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Von Anfang an als Aufklärer dabei, übernahm Werner Großmann nach dem Ausscheiden von Markus Wolf die Leitung der legendären und oft mystifizierten Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit. Hier schildert er erstmals ausführlich die Arbeit der HVA, deren erstes Ziel es immer war, 'Bonn im Blick' zu behalten. Auch die Prozesse und Entscheidungen, vor die sich Großmann nach '89 gestellt sah, nehmen in seinem Buch breiten Raum ein: Waren die gesammelten Informationen - brisante Interna aus Bundesregierung, BND, Verfassungsschutz, Industrie - zu vernichten? Hätte er vor dem…mehr

Produktbeschreibung
Von Anfang an als Aufklärer dabei, übernahm Werner Großmann nach dem Ausscheiden von Markus Wolf die Leitung der legendären und oft mystifizierten Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit. Hier schildert er erstmals ausführlich die Arbeit der HVA, deren erstes Ziel es immer war, 'Bonn im Blick' zu behalten. Auch die Prozesse und Entscheidungen, vor die sich Großmann nach '89 gestellt sah, nehmen in seinem Buch breiten Raum ein: Waren die gesammelten Informationen - brisante Interna aus Bundesregierung, BND, Verfassungsschutz, Industrie - zu vernichten? Hätte er vor dem Zugriff der bundesdeutschen Justiz die Flucht ergreifen sollen? Und hätte er sich von den Angeboten und Drohungen aus Regierungs-, Justiz- und Geheimdienstkreisen der BRD bewegen lassen sollen, die westlichen Quellen der HVA zu offenbaren?
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In der Substanz, meint Rezensent Jochen Staadt, böten diese Lebenserinnerungen "kaum Neuigkeiten" zum Thema DDR-Spionage im Westen. Im Gegenteil, manche Legende, an der schon Großmanns Amtsvorgänger Markus Wolf gesponnen habe, spinne er nun fort. Lediglich von Wolfs Selbstdarstellung, er "habe schon lange gewusst, dass der Niedergang der DDR nicht aufzuhalten war", setze sich Großmann deutlich ab. An derartige Äußerungen nämlich könne er sich nicht erinnern. Ansonsten fülle Großmann sein Buch "durchweg mit bekannten Spionagefällen" und lasse auch "die Bonner Maulwurftruppe" noch einmal Revue passieren, "die in Ministerien und Westparteien" der DDR-Staatssicherheit "zu Diensten stand". Doch den per Genickschuss hingerichteten Dr. Werner Teske erwähne er nicht. Auch Großmanns Selbsteinschätzung, keine eigenständige Spitzeltätigkeit im DDR-Inland praktiziert zu haben, mag der Rezensent nicht teilen. Die "einschlägigen Stasi-Unterlagen" widersprächen dieser Behauptung auf der ganzen Linie.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2001

Der Herr der Reißwölfe
Werner Großmann spinnt die Legende von Markus Wolf fort

Werner Großmann: Bonn im Blick. Die DDR-Aufklärung aus der Sicht ihres letzten Chefs. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001. 320 Seiten, 34,- Mark.

Seinen größten Coup landete der stellvertretende Minister für Staatssicherheit, Generaloberst Großmann, erst nach dem Sturz der SED-Diktatur. Seine Offiziere rangen den DDR-Bürgerrechtlern in der "Arbeitsgruppe Sicherheit des Zentralen Runden Tisches" die Zustimmung zur größten Aktenvernichtung in der untergehenden DDR ab. Die von Großmann kommandierte Stasi-Hauptverwaltung A (HV A) durfte die gesammelten Spitzel- und Spionageunterlagen selbst vernichten und die nachgeordneten Dienststellen "eigenständig liquidieren". Großmanns Männer konnten fast drei Monate lang Papierberge verbrennen und Akten schreddern, bis die Reißwölfe heißliefen. Trotz einiger Pannen gereiche "die Vernichtung der Akten allen Beteiligten zur Ehre", schreibt Großmann jetzt.

In der Substanz bieten die Lebenserinnerungen kaum Neuigkeiten zum Thema DDR-Spionage im Westen. Großmann füllt sein Buch durchweg mit bekannten Spionagefällen und läßt noch einmal die Bonner Maulwurftruppe Revue passieren, die in Ministerien und Westparteien der DDR-Staatssicherheit zu Diensten stand. "Das Auswärtige Amt ist von uns blendend besetzt", behauptet er im historischen Präsens, und auch der Bundesnachrichtendienst sei "gläsern" gewesen.

Zehn Prozent der etwa 3000 westdeutschen DDR-Spione, gegen die nach der Wiedervereinigung Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, erhielten Gefängnisstrafen. In wenigen Fällen hatte die bundesdeutsche "Siegerjustiz" für Großmanns kleine Gehilfen mehr als fünf Jahre Haft übrig. Alle spitzelnden und kiebitzenden Sekretärinnen, Bürovorsteher, Politikerreferenten oder Vortragende Legationsräte, die Großmanns Erfolgsbilanz schmücken, sind inzwischen längst wegen guter Führung wieder auf freiem Fuß. Nur in den Vereinigten Staaten wurden überführte DDR-Spione ähnlich hart verurteilt wie in Großmanns Dienstjahren Westspione in der DDR.

