergebung" hat er einige hundert der anspruchsvollsten arabischen Gedichte verfaßt. Als in Europa Aristoteles noch ein Unbekannter war, hat er Verse geschrieben wie die folgenden: "Freunde, gebt keinen Pfennig für alte Dogmen! / Die Leute begehen ungeheure Verbrechen, denn sie haben gelernt / daß nur kleine Vergehen in der Hölle gesühnt werden." Sechshundert Jahre vor Pascals "Wette" formulierte er die seine so: "Der Astronom und der Mediziner, beide sagen sie: Die Körper werden nicht auferstehen. Ich sage ihnen: Haltet euch zurück! Wenn eure Rede richtig ist, so habe ich nichts zu verlieren. Wenn aber die meine richtig ist, dann seid ihr die Verlierer." Und neunhundert Jahre vor Cioran gab er dem "Nachteil, geboren zu sein", seinen bis heute gültigsten Ausdruck, als er auf seinen Grabstein die Verse meißeln ließ: "Dieses Verbrechen hat mir mein Vater angetan; ich habe niemandem ein solches Verbrechen angetan." Al-Ma'arri ist aber nicht nur, wie sein rumänisch-französischer Nachfahre, Skeptiker, Pessimist, Leidender und Vernunftmensch, bis nichts mehr übrigbleibt von Glaube, Liebe, Hoffnung; er ist auch ein großer Satiriker, ein Witzbold und Schalk. Es ist diese Mischung, die ihn so einzigartig macht, zu einem der merkwürdigsten Schriftsteller nicht bloß der arabischen Literatur, sondern der Weltliteratur überhaupt.

So nah aber Al-Ma'arri uns Heutigen in seiner Geisteshaltung ist, so nah ist er den Arabern seiner Zeit in den Mitteln, sich auszudrücken. Daher ist es tausendmal leichter, über ihn zu reden, als ihn auch selbst einmal zu Wort kommen zu lassen.

Im Jahr 1033 bekommt Al-Ma'arri einen apologetischen Brief des als Opportunisten bekannten Aleppiner Literaten Ibn Al-Qarih. Al-Ma'arri, dessen Integrität über jeden Zweifel erhaben ist, soll offensichtlich Ibn Al-Qarihs moralische Rehabilitation durch eine begütigende Antwort in die Wege leiten. Tatsächlich antwortet er, auf seine ganz eigene Weise: Er stellt sich vor, wie Ibn Al-Qarih kurz vor seinem Tod seine Schandtaten bereut und, versehen mit seinem äußerst beschränkten Literatenhorizont, das Paradies durchwandert. Die Jenseitsreise Ibn Al-Qarihs (auch genannt "der Scheich") ist eine Literaten- und Literaturparodie - mit einigen kräftigen Seitenhieben auf die Religion. Die Besessenheit der Araber von ihrer Dichtung ist das ideale Ziel von Al-Ma'arris meist liebenswürdigem Spott, dessen ganze Komik sich freilich nur den Kennern erschließen kann, die das Werk im Original studieren.

Gleichwohl ist, was für den Laien übrigbleibt, köstlich genug. Als der Scheich vor den Toren des Paradieses voller Ungeduld darauf wartet, eingelassen zu werden, versucht er, die Wächter mit Lobgedichten zu bestechen. Er nimmt das Versmaß der berühmten vorislamischen Ode von Imru l-Qais (was dann jeweils ein netter Anlaß ist, sie anzuzitieren) und verfaßt ein Gedicht, das sich auf den Namen des Wächters reimt. Der aber weiß überhaupt nicht, was Dichtung ist: "Ich weiß nicht, was du im Sinn hast; auch glaube ich, daß das Zeug, das du mir vorträgst, der Koran Satans, des Empörers, ist und daß das alles bei den Engeln nicht gut ankommen wird."

Ganz anders im Zwischenreich, dem Paradies der Geister, die da behaupten: "Was wissen denn schon die Menschen von der Dichtung? Nur soviel wie das liebe Vieh von Astronomie und Erdvermessung. Wir haben Tausende von Versmaßen, von denen die Menschen nie gehört haben." Daher finden sich, anders als bei Dante, im Paradies Al-Ma'arris fast nur Dichter und Sprachgelehrte. Diese geraten selbst dort ziemlich häufig aneinander. Besonderes Pech hat ein alter, hochberühmter Grammatiker: "Auf ihn hatten sich Leute gestürzt, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Sie riefen: Du hast uns falsch interpretiert und uns auf diese Weise großes Unrecht getan."

Diese Sprachbesessenheit der Araber, in die sich der unvorbereitete Leser erst einmal hineindenken muß, findet ihr okzidentales Pendant in der philologischen Akribie des deutschen Arabisten, dem wir den Text verdanken. Wenn es eines Beweises für die Großartigkeit des "Sendschreibens" bedurft hätte, dann lieferte ihn die Tatsache, daß der Text trotz der Herausgabe und Übersetzung durch Gregor Schoeler immer noch so lebendig ist wie eine der frisch vom Baum gepflückten Paradiesjungfrauen. "Grundsätzlich", schreibt Schoeler, "habe ich gewisse Längen und die oft sehr ausführlichen Diskussionen über Fragen der arabischen Grammatik und Philologie gestrichen oder stark gekürzt. Diese Diskussionen sind für den nicht arabistisch vorgebildeten Leser ungenießbar und ohne ausführlichen Kommentar unverständlich."

Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wer "ausführliche Kommentare" scheut, wird das Buch nämlich schon jetzt nicht sonderlich genießbar finden. Auf den 178 übersetzten Seiten finden sich sage und schreibe 381 Anmerkungen. Dabei wären viele Kommentare überflüssig, wenn Schoeler nur ein wenig pragmatisch wäre. Doch unangefochten von Al-Ma'arris Philologenparodie übersetzt er zum Beispiel mit dem Fachbegriff "Gürtelgedicht", was als "Strophengedicht" ausreichend bezeichnet gewesen wäre; so daß dann die zweihundertachtzigste Anmerkung nötig wird, die wie folgt lautet: "Das Gürtelgedicht (arab. musammat) ist eine bestimmte strophische Gedichtform. Das vorliegende musammat hat folgende Reihenfolge: -dschû, -dschû, -dschû, -dschû, - lû; -luhum, -luhum, -luhum, luhum, lû; -â, -â, -â, -lû. Jede Strophe besteht also aus fünf Zeilen und wird durch denselben wiederkehrenden Reim, den Gürtelreim (-lû), abgeschlossen. Strophengedichte (. . . u.s.w.)."

Was für den Arabisten "ungenießbar und ohne ausführlichen Kommentar unverständlich" ist, muß dies für den normal gebildeten Leser noch lange nicht sein. Doch weil er so wagemutig war, endlich dieses verrückte, notwendige Stück klassischer arabischer Literatur für uns zu übersetzen, seien Gregor Schoeler all seine Schwächen verziehen. Er ist der Konkursverwalter der einst ruhmreichen, mit zahllosen poetischen Adern versehenen deutschen Orientalistik, der heutzutage alles Schöngeistige verdächtig ist.

Ein Drittel der Jenseitsreise, und für Al-Ma'arri zweifellos das wichtigste Drittel, besteht aus Gedichtzitaten. Man kann sie, in dieser Übersetzung jedenfalls, getrost überlesen. Aber der Rest ist großartig genug. Als der Scheich eine schöne Paradiesjungfrau vom Baum gepflückt hat, wirft er sich vor Dankbarkeit nieder zum Gebet. Dann "kommt ihm in den Sinn, daß jenes Mädchen trotz ihrer Schönheit doch etwas zu dünn ist. Kaum hat er seinen Kopf vom Gebet erhoben, da bekommt sie (weil Gott seine Gedanken gelesen hat) ein Hinterteil, das den Sandhügeln von Alidsch gleicht und den Dünen von ad-Dahna. Erschrocken ob der Macht Gottes ruft er aus: O du, der du Dinge vollbrachtest, die unmöglich und furchtbar schienen, ich bitte dich, beschränke das Gesäß dieser Paradiesjungfrau auf eine annehmbare Größe - denn deine Allmacht hat mit ihr die Grenze des Erhofften überschritten!" Nur von Al-Ma'arri kann man nicht genug bekommen.

STEFAN WEIDNER

Abu l-Ala Al-Ma'arri: "Paradies und Hölle". Die Jenseitsreise aus dem "Sendschreiben über die Vergebung". Aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Gregor Schoeler. C.H. Beck Verlag, München 2002. 223 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Was der syrische Dichter Abu l'Ala al-Ma'arri mit diesem um das Jahr 1033 entstandenen Werk hinterlassen hat, findet Hassouna Mosbahi heute aktueller denn je. Wie den Autor selbst (973 bis 1058) hält der Rezensent auch dessen Hauptwerk, "Sendschreiben über die Vergebung", das im Deutschen nun erstmalig unter dem Titel "Paradies und Hölle" veröffentlicht ist, für "einzigartig" in der klassischen arabischen Literatur. Darin lässt der Autor, berichtet Mosbahi, seinen Protagonisten eine außergewöhnliche Reise in Himmel und Hölle antreten und erkennen, dass dort die Realität eine andere ist als auf Erden versprochen: Im Himmel geht es langweilig zu, während sich der interessantere Part eher in der Hölle abspielt. Zweierlei habe al-Ma'arri damit bezwecken wollen: Einmal habe er phrasendreschende schreibende Zeitgenossen gründlich durch den Kakao gezogen, zum anderen mit seiner sarkastischen Schilderung den Koran "zutiefst erschüttert" und ad absurdum geführt. Völlig zu recht habe man zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als man dieses Werk wiederentdeckte, sofort einen Vergleich zu Dantes 300 Jahre nach dem "Sendschreiben" erschienenen "Divina Commedia" gezogen, stimmt Mosbahi zu. Und ohne Zweifel sollten "Paradies und Hölle" sowie dessen blinder Verfasser, dessen Leben und Werk auf "Pessimismus, Skeptizismus und Rationalismus" basiert hatten, einen festen Platz im Kanon der Weltliteratur einnehmen, ist der Rezensent überzeugt.

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