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Im Zentrum von Grafs Tätigkeit in Ulbrichts Büro standen Fragen des Staatsaufbaus und der sozialistischen Demokratie, der Verfassung und der Gestaltung der DDR-Gesellschaft. Das Resultat war die Entwicklung eines Reformkonzeptes des Sozialismus in den 60er Jahren, des einzigen realistischen zwischen 1917 und 1990. Es führte zum Sturz Ulbrichts und damit auch zu dem von Herbert Graf. Seine an Ulbrichts Seite gesammelten Erfahrungen vermittelte er in den 70er und 80er Jahren unter anderem als Regierungsberater in Mocambique, Angola, Äthiopien und anderen Staaten auf drei Kontinenten. Herbert…mehr

Produktbeschreibung
Im Zentrum von Grafs Tätigkeit in Ulbrichts Büro standen Fragen des Staatsaufbaus und der sozialistischen Demokratie, der Verfassung und der Gestaltung der DDR-Gesellschaft. Das Resultat war die Entwicklung eines Reformkonzeptes des Sozialismus in den 60er Jahren, des einzigen realistischen zwischen 1917 und 1990. Es führte zum Sturz Ulbrichts und damit auch zu dem von Herbert Graf. Seine an Ulbrichts Seite gesammelten Erfahrungen vermittelte er in den 70er und 80er Jahren unter anderem als Regierungsberater in Mocambique, Angola, Äthiopien und anderen Staaten auf drei Kontinenten. Herbert Graf ist der langjährigste Mitarbeiter des ehemaligen Vize-Premiers und Staatsratsvorsitzenden der DDR, der noch Auskunft geben kann.
Autorenporträt
Herbert Graf, geboren 1930 und aufgewachsen in Egeln. Nach dem Studium an der Hochschule für Ökonomie in Berlin. Tätigkeit in der Regierungskanzlei, später Staatsrat bis zur Ablösung Walter Ulbrichts 1971. Promotion und Professur, Leiter des Lehrstuhls Staatsrecht junger Nationalstaaten an der Akademie für Staat und Recht in Potsdam-Babelsberg sowie Forschungs- und Lehraufträge in Afrika, Asien und Lateinamerika. Von 1990 bis 2000 Justitiar in der Berliner Kabelindustrie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2008

Mit Gedächtnislücken
Ehemaliger Staatskader retuschiert das Ulbricht-Bild

Walter Ulbricht war gar nicht so. Er war ganz anders. Kein Stalinist, kein intriganter Politbürokrat, kein machtbewusster Parteidiktator. In den Erinnerungen von Herbert Graf, der ein halbes Berufsleben lang in Ulbrichts Umfeld tätig war, erscheint sein ehemaliger Chef als sozialistischer Reformer, deutscher Patriot und aufrichtiger Freund der Sowjetunion - kurzum als ein "Politiker von besonderem Format", umstritten zwar, aber zeitlebens unterschätzt und oft dämonisiert. Wen sollen derlei Retuschen am historischen Ulbricht-Bild überzeugen? Der Autor, Jahrgang 1930, geboren und aufgewachsen in Westeregeln, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, gelernter Fleischer, nahm 1948 die Chance zu einem Studium an der Hochschule für Planökonomie in Berlin-Karlshorst wahr. Im selben Jahr der SED beigetreten, wurde er nach dem Examen 1954 Mitarbeiter im Sekretariat Ulbricht, und zwar in dessen Funktion als 1. Stellvertreter des DDR-Ministerpräsidenten, die der Erste Sekretär des ZK der SED damals gleichzeitig innehatte. Als sich der erste Mann der Staatspartei 1960 in Personalunion zum Vorsitzenden des DDR-Staatsrates hatte "wählen" lassen, arbeitete Graf ihm in der Kanzlei des Staatsrates zu - bis zu Ulbrichts Entmachtung. 1971 promovierte er und erhielt eine Professur für Staatsrecht junger Nationalstaaten an der Akademie für Staat und Recht in Potsdam-Babelsberg. Vor diesem biographischen Hintergrund verwundert es kaum, wenn der Autor seine Erinnerungen als Verteidigungsschrift verfasst und seine Erfahrungen und Erlebnisse durchaus kenntnisreich mit der von Ulbricht geprägten Politik der SED verschränkt. Er ist sich indes nicht zu schade, alte ideologische Ladenhüter der Partei feilzubieten. Zum Beispiel preist er die Wahlen in der DDR als "demokratisch", obwohl die Wahlberechtigten im Sinne einer alternativen Entscheidung niemals wählen, sondern lediglich einen Stimmzettel mit Einheitsliste abgeben durften. "Zettelfalten" hieß das in der DDR.