Großmann selbst erwähnt den Fall des Cottbuser Kreisschulrats Horst Garau, eines Inoffiziellen Mitarbeiters (IM) der HV A, der sich bei einem Westeinsatz vom Verfassungsschutz anwerben ließ. Garau wurde nach seiner Enttarnung von einem DDR-Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Er erhängte sich 1988 in Bautzen. Großmann macht dafür die Bundesregierung verantwortlich, weil sie Garau nicht rechtzeitig gegen einige im Westen inhaftierte DDR-Spione austauschte. Als "völligen Irrsinn" bezeichnet er den von Garaus Witwe geäußerten Verdacht, ihr Mann sei umgebracht worden.

Durch Genickschuß ums Leben gebracht wurde am 26. Juni 1981 in Leipzig Dr. Werner Teske, der als Hauptmann in Großmanns HV A gedient hatte. Teske war zuvor in einem Geheimprozeß wegen der Vorbereitung einer Spionagehandlung und Fahnenflucht zum Tode verurteilt worden. Großmann erwähnt Teske nicht. Er spinnt lieber die Legende seines Amtsvorgängers Markus Wolf fort, in der Stasi-Spionageabteilung hätten die Humanisten des Spitzelministeriums gesessen.

Von anderen Flunkereien seines früheren Chefs setzt Großmann sich indes hart ab - so von Wolfs Selbstdarstellung, er habe schon lange gewußt, daß der Niedergang der DDR nicht aufzuhalten war, und sei deshalb 1986 aus der Stasi ausgestiegen. Wolf behauptet in der 1998 erschienenen Autobiographie, daß er seinem langjährigen Stellvertreter Werner Großmann beim Abschied mahnende Worte mit auf den Weg gab. Dabei habe ihn der Gedanke beschäftigt, ob dieser Nachfolger wohl in der Lage sein würde, "dem Sog des Systems und der militärischen Hierarchie zu widerstehen und bei den Umwälzungen, die unausweichlich bevorstanden, einen eigenen Standpunkt zu behaupten".

Großmann, der mit Wolf nicht nur lange Jahre die Dienststelle, sondern auch ein Zweifamilienhaus teilte, kann sich an solche Äußerungen nicht erinnern. Wie Wolf sich gegen das System gestemmt haben könnte, ist Großmann ein Rätsel. Einige unverbindliche Gespräche über die desolate Innen- und Wirtschaftspolitik der SED fallen ihm ein - und die vorsichtig geäußerte Hoffnung auf eine biologische Lösung: "Den Kopf steckte aber niemand hinaus, auch nicht Markus Wolf."

Auf Verrat, sofern er sich im eigenen Dienst und nicht beim Gegner ereignet, reagiert Großmann allergisch. Mehrfach beschwört er "die Ehre des Offiziers", die "Treue zum Eid" und die Moral: "Schließlich waren wir Offiziere, denen Verrat fremd sein mußte." Mit Genossen, die sich dem Schweigekartell der Stasi-Veteranen entzogen haben, geht er hart ins Gericht: "Zum Lumpen wurde, der die Verantwortung anderen zuschob oder sich auf Kosten anderer zu seinem eigenen Vorteil seiner Verantwortung entzog."

Eigener Verantwortung hat sich freilich auch Großmann entzogen. Anläßlich der Präsentation seines Erinnerungsbuches bestritt er in einem Interview mit dem PDS-Organ "Neues Deutschland" jegliche eigenständige Spitzeltätigkeit der Aufklärungsabteilung im DDR-Inland. Seine Leute hätten lediglich "Erkenntnisse weitergeleitet, die wir im Ausland - und die Bundesrepublik und West-Berlin gehörten ja dazu - erlangt haben". Man könne der HV A "nicht unterschieben, ein Dienst gewesen zu sein, der für die innere Repression tätig war. Das stimmt nicht."

Die einschlägigen Stasi-Unterlagen widersprechen dieser Behauptung auf ganzer Linie. Eine von Großmann am 1. Dezember 1988 unterzeichnete "Planorientierung für 1989" enthält als Aufgabenstellung der HV A die "Aufklärung und Bearbeitung von Feindorganisationen, Initiativen und Einzelpersonen, die als Organisatoren der politischen Untergrundtätigkeit in der DDR und anderen sozialistischen Staaten in Erscheinung treten". Seinen Führungsoffizieren in der HV A befahl Großmann: "Geeignete DDR-IM sind auf dem Territorium der DDR mit in die Bearbeitung oppositioneller Kräfte und Gruppierungen einzubeziehen. Um gegnerische Aktivitäten im Zusammenhang mit den Volkswahlen in der DDR am 7. 5. 1989 und dem 40. Jahrestag der DDR rechtzeitig zu erkennen und verhindern zu helfen, sind alle DDR-IM verstärkt zu mobilisieren." Auch Großmanns Lügen haben kurze Beine.

JOCHEN STAADT

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