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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Beck Juristischer Verlag
  • Seitenzahl: 505
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 806g
  • ISBN-13: 9783406454875
  • ISBN-10: 3406454879
  • Artikelnr.: 31290666
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2000

Das Neue nicht ablehnen, aber ernsthaft prüfen
Aufsätze des Strafrechtskommentators und ehemaligen Landgerichtspräsidenten Herbert Tröndle

Herbert Tröndle: Antworten auf Grundfragen. Ausgewählte Beiträge eines Strafrechtskommentators aus drei Jahrzehnten. Herausgegeben von Walter Odersky. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1999. X, 505 Seiten, 258,- Mark.

Durch seinen regelmäßig erneuerten Strafrechtskommentar ist Tröndle in der Juristenwelt bekannt. Begründet von Otto Schwarz, wurde der Kommentar von Eduard Dreher fortgesetzt. Dessen Aufgabe übernahm 1976 Tröndle. Nach seiner noblen Art beließ er dem Namen Dreher den ersten Platz. Erst die 48. Auflage von 1997 zeichnete er allein. Als Landgerichtspräsident im Ruhestand hatte Tröndle in dem Kommentar eine fordernde Aufgabe gefunden. Die jüngste, 49. Auflage von 1999 nennt bereits den Namen des Mitautors und Nachfolgers. Es ist Thomas Fischer, der seit 1. Juli Richter am Bundesgerichtshof ist.

Neben dem Kommentar gibt es zahlreiche Äußerungen Tröndles in Fachzeitschriften und Sammelbänden; sie wirken lebendig wie die Vorstudien eines Malers. Eine kleine Auswahl ist nun veröffentlicht. Dabei zeigt sich, daß die breiter angelegte, oftmals der unmittelbaren Aktualität verdankte Erörterung den notwendig verknappten Erläuterungen im Kommentar selbständig an der Seite steht. Die Einzelarbeiten zeigen neben der Vielfalt der Interessen des Autors auch eine überraschende Aktualität. Sie belegen seine Fähigkeit, Neues unbefangen zu überdenken, was nach herkömmlichen Begriffen von einem als "konservativ" geltenden Autor nicht erwartet wird.

Die langjährige Erfahrung Tröndles als Strafrichter ist eingegangen in einen Aufsatz, der vom Umgang des Gerichts und der Staatsanwaltschaft mit dem Angeklagten handelt. Fern von modischem Psychologisieren mahnt Tröndle zur Bescheidenheit, widerrät einem Richterauftritt im Gefühl der Überlegenheit. Das von der Moderne gebotene "Rechtsgespräch" verdeckt oft eine neue Form des Hochmuts des Menschen, der richtet. Die menschliche Eitelkeit ist die erste Untugend, die der Richter in sich bekämpfen muß.

Ein Thema Tröndles ist die Grenze zwischen Leben und Tod. Die Stichworte: rechtliche Regelung und Einordnung von Sterbehilfe und Abtreibung. Tröndle zeigt den Zwiespalt zwischen einer sich "modern" nennenden Medizin und den ethischen Grenzen, die letztlich aus der Sterblichkeit des Menschen folgen. Was die Abtreibung angeht, vertritt er, ohne Polemik, einen festen Standpunkt. Mehrere Aufsätze handeln von der - 1974 in Gang und 1995 zum (vorläufigen?) Ende gekommenen und vom Bundesverfassungsgericht beeinflußten - Gesetzgebung. Die Arbeiten Tröndles erlauben es, das Werden dessen nachzuvollziehen, was sich unter dem verharmlosenden und von Tröndle getadelten Wort "Abtreibungsrecht" darbietet. Tröndle übt Kritik an dem Verfassungsgerichtsurteil vom 28. Mai 1993, das die Fristenregelung - das Thema war mit der deutschen Vereinigung wieder auf die Tagesordnung gekommen, weil sie in der DDR faktisch schrankenlos galt - akzeptierte (anders als das Urteil von 1975). Der Gesetzgeber wurde freilich zu einigen Korrekturen gezwungen.

Das geltende Recht zur Abtreibung erscheint Tröndle unbefriedigend. Der wichtigste Grund ist, daß der Gesetzgeber Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beiseite gelassen hat, etwa die Forderung, daß das "Umfeld" der Schwangeren durch Strafdrohung in die Verantwortung genommen werden müsse. Weiter hat der Gesetzgeber die vom Verfassungsgericht geforderte Ausgestaltung der (einer Fristenabtreibung zwingend vorgeschalteten) Beratung als auf die Erhaltung des Lebens hin orientiert nicht verwirklicht. Das beginnt bei dem (aus "liberalen" Rücksichten folgenden) Verzicht darauf, die Schwangere zur Mitwirkung bei der Beratung durch Rede und Antwort zu verpflichten. Tröndle mißbilligt auch, daß die "embryopathische Indikation" (gerechtfertigter Schwangerschaftsabbruch wegen zu erwartender schwerer Behinderung des Kindes) in der Unbestimmtheit einer allgemein medizinisch-sozialen Indikation untergegangen ist - mit der Folge, daß Spätestabtreibungen nicht nur straflos, sondern rechtmäßig sind.

Die Berichte darüber mehren sich, daß bei einer Spätabtreibung lebensfähige Kinder zur Welt kommen, die dann, weil sie "nicht zum Leben bestimmt" waren, "liegengelassen" werden, bis sie sterben. Für diese Vorgänge hat die Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin Worte wie "grauenhaft" gefunden, aber keine Gesetzesänderung in Aussicht gestellt. Vielmehr sähe sie es gern, wenn das - hierfür unzureichende - ärztliche Standesrecht Vorkehrungen träfe. Tröndle kommt zu dem Ergebnis, daß das allerseits in den Vordergrund gerückte Ziel des Gesetzes, das Leben besser zu schützen, nicht erreicht worden ist.

Widersprüche in dem Urteil von 1995, unzureichende Umsetzung durch den Gesetzgeber, die versäumte Nachbesserungspflicht und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 1998 über die Abtreibungskliniken in Bayern legen den Gedanken nahe, eine neue verfassungsgerichtliche Prüfung des Gesetzes von 1995 herbeizuführen. Die Bayerische Staatsregierung hat den Göttinger Staatsrechtslehrer Christian Starck um ein Gutachten über mögliche Ansatzpunkte gebeten.

In einem Aufsatz aus dem Jahre 1996 wendet sich Tröndle dem bis heute aktuellen Thema des Verhältnisses des Bundesverfassungsgerichts zu den Fachgebieten zu. Er erörtert dies an einzelnen Beispielen wie der Sitzblockaden-Rechtsprechung des Gerichts, an die sich (ohne vom Verfassungsgericht bisher desavouiert zu werden) der Bundesgerichtshof nicht streng gehalten hat. Tröndles Aufsatz beruht auf der Frage, zu wie kleiner Münze das Verfassungsrecht ohne Schaden für seinen Anspruch, die "rechtliche Grundordnung des Staates" zu sein, geschlagen werden darf. Wenn jede Gebührenvorschrift unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsgrundrechts, jede Wohngeldregelung nach den vagen Forderungen des "Sozialstaats" gemessen wird, zerfließt die Verfassung. Mit seinem Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit, die zur Einzelfallentscheidung führt, gerät das Gericht in die vielbeklagte Überlastung, die der Auswahl der Anlässe seiner Judikate nicht selten den Charakter des Zufälligen verleiht.

Dicht beim Aktuellen ist ein Aufsatz von Tröndle aus dem Jahre 1975, der von den Rechtsmitteln im Strafverfahren handelt. Die jetzige Bundesjustizministerin strebt hier eine Reform als einen zweiten Schritt nach der auf den Weg gebrachten, lebhaft umstrittenen Erneuerung des Zivilprozesses an. Tröndle macht deutlich, daß die Reformbemühungen bis in das letzte Drittel des vorvorigen Jahrhunderts zurückreichen. Er erkennt in vielen Punkten die Vertretbarkeit (nicht die Unumgänglichkeit) einer Reform an, meldet aber Zweifel an. Sie gelten vor allem der Absicht, das Rechtsmittel der Berufung einzuschränken. Die Rechtsprechung der ersten Instanz zu verbessern hält Tröndle für wünschenswert. Ein Praktiker wie er sieht aber in einer Zurückdrängung der Berufung die Gefahr, daß ein Antrieb zur Qualität, dem die erste Instanz durch die schiere Existenz der Berufung unterliegt, geschwächt werden könnte.

Auch hier zeigt sich Tröndle als ein Konservativer, der das Neue nicht rundheraus ablehnt, es aber einer ernsthaften Prüfung darauf unterzogen sehen möchte, ob es eine Verbesserung bringt. Daran, daß die Rechtsordnung, daß die Rechtsprechung das Böse aus der Welt schaffen könnte, glaubt der pragmatische Optimist Tröndle ohnehin nicht.

FRIEDRICH KARL FROMME

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Friedrich Karl Fromme erläutert zunächst, dass es sich hier um eine Zusammenstellung aus dem Strafrechtskommentar Tröndles und zahlreichen Beiträgen in Fachzeitschriften u. ä. handelt. Dabei hebt der Rezensent nicht nur die thematische Vielfalt hervor, sondern betont auch die "überraschende Aktualität" sowie die Unvoreingenommenheit Tröndles, mit der er sich Neuem gegenüber aufgeschlossen zeige. Inhaltlich hebt Fromme besonders Tröndles Mahnungen an Richter hervor, sich nicht zu Überheblichkeit und Hochmut gegenüber Angeklagten hinreißen zu lassen sowie seine Überlegungen zu den Themen Euthanasie und Abtreibung. Gerade bei den gesetzlichen Regelungen zur Abtreibung sehe Tröndle nach wie vor Handlungsbedarf, zumal die jetzige Regelung auch Spätabtreibungen erlaubt, bei denen nicht selten lebensfähige Kinder zur Welt kommen, die ihrem Schicksal überlassen bleiben - also sterben. An anderer Stelle erläutert Fromme Tröndles Überlegungen zur Einzelfallgerechtigkeit, die nach dessen Ansicht nicht nur zur Überlastung der Gericht führt, sondern "nicht selten den Charakter des Zufälligen" trägt. Deutlich wird nach Ansicht des Rezensenten, dass Tröndle zwar zu den "Konservativen" zu zählen ist, jedoch Neuem gegenüber stets aufgeschlossen ist - sofern er eine wirkliche Verbesserung erkennen kann. Dies bezieht sich auch auf seine Einstellung zu zahlreichen Reformen der jetzigen Bundesregierung.

© Perlentaucher Medien GmbH
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