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"Damit lockte er sie, mit Lakritz, sie, die eigentlich keine Süßigkeiten mochte, aber Lakritz, schwarz, sie konnte nicht einfach schwarz sagen, mußte es immer zweimal sagen, schwarz, schwarrrz! Keine Farbe. Sie wand sich, schlängelte sich, wenn er unschuldig die Fäuste vor sich hielt, als wisse er nicht, was sie umschlossen, sie dann öffnete, und die Schnecken aufblitzten, Lakritzschnecken, doppelte Doppelschnecken, über denen die rauhen Finger sich schlossen." Lene - so heißt die zentrale Figur dieses durch und durch ungewöhnlichen Romans über eine ganz gewöhnliche Familie -, Lene ist…mehr

Produktbeschreibung
"Damit lockte er sie, mit Lakritz, sie, die eigentlich keine Süßigkeiten mochte, aber Lakritz, schwarz, sie konnte nicht einfach schwarz sagen, mußte es immer zweimal sagen, schwarz, schwarrrz! Keine Farbe. Sie wand sich, schlängelte sich, wenn er unschuldig die Fäuste vor sich hielt, als wisse er nicht, was sie umschlossen, sie dann öffnete, und die Schnecken aufblitzten, Lakritzschnecken, doppelte Doppelschnecken, über denen die rauhen Finger sich schlossen." Lene - so heißt die zentrale Figur dieses durch und durch ungewöhnlichen Romans über eine ganz gewöhnliche Familie -, Lene ist dreizehn und kein Kind mehr. Mit ihrem Vater spricht sie nicht. Sie entzieht sich seinem Zugriff, erhält immer mehr Macht und gewinnt letztendlich eine einflußreiche Position in der Familie, aus der sie ihn, ohne es zu wollen und ohne sich dessen bewußt zu sein, ganz verdrängt. Im Mittelpunkt des Romans steht die Beziehung zwischen Vater und Tochter; davon ausgehend erzählt Anke Velmeke auf unsentimentale und ironische, fast spielerische Weise von den Konstellationen innerhalb der Familie, wobei die Autorin auf jegliche Art psychologischer Reflexion verzichtet hat. Entstanden ist daraus ein Puzzle, das der Leser mit größtem Vergnügen zusammensetzen wird. Ein ungewöhnliches Debut - mit einem Kleinstadtroman, dessen Tonfall den Leser auf jeder Seite von neuem überrascht.
Autorenporträt
Anke Velmeke wurde 1963 in Olsberg geboren. Sie hat Sprachwissenschaften und Übersetzung studiert. Nach Aufenthalten in Belgien und Spanien arbeitet sie als Übersetzerin und Autorin. Bisher hat sie zahlreiche Erzählungen und Kurzgeschichten veröffentlicht, die mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurden. Im Jahr 1999 war sie Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin. "Luftfische" ist ihr erster Roman.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2000

