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  • Gebundenes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Beck
  • 1999.
  • Seitenzahl: 570
  • Deutsch
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 968g
  • ISBN-13: 9783406453441
  • ISBN-10: 3406453449
  • Artikelnr.: 08204946
Autorenporträt
Stefan Troebst, Historiker und Slavist, ist Professor für Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig und stellvertretender Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO). Sein Arbeitsgebiet ist die moderne Geschichte Europas mit Schwerpunkten auf Südost-, Ostmittel- und Nordosteuropa.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.1999

Was kommt nach der Balkanisierung?
Südosteuropa: Ein Handbuch mit Aufforderung zum Handeln

Magarditsch Hatschikjan, Stefan Troebst (Herausgeber): Südosteuropa. Ein Handbuch. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. C. H. Beck Verlag, München 1999. 570 Seiten, 78,- Mark.

Der Kosovo-Krieg ist vorüber. Das akute Elend von Vertreibung und Mord ist gestoppt. Jetzt wird die langfristige Stabilisierung der Gesamtregion zur vordringendsten Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft werden müssen. Zeit also, einen tieferen Blick auf die sozialen, politischen und kulturellen Wurzeln Südosteuropas zu werfen. Das von Hatschikjan und Troebst herausgegebene Handbuch hilft dabei. Wer es gelesen hat, wird vieles von den Eigentümlichkeiten und Charakteristiken Südosteuropas besser verstehen. "Sich der Region in ihrer Gesamtheit anzunehmen, um ihrer inneren Vielfalt und Widersprüchlichkeit gerecht zu werden", das nennen die beiden Herausgeber - Hatschikjan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stifung, Troebst ist Privatdozent für Ostund Südosteuropäische Geschichte an der Freien Universität Berlin - das Hauptziel des Handbuchs. Die Darstellung ist keine Aneinanderreihung von Länderbeispielen, sondern an Sachthemen orientiert und einer Gesamtschau der Region verpflichtet.

Was macht die Besonderheit dieser Region aus, die in Westeuropa gerne mit dem Begriff "Balkan" belegt wird? Hier gehen die 21 überwiegend deutschen Autoren weit in die mittelalterliche Geschichte zurück. Charakteristisch für Südosteuropa sei neben der ethnischen und sprachlichen Vielfalt vor allem das Aufeinandertreffen der drei großen Weltreligionen Christentum, Islam und Judentum gewesen. Zudem trennte das Schisma von 1054 die Region in einen südöstlichen orthodoxen Teil und in einen nordwestlichen römisch-katholischen Teil. Hinzu gekommen sei die hegemoniale Einwirkung von außen. Große europäische Reiche wie das Osmanische Reich, Österreich-Ungarn und Russland haben jahrhundertelang um die Vorherrschaft in Südosteuropa Kriege geführt. Kriege, die stets Vertreibungen und Massaker mit sich brachten.

Die durchweg pejorative Wahrnehmung des Balkans im Westteil des Kontinents, seine Gleichsetzung mit wirtschaftlicher und sozialer Rückständigkeit und mit archaischer Gewalt sei, so die Autoren, bis heute bestimmend geblieben. Pulverfass, Krisenregion, Unruheherd - Begriffe, die schon in der frühen Neuzeit geläufig waren und angesichts der Gewaltausbrüche im Gefolge der Auflösung Jugoslawiens heute wieder die Debatte dominieren. Zwar warnt Wolfgang Höpken in seinem Beitrag über das Staatensystem davor, sich den Blick auf die Gesamtregion durch die Kriege im früheren Jugoslawien trüben zu lassen, doch alles in allem bleibt der Eindruck haften, dass Südosteuropa noch immer nicht "zu sich gefunden" habe. Bisher, so stimmen die Autoren überein, habe sich in der Geschichte Südosteuropas keine tragfähige, dauerhafte und stabile Form staatlicher Ordnung herausbilden können: weder in Form der Vielvölkerstaaten des 19. Jahrhunderts noch der autoritären Republiken und Monarchien der Zwischenkriegszeit, noch der kommunistischen Parteiregime nach 1945.