Oder, ein anderes Beispiel, er deutet die von Ulbricht durchgepeitschte Zwangskollektivierung der DDR-Agrarwirtschaft als freiwilligen Zusammenschluss zu landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, obwohl sie die Flucht Tausender Bauern aus der DDR provozierte und Pressionen bis hin zu Verhaftungen unter Bauern einschloss, wenn sie den Eintritt in die LPG verweigerten. Es ist unmöglich, im Rahmen einer Rezension die vielzähligen Behauptungen, bewussten Fehldeutungen, Halbwahrheiten und Legenden aufzuzeigen, die der Autor in seinem Buch auftischt. Es entspricht seiner Tendenz zum postdiktatorischen Geschichtsrevisionismus, wenn er den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes als "Anschluss der DDR an die BRD" begreift oder sich fälschlicherweise dagegen verwahrt, dass in Artikel 17 des Einigungsvertrages die DDR als "Unrechtsstaat" qualifiziert werde. Tatsächlich ist dort von "Unrechtsregime" die Rede, was juristisch einen Unterschied macht.

Dass Ulbricht entscheidend an der Errichtung ebendieses Unrechtsregimes in der DDR mitgewirkt hat, dass er rechtswidrig in politische Strafverfahren eingegriffen hat, dass er in den Geheimprozessen gegen Paul Merker oder Max Fechner oder gegen Oppositionelle wie Wolfgang Harich, Walter Janka, Heinz Brandt und andere eine fatale Rolle gespielt hat, dass Grafs Chef eigenhändig selbst Todesurteile veranlasst oder bestätigt hat - der Autor lässt das alles und mehr in seinen Memoiren ebenso unerwähnt wie den unsäglichen Personenkult, der in den sechziger Jahren in der DDR grassierte. Für Graf war Ulbrichts DDR "ein kleiner, aber ein solider, wirtschaftlich erstarkender, politisch geachteter deutscher Staat", der erst zugrunde ging, als Erich Honecker sein sozialistisches Erbe im Schulterschluss mit Leonid Breschnew verkommen ließ.

Es versteht sich, dass der Autor seine Erinnerungen zu einer prinzipiellen Kapitalismuskritik nutzt. Wie begründet sie auch sein mag, gerade angesichts der gegenwärtigen ökonomischen Krise - die Alternative, die er unter Rückgriff auf Marx und Lenin aufzeigt, verheißen keinen realistischen Ausweg. Graf unterfüttert seine Memoiren mit zahlreichen Zitaten aus Akten aus den Zentralarchiven der Staatspartei und der Staatssicherheit, die er selektiv auswertet. Der zeithistorische Erkenntniswert seines von linker Parteilichkeit durchtränkten Buches ist gering. Allenfalls gewährt es manche Einblicke in den Alltag eines ehemaligen DDR-Staatskaders und in sein politisches Selbstverständnis.

KARL WILHELM FRICKE

Herbert Graf: Mein Leben. Mein Chef Ulbricht. Meine Sicht der Dinge. Erinnerungen. Verlag Edition Ost, Berlin 2008. 542 S., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht anfreunden kann sich Rezensent Karl Wilhelm Fricke mit diesen Erinnerungen Herbert Grafs, einst Mitarbeiter im Sekretariat von Walter Ulbricht. Angesichts der Biografie des Autors wundert es ihn nicht, dass das Buch als eine Verteidigungsschrift daherkommt. Immerhin bescheinigt er Graf, seine Erinnerungen und Erfahrungen "kenntnisreich" mit der von Ulbricht geprägten Politik der SED zu verbinden. Zu Frickes Bedauern kann sich der Autor aber nicht verkneifen, "ideologische Ladenhüter der Partei feilzubieten". Er hält ihm in diesem Kontext eine Vielzahl von "bewussten Fehldeutungen", "Halbwahrheiten" und "Legenden" über die angeblich so demokratische DDR unter Ulbricht vor. Auch scheint ihm der "zeithistorische Erkenntniswert" des Buchs sehr mäßig.

© Perlentaucher Medien GmbH