Produktdetails
  • Verlag: Volk und Welt
  • Seitenzahl: 272
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 510g
  • ISBN-13: 9783353011749
  • ISBN-10: 3353011749
  • Artikelnr.: 24930427
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2000

Schnitt in den Körper
Im Geist von Lacan, auf den Spuren von Slavoj Zizek – Renata Salecl erforscht „Liebe und Hass”
Auf den ersten Blick spricht fast alles gegen dieses Buch: zusammengestellt aus verschiedenen Aufsätzen, von einer Vielzahl von Übersetzern übertragen, verfasst von einer Autorin, die hier zu Lande kaum bekannt ist, bei der man aber sofort den Verdacht hegt, es sei in erster Linie den Erfolgen der Bücher von Slavoj Zizek und Elisabeth Bronfen geschuldet, dass dieses Buch erscheinen konnte, und nicht so sehr der ihm eigenen Qualität. Doch zeigt sich schnell: Die Aufsätze durchzieht ein einigendes thematisches Band, und die Übersetzer haben auch ohne Koordination erstaunlich homogen gearbeitet. Vor allem aber: Renata Salecl ist kein Klon, kein Double und kein Ziehkind von Slavoj Zizek, und das macht sich wohltuend nicht zuletzt daran bemerkbar, wie sie Fragen angeht, mit denen auch Zizek sich oft befasst.
Gemeinsam haben Zizek und Salecl die Spannweite der Themen, das große Interesse an Formen der klassischen, aber auch der Avantgardekunst sowie der popular culture und das stabile Fundament in der Lacanschen Theorie. Was bei Salecl nahezu gänzlich fehlt, ist das Sprunghafte Zizeks sowie dessen überbordende Lust am Witz. Doch das ist alles andere als ein Mangel. Im Unterschied zu Zizek, der gewiss ein Meister des blitzhaften (mitunter schnell verpuffenden) Effekts ist, zieht Salecl die geduldige Explikation vor. Der Übergang zwischen den literarischen, künstlerischen oder filmischen Beispielen und den theoretischen Darstellungen gelingt oft geradezu mühelos. Selbst schwierige Theoreme Lacans wie das der Nichtexistenz des „Geschlechtsverhältnisses” gewinnen so eine große Anschaulichkeit und Überzeugungskraft. Und der Bezug zwischen der Theorie des Begehrens und der des Triebes findet sich meiner Kenntnis nach nirgendwo ähnlich präzise dargestellt, in verschiedenen Facetten und Etappen:
Zeit der Unschuld, Was vom Tage übrigblieb. Dass die Liebe keine Erfüllung finden konnte, lag nicht zuletzt an den indirekten Blicken, die sich nicht fanden. Das Ich-Ideal ist ein Bild dessen, wie man gesehen werden will. Die Liebe braucht aber etwas, wodurch sie über jedes Bild hinaus gehen kann. Sie sucht etwas am anderen, das mehr ist als er selbst.
Rhapsody, The Seventh Veil, The Red Shoes. Die Liebe gelingt, indem sie scheinbar scheitert. Denn sie stellt sich ein, wenn einer der Akteure sich abwendet und allein der Musik, dem Tanz etc. sich widmet: Dies ist der Moment, an dem dieses „mehr als” Liebe hervorruft. Dass Dreierkonstellationen dem förderlich sind, weiß man seit langem.
Von Homer bis Kafka. Das Heldenepos des Odysseus, der listig den Sirenen trotzt, wird umgeschrieben. Denn auf der Habenseite hat der männliche Held nach dem Freitod der Sirenen nichts: das Geheimnis des weiblichen Genießens verrieten sie ihm nicht.
Ähnlich wie bei Zizek ist das Anliegen letztlich hochpolitisch. Es geht ebenso um das Schicksal der nachsozialistischen Gesellschaften wie um das der kapitalistischen Metropolen. Die Rumänien belastenden architektonischen und sozialplanerischen Hinterlassenschaften des Diktators Ceaucescu sind den modernen Shopping Malls so unverwandt nicht: Beide sind versuchte Realisierungen des fiktiven großen Anderen als Überwachungs-, Regelungs- und Strafinstanz. Verliert sich der Glaube an diesen Anderen, muss er aufs neue fingiert werden: Nicht Regellosigkeit und Anarchie, sondern ein neues dichtes Netz von scheinbar selbst gegebenen Regeln verschließt sogleich den Mangel wieder.
Vielleicht am wenigsten gelungen ist die Studie mit dem wohl ernstesten Anliegen. In „Schnitt in den Körper: Von der Klitoridektomie bis zur Body Art” gelingt es einfach nicht, den Bogen zu schlagen. Die Diskussion der Position der Menschenrechte angesichts des Eigenrechts der kulturellen Differenz wird zwar spannend und präzise geführt, aber das dilemmatisch-offene Ergebnis irritiert.
Dennoch ist auch dieser Beitrag unbedingt lesenswert, ebenso wie die Untersuchungen zur Hasssprache, die auch eine Klärung der Lacanschen Sprachtheorie beinhaltet, und zum Verhältnis von Mensch und Tier, die beim russischen Künstler Oleg Kulik ansetzt, der auf Kunstausstellungen die Rolle des Hundes übernimmt.
Zu beklagen ist nur eines: der schlichtweg verwahrloste Anmerkungsteil. Hier ist die Unsitte, Fußnoten, die mehr sind als reine Zitatennachweise, sondern vielmehr laterale Diskussionsfelder eröffnen, von der ihnen zugehörigen Seite ans Ende des Buches zu verlegen, nochmals getoppt worden, indem man das Ganze als Anhang deklariert. Kaum eine Seite ohne grob verunstaltende Fehlschreibungen. Dass Blanchot, Lacan und andere nach englischen Ausgaben zitiert werden, ist eine Rücksichtslosigkeit, von der man nur hoffen kann, dass sie nicht weiter einreißt.
HANS-DIETER GONDEK
RENATA SALECL: (Per)Versionen von Liebe und Hass. Übersetzt von Isolde Charim, Bernd Liepold-Mosser, Benjamin Marius, Wilfried Pranter und Katarina Wiedermann. Verlag Volk und Welt, Berlin 2000. 273 Seiten, 44 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Ziemlich skeptisch berichtet Guido Graf über dieses Buch. Faszinierend sei zwar die Fülle der Beispiele, die Renata Salecl aufwende, um ihre These zu illustrieren. Aber dummerweise findet Graf die These selbst banal. Dass Liebe und Hass komplizierte Konstruktionen sind, dass ein Begehren per definitionem nicht erfüllt werden kann, dass Liebe auch eine zerstörerische Macht ist, scheint für Graf nichts Neues zu sein. Der Rezensent wirft Salecl, einer Schülerin des kroatischen Psychoanalytikers Slavoj Zizek, auch eine allzu große Abhängigkeit von der Rhetorik Jacques Lacans vor, doch führt sie Grafs Ansicht nach die Einsichten des französischen Analytikers "in die paradoxe Ökonomie von Begehren und Versagen ad absurdum". Zwar lobt Graf, dass Salecl versuche, Lacans Doktrinen allgemein verständlich zu machen versuche, bloß wird ihm ihre Darstellung dadurch "befremdlich flach".

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