Ob die moderne "Balkanisierung" eine Lösung darstellt, bleibt fraglich. Eines aber ist unbestritten: Nationalismus in Südosteuropa gefährdet die gesamte Region mit ihrem schier unentwirrbaren Gemenge der Nationalitäten. Nirgendwo sind Staatsvolk und Staatsterritorium identisch. Die Politik, ethnisch homogene Staatsgebilde zu schaffen, wird seit Beginn der neunziger Jahre meist mit repressiven Mitteln betrieben. Welche Sprengkraft sie besitzt, wird beispielsweise am Kosovo-Problem sichtbar. Entließe man das Kosovo aus der Bundesrepublik Jugoslawien, dann könnte die ehemals südserbische Provinz zur Keimzelle eines großalbanischen Nationalismus werden, der die Nachbarstaaten Mazedonien und Montenegro mit ihren albanischen Minderheiten, ja selbst Bulgarien und Griechenland destabilisieren könnte. Im von Hatschikjan und Troebst herausgegebenen Buch wird deutlich, dass in der Region Konflikte schlummern, die, so die Warnung der Autoren, jederzeit wieder erwachen können, wenn nicht endlich die Staatengemeinschaft ein Integrationsangebot für die Region als Ganzes ausarbeite.

HANS CHRISTOF WAGNER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.03.2000

Tiefenstruktur
Solidarität ist angesagt:
ein Handbuch für Südosteuropa
Die offensichtlichen und scheinbaren Umbrüche in Südosteuropa und besonders die Kriege auf dem Gebiet Tito-Jugoslawiens (1945–1991) und ihre bis in die Gegenwart teils unverstandenen Ursachen und größtenteils unbewältigten Folgen haben in der deutschsprachigen Öffentlichkeit ein starkes Echo gefunden. Dass ihre Darstellung in weiten Medienbereichen verstümmelt und auch verfälscht war und ist, liegt wohl nicht nur an der verständlichen Betroffenheit, die zu schneller Stellungnahme drängte, sondern auch an politisch einseitigen Zielvorstellungen, oft aber auch an Unwissenheit über eine europäische Region, die in ihrer Vielfalt nicht nur für Außenstehende verwirrend ist.
Diese Vielfalt Südosteuropas – am ehesten und mit der nötigen Flexibilität verstanden als ein balkanisches Kerngebiet mit nordwestlichen Übergangsgebieten – ist historisch, konfessionell, ethnisch, sprachlich-kulturell und auch psychosozial bedingt, wobei diese Merkmale keineswegs immer gemeinsame Trennungslinien bilden, sondern sich – bei wenigen alten Reichsgrenzen mit oft friedlichem Nebeneinander, aber auch zahlreichen Kriegen und Zwangsmigrationen – oft überlagern. Der konfliktreichen Vielfalt an der Oberfläche – eine Art multipler Palimpsest – entsprechen so vielfältige Tiefenstrukturen, ohne deren genaue Kenntnis ein Verständnis nahezu unmöglich ist. Während es für einzelne Themenbereiche und einige südosteuropäische Staaten neuere zusammenfassende Darstellungen gibt, fehlt seit langem eine länderübergreifende Synopsis. Das vorliegende Handbuch, das die Ost- und Südosteuropa-Historiker Magarditsch Hatschikjan und Stefan Troebst mit einer Reihe von Fachkollegen erarbeitet haben, füllt nun diese Lücke. Es ist ein umfassendes, wissenschaftlich kompetentes, kritisch ausgewogenes und verständlich geschriebenes Sachbuch, das für jeden, der sich mit dieser Region gründlich vertraut machen will oder müsste, zur Pflichtlektüre gehören sollte.
Nach einer umsichtigen Einführung in die Problematik der möglichen geografischen und strukturellen Abgrenzungen und kulturräumlichen Gliederungen folgen historische Darstellungen: Zu- und Abwanderungen von Völkern und Völkerschaften, Christianisierung durch Rom und Byzanz, Islamisierung, Staatenbildungen und Kulturräume sowie die politischen Entwicklungen der Neuzeit, von einem Jahrtausend der Kultursynthese bei Fremdbestimmung bis zum wuchernden instrumentalisierten Nationalismus des vergangenen Jahrhunderts.
Es folgen Darstellungen der Modernisierungs- und Transformationsprozesse (Institutionen, Bildungs- und Verkehrspolitik, Industrialisierung, Staatsozialismus und seine halbherzige Überführung in einen Quasi-Liberalismus), der Entwicklung von Bevölkerungen und Sozialstrukturen samt Urbanisierung und Migrationen, der Kirchen und Religionsgemeinschaften (nachzutragen wären einst kryptochristliche Gruppen wie Poturen, Laramanen u. a. ) und der vielen Minderheiten (von Türken, Pomaken und Torbeschen über Aromunen und Megleniten bis zu Russinen, Roma, Gagausen usw. ) sowie der Nationalitätenpolitik bis in die Gegenwart. Reichhaltiges Material bieten die Kapitel zu den Verfassungs- und Staatssystemen (mit kritischer Darstellung des Zerfalls Jugoslawiens und der Bildung seiner Nachfolgestaaten), zu Außen- und Sicherheitspolitik sowie zu sozioökonomischen Transitionsproblemen. Die internen Diskurse z. B. über die Bewältigung der sozialistischen Vergangenheit oder die Annäherung an die EU werden dabei aber kaum berührt.
Einen letzten, außerordentlich wichtigen Block bilden Fragen der Kultur (die sog. Alltagskultur, Brauchtum, Folklore werden allerdings nicht behandelt). Die starke Verquickung von Sprache und Nation – bis zu Instrumentalisierung und Missbrauch von Sprache und Kultur für nationalistische Ziele – ist ein Merkmal Südosteuropas, das zwar nationale Sprach-Identität stiftet, aber immer wieder auch Minderheiten rücksichtslos ausgrenzt. Ein interessantes Beispiel ist das Aufgeben des Serbokroatischen durch Kroaten, Bosniaken und Serben zu Gunsten delimativer Nationalsprachen. Leider fehlt eine kritische, von gegenwärtigem Missbrauch unbeeinflusste Würdigung der wichtigsten Formen der mündlichen Überlieferungen (Legenden, Heldenepos, Lied) des zentralen Balkan; das Schlagwort vom „Wüten der Mythen” reicht nicht aus. Ein qualifiziertes Bildungswesen und eine unabhängige Medienlandschaft – so die abschließenden Beiträge – spielen eine entscheidende Rolle in der langfristigen Stabilisierung, sie scheinen am ehesten für Investitionen der EU geeignet.
Eine reichhaltige Bibliografie – eine wahre Fundgrube –, statistisches Material und ein sorgfältiges Register runden den Band ab. Also ein vorzügliches Handbuch, trotz einiger, bei 21 Autoren kaum zu vermeidender Wiederholungen und unterschiedlicher Gewichtungen. Einfache und direkte Handlungsanweisungen für Südosteuropa kann auch dieses Buch nicht liefern. Doch wenn es manchen in politischen, militärischen und wirtschaftlichen Kreisen praecipiter Handelnden zum Nachdenken und Verstehen anregte, wäre viel gewonnen. Nicht Subventionen allein oder gar Quasi-Protektorate, sondern geduldige, verständnisvolle Solidarität mit diesem Teil Europas ist angesagt.
PETER REHDER
MAGARDITSCH HATSCHIKJAN, STEFAN TROEBST: Südosteuropa. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur. Ein Handbuch. Verlag C. H. Beck, München 1999. XVII, 570 S. , 78 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