Lautlos aneinander vorbei gleitend
Anke Velmeke debütiert mit einem Familienunglücksroman: „Luftfische”
Sich wohlfühlen wie der Fisch im Wasser, sagt man. Wie aber fühlt sich der Fisch in der Luft? Oder deutet der märchenhafte Titel dieses Debütromans auf luftige Fische hin? Fischige Luft? Auch der Umbruch in der „Pu-Pu-Pubertät” soll eine Zeit sein, wo man nicht Fisch, nicht Fleisch ist. Mit dem gepriesenen und schon wieder angezweifelten Realismus anderer Autoren ihrer Generation fängt die 37-jährige Anke Velmeke gar nicht erst an. Der Familienunglücksroman Luftfische spielt auch nicht in unserer zu vorübergehenden Lösungen neigenden Gegenwart. Als Lene dreizehn ist, herrschen die 70-er Jahre. Irgendwo im Nordrhein-Westfälischen treibt einen da ein besonders unstillbarer „Erfahrungshunger”, weil das „Einheitsgrau” besonders groß ist. Die Erfahrungen, die „Lenefisch” oder ihre Mutter „Fraufisch” dort machen können, müssen deshalb in der winzigsten Einzelheit festgehalten werden. Wenn der jüngere Bruder sie mit „Lakritzblick” lockt, und sie ihn mit ihrem „nagelneuen Busen” Lakritz schleckend umgarnt.
Anke Velmeke beschreibt, was sonst im gewöhnlichen Alltag verschwindet, und treibt diese Beobachtungen bis zu nervender Intensität. „Mittags waren die Pommes so gelb und goldig-goldgelb, fettschimmernd, mit durchscheinenden Salzkristallen besetzt, dass sich Mann, Frau und Kinder, also überhaupt alle, einander bis auf Tischbreite näherten und hinsetzten auf die Stühle, die ja bereits da waren, und mit spitzem Esswerkzeug hineinstachen, die Kartoffelquader also aufspießten, sortierten, nach Größe, Färbung, Form, oder aßen oder zu Prozessionen aufreihten, die sich spiralförmig auf die Mitten der Teller zubewegten. Hantierten also und klimperten mit Besteck, das zwischengeschaltet war zwischen Hand und Lippen, die sich öffneten, um es mitsamt dem Gespießten einzulassen. ” Die Familienmahlzeit ist Parodie und weniger komisch als bedrückend. So drücken sich verkorkste Verhältnisse aus. Es geht wohl nicht anders, wenn das ganze Leben von Verboten des Vaters verstellt ist, zumindest von der Körpermasse des groben Kerls mit „babyblauen Augen” durchdrungen ist. Dieser Vater selbst nimmt das, Dimple trinkend, natürlich wenig wahr. Von Beruf Dachdecker, werkelt er zwischen Himmel und Erde. Auch er ist ein Luftfisch und schwer zu fassen. Trotzdem: Dieser Mann ist ein Tyrann, dessen Frau immer dünner wird, dessen Söhne abhauen. Abwehr bringt nur Lene zustande. Darauf weist bereits der zweite Absatz hin: „Im März sprach sie zum letzten oder vorletzten Mal mit dem Dachdecker. ” Klar ist, dass sie ausbrechen will. Mit viel Aufmerksamkeit wird klar, dass es ihre Renitenz sein soll, die den Mann vorübergehend zu einer Geliebten und schließlich ganz aus seiner Machtstellung drängt.
Denn Anke Velmeke erzählt über den Mangel an Gesprächen und Gefühlen mit gesteigertem sprachlichen Nachdruck. Es gibt kein Ich, das seine defizitäre Befindlichkeit beklagt. Der ganze Roman ist eine dichte Fläche von Wahrnehmungen. Seine Personen sind dritte Personen ohne greifbare Motivation. Sie gleiten aneinander vorbei, lautlos und berührungslos wie Fische im Aquarium. Die Körper taktieren. Sie reagieren auf Luftzüge und „schwache Gerüche”, um in den engen Fluren keine Begegnung zu riskieren. „Die Wohnung: ein Grundriss, ein Spielbrett mit Gefahren- und Ruhefeldern, auf die sie ihre Körperfiguren setzten. ” Direkte Anreden gibt es nicht. Wenn etwas, selten genug, geäußert wird, verliert es sich im Text. Der „Satansbraten” der Mutter für den Sohn, das „Morgen” in der Familie, das „hast du gekifft” des Vaters fügen sich in Zahlenketten ein, die Lene immer wieder durch den Kopf schießen.
Die Beziehungslosigkeit verwirrt um so mehr, weil im Vordergrund des Romans ein kleinbürgerliches Milieu mit Feuerwehr- und Schützenverein erkennbar durchscheint. Zugleich dringt das geschäftliche Auf und Ab des Familienbetriebs durch das Firmentelefon bis in die Mitte der Familie.
Genau dort, wo man, wenn überhaupt, die Reste einer verlässlichen Ordnung vermuten würde, findet Anke Velmeke gespenstische Bilder. Die Normalität der Familie ist die Norm einer „richtig netten Barbiefamilie”. Deren Schauseite wird auch bei den Campingferien an der Nordsee vorgezeigt. Draußen, vor dem Wohnwagen mit dem Benz. „Nur der Fernseher bemerkte, der vielleicht der Empfindsamste von allen war”, wie die Mutter störte, als man sich zum Fußball-Fernsehen versammelte.
Keinem fällt auf, wie sich die Mutter kettenrauchend entzieht. Lene ist ihre Verbündete, eine Komplizin, die mit zunehmender pubertärer Unruhe energischer wirkt. Allmählich wird deutlich, dass sie auch eine Nachfolgerin ist. In dieser Familie bauen alle Frauen – Großmutter, Mutter und Tochter – an „mannfreien Zonen”. Ihr System ist ebenso geschlossen wie das patriarchale. Während der Vater ein neues Haus hinstellt, zeichnet Lene ihre Bilder in die schmutzigen Fenster des alten: „Der Fensterstaub war eine Schutzschicht, ein Sichtschutz. ” Dass der Neubau unfertig bleibt, das alte Haus abgerissen wird, ist keineswegs ein Ende der Familienbande. Erst der Tod der Mutter bewegt die Tochter. „Wie Renate”, meinen die Tanten bei der Beerdigung. „Ich nicht”, denkt Lene, und im letzten Satz des Romans geben die Tanten nach: „Renate war anders. ”
Was nun. Etwas Neues. My Mother Myself heißt ein Buch, das Frauen Anfang der achtziger Jahre unbedingt gelesen haben mussten. Der Ausstieg aus Familienidentitäten schien eine dramatische Notwendigkeit, damals. Jetzt erscheint er als verstecktes Drama. Freudlos.
MONIKA SCHATTENHOFER
ANKE VELMEKE: Luftfische. Roman. Verlag C. H. Beck, München 2000. 156 Seiten, 34 Mark.
Fröhlicher als ihr Erstlingsroman: Anke Velmeke
Foto: Albert Linsenmeier
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2000

Luftfisch an der Angel
Anke Velmeke sucht ihr Debüt · Von Thomas Wirtz

Nach dem Untergang der kampfwütigen Feudalheroen hätte die Literatur friedfertiger und ein bisschen langweilig fortgelebt, wäre sie nicht auf die Kleinfamilie gestoßen. Hier eröffnete sich ein Schauplatz konzentrierter Konflikte, in dem die ehemals vielköpfigen Schlachten in kleinerer Besetzung wieder auferstanden. Dabei hatte der Vernichtungswille durch die bürgerlich beschränkte Kulisse nichts an Intensität verloren, im Gegenteil. Es war gerade die Nähe am Frühstückstisch, die der Selbstbeherrschung zusetzte und den Morgengruß zur Kampfansage machte. Zwischen Marmelade und Kaffee wiederholte sich die frühere Einsicht, dass nichts grausamer als der Krieg unter Bekannten war.

Auch der Debütroman von Anke Velmeke erkundet dieses Schlachtfeld des unfriedlichen Lebens, wo die Freiheit gegen furnierte Schrankwände anläuft. Übersichtlich verlaufen die Fronten: Die Mutter hat sich aus dem Leben in die Pantoffel und den Geist des Amselfelder zurückgezogen. Ihr Traum vom Glück hat sich am Alltag verbraucht und in den Rauch der unauslöschlichen Zigarette verwandelt. Blind wie ihre Fensterscheiben ist die Wut, die sie in stiller Apathie gegen sich selbst kehrt. Bevor sie am Ende wirklich stirbt, probt sie lange den unklinischen Tod.

Ihr Mann ist Dachdecker, Vater der "Luftfische" und eine gut funktionierende "Wutmaschine". Es bedarf nur eines falschen Wimpernschlags, um ihn ausrasten zu lassen. Dann entfremdet er alles Handgreifliche zum Prügelinstrument, erprobt den Zollstock auf Kinderrücken. In der Not behilft er sich mit Tritten. Von ihm geht der Schrecken überraschender Gewalt aus. Auch die lebenslange Gemeinschaft in der Wohnzelle macht nicht vorhersagbar, wann die Gnade seiner Gleichgültigkeit in schmerzende Aufmerksamkeit umschlägt. Diese Unberechenbarkeit ist die Waffe des Tyrannen. Sie macht das Lauern auf die kleine Geste notwendig, sorgt für unterlassene Begegnungen im Wohnungsflur und garantiert eine Beobachtung, wie sie intimer auch unter Liebenden nicht sein kann.

Die dreizehnjährige "Lene war die einzige, die sich je gewehrt hatte". Der eine Tritt gegen den tretenden Vater schafft einen Respekt, der im anschließenden jahrelangen Anschweigen befestigt wird. Lene ist die Familienwiderständlerin, biologisch gerechtfertigt durch den Quersinn der Pubertät und moralisch unterstützt durch die Sorge für ihre jüngeren Brüder. Den Rückzug ihrer Eltern büßt sie mit vorzeitigem Altern. Anke Velmeke begleitet diese Heldin mit distanzierter Achtung. Für den Sicherheitsabstand zwischen Sympathie und Kunst haben ihre "Luftfische" einen bemerkenswert originellen Ton gefunden, ein Fabulieren im Unfertigen, eine Erzähllust dort, wo das rhetorisch Versierte sich ans Unbeholfene heranwagt: "Mittags waren die Pommes so gelb und goldig-goldgelb, fettschimmernd, mit durchscheinenden Salzkristallen besetzt, daß sich Mann, Frau und Kinder, also überhaupt alle, einander bis auf Tischbreite näherten und hinsetzten auf die Stühle, die ja bereits da waren, und mit spitzen Eßwerkzeugen hineinstachen, die Kartoffelquader also aufspießten, sortierten, nach Größe, Färbung, Form, oder aßen oder zu Prozessionen aufreihten, die sich spiralförmig auf die Mitten der Teller zubewegten."

Es ist der Wagemut des Schiefen und die kontrollierte Verfehlung, die aus dem tiefgefrorenen Mittagessen Requisiten einer Experimentalbühne macht. Da werden Dinge ebenso aufgereiht wie Worte, Satzglieder spielen miteinander unbekümmert um den Anschluss. Aus diesen Familienresten baut sich eine Syntax auf, die um Harmonie unbesorgt ist und die Verbote der Grammatik als Einladung begreift. Auffällig ist die wiederkehrende Figur des Zeugma, des verbsparenden und falschen Anschlusses: Lene hatte "alles vom Mann, also Pech". Was ein Kalauer zu sein scheint, ist Bruch der Familienordnung und zugleich abenteuernder Ersatz, ein Satzhüpfen, das sich Freiheit vorbehält.

Anke Velmeke übersieht Psychologie notorisch. Lenes Ferne wiederholt sich als Form: Diese ist grundsätzlich unwehleidig. Dass Lene am Ende Landvermesserin wird, macht die Ecken und Kanten des Erzählens zum Kalkül. Zum Spielen gehört das mutwillige Zerbrechen, das Hinwenden und Herdrehen der Sprache in der Neugier auf ihre Belastbarkeit. Auch Anke Velmeke wagt den Absturz. Wenn eine Kirchturmkugel so "omnipräsent wie Omis und Omnibusse" im Blick steht, ein "Tanz auf Distanz" der schönste ist, dann gleicht dies einem beidfüßigen Springen in die Sprachpfütze. Dieser Übermut verbündet sich mit dem spätkindlichen Freiheitsdrang seiner Heldin. Velmeke glücken in dieser scheinbaren Sorglosigkeit um den Sprachanstand überraschende Bilder, die Lenes Widerstand bewahrheiten. Ihr Ausbruch aus dem Wohnzimmer der brutalisierten Konventionen wird durch die Form vorbereitet: Hinter der Vielfalt wechselnder Metaphern bleibt der Reichtum väterlicher Prügel zurück.

Die Aufmerksamkeit für den Nahgegenstand drängt die Romanhandlung in den Hintergrund. So wird der dreiteilige Aufbau der "Luftfische" weniger durch das Geschehen als durch seinen Rhythmus bestimmt. Die porträtierenden Episoden des ersten Teils verlangsamen sich im zweiten, einem Camping-Urlaub an der Nordsee. Die Enge des Wohnwagens verschärft den Artenkampf im familiären Biotop, Lene bricht in die beherrschte Willkür einer Liebelei aus.

Der dritte Teil schließlich rafft mehrere Jahre zu einem Zerfall zusammen: Der Vater reanimiert seinen Körper an verschiedenen Geliebten, die Mutter löscht ihren im tödlichen Husten aus und Lene verlässt das gemeinsame Leben. Dass sie den Absprung geschafft hat, bescheinigt ihr die Verwandtschaft unfreiwillig beim Begräbnis: Anders sei sie als ihre verstorbene Mutter. Man muss das Urteil als Versprechen verstehen.

Anke Velmeke: "Luftfische". Roman. C.H. Beck Verlag, München 2000. 157 S., geb., 34,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In einer ziemlich deskriptiven, kaum wertenden Kritik schafft sich Monika Schattenhofer diesen Roman vom Halse, der sie in seiner "nervenden Intensität" der Beschreibung und in der Beziehungslosigkeit seiner Figuren irgendwie doch fasziniert zu haben scheint. Eindringlich schildert die Rezensentin jedenfalls, wie Mutter, Kinder und Vater im nordrhein-westfälischen Kleinbürgermilieu der siebziger Jahre aneinander vorbeileben und am Ende der Fernseher als das sensibelste Familienmitglied dasteht. Aber Schattenhofers abschließendes Urteil über den Roman ist kurz: "Freudlos."

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