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Wer kennt sie nicht, die 'egoistischen Gene', die wahren Herrscher der Natur und Dirigenten der Evolution. Doch auch wenn kein Zweifel an ihrer zentralen Rolle in der Evolution besteht, so mehren sich doch die kritischen Stimmen aus der Biologie, die die Theorie vom Egoismus der Gene für extrem einseitig und überdies in ihrem sozialpolitischen Folgerungen für gefährlich halten. Das Buch von Steven Rose ist nicht nur die massive Kritik einer bedenklichen Entwicklung unseres Verständnisses der Lebensprozesse, sondern bietet überdies eine eindrucksvolle Alternative für all diejenigen, die sich…mehr

Produktbeschreibung
Wer kennt sie nicht, die 'egoistischen Gene', die wahren Herrscher der Natur und Dirigenten der Evolution. Doch auch wenn kein Zweifel an ihrer zentralen Rolle in der Evolution besteht, so mehren sich doch die kritischen Stimmen aus der Biologie, die die Theorie vom Egoismus der Gene für extrem einseitig und überdies in ihrem sozialpolitischen Folgerungen für gefährlich halten. Das Buch von Steven Rose ist nicht nur die massive Kritik einer bedenklichen Entwicklung unseres Verständnisses der Lebensprozesse, sondern bietet überdies eine eindrucksvolle Alternative für all diejenigen, die sich mit dem Ultra-Darwinismus eines Richard Dawkins und der Reduktion der Biologie auf die Genetik schon immer unwohl fühlten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2000

Vor Aktienkäufen wird gewarnt
Wider das Deutungsmonopol der Darwinisten: Steven Rose glaubt nicht an die Allmacht der Gene

Wie verarmt die deutsche Debatte über die Gen- und Biotechnologie oder über die Einflüsse von Biologie und Umwelt auf die Entwicklung des Menschen ist, offenbarte sich anlässlich der Kontroverse um Peter Sloterdijks Menschenpark-Essay: Philosophen und Sozialwissenschaftler blieben weitgehend unter sich und bezogen sich vor allem auf bekannte literarische Modelle wie Mary Shelleys "Frankenstein" oder Aldous Huxleys "Schöne neue Welt". Nirgendwo findet man aber technische Begriffe wie Heritabilität, additive genetische Varianz oder Epistase, die einige Aspekte dieser Diskussionen mitbestimmen müssten.

In den Vereinigten Staaten und in Großbritannien hingegen beteiligen sich einige Wissenschaftler an dieser Debatte, die auch von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Am medienwirksamsten, aber nicht unbedingt repräsentativ für den wissenschaftlichen Konsens sind radikale Deuter des Darwinismus wie Richard Dawkins, Daniel Dennett und Edward O. Wilson, die man als Wegbereiter einer genzentrierten Sichtweise des Menschen bezeichnen kann. Auch in den Reihen der Fachbiologen regt sich jedoch Widerspruch gegen eine allein auf Gene ausgerichtete Sicht. Der britische Biochemiker und Neurobiologe Steven Rose gehört neben den beiden Amerikanern Richard Lewontin und Stephen Jay Gould zu den radikalen naturwissenschaftlichen Dissidenten, die eine pluralistische Betrachtungsweise durchsetzen und die deterministische Macht der "egoistischen Gene" in ihre Schranken weisen wollen.

Steven Roses schon vor drei Jahren in Großbritannien unter dem Titel "Lifelines" (man könnte es mit "Lebensläufe"übersetzen) erschienenes Buch hat zwei Gegner: den genetischen Determinismus und den Reduktionismus in der Biologie und Medizin. Diese beiden Doktrinen zeigten sich, so Rose, in den verbreiteten Vorstellungen von der Evolution und der Individualentwicklung: Nur Gene gäben dem Leben Kontinuität. Das Genom enthalte den Plan für den Organismus, der in jeder Generation bis auf wenige zufällige Änderungen getreu kopiert werde, und die Umwelt stelle nur das Material für den Bau des Organismus zur Verfügung. Zwischen den Merkmalen eines Organismus und den Genen gebe es also eine Eins-zu-eins-Beziehung: Gene bestimmten körperliche und geistige Merkmale, die damit reduzierbar auf genetische Merkmale seien.

Rose stellt diese Zweiteilung zwischen Genotyp und Phänotyp in Frage: Ein "Lebenslauf" beschreibt, wie ein Organismus sich selbst in Raum und Zeit konstruiert und in einem dynamischen Gleichgewicht am Leben zu halten versucht. Gene sind in Roses Blickwinkel lediglich eines von vielen Werkzeugen, die Lebewesen benutzen, um diese Aufgaben von Bau und Erhaltung zu erfüllen. Die Gene bestimmten nicht die Entwicklungsreise eines Lebewesens, sondern sie sorgten für eine gewisse Stabilität und gleichzeitig für die Fähigkeit, plastisch auf unvorhersehbare umweltbedingte Zufälle angemessen zu reagieren. Auch sei die Trennung von auslesender Umwelt und ausgelesenem Organismus zu überwinden. Organismen befänden sich in einer stetigen Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Durch die Wahl des Lebensraumes, durch die Ausscheidung von Nährstoffen, Sauerstoff, Metallionen und Signalmolekülen veränderten sie ihre Umwelt dauerhaft. Auch die Umwelt erfahre evolutiven Wandel, nicht nur die Organismen.

Steven Roses Diagnose ist aber nur zum Teil richtig, seine Therapievorschläge unklar oder zu unbestimmt. Berechtigt sind seine heftigen Angriffe auf die Verhaltensgenetik, die uns mit einer völlig unzulänglichen Methodik glauben lassen möchte, dass Merkmale wie Intelligenz, Religiosität oder die Einstellung zur Todesstrafe erblich sind. Rose illustriert seine alternative Betrachtungsweise mit einer Vielzahl von aktuellen Beispielen aus der Genetik, Entwicklungs- und Neurobiologie. Er steht dabei mit beiden Füßen fest auf dem Boden der etablierten Wissenschaft. Damit schwächt er allerdings ein wenig seine angeblich so revolutionäre Position: Viele der Erkenntnisse, von denen Steven Rose Gebrauch macht, sind die Erzeugnisse sich selbst als reduktionistisch beschreibender Forschungsprogramme. Die Praxis der biologischen Grundlagenforschung ist aber wahrscheinlich weit weniger reduktionistisch und deterministisch, als Rose und die Selbstdarstellung der Wissenschaft vermuten lassen.

Die meisten Wissenschaftler beschreiben sich selbst als Reduktionisten, aber wohl nur, um nicht mit Vitalisten und Holisten in einen Topf geworfen zu werden. Sowohl Rose als auch Dawkins und Dennett und die Mehrzahl der praktizierenden Wissenschaftler kann man vielleicht besser als "Mechanisten" bezeichnen. Ein mechanistisches Forschungsprogramm ist in einem trivialen Sinn reduktionistisch: Ein Ganzes - handle es sich um ein Ökosystem, einen Organismus oder eine Zelle - ist aus Teilen zusammengesetzt. Diese Teile erhalten ihre Identität und ihre Funktion aber nur im Hinblick auf das Ganze: Ein Eiweißmolekül ist nur ein Hormon im Kontext eines Organismus. Mechanisten nehmen also nicht an, dass Ursachen nur in eine Richtung, von den Teilen zum Ganzen, wirken. Dabei wird die Existenz geheimnisvoller, ganzheitlicher Kräfte natürlich ausgeschlossen.

Doch auch beim Determinismus ist das von Rose gezeichnete Bild unscharf. Weder Richard Dawkins noch andere Soziobiologen, die ernst genommen werden wollen, glauben, dass nur Gene unser Schicksal bestimmen. Unsere Gestalt und unser Verhalten sind das Ergebnis einer komplexen Wechselwirkung von Genen und Umwelt. Dawkins und seine Mitstreiter konstruieren ihr Bild vom Leben aber so, dass genetische Faktoren in der Evolution und in der Individualentwicklung zu privilegierten Ursachen werden, da angeblich nur sie intakt von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden.

Rose zweifelt diese privilegierte Rolle der Gene an. Dies ist ein notwendiges und überfälliges Unterfangen, und Rose geht diese Aufgabe auf eine informative und lesbare Weise an. Und vielleicht ist auch die damit verbundene Polemik notwendig, die den Abstand zwischen Rose und Dawkins überzeichnet. Die von Rose als Ultra-Darwinisten bezeichneten genfixierten Wissenschaftler zeichnen sich zwar nicht gerade durch einen gemäßigten Ton und eine tolerante Behandlung von "Abweichlern" aus, sind aber in ihrer Argumentation subtiler, als Rose es glauben lässt. Man mag diese Polarisierung und Radikalisierung in der Debatte bedauern, aber die Argumente werden zum Glück nicht auf einen Nebenschauplatz verbannt oder mit einem Tabu belegt.

THOMAS WEBER

Steven Rose: "Darwins gefährliche Erben". Biologie jenseits der egoistischen Gene. Aus dem Englischen von Susanne Kuhlmann-Krieg. Verlag C.H. Beck, München 2000. 363 S., 46 S/W-Abb., geb., 58,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Thomas Eckardt kann sich mit diesem Buch nicht wirklich anfreunden. Zunächst erläutert er, dass sich Rose hier gegen Richard Dawkins und dessen Thesen von biologischem Determinismus wendet, die er für rassistisch hält und die seiner Ansicht nach auch soziale Komponenten nicht ausreichend berücksichtigen. Im Gegensatz dazu vertrete Rose mit seinem Begriff der `Homöodynamik` eine These von der Wechselwirkung zwischen biologischen und sozialen Aspekten. Eckardt betrachtet diese Behauptungen sehr kritisch und tendiert zu Richard Dawkins Ansicht, dass es sich bei Roses Thesen um eine "überschätzte, romantische Phantasie" handelt und bestreitet, dass sich natürliche Selektion von "langfristigen Zukunftsaussichten leiten" lässt. Rose selbst weist zwar den Vorwurf, er sei ein "Antidarwinist oder New-Age-Mystiker" zurück. Dennoch: Roses Optimismus, dass der Mensch die Möglichkeit habe, die "eigene Zukunft zu schaffen" gerade weil sie für "lebende Organismen `radikal unvorhersehbar`" sei, kann der Rezensent in keiner Weise nachvollziehen.

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