"In einer Doppelrezension empfiehlt Rolf Paasch zwei Handbücher, die sich mit der Geschichte des Balkans befassen. In beiden Bänden wird, wie er betont, Licht auf die Geschichte und Kultur dieser Gegend geworfen, was dazu beitrage, mit Vorurteilen und Klischees wie "Krisenregion" und "Pulverfass" aufzuräumen.
1.) Dunja Melcic (Hrsg.): "Der Jugoslawien-Krieg" (Westdeutscher Verlag)
Paasch räumt zwar ein, dass ihm die Beiträge dieses Buchs bisweilen ein wenig "voreingenommen" erscheinen, das bedeute jedoch nicht, dass es sich um eine einseitige Sichtweise handele. Zahlreiche Beiträge hebt er als besonders gelungen und aufschlussreich hervor, so beispielsweise Latinka Perovics Beitrag über Serbien bis 1918, Ivan Colovics Text über "Symbolfiguren des Krieges" oder Ivo Zanics Text über "Nationale Symbole zwischen Mythos und Propaganda". Großes Lob äußert er auch über Matthias Vetters "Chronik des Kosovo-Krieges", allerdings bedauert es Paasch, dass diese erst mit dem Jahr 1986 beginnt und nicht - wie er selbst es bevorzugt hätte - mit dem Jahr 1981. Insgesamt lobt er den essayistischen Stil der Beiträge, der nicht zuletzt zur guten Lesbarkeit des Bandes beitrage.
2.) Magarditsch Hatschikjan, Stefan Troebst (Hrsg.): "Südosteuropa" (C.H. Beck)
Nicht nur Jugoslawien, sondern ganz Südosteuropa steht im Blickfeld der Autoren dieses Buchs, betont Paasch. Auch hier hebt der Rezensent einzelne Beiträge gesondert hervor, so zum Beispiel Troebsts Text über die "Politische Entwicklung der Neuzeit", in der der Autor den Nationalismus in der Region vor allem mit dem misslungenen Anschluss an die Moderne begründet. Insgesamt lobt der Rezensent, dass in dem Band Aufschluss über die politischen, kulturellen und gesellschaftlichen "Bedingungen, Kräfte und Strukturen" der Region gegeben wird. Lediglich der trockene Wissenschaftler-Duktus in der Darstellung stört ihn ein wenig.